Progressive Provinz. Kulturarbeit im Leerstand.
Eine Getreidemühle, ein Schwimmbad, ein Krankenhaus, eine Fabrik – was haben sie gemeinsam? Sie sind fantastische Orte für Kunst und Kultur! Ein Veranstaltungsort, der als solcher gebaut wurde, ist viel weniger interessant als eine Umnutzung, die Kreativität räumlich verkörpert und auf eine Geschichte verweist, zu der die lokale Bevölkerung bereits eine emotionale Beziehung hat. Eine Reportage zu Kulturarbeit im Leerstand.
Eine Getreidemühle, ein Schwimmbad, ein Krankenhaus, eine Fabrik – was haben sie gemeinsam? Sie sind fantastische Orte für Kunst und Kultur! Ein Veranstaltungsort, der als solcher gebaut wurde, ist viel weniger interessant als eine Umnutzung, die Kreativität räumlich verkörpert und auf eine Geschichte verweist, zu der die lokale Bevölkerung bereits eine emotionale Beziehung hat. Es gibt viel Leerstand dieser Art, also auch Potenzial. Wo in Ballungsräumen schnell Investoren auftauchen, um abzureißen und austauschbare Wohnanlagen hinzustellen, liegen die Orte am Land oft jahrzehntelang brach. Dabei sollte die Politik nicht zu sehr auf das schnelle Geld schielen. Initiativen zur Wiederbelebung und Neunutzung von Leerstand können als nachhaltige Investitionen verstanden werden.
Dr. Daniel Dettling vom Institut für Zukunftspolitik in Berlin hat den Begriff der „progressiven Provinz“ geprägt. Wir haben es mit dem Trend einer Sub-Urbanisierung zu tun. Es ist die Verbindung dörflicher Lebensstrukturen mit weltweiter Vernetzung. Immerhin 40% der Menschen leben in ländlichen Gebieten. Es bleibt nicht nur Leerstand, sondern auch kulturelles und politisches Potenzial ungenutzt. Kultur kann nicht nur leerstehenden Gebäuden, sondern ganzen Regionen neues Leben einhauchen.
Ländlicher Unterdruck
Ein Vakuum ist ein leerer Raum. Der Unterdruck gegenüber der Atmosphäre kann eine Sogwirkung erzeugen – aber nur, wenn der Raum nicht vollständig abgeschlossen ist. Am Tor zum Salzkammergut liegt Vöcklabruck. Als sich in der Umgebung kulturelle Leerstellen ergaben und beispielsweise 2010 das „Bock ma’s“ Benefizfestival von Ute Bock eingestellt wurde, bündelten engagierte Menschen ihre Kräfte, um wieder etwas auf die Beine zu stellen. Es gab zwar noch mehrere Initiativen, die in verschiedenen Sälen, Kellern oder Lokalen Veranstaltungen organisierten, sie hatten aber kein Zuhause. „Es war ein Zusammenschluss aus verschiedenen Vereinen aus der Umgebung,“ so Jolanda de Wit vom OKH Vöcklabruck. Die Initiative hat ein leerstehendes Krankenhaus in ein Kulturzentrum verwandelt.
OKH Vöcklabruck © OKH
Auch der Container25 in Hattenberg, der eine alte Getreidemühle kulturell belebt, wurde von einem Kahlschlag in Gang gesetzt: „Eine größere Kulturinitiative in der Region hat mich in meiner Jugend kulturell sozialisiert. Die haben alternative Musik gebracht. Das gab es sonst nirgendwo“, so Christof Volk vom Container25. „Als es die nicht mehr gab, war klar, dass wieder etwas passieren muss. Wir leben hier am Land und brauchen Kunst und Kultur.“
In der Stadt gibt es ein größeres Angebot, am Land muss man es selbst machen. Sonst passiert nichts.
Aktuell formiert sich etwas in Gallneukirchen. Das Gusental im Mühlviertel wirkt auf den ersten Blick vielleicht verschlafen, die Geschäfte sperren zu Mittag zu, die Menschen wollen gemütlich Mittagspause machen. Dennoch wächst die Region und damit das Bedürfnis nach Kultur. Das erste Projekt des Kulturpool Gusental ist der Umbau des alten Hallenbads Gallneukirchen. Es wurde bis 2013 noch „beschwommen“, nun wird es bespielt. Frü- here Versuche der Zwischennutzung sollen am Unverständnis der Verwaltung gescheitert sein. Ein Beamter soll entgegnet haben, wie man dort Konzerte veranstalten möchte, wenn in Hallenbädern das Tragen von Straßenschuhen nicht erlaubt sei. „Das zeigt vielleicht, dass man Kulturarbeit am Land manchmal besonders niederschwellig denken muss“, so Domenik Riedl vom Kulturpool Gusental. Ein Kulturentwicklungsplan mit reger Beteiligung der lokalen Bevölkerung brachte das Projekt schließlich auf Schiene – mit einstimmigem Gemeinderatsbeschluss. „Kann sein, dass so etwas am Land auch leichter ist. Es bekommt eine ganz andere Dynamik“, so Riedl. In der Stadt gibt es ein größeres Angebot, am Land muss man es selbst machen. Sonst passiert nichts.
Wenn sich die Politik solchen Bewegungen öffnet, finden sie bessere Maßnahmen gegen die Landflucht als Breitband-Offensiven und Industrieparks. In der „progressiven Provinz“ schaffen sich die Menschen selbst Perspektiven. „Ich habe Vöcklabruck in meiner Jugend als Schulstadt wahrgenommen. Es war kein Ort, an dem man sich länger aufhält“, erzählt Jolande de Wit. „Die Freude darüber, dass es einen Ort gibt, der etwas Urbanität reinbringt, hat die Gegend attraktiver gemacht“. Mit der Westbahn besteht mittlerweile zwischen Salzburg und Linz eine Anbindung an den öffentlichen Fernverkehr. „Regionen, die auf Lebensqualität und Beteiligung setzen, werden Erfolg haben“, so der Zukunftsforscher Dettling. Es handelt sich dabei vor allem um junge Familien, die (wieder) auf das Land ziehen und ein Stück städtisches Flair in die ländliche Nostalgie mitbringen.
Orte von Bedeutung
„Das Hallenbad kennt jeder, weil man sich da als Kind Pommes gekauft hat“, erzählt Domenik Riedl vom Kulturpool Gusental. Das ist auch ein Grund, weshalb sie breite Unterstützung erfahren haben. Das alte Krankenhaus in Vöcklabruck hätte abgerissen werden sollen, um Wohnungen zu weichen, doch eine Demonstration brachte die Wende. Geholfen hat, dass das Krankenhaus ein nostalgischer Ort ist: „Sogar Ärztinnen und Ärzte, die da viele Jahre gearbeitet haben, haben uns unterstützt“, so de Wit. Die Orte haben für die lokale Bevölkerung eine Bedeutung.
Klangfestival im Kulturpool © Petra Huemer
Container25 © Nina Radeschnig
In Hattenberg war eine alte Kunstmühle ausschlaggebend. Der Begriff hatte ursprünglich nichts mit Kultur zu tun, „Kunstmühle“ bezeichnete ab dem 19. Jahrhundert technisch besonders fortschrittliche Mühlen. Er ist aber umso passender, da die kulturaffinen Eigentümer schon vor dem Einzug des Container25 Ateliers beherbergten. „Die haben sich von uns gewünscht, dass wir das bespielen“, so Christof Volk vom Container. Mangels Förderungen war der Verein lange vom Einsatz engagierter Menschen abhängig. Das inspirierte dazu, den Container für Veranstaltungen anderer Gruppen zu öffnen, wie den Anteaters Against Everything, gebildet von jugendlichen Wolfsberger*innen, oder den Container-Kindern, einer Gruppe Schüler*innen. Der Jugend wurde früh die Möglichkeit gegeben, sich unabhängig einzubringen.Das Vertrauen wurde belohnt: Die Gruppen sind zwar mittlerweile aufgelöst, die Menschen daraus nun aber direkt beim Container25 aktiv. So wurde unbewusst für den Generationenwechsel vorgesorgt. „Ich bin mit dem Container groß geworden“, sagt Alina Volk. Sie war bei den Container-Kindern und ist mittlerweile Obfrau des Vereins. Die Jugend soll weiterhin involviert sein. Das funktioniert am besten, indem der Raum geöffnet wird: „Wir geben jungen Acts die Möglichkeit aufzutreten. Das hält auch uns jung“, so Christof Volk.
Es bleibt nicht nur Leerstand, sondern auch kulturelles und politisches Potenzial ungenutzt.
Kultureller Defibrillator
Die Politik ist über die kulturelle Aneignung nicht immer erfreut: „Der Bürgermeister nannte uns bei der Eröffnung noch ‚Kulturfreaks‘. Wir konnten die Politik aber in den ersten Jahren unserer Tätigkeit überzeugen“, erzählt de Wit von der Anfangszeit des OKH. Auch der Container25, der sich in Kärnten in politisch bewegten Zeiten bildete, wurde von der Politik lange Zeit wortwörtlich „links“ liegen gelassen. Mittlerweile bezieht er Förderungen und steht in engem Kontakt mit der Verwaltung. Dazu hat ein personeller Wechsel in der Politik beigetragen, aber auch, dass der Container über die Region hinaus Anziehungskraft hat und Menschen in die Region bringt – sogar aus Klagenfurt oder Graz.
Der Kulturpool in Gallneukirchen interessiert sich nicht nur für das Hallenbad. Als Verein für das Gusental soll die ganze Region belebt werden. Hier werden die vorhandenen Initiativen aus den verschiedenen Gemeinden vernetzt, man hofft aber auch auf Vorbildwirkung nach außen. Nebenbei bemerkt Riedl, dass in Österreich viele Hallenbäder leer stehen. „Ich möchte jetzt kein Franchise eröffnen, aber es wäre schön, wenn es ausstrahlt,“ so Riedl. „Kultur ist ein Weg, um herauszufinden, was man mit solchen Orten machen kann.“ Das kann große Anstrengungen erfordern. Die Kulturinitiative Erbse bespielte in Bruckneudorf im Burgenland eine ehemalige Erbsenschälfabrik. Auf der Suche nach einem Zuhause fiel der Blick früh auf das Objekt der alten leerstehenden Erbsenschälfabrik. Ähnlich wie der Container gab es einen kulturoffenen Eigentümer. Ein junger Student hatte das Areal geerbt und war von der Idee, die Fabrik der Kultur zur Verfügung zu stellen, angetan.
Die Fabrik hatte fast 30 Jahre leer gestanden. Fenster waren eingeschlagen, Bäume und Efeu hatten die Wände verwachsen, Dächer waren undicht. „Die erste Tätigkeit im Haus war, scheibtruhenweise Taubenscheiße rauszubefördern“, so Herta Schuster von der Erbse. Dafür konnten sie auf viel Hilfe zählen. Die Anziehungskraft der bloßen Idee eines Kulturzentrums in der Fabrik war so groß, dass Kunst- und Kulturtätige aus dem Um- feld tatkräftig mithalfen – sogar aus Wien reisten Künstler*innen an, um die Erbse herzurichten. Die folgenden Jahre motivierten viele Menschen, sich tatkräftig im Verein einzubringen. Ihre Geschichte war eigentlich eine Erfolgsgeschichte – und trotzdem gibt es die Erbse heute de facto nicht mehr.
Erbse Vorplatz © Christian Zenger
Erfolgreich gescheitert
Es ist möglich, ein brachliegendes Objekt dermaßen erfolgreich aufzuwerten, dass man unerwünschtes Interesse auf sich zieht. Eine solche gescheiterte Erfolgsgeschichte findet sich im Burgenland. „Im Nachhinein betrachtet waren die zehn Jahre Pachtvertrag eigentlich zu wenig“, so Herta Schuster. Es war der kulturaffine Student, der das Areal der Erbsenschälfabrik an Investoren verkaufte, ohne den Verein zu informieren. Die Kultur sollte so schnell wie möglich verschwinden, um alles abzureißen und Wohnsilos zu bauen. Die Rechnung wurde ohne die Gemeinde gemacht. Die Politik stellte die Fabrik kurzerhand unter Denkmalschutz, das Areal war somit kommerziell nutzlos. Die Gemeinde übernahm die Fabrik, hatte aber andere Pläne. Errichtet wurde eine Grundschule und andere öffentliche Infrastruktur. Der Verein hat viel investiert, steht nun mit einer Erfolgsgeschichte, aber dennoch leeren Händen da. „Wenigstens ist es gelungen, das Gebäude zu einem öffentlich nutzbaren Gebäude zu machen,“ so Schuster. „Im Prinzip kann man sagen, dass die Kulturinitiative den Grundstein dazu gelegt hat, dass das Gebäude renoviert wird und den Menschen in der Gemeinde zugutekommt. Auch wenn es für uns schade ist, handelt es sich dennoch um eine Bereicherung für das ganze Dorf. Ohne die Initiative würde es das Haus nicht mehr geben.“
Die Orte haben für die lokale Bevölkerung eine Bedeutung. Kultur ist ein Weg, um herauszufinden, was man mit solchen Orten machen kann.
Es muss zwar viel zusammenkommen, doch es gilt, sich nicht entmutigen zu lassen. Das OKH hat es schnell geschafft, einen unbefristeten Mietvertrag zu bekommen. Die Politik war von der Demonstration ebenso beeindruckt wie von dem Umstand, dass die Gruppe eigenständig eine ordentliche Geldsumme für den Umbau sammeln konnte. „Wir müssen jetzt aber auch die Stadt loben, die mittlerweile den größten Brocken stemmt, um das Haus weiterzuentwickeln“, so de Wit.
Beim Container25 in Kärnten wurden die Eigentümer gleich zu Vereinsmitgliedern gemacht. Sie stellen damit die meisten Geschichten von Umnutzungen auf den Kopf: Normalerweise wird um unbefristete oder möglichst lange Verträge gekämpft, mangels öffentlicher Förderungen konnte der Verein aber kein Risiko eingehen. Der Verein sollte sich ohne Verbindlichkeiten auspro- bieren können. Mittlerweile hat der Container einen unbefristeten Mietvertrag. „Es wird nicht so leicht gehen, uns hier rauszukriegen. Eine potenzielle Erbin ist auch bei uns im Vorstand“, schmunzelt Christof Volk über mögliche Überraschungen. „Ohne den Support der Eigentümer hätten wir das auch nicht geschafft“, so Volk. „Wir wollen heute natürlich Fair Pay zahlen und das betrifft auch die Miete.“ Man kann also auch anders klare Verhältnisse schaffen.
Wird das Hallenbad in Gallneukirchen überleben? „Hoffentlich, aber das kommt auf die Politik an. Fünf Jahre ist es gesichert. Wenn es gut läuft, werden sie keinen Grund dafür haben, uns abzudrehen“, so Riedl. Dabei ist es manchmal eher der Erfolg, der diesen außergewöhnlichen Initiativen zu schaffen machen kann. Das weiß die Erbse zu gut. Dort macht man in der Zwischen- zeit Veranstaltungen im Stadttheater und schielt bereits auf das nächste Objekt in der Region, das sie nutzen und aufwerten könnte. Die Region ist also nicht nur progressiv – sie ist auch resilient!
Patrick Kwasi koordiniert die Öffentlichkeitsarbeit der IG Kultur als Spezialist für Medien, Aktionismus & Diskurs.
OKH Vöcklabruck: www.okh.or.at
Container25: https://container25.at
Kulturpool Gusental: https://kulturpool-gusental.at
Kulturinitiative Erbse: www.erbse.at
Dieser Artikel ist erstmals in der Ausgabe 1.23 „LAND KULTUR ARBEIT“ des Magazins der IG Kultur Österreich – Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
Das Magazin kann unter office@igkultur.at (5 €) bestellt werden.
Beitrag als Podcast in zwei Teilen:
Coverbild: Kulturpool Gusental © Pia Huemer