LAND KULTUR ARBEIT
Die neue Ausgabe des IG Kultur Magazins ist da und wirft Schlaglichter auf die Vielfalt zeitgenössischer Kulturarbeit in ländlichen Regionen. Wie geht es Kulturarbeiter*innen „abseits vom Schuß“? Welche Rahmenbedingungen finden sie vor, welche bauen sie auf, welche bräuchten sie? Wie gestalten sie Gemeinschaften und Entwicklungsprozesse mit? Und was heißt überhaupt „am Land“? Ein Dossier über Kulturarbeit im ländlichen Raum.
Zur Schwerpunktausgabe: LAND | KULTUR | ARBEIT
An der demokratischen Entwicklung arbeiten!
Editorial
Kulturarbeit vor Ort ist ein Garant für demokratische Entwicklung und gesellschaftliche Partizipation. In ländlich geprägten Regionen erfährt Kulturarbeit aber weder die Sichtbarkeit noch die finanzielle und strukturelle Unterstützung, die ihr gebührt. Ergebnis dieser Geringschätzung sind überwiegend prekäre Rahmenbedingungen für Akteur*innen, die auf Ehrenamt und Herzblut setzen und aus Nöten Tugenden machen.
Wenn wir von „ländlichen Räumen“, „Dörfern“ oder „ländlich geprägten Regionen“ reden, tut sich unweigerlich ein Spannungsverhältnis auf. Die Begriffe suggerieren eine wahrgenommene Differenz gegenüber etwas anderem. Oft ist es ein städtischer Blick, der auf „das Ländliche“ schaut und nicht selten unterstellt, es gäbe jenseits urbaner Räume einen Mangel an zeitgenössischer Kunst und Kultur sowie Kulturräumen.
Ohne Zweifel gibt es auch in ländlichen Räumen eine lebendige freie Szene und vielfältige Kulturorte. Gerade deshalb kann dieses Magazin nur exemplarische Schlaglichter auf das breite Spektrum zeitgenössischer Kulturarbeit am Land werfen. Und selbst der Begriff „am Land“ ist nur ein grobes Raster, denn „die“ ländliche Region gibt es schlichtweg nicht.
Die Szenen und Orte verankern sich dort, wo sich Menschen schon immer in ihrem Alltag begegnet sind und aufgehalten haben – im (heute aufgelassenen) Gasthaus, Bahnhof, Spital, Schwimmbad etc. Weniger herrschaftlicher Repräsentationsanspruch in „Kunsttempeln“, als Repräsentation der Menschen, die an einem Ort leben[1]. Dabei wird Wiederbelebung und Neunutzung von Leerstand gelebt und das soziale Leben vor Ort attraktiviert.
Ein weiteres Erfolgsrezept, das viele Kulturinitiativen prägt, ist gelebte Beteiligung der lokalen Bevölkerung und kokreative Gestaltung, zumeist über die Kulturblase hinaus. Initiative Soziokultur in ihrer Urform sozusagen. Ein Blick in die Praxis offenbart, wie vielfältig nicht nur die Kulturaktivitäten, sondern auch die Herangehensweisen an die Herausforderungen sind – von Leerstandsbelebung über die Organisation von Fahrgemeinschaften und originellen Finanzierungsmodellen bis zu neuen Formen des kollektiven Zusammenarbeitens. Und trotz der bekannten Probleme – mangelnde Ressourcen und Infrastruktur, lückenhafte Mobilitätsangebote, Abwanderungstendenzen, Planungsunsicherheit, fehlende Sichtbarkeit und Wertschätzung – fungieren sie als Räume der Begegnung und Auseinandersetzung mit relevanten gesellschaftspolitischen Themen, als Experimentierflächen und Zukunftslabore und als Ideenschmiede für neue Formen des Zusammenlebens und -gestaltens vor Ort.
Wenn ihr dieses Magazin in Händen haltet, ist das Wahlkampfjahr zu den Bundeswahlen 2024 bereits eingeläutet. Vermutlich werden wir von populistischen Aufhängern, von welchen es nach den Jahren multipler Krisen genug gibt, überschwemmt. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den grundlegenden Fragen – wie wir unser Zusammenleben gestalten wollen, wie wir unsere Umwelt stabilisieren oder wie demokratiepolitische Prozesse gestärkt werden können – findet dagegen kaum bis selten statt. Kein Wunder, wenn Krieg an den Grenzen der EU geführt wird, das Geld für Grundbedürfnisse nicht mehr reicht und die globale Ungleichheit sich weiter zuspitzt, erscheint die Beschäftigung mit diesen Fragen als ein vernachlässigbarer Nebenschauplatz. Dabei wird bereits vergessen, dass die Extremwetterereignisse im Hochsommer Menschen als auch Kulturinitiativen akut in ihrer Existenz gefährdeten und diese buchstäblich drohten, davon zu schwimmen.
Um die demokratische Entwicklung in unserer Gesellschaft nachhaltig zu stärken, müssen ihre Existenzgrundlagen gesichert werden. In diesem Sinne brauchen wir mehr und nicht weniger Kulturarbeit in ländlichen Regionen – aber vor allem stabile, förderliche Rahmenbedingungen, die diese Arbeit weiterhin ermöglichen, denn die Demokratie darf uns nicht weggespült werden!
Lidija Krienzer-Radojević, Marco Friedrich Trenkwalder, Alina Zeichen und Yvonne Gimpel
1 Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel:
Denn natürlich gibt es auch in ländlichen Räumen Pilger- stätten der Kulturszenen, zumeist als temporäre Leuchtturmprojekte, inszeniert mit entsprechender Ressourcenausstattung. Vielfach bauen sie auf jahrelanger Pionierarbeit auf oder verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind. Die entscheidende Frage aber ist: Können sie nachhaltige Wirkungen entfalten? Was bleibt für jene, die bleiben?
Coverbild des IG Magazins 2023: Stefanie Lintz, Ruhende Herde 2018 Installation für den Außenbereich der Galerie Bajadere in Neuhaus
Zur Entstehung: Die Idee für diese Arbeit entstand beim Betrachten meiner gegenstandslosen Zeichnungen der vergangenen Jahre. Es erscheinen dort oft geschlossene Formen zwischen unruhig gesetzten Zeichenlinien. Sie erinnern mich an unsere kleine Schafherde, wenn sie sich zum Wiederkäuen an einen schattigen Platz zurückzieht.
In Kooperation mit dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport, Abteilung für europäische und internationale Kulturpolitik
Inhaltsverzeichnis:
PRAXIS
Progressive Provinz
Patrick Kwasi
Das eigentliche Problem
Gunilla Plank
Vieles, nur nicht trivial
Marco Friedrich Trenkwalder
Region der Möglichkeiten
Elisabeth Schweeger im Gespräch
Kolumne: Was steht in dieser Zeitschrift?
Andi Wahl
Kärntner slowenische Kulturarbeit in den Regionen
Markus Gönitzer
LITERATUR
So far the project hast no title, but is slowly beginning to take shape.
Christoph Szalay
POLITIK
Wir sind (auch) da!
Katharina Spanlang
Kultur vor Ort
Franz Kornberger im Gespräch mit Helene Schnitzer
Karikatur: Kerstin Feirer
Gemeinsame Sache machen
Martin Fritz
Ein überraschender Schulterschluss
Alina Zeichen
INTERNATIONAL
Grenzüberschreitungen in Kunst und Kultur
Zahra Mani und Karin Schorm im Gespräch
EU-Förderprogramme für den ländlichen Raum in Österreich
Servicebeitrag BMKÖS
Reizvoll, aber mit großem Risiko
Michaela Zingerle
Was Kultur bewegen kann
Samo Darian
Kolumne: Monika Gruber sagt man nicht
Gebrüder Moped
THEORIE
Nicht daheim und doch Zuhause
Judith Lutz
Die Region
Danko Simić
Es fehlt die Differenzierung
Christine Wingert im Gespräch
Festivalisierung mal anders
Barbara Grabher
Kulturelle Räume für freiwilliges Engagement
Isolde Seirer-Melinz
IG ARBEIT
Kulturpolitische Landpartie
Klaus Schinnerl
Weichenstellung für eine Dorfkultur der Zukunft
Julia Zachenhofer
Förderungen auf Klassenbezogene Ausschlüsse prüfen
Betina Aumair und Julischka Stengele im Gespräch
KUNST
flora pondtemporary
Wie erhalte ich das IG Kultur Magazin
Mitglieder der IG Kultur Österreich erhalten das Magazin direkt per Post. Die digitale Ausgabe wird Ende 2023 veröffentlicht. Print-Exemplar können per E-Mail unter office@igkultur.at bestellt werden (Preis: 5,- Euro).
Übersicht frühere Ausgaben des Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda