Die wundersame Wiedergewinnung des Kulturressorts durch die Wiener SPÖ

Durch die absolute Mandatsmehrheit ist auch der Posten des Kulturstadtrats quasi zurück in den Schoß der Wiener SPÖ gefallen. Wie wird sich Ihre Politik von der Ihres ÖVP-Vorgängers Marboe unterscheiden?
Interview mit Andreas Mailath-Pokorny
 

Durch die absolute Mandatsmehrheit ist auch der Posten des Kulturstadtrats quasi zurück in den Schoß der Wiener SPÖ gefallen. Wie wird sich Ihre Politik von der Ihres ÖVP-Vorgängers Marboe unterscheiden?

Ich komme relativ unmittelbar von einer nicht uninteressanten Diskussion innerhalb und im Umfeld der Sozialdemokratie, wo sich einige Leute zusammengefunden haben, um sozialdemokratische Kulturpositionen zu definieren. Das passiert im größeren Kontext von "Netzwerk Innovation", aber auch in einer eigenen Kultur-Themensektion innerhalb der Partei. Dort kristallisiert sich ein Ansatz heraus, der sich verkürzt zusammenfassen lässt mit dem Satz, dass Kulturpolitik im wesentlichen Räume kritischer Öffentlichkeit herstellen soll. Das heißt, dass man diese sowohl materiell als auch immateriell ermöglichen muss... Man sollte das Augenmerk auch auf "andere" Kunstformen richten, das heißt auch: verstärkter Mitteleinsatz in diesem Bereich. Da gibt es klassische Unterschiede zwischen einer liberal-bürgerlichen und einer sozialdemokratischen Kulturpolitik.

Für einen Quasi-Quereinsteiger in die Stadtpolitik könnte es problematisch werden, die Gelder für eine dafür notwendige Erhöhung des Kulturbudgets aufzutreiben...

Ich bin bald zwei Jahrzehnte lang in der Nähe der Politik gewesen, kenne den Geschäftsbereich sehr gut, glaube auch, dass die Gesprächspartner, der Bürgermeister, der Finanzstadtrat mir signalisiert haben, dass sie ein großes Interesse an der Kultur haben. Ich bin da auf ein sehr viel anderes Interesse, auf ein bessere Klima gestoßen, als das jemals beim Bund war.

Ihr Vorgänger hat die Entpolitisierung der Kulturpolitik gepredigt...

Es geht hier um das Wort Kulturpolitik, und das beinhaltet beide Bereiche, sowohl Kultur als auch Politik. Kulturpolitik ist eine hochpolitische Angelegenheit. Ich habe immer Misstrauen gehabt denjenigen gegenüber, die in der Politik sind und sagen, es ist gar nichts Politisches, was wir hier tun, und die natürlich genau damit genauso Politik machen. Ich glaube, dass Politik natürlich auch heißt, Verantwortung, Macht zu haben und auszuüben, die mit allen Mitteln einer entwickelten Demokratie zu kontrollieren ist, wo man sich zu rechtfertigen hat, wo man diese Verantwortung auch zu dokumentieren hat, letztendlich auch abgewählt werden kann. Das sind die Spielregeln, und man soll nicht so tun, als gäbe es diese Spielregeln nicht, als gäbe es die Politik nicht. Ich habe vor, mich dieser Verantwortung zu stellen, sie auch wahrzunehmen, sie aber auch möglichst öffentlich, diskursiv überprüfen zu lassen, selbstverständlich auch kritisch.

Wie stehen Sie zu politischen Formen von Kulturarbeit?

Wir müssen stärker und schneller neue Formen sowohl der Kunstproduktion als auch der Partizipation entwickeln. Und zwar, auch mit einem gewissen Zweck: Ich glaube, dass es unter Umständen für das urbane Leben und damit gesellschaftspolitisch von ganz großer Bedeutung ist, die dezentrale Kulturarbeit in einem gewissen Bereich zu intensivieren: 30% all derjenigen, die in Wien leben, sind nicht in Österreich geboren, es gibt aber kaum sichtbare kulturelle Äußerungen der einzelnen Ethnien in Wien. Das wäre eine der interessantesten kulturpolitischen Herausforderungen, da etwas zu animieren, was autonome kulturelle Äußerungen anlangt, die auch zeigen, was es für eine Vielfalt gibt, ohne dass Ghettos entstehen. Und da könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass man in diesem Bereich neue Formen der Kulturarbeit findet.

Können Sie sich vorstellen, dass die Förderung widerständiger Kunst stärker berücksichtigt wird in einem sozialdemokratisch besetzten Kulturressort, während es auf Bundesebene hier immer schwieriger wird?

Wir werden - auch aus einem politischen Bewusstsein heraus - versuchen mitzutun, wo es für uns möglich ist. Aber man sollte dadurch nicht den Konflikt von der Ebene entfernen, wo er stattfindet: Es gibt eine Verantwortung des Bundes in der Kulturförderung, die ist dort einzumahnen und politisch auszufechten. Es wird jeder verstehen, dass das Wiener Kulturbudget ja auch nicht beliebig hantierbar ist. Aber Sie können sicher sein, dass ich schon allein aus meiner eineinhalbjährigen Erfahrung [als Kunstsektionsleiter unter der schwarzblauen Regierung] und schon aus dem unmittelbaren Erlebnis des Umgangs mit solcher Kunst ein hohes Maß an Sensibilität dafür habe.

Die Wiederbesetzung des Kulturressorts scheint für die SPÖ fast ein symbolischer Schnitt zu sein, nachdem die Bundes- und Landeskulturpolitik von der ÖVP dominiert wird...
Ich glaube auch in aller Bescheidenheit, dass diese Position hier nicht nur eine Form eines Gegenmodells zu einer nicht existenten Kulturpolitik, eigentlich einer existenten, nämlich sehr restriktiven Kulturpolitik des Bundes sein soll, sondern dass sie weit darüber hinausgehend zumindest den Versuch unternehmen muss, eine kritische, emanzipatorische Kulturpolitik zu formulieren, vielleicht auch einen neuen Begriff von Kulturpolitik, neue kulturpolitische Ebenen zu eröffnen. Ich selber war in den letzten Jahren immer wieder beteiligt als Lernender, ab und zu auch als Formulierender an verschiedenen Prozessen auf unterschiedlichen kulturpolitischen Ebenen und glaube, dass die, die daran teilgenommen haben, viel gelernt haben. Ich merke, dass es auch innerhalb der SPÖ wieder nicht nur das Bedürfnis, sondern auch die Bereitschaft gibt, sich damit auseinander zu setzen und das Thema ernstzunehmen. Und ich halte es für ein gutes Zeichen, dass jetzt auch vielleicht geistig etwas erarbeitet wird, das hier in Wien unmittelbar seine Auswirkungen haben wird, und dann aber auch in weiterer Folge im Bund.

Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) war von 1996 bis 2001 Leiter der Kunstsektion im Bundeskanzleramt, ist seit April Wiener Kulturstadtrat.

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