Kulturverein Bahnhof. Generationsübergabe aus zwei Blickrichtungen

Margret Broger ist Gründungsmitglied und langjähriger Obfrau des Kulturvereins Bahnhof. Sandra Pöltl hat gemeinsam Georg Sutterlüty und Werner Schedler die neue Leitung übernommen und steht dem Kulturverein Bahnhof nun als Obfrau vor. Persönliche Einblicke in die Erfahrungen und Erkenntnisse eines Übergabeprozess in der Praxis – aus zwei Blickwinkeln.

Kulturverein Bahnhof, Außenansicht © Lukas Hämmerle

Kulturverein Bahnhof

Margret Broger ist Gründungsmitglied des Kulturvereins Bahnhof. 

 

Im Jahr 1999 ist der Kulturverein Bahnhof in Andelsbuch aus dem Kulturkreis Andelsbuch entstanden. Der Verein wurde gegründet, um um Förderungen ansuchen zu können und den kleinen Bahnhof, der dem Verein den Namen gibt, zu erhalten. Ich war Gründungsmitglied, als Obfrau habe ich den Verein 2001 übernommen. Ich hatte keine Vereinserfahrung und lebte erst seit sechs Jahren im Bregenzerwald. Aber ich kannte durch meine frühere Arbeit viele Künstler*innen in Österreich. Ich bot mich als Obfrau an, mich interessierte die organisatorische Arbeit. Auch war ich in all den Jahren bei den meisten Veranstaltungen dabei und schloss als Letzte die Tür.
 

Die fehlende Vereinserfahrung wurde von der Schriftführerin Karin Ritter und dem Kassier Werner Schedler abgedeckt. Wir führten den Bahnhof ehrenamtlich. Am Anfang mit zwanzig Veranstaltungen jährlich, im Jahr der Übergabe waren es 45 und ein Jahresumsatz von einhunderttausend Euro, eine große Verantwortung.


Kulturverein Bahnhof © Richard Rüscher
 

Nach einigen sehr erfolgreichen Jahren, mit Erweiterung der Räumlichkeiten durch ein EU-Projekt, stellte sich eine gewisse Vereinsverdrossenheit bei meinen Mitstreiter*innen ein. Daher übernahm ich immer mehr Arbeiten und schließlich war ich kulturverein bahnhof.
Die Arbeit machte Spaß, aber sie wurde auch immer anstrengender, die Zeit wurde schnelllebiger. Karin Ritter, die Schriftführerin, half mir bei Anträgen und Formularen und wurde meine wichtigste MitarbeiterIn. 2017 begann ich zu überlegen, ob ich mich von der aktiven Verantwortung zurückziehen will. Karin wollte eine Auszeit und auch ich verspürte eine gewisse Müdigkeit. So begann ich nachzudenken, wie ich meine Obfrauschaft zurücklegen kann und der Bahnhof weiter besteht.

 

Ein langwieriger Ablösungsprozess begann. Ich sprach mit niemandem darüber, auch nicht mit meiner Familie. Aber ich überlegte, alle möglichen Mitstreiter*innen, die Interesse am Bahnhof hatten, zu einer geführten Diskussion einzuladen. Auch fand ich es wichtig, mich aus dem Prozess des Findens herauszuhalten. Mit dem Kulturamtsleiter und mit dem Bürgermeister habe ich über eine eventuelle Geschäftsstelle nach meinem Abgang gesprochen. Im September gab ich dem Vorstand bekannt, dass ich die Obfrauschaft mit März 2018 zurücklegen werde.
 

In meinen Gedanken richtete ich eine dreißigprozentige Geschäftsstelle ein und hoffte, dass der bahnhof in meinem Sinne weitergeführt wird.
Die Mediation verlief nicht nach meinem Wunsch. Mein Vorschlag einer 30%-Geschäftsstelle wurde abgelehnt. Der Verein sollte weiterhin ehrenamtlich geführt werden, so der Wunsch meines direkten Nachfolgers. Das war ein schwerer Schlag für mich. Ich habe mir die Übergabe leichter vorgestellt, auch nicht so emotional.
Allerdings war mir klar, dass es bei der Übernahme der Aufgaben auch Änderungen geben wird und andere Personen ihre Vorstellungen mit einbringen können müssen. Diesen Veränderungen wollte ich nicht im Weg stehen und ich musste mich für eine Weile ganz zurückziehen.
Georg, Sandra und ein paar Interessierte überlegten gemeinsam, wie sie den Verein weiterführen möchten. Dem zukünftigen Vorstand bot ich an, mit ihnen gemeinsam die notwendigen Förderungen einzureichen und sie einzuarbeiten.
Trotzdem: Ich war gekränkt und wurde genau bei der Generalversammlung wirklich schwer krank, sodass ich bei der Übergabe nicht dabei sein konnte.

 

Kleine Institutionen im ländlichen Raum werden mit viel Herzblut geführt, aber auch mit großer Verantwortung.

 

Während der Amtszeit meines direkten Nachfolgers war ich zweimal im bahnhof und ging enttäuscht nach Hause.
Ich verfolgte das Programm, die Veränderungen, die stattfanden, sehr kritisch. Nach zwei Jahren spürte ich eine gewisse Routine und neuen Schwung im Programm. Die Einladungen und Programme wurden selbstsicherer.
Der kulturverein bahnhof wurde wieder sichtbar in den Medien, Sandra war nach dreieinhalb Jahren zur Obfrau gewählt worden und hat mit ihrem Team dem bahnhof neues Leben eingehaucht. Sie arbeitet mit einem Team, das seine Aufgaben genau kennt. Es wird durch sie auch besser sichtbar, dass der kulturverein bahnhof ein Verein ist und nicht nur eine Person.
Sie erzählte mir in unserem Gespräch zu diesem Artikel, dass sie erst jetzt die Funktion einer Führung ganz anders einschätzt und sie viel dazu gelernt hat.
 

Kleine Institutionen im ländlichen Raum werden mit viel Herzblut geführt, aber auch mit großer Verantwortung. Viele meiner Kolleg*innen sind daher nicht bereit, sich zurückzuziehen. Das tut den Institutionen letztlich nicht gut. Diese Entwicklung beobachte ich in den vergangenen Jahren sehr genau.
Es ist nicht leicht und einer Firmenübergabe oder dem Auszug eines Kindes sehr ähnlich.
 

Vertrauen wir auf die Samen, die wir gepflanzt haben. Es kann und soll auch nicht GENAUSO weitergeführt werden, wie wir es gemacht haben. Jede Person wird der Institution ihren eigenen Stempel aufprägen und das ist gut so!

 

 

Kulturverein Bahnhof

Sandra Pöltl wurde 1980 in Bregenz geboren. Sie ist selbständige Grafikerin. 

 

Unzählige kulturell wertvolle Momente, aber auch Begegnungen gesellschaftlicher Natur sind für mich seit 2006 mit dem ehemaligen k.u.k.-Bahnhof Andelsbuch und dem dahinterstehenden kulturverein bahnhof verbunden. Recht rasch fand ich damals Aufgaben im Verein wie z. B.: Eintritte kassieren, Bardienste oder – als Grafikerin – diverse Werbeunterlagen zu erstellen. Im September 2017, als die damals amtierende Schriftführerin Karin Ritter mich um Unterstützung bat, bin ich dem gerne nachgekommen. Auch um der damals amtierenden Obfrau Margret Broger eine Entlastung anzubieten. Kurz darauf hat Margret uns informiert, dass sie ihr Amt als Obfrau zurücklegen möchte und zu den Neuwahlen im März 2018 nicht mehr zur Wahl stehe. Da die Anzahl der aktiven Mitglieder recht niedrig und so auch der Vorstand nicht mehr vollständig war, wollte ich mehr Verantwortung übernehmen. Die Vorstellung, dass dieser liebevoll instandgehaltene und kulturell wertvoll bespielte Ort einem anderen Zweck zugeführt werden würde, war in meinen Augen undenkbar. Einzige Voraussetzung: Ich wollte nicht die Obfrauschaft von Margret übernehmen, da ich nur marginal Vereinserfahrung hatte. Ich konnte aber mit gutem Gewissen zusichern, mit vollem Einsatz und Engagement meine Freizeit dem Ziel zu widmen, dass der kulturverein bahnhof als kultureller Nahversorger im Bregenzerwald weiter besteht und das Gebäude so genutzt wird wie seit dem Jahr 2000: einen Platz für Kultur bieten.
 

Nach einer Klausur kam ich mit Georg Sutterlüty ins Gespräch, der ebenfalls aktives Mitglied war und unter anderem als Journalist einige Veranstaltungen im bahnhof moderiert hat. Er konnte sich vorstellen, die Funktion des Obmanns und der Programmleitung zu übernehmen, während ich mich als Schriftführerin um die Organisation des Vereins und weitere Aufgaben im und um den bahnhof (Bewirtung, Einkauf, Gebäude, Medien, Werbung, …) mit kümmerte. Vorrangig wichtig war es, Menschen, die für das Projekt bahnhof brennen, zu finden. Unserer Vorstellung nach konnte der bahnhof nämlich nur als „Team“ weiter bestehen und die Aufgaben mussten auf mehrere Schultern verteilt werden. Den damaligen Kassier Werner Schedler konnten wir für seine Funktion weiter begeistern und so entstand ein neuer Vorstand, der im März 2018 einstimmig gewählt wurde.
 

Das erste Jahr nach der Übergabe war für mich äußerst schwer. Es hagelte harte Kritik wie auch wohlwollendes Lob. Teilweise mussten wir mit Gewohnheiten brechen, die wir aus organisatorischen Gründen nicht vertreten konnten. Für mich erschwerend kam hinzu, dass Margret Broger uns zwar ihre Stimme gab, aber ganz klar machte, dass sie sich komplett zurückziehen wollte. Leider fehlten uns schriftliche Unterlagen zu Themen wie Programmierung, Ablauf einer Veranstaltung, Teambuilding u.a. Wir haben in den letzten Jahren intensiv gearbeitet, dass es im Fall einer Übergabe etwas gibt, das übergeben werden kann. Aber was mir persönlich wirklich gefehlt hat: eine Extraportion Selbstvertrauen!
 

Als wir langsam das Gefühl hatten, dass es sich einspielt, standen wir im Jahr 2020 und 2021 vor einer ganz neuen Herausforderung: Corona. Abgesehen von finanziellen Einbußen, organisatorischem und administrativem Mehraufwand und dem damit verbundenen Frust war es auch sehr schwer, die Vereinsarbeit weiter voranzutreiben. Und in den auferlegten Programmpausen stellte sich so mancher die Frage: Warum Freizeit für einen Verein aufwenden, dessen Aufgabe es ist, Künstler*innen eine Bühne zu bieten und Besucher*innen das Angebot eines kulturellen Nahversorgers?


Kulturverein Bahnhof © Richard Rüscher
 

Ich selbst konnte diese Frage nach einer Klausur und anschließenden Gesprächen für mich klar beantworten: Wir bieten hier im bahnhof einen intimen Rahmen, um Welten zu öffnen und du – ja, genau du – bist willkommen! Auf dieser Klausur fand sich übrigens auch der aktuell amtierende fünfköpfige Vorstand, dem ich als Obfrau vorstehen darf.  
 

Was konnte ich von meiner Vorgängerin bzw. von meinem Vorgänger übernehmen?
Von Margret Broger (Obfrau 2001–2018) konnte ich mitnehmen, dass die Präsenz im Verein und in der Öffentlichkeit sehr wichtig ist. Eng damit verbunden ist es, eine gute „Gastgeberin“ zu sein und den involvierten Menschen das Gefühl zu geben, hier willkommen zu sein. Leider erst im Nachhinein wurde mir auch die Richtigkeit ihrer Aussage: „Kulturarbeit ist Kulturpolitik“ klar. Wie recht sie damit hatte! Von Georg Sutterlüty (Obmann 2018–2021) durfte ich vieles in Sachen Vereinswesen und im Umgang mit angespannten Situationen lernen: Erst bei sich bleiben und dann reagieren. An meiner neu entdeckten Leidenschaft für „Lesungen+Musik“ ist er ganz klar ausschlaggebend beteiligt.
 

Was ich aus meiner Erfahrung weitergeben könnte:
Erstens, dass ein Verein keine Firma ist und auch nicht so geführt werden kann. Zweitens, dass alle mit Wasser kochen und dass es erlaubt ist, Fehler zu machen, denn nur aus Fehlern lernt man. Und drittens: Es kommt meistens anders, als man denkt – Flexibilität ist hoch im Kurs!

 

https://www.bahnhof.cc 
 

Coverbild: © Lukas Hämmerle
Fotos: © Richard Rüscher


Cover IG Kultur Magazin Ausgabe 1.25: Übergabe Kultur © Patrick Kwasi, erstellt mit KI-Unterstützung



Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.25 „ÜBERGABE KULTUR“ des Magazins der IG Kultur Österreich - Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
Das Magazin kann unter office@igkultur.at (5,50 €) bestellt werden. 

 

Ähnliche Artikel

pmk 2014 Theorie_Revolution- © Daniel Jarosch Die freie Kulturszene durchlebt einen Umbruch, besonders in Kulturzentren, die oft von festen Gruppen oder Einzelpersonen geprägt sind, was den Generationenwechsel erschwert. Konflikte zwischen älteren und jüngeren Initiativen entstehen häufig, da die Jüngeren keinen Zugang zu Ressourcen oder Entscheidungsmacht erhalten. Das Kulturzentrum p.m.k. in Innsbruck zeigt, wie durch demokratische Strukturen und aktive Mitbestimmung eine positive Transformation und Wissensweitergabe zwischen den Generationen möglich ist.
Ausschnitt des Covers des IG Magazins Ausgabe 01.25, © Patrick Kwasi, erstellt mit KI-Unterstützung Die aktuelle Ausgabe des IG Kultur Magazins widmet sich dem Generationenwechsel im Kulturbereich – den unterschiedlichen Rahmenbedingungen, Herausforderungen aber auch Potenzialen, die die Übergabe eines Kulturvereins an Folgegenerationen birgt.
Generationenwechsel Übergabe Ein Kulturbetrieb ist wie ein Uhrwerk: Ändert sich ein einziges Rädchen, verändert sich der gesamte Lauf. Ein Generationenwechsel ist nicht nur der Austausch von Personen. Sich dafür Zeit zu nehmen, ist aus Kostengründen jedoch oft nicht möglich. Doch wie oder wo finden sich die Richtigen zur Übernahme? Ein Wechsel bietet viele Chancen, ist aber auch mit Risiken verbunden. Konflikte könnten Ressourcen verschlingen, und mit dem Ausscheiden von Mitarbeiter*innen gehen oft wertvolles Wissen und wichtige Kontakte verloren. Wer hier frühzeitig investiert, spart sich später viel Mühe und sichert den Erfolg und Bestand der Initiative. Doch wie werden Prozesse der Übergabe – beginnend mit der Ausschreibung und endend bei etwaigen inhaltlichen Differenzen oder einer gänzlich neuen Ausrichtung – verhandelt?