Kulturelle Räume für freiwilliges Engagement
Freiwiliges Engagment spielt im "Vereinsland Österreich" eine zentrale Rolle. Auch im Kulturbereich wäre vieles ohne ehrenamtlich Engagement schlicht nicht möglich – schon gar nicht in ländlichen Räumen. Isolde Seirer-Melinz über die Anfänge des Freiwilligenengagement, seinem Stellenwert heute und Beitrag zu nachhaltigen Entwicklungsprozessen.
Österreich ist ein Vereinsland, heißt es so schön. Rund 3,73 Millionen der in Österreich lebenden Menschen gehen regelmäßig einer freiwilligen, unbezahlten Tätigkeit nach. Der Bereich Kunst, Kultur und Unterhaltung liegt in der institutionalisierten Freiwilligentätigkeit bei 21,6 %.[1] Ein „Ehrenamt“ ist also „die freiwillige Übernahme einer Funktion, die in einer gewissen Regelmäßig- keit für eine bestimmte Zeit unentgeltlich im Rahmen von Vereinen, ... Initiativen ... u. dgl. ausgeübt wird“.[2] Historisch verortet kann das freiwillige Engagement etwa im 18. Jahrhundert werden, als sich mit der Entfremdung der Arbeit die moderne Form der Freizeit als „kulturell sinnvoll genutzte Zeit“ entwickelte. Im 19. Jahrhundert wurden Vereine zu intermediären Organisationsformen zwischen Staat und privatem Leben, wo soziale Beziehungen nicht über „funktionale Rollen“ gelebt wurden. Mit der Arbeiter*innenbewegung rückte die Demokratisierung der Freizeit in den Mittelpunkt. Die 1920er Jahre kennzeichneten schließlich, vor allem beeinflusst durch das neue Medium Radio, eine experimentelle Suche nach neuen Ausdrucksweisen. Die Faszination des Radioamateurwesens resultierte daher etwa aus der Aneignung eines neuen, kulturell nicht vorgeprägten Erfahrungsraumes. Anders gesagt: Amateur*innen erkunden diesen nach dem „trial-and-error“-Prinzip.[3]
Historischer Ausschnitt aus der Zeitschrift Radiowelt zum aufkommenden Radioamateurwesen der 1920er Jahre. Ausdruck der experimentellen Suche nach neuen Ausdrucksformen und Austauschformen im Rahmen freiwilliger Tätigkeit.
Als Hobby würden wir heute eine Tätigkeit bezeichnen, die wir in unserer Freizeit als Herzensanliegen ausüben. Eine Studie zur Stärkung weiblichen Engagements im Bezirk Murau hat u. a. gezeigt, dass sich 47,4% der Befragten mehr als 15 Jahre im Verein engagieren, die Entscheidung dafür erfolgte bei 21,2% aus Eigeninitiative. Menschen werden also auch aus intrinsischen Motivationen aktiv. Gerade im ländlichen Raum wird das Engagement somit nicht (nur) in der Familie „vererbt“. Ehrenamtliche sehen sich als „Kulturträger*innen“ im gesellschaftlichen Miteinander. Meist engagieren sich Menschen am Land gleichzeitig in mehreren Vereinen, etwa in einem Kulturverein und in der Feuerwehr. Eine Zuordnung zum kulturellen Ehrenamt ist daher recht schwierig. Motive, sich freiwillig zu engagieren, sind vor allem: anderen Menschen zu helfen, die Steigerung der eigenen Lebensqualität, die Stärkung des persönlichen Netzwerks und das Bearbeiten spannender Themenfelder. Strukturen in Vereinen spiegeln somit auch immer aktuelle gesellschaftliche Verhältnisse. Das inklusive Mitdenken unterschiedlicher Lebenswelten, z. B. von Frauen, ist daher essenziell.[4] Denn: Freiwillige werden damit zu Akteur*innen in der Zivilgesellschaft, die sie sozial, kulturell und politisch mitgestalten.
In der Erwachsenenbildung hat sich in diesem Zusammenhang der Begriff der „community education“ etabliert, die auf lokaler Bildungs- und Kulturarbeit aufbaut. Sogenannte örtliche „Bildungswerke“ arbeiten ehrenamtlich und werden von hauptberuflichen Erwachsenenbildner*innen begleitet. Ziel ist das Empowerment durch partizipatives Handeln sowie die Förderung formeller und informeller Lernprozesse. In diesem Sinne wurde die Erwachsenenbildung in den 1970/80er Jahren zu einer Pionierin in der Regionalentwicklung.[5]
Konkret könnte es dabei etwa um die Revitalisierung eines Gebäudes mit emotionalem Wert für das kommunale Leben gehen. Engagierte Menschen entwickeln neue Nutzungsformen dafür und erwecken es z. B. durch kulturelle Veranstaltungen wieder zum Leben. Die gemeinwesenorientierte Erwachsenenbildung schafft dabei den Rahmen für das „Tätigwerden“, etwa durch Impulse rund um das Vereinswesen. Der Mehrwert für die Gemeinde spiegelt sich somit auch immer darin, dass Gemeindebürger*innen partizipativ gesellschaftliche Teilhabe erfahren und das wiederum stärkt das Zusammenleben nachhaltig.
Isolde Seirer-Melinz ist Kulturanthropologin und Geschäftsführerin des Steirischen Volksbildungswerk.
1 Vgl. Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) (Hg.) (2022.). Freiwilliges Engagement in Österreich. Ergebnisse der Erhebung zur Freiwilligentätigkeit.
2 Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) (2022). Begriffe rund um freiwilliges Engagement. Online abrufbar unter https://freiwilligenweb.at/freiwilliges-engagement/begriff
3 Vgl. Melinz, I. (2008). Zwischen Werkstatt und Welt. Die österreichische Radioamateurbewegung 1924 – 1935. Graz: Universität Graz, Geisteswissenschaftliche Fakultät.
4 Gerade für Frauen ist der Weg in die Führungsebene von Vereinen noch weit, das hat das Projekt „Frauen Region Ehrenamt“ 2022 gezeigt. Was stärkt, sind weibliche Role Models auf kommunalpolitischer Ebene oder auch ein regelmäßiger Austausch der Obfrauen untereinander.
Vgl. Steirisches Volksbildungswerk (Hg.) (2022). VEREINen. Wie Frauen das Ehrenamt gestalten. Graz.
5 Vgl. Kellner, W. (2028). Community-Ansätze in der Erwachsenenbildung. Online abrufbar unter https://magazin.vhs.or.at/magazin/2018-2/266-win- ter-201819/schwerpunkt-community-education/beteiligung- bildung-zivilgesellschaft/
Dieser Artikel ist erstmals in der Ausgabe 1.23 „LAND KULTUR ARBEIT“ des Magazins der IG Kultur Österreich – Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
Das Magazin kann unter office@igkultur.at (5 €) bestellt werden.
Coverbild: Ausschnitt des Sujetbildes zu "VEREINen. Wie Frauen das Ehrenamt gestalten." - Projekt des Steirischen Volksbildungswerks im Bezirk Murau © Gemini Labs, Shutterstock, Steirisches Volksbildungswerk