Die Region
Ländliche Region, regionale Entwicklung, Regionalförderung, Tourismusregion – „die Region“ scheint allgegenwärtig und gleichzeitig diffus. Danko Simić begibt sich auf Spurensuche nach der „unfassbaren“ Region. Ein Plädoyer, die Diffusität der Regionsbegriffe nicht als Hindernis sondern als Chance für eine nachhaltige Regionalentwicklung zu begreifen.
Ob als Genussregion, gesunde Region, kreative Region oder grenzüberschreitende Region, auf Werbetafeln für Tourismusregionen, als integraler Bestandteil des eigenen Identitätsverständnisses, als zugrundeliegendes Ordnungsprinzip für Regionalentwicklungskonzepte und Fördermittelprogramme oder oft nur als Modewort im öffentlichen und medialen Diskurs: Die Region hat sich fest in unseren Alltag eingeschrieben. Regionen können dabei vieles sein. Sie bestehen gleichzeitig als eine Imagination, ein Gedankenkonstrukt, eine verkörperte (embodied) Idee, eine (kognitive) Karte, als ausgeführte Realität, in ihrer materiellen und weltlichen Form und symbolischen Bedeutungszuschreibung, immerfort im Entstehen und damit auch im Wandel begriffen. Ihrer scheinbaren Omnipräsenz trotzend, bleibt die Region schwer zu fassen und entzieht sich einer generellen Begriffsbestimmung. Genau diese Offenheit, Pluralität und Hybridität macht aber den Reiz aus, sich genauer mit Regionen und zugrundeliegenden Regionalisierungsprozessen zu beschäftigen.
Alles nur ein Spiel?
Der Frage, inwiefern unser individuelles Verständnis von Regionen und damit verbundenen Identifikationsprozessen gut gemachten Inszenierungen gleichen, widmet sich Sabine Hostniker im Rahmen des vom Land Steiermark geförderten Projektes „FoReSt“ (Forschungsvernetzung zur Regionalentwicklung in der Steiermark). Durch einen gezielten Blick auf Performativität, Performanz und Performance (Hudelist 2017) soll nachvollzogen werden, wie Regionsverständnisse durch ihre wiederholte Ausführung erst hervorgebracht und verstetigt werden.
„Lassen wir die Region also ein Drama sein, in Ausprägung einer Tragödie, manchmal auch als Komödie. Gefüllt mit Akteur:innen, Regisseur:innen und Bühnenbildner:innen des Alltags. Angeleitet von einem Skript, im Rahmen gesetzter Grenzen, aber frei für die Interpretation und Improvisation Einzelner“ (Hostniker 2023, S. 138). Folgen wir diesem Aufruf, so verschiebt sich der Fokus von der Suche einer allgemeingültigen Begriffsdefinition hin zur Erkundung von Prozessen und Akteur*innen der Regionalisierung.
Die Region im Sack kaufen
Als Teil des Produktmarketings von Waren am Bauernmarkt oder im Supermarktregal werden besonders häufig regionale Referenzen sowie Herkunftsangaben bemüht. Ungewünschte negative Verbindungen zu Orten und Praktiken der Produktion sowie Ausbeutungs- und Arbeitsverhältnissen werden hingegen im Zuge von Kommodifizierungsprozessen (gezielt) verschleiert oder unsichtbar gemacht. Aufbauend auf diesen Überlegungen untersuche ich aus Perspektive der mehr-als-menschlichen Geographien (Steiner et al. 2022) in meinem Dissertationsprojekt mit dem Arbeitstitel „What’s a Chicken to Europe?“ unter anderem die Zirkulation von Hühnerfleischprodukten in Südosteuropa und wie dadurch multiple „Europas“ regionalisiert werden (Simic ́ 2020, 2023).
Beim Abendessen sind wir nämlich nie allein mit unserem Grillhähnchen – nicht einmal dann, wenn wir[1] alleine essen (Elton 2019, S. 8). Aber wer sind dann die menschlichen und mehr-als-menschlichen Gäste am anderen Ende des Tisches und haben wir sie überhaupt eingeladen? Wir essen stets mit der (un-)sichtbaren Region: Es sind die Räume, Orte, menschliche und mehr-als-menschliche Körper, Ideen, Konzepte, Praktiken, Materien und Mythen, die das Grillhähnchen ausmachen und durch dieses zusammengehalten werden beziehungsweise durch dieses erst als (un-)sichtbare Region hervorgebracht werden und wir sollten diese häufiger an unseren Esstisch holen.
L’Ultima Cena – können Regionen eigentlich sterben?
Regionen werden nicht nur gespielt oder schreiben sich in Waren ein. Gerade ländliche, periphere Regionen werden oft auch als tot attestiert: „Man spricht, etwas vorschnell, von sterbenden Regionen, wenn man Räume meint, die von der Gesellschaft abgeschrieben worden sind – Räume, die langsam ihrem gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Tod im Sinne einer von außen definierten Bedeutungslosigkeit entgegenzusteuern scheinen. Darüber hinaus werden sterbenden Regionen dysfunktionale, destruktive, manchmal auch anachronistische wirtschaftliche oder soziale Eigenschaften zugesprochen. Sterbende Regionen sind fragwürdig in ihrer Sinnhaftigkeit und offenbar unfähig, mit der Zeit zu gehen“ (Preininger 2023, S. 263).
Solche Regionen sollen oft durch Wunderheilmittel der Regionalentwicklung – in denen auch die Kunst eine zentrale Rolle spielt – möglichst schnell und kosteneffizient (bestenfalls kostenneutral) wiederbelebt werden. Bevor wir Regionen aber KÜNSTlich am Leben halten oder gar zu Grabe tragen, sollte die Frage gestellt werden, nach welchen Logiken regionalisiert wird und welche Regionsverständnisse und Regionen dadurch hervorgebracht werden. Die Diffusität der Regionsbegriffe soll dabei weniger als Hindernis interpretiert, sondern vielmehr als Chance für eine nachhaltige Regionalentwicklung genutzt werden, in der es zu klären gilt, welche Rolle Kunst einnehmen kann und muss. Dies bedarf aber mutiger Erkundungen!
Danko Simić ist Geograph an der Universität Graz, Vorstandsmitglied des Verbands der wissenschaftlichen Geographie Österreichs und Mitglied des interdisziplinären Kollektivs „Waste in Motion“.
DIE REGION – EINE BEGRIFFSERKUNDUNG Ulrich Ermann, Malte Höfner, Sabine Hostniker, Ernst Michael Preininger, Danko Simić (Hg.) „Die Region“ begegnet uns ganz selbstverständlich in Alltag, Politik, Wirtschaft und Medien sowie als (raum-)wissenschaftlicher Fachbegriff. Auch wenn Regionen auf den ersten Blick als etwas Faktisches erscheinen, zeigt sich beim zweiten Hinsehen, wie sich das Regionale einer konkreten Begriffsbestim- mung entzieht – was auch als Stärke verstanden werden kann. Die Beiträge des Bandes erkunden „die Region“, indem sie von Begriffskombinationen ausgehend – etwa „die arme Region“, „die flexible Region“, „die Genussregion“ oder „die Untersuchungsregion“ – eine Reise durch verschiedene Dimensionen des Regionalen unternehmen und neue Verständnisse von Regionen, Regionalisierungen und Regionalität anregen. Kostenfreier Download: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-6010-4/... |
1 Sofern ‚wir‘ natürlich Fleisch essen. Und wir essen Hühnerfleisch: um genau zu sein jährlich 9,6 kg pro Kopf (menschlicher Verzehr in Österreich 2021, Statistik Austria 2022 a). 2021 wurden allein in Österreich mehr als 100 Millionen Hühner in meldepflichtigen Betrieben geschlachtet. Das entspricht einem Warengewicht von 129.000 Tonnen (Statistik Austria 2022 b) oder 89 % des Inlandsverbrauchs von insgesamt 145.000 Tonnen Hühnerfleisch im Jahr (Statistik Austria 2022 a).
Literatur:
Elton, S. (2019). Posthumanism Invited to Dinner. Exploring the Potential of a More-Than-Human Perspective in Food Studies. Gastronomica. The Journal of Critical Food Studies, 19(2) S. 6–15.
Hostniker, S. (2023). Die gespielte Region.
In: Ermann, U.; Höfner, M.; Hostniker, S.; Preininger,
E. M. & Simić, D. (Hg.) Die Region – eine Begriffserkundung, S. 129 – 140. Bielefeld: transcript Verlag.
Hudelist, A. (2017). Performanz, Performativität und Performance. Eine unvollständige Rekonstruktion. In: Hudelist, A. & Kramer, S. (Hg.) Kultur des Performativen, 41(3), S. 9 – 17. Innsbruck: StudienVerlag.
Preininger, E. M. (2023). Die tote Region.
In: Ermann, U.; Höfner, M.; Hostniker, S.; Preininger, E. M. & Simić, D. (Hg.) Die Region – eine Begriffserkundung, S. 261–269. Bielefeld: transcript Verlag
Simić, D. (2020). Was ist eigentlich die Mehrzahl von Europa? Überlegungen zu Konstruktionen multipler „Europas“. In: GeoGraz 67, S. 21–23.
Simić, D. (2023): Ich hab‘ noch ein Hühnchen zu rupfen! Über Hühner und wie diese zu Waren gemacht werden. In: GeoGraz 72, S. 18 – 20.
Statistik Austria (Hg.) (2022 a): Versorgungsbilanz für tierische Produkte. www.statistik.at/ fileadmin/publications/SB_1-26-Ver sorgungsbilanzen-tieri- sche-Produkte2021.pdf, zuletzt geprüft am 12.02.2023.
Statistik Austria (Hg.) (2022 b). Hühnerproduktion 2021: Zahl der Bruteier gestiegen, mehr Schlachtungen. www.statistik. at/fileadmin/announcement/2022/05/20220128 Huehner- produktion2021.pdf, zuletzt geprüft am 12. 02. 2023.
Steiner, C.; Rainer, G.; Schröder, V. & Zirkl, F. (Hg.) (2022). Mehr-als- menschliche Geographien. Schlüsselkonzepte, Beziehungen und Methodiken. Stuttgart: Franz Steiner Verlag.
Wardenga, U. (2023). Die Region – ein Passepartout! In: Ermann, U.; Höfner, M.; Hostniker, S.; Preininger, E. M. & Simić, D. (Hg.) Die Region – eine Begriffserkundung, S. 315 – 323. Bielefeld: transcript Verlag.
Dieser Artikel ist erstmals in der Ausgabe 1.23 „LAND KULTUR ARBEIT“ des Magazins der IG Kultur Österreich – Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
Das Magazin kann unter office@igkultur.at (5 €) bestellt werden.