Abschminken ist angesagt! Der Boulevard als neuer kultureller Hegemon

Warum der Politik die Kommunikation mit dem Boulevard wichtiger ist, als mit den freien Szenen und warum es möglicherweise keinen Sinn macht, weiter auf staatliche Vorgaben zur „Entwicklung von zukunftsorientierten Fördermodellen und den Erhalt und den Ausbau neuer kultureller Infrastrukturen“ zu warten.

Warum der Politik die Kommunikation mit dem Boulevard wichtiger ist, als mit den freien Szenen und warum es möglicherweise keinen Sinn macht, weiter auf staatliche Vorgaben zur „Entwicklung von zukunftsorientierten Fördermodellen und den Erhalt und den Ausbau neuer kultureller Infrastrukturen“ zu warten.

Zuletzt hat Elisabeth Mayerhofer an dieser Stelle die Politik aufgefordert, keine Angst vor den freien Szenen zu haben. Was aber, wenn die Politik gar keine Angst hat, mit „Kulturschaffenden abseits der glamourösen Institutionen“ in Kontakt zu treten, sondern schlicht keine Lust bzw. kein Interesse und daher meint, auf diese Kommunikation verzichten zu können? Immerhin suggeriert die Aufforderung an die Politik, endlich in Dialog mit den freien Szenen zu treten, so etwas wie ein gemeinsames Anliegen beider DialogpartnerInnen. Meine Vermutung: Sollte es so etwas wie zumindest partiell gemeinsame Ziele jemals gegeben haben, so haben sich diese in den letzten Jahren beträchtlich auseinander entwickelt.

Aus historischer Sicht hat Österreichs Kulturpolitik immer wieder dazu tendiert, einem kleinen hermetischen Zirkel von PolitikerInnen, BeamtInnen und VertreterInnen ausgewählter Kultureinrichtungen die Entscheidung zu überlassen, was kulturell der Fall ist. Als solcher verstand sich diese selbst ernannte Elite als Repräsentant einer konservativen Hegemonie im Lande. Es blieb dem kurzen kulturpolitischen Frühling der 1970er bzw. 1980er Jahre vorbehalten, diesen Anspruch zumindest teilweise in Frage zu stellen.

Das war die Phase, in der Politik die gerade erst im Entstehen begriffenen freien Szenen wirklich gebraucht hat. Ihre AktivistInnen sollten mithelfen, mit ihren Ideen einer kulturellen Demokratisierung die politische Reformagenda zu unterstützen. Ja, das war wohl eine kurze Hochzeit, in der zumindest Teile der Politik bereit waren, über ihren traditionelle kunstfeindlichen Schatten zu springen und in symbolischer Allianz mit freien und autonomen KünstlerInnen und Kulturschaffenden neue gesellschaftliche Experimente zu wagen und damit bei einer gegenüber neuen kulturellen Ausdrucksformen mehrheitlich skeptischen Bevölkerung Überzeugungsarbeit zu leisten. Und so wurden nach und nach neue Förderinstumente geschaffen, AnsprechpartnerInnen in der Verwaltung bestellt und politisch solange das Versprechen wiederholt, einen Schwerpunkt insbesondere auf das zeitgenössische Kunst- und Kulturschaffen legen zu wollen, bis alle Beteiligten es als gegeben annahmen.

Dass eine restaurative Kulturpolitik der frühen 2000er Jahre wieder darauf bestehen würde, die Reihen dicht zu schließen und das kulturpolitische Geschäft aus vorrangig parteipolitischer Sicht aufzuziehen, wurde nicht zuletzt von der IG Kultur immer wieder einer eingehenden Kritik unterzogen. Dass aber der Wiedereintritt der Sozialdemokratie in die Bundesregierung ab 2007 keine nachhaltige Verbesserung des Dialogs und des öffentlichen Diskurses nach sich ziehen würde, bleibt für viele bis heute eine Überraschung.

Und war doch in dem Maß vorauszusehen, als die rot-schwarzen Koalitionen sich immer mehr in Geiselhaft des Boulevards begaben und diesem die Entscheidung überließen, was politisch angesagt ist und was nicht. Für viele Mitglieder nicht nur der freien Szenen mag das einer narzistischen Kränkung gleichkommen, aber immer mehr Indizien sprechen dafür, dass der gegenwärtigen Bundesregierung eine gute und friktionsfreie Kommunikation mit der Familie Dichand oder den Brüdern Fellner wichtiger ist, als mit einzelnen KünstlerInnen und ihren Interessenvertretungen, mögen sie sich auch noch so engagiert für eine „kontinuierliche kulturelle Basisarbeit“ stark machen.

Zahlen gefällig?

Während das Kunstbudget des Bundes seit Jahren, in manchen Kunstsparten sogar eklatant real fallende Tendenz zeigt (laut Kunstbericht 2009: 91,24 Mio. Euro), nehmen die Regierungsinserate immer hypertrophere Größenordnungen an. Die Branche schätzt, dass für diese Zuwendungen zur politischen Werbung allein in Tageszeitungen mit rund 95 Mio. pro Jahr bereits mehr als für das gesamte zeitgenössische Kunstschaffen ausgegeben wird.

Der Verweigerung der Politik, sich von künstlerischen und intellektuellen Szenen programmatisch inspirieren zu lassen, wird noch deutlicher, wenn Statistiken zeigen, dass mit 28% das Gros der Mittel an die Gratiszeitung „Heute“ geht, gefolgt von „Österreich“ mit 19%. Die weitere Verteilung verhält sich indirekt proportional zum Qualitätsanspruch der Zeitungen. So erhält die „Kronen Zeitung“ immerhin noch 13% des Kuchens, gefolgt von der „Kleinen Zeitung“, dem „Kurier“ und der „Presse“ mit jeweils 9%. Da ist es nur konsequent, wenn der „Standard“ als einzige Zeitung, die sich kontinuierlich um einen öffentlichen kulturpolitischen Diskurs bemüht, mit 7% das Schlusslicht bildet (Quelle: APA, 28.2.2011). Diese monetäre Hinwendung an die boulevardesk vermittelte Stimme des Volkes kommt in seiner ganzen programmatischen Anspruchslosigkeit einem Hilfeschrei gleich, der da lautet: „Wir wollen überleben, koste es was es wolle.“ Und bei diesem Bemühen ist die ganze Anstrengung der politischen Klasse gefordert. Da will sie nicht von irgendwelchen KünstlerInnen, die nicht unmittelbar zur Imagepflege beizutragen vermögen, gestört werden.

Und weil wir schon beim Aufwaschen sind: Ähnliches gilt ganz offensichtlich auch für die freien Wissenschaftsszenen, die erst vor kurzem mit einem Förderungskahlschlag konfrontiert worden ist. Und weil die Zerstörung deren Arbeitsgrundlagen so gut funktioniert hat, werden jetzt auch gleich die Druckkostenbeiträge für wissenschaftliche Veröffentlichungen gestrichen.

Die Botschaft ist klar: Wir haben keine gemeinsamen Interessen mehr mit allen, die nicht unmittelbar prestigeträchtigen Teilen des Kulturbetriebs zuzurechnen sind. Und wir wollen uns nicht bei der Erfüllung des von den Herren Pandi und Co. übermittelten Willens des Volkes als oberster Instanz in der Mediokratie von irgendwelchen marginalisierten freien KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen behindern lassen.

Mein Befund: Es macht keinen Sinn, eine vermutete Allianz zwischen Politik und freien Szenen weiter zu strapazieren. Eine solche wurde längst einseitig aufgekündigt. Politik, sofern das, was zur Zeit an täglichen Marketingsprüchen über uns hereinbricht, noch als solche zu bezeichnen ist, hat sich in Österreich auf die Haltung zurückgezogen, die sie traditionell am besten beherrscht: kunstavers und antiintellektuell. Das wird die Verteidiger der räsonierenden Klassen freuen. Und der präsumtive nächste Kanzler der Republik wird diese Vorleistungen zu schätzen wissen.


Michael Wimmer ist Gründungsmitglied und Geschäftsführer von Educult - ein unabhängiges Institut für Forschung, Beratung und Management in Kultur und Bildung.

ALTERNATIVEN ZUM VERLUST DER KULTURPOLITIK:

Teil 26: Umverteilung ist eine Alternative. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 25: Die engen Grenzen der Kunst. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 24: Internationale Kulturpolitik zwischen Dialog, Selbstrepräsentation und Ausgrenzung. Von Franz Schmidjell
Teil 23: Kulturpolitik machen – für eine Verteilungsdebatte, jetzt! Von Juliane Alton
Teil 22: Umverteilung jetzt! Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 21: Die Wissensgesellschaft und ihre freien Idioten. Von Andrea Roedig
Teil 20: Kunst irrt. Von Juliane Alton

Teil 19: Gipsy Dreams. Von Gilda-Nancy Horvath
Teil 18: Intervention zur Wienwoche. Von Ülkü Akbaba und Andreas Görg
Teil 17: Kulturpolitik für Menschen, nicht für Institutionen! Von Marty Huber
Teil 16: Mobilität statt Barrieren!. Von Petja Dimitrova
Teil 15: Alternativen zum Verlust der Kulturpolitik: Ein Zwischenresümee. Von Gabi Gerbasits

Teil 14: Von Schönheitsfehlern und Mißtönen abgesehen. Von Gerhard Ruiss
Teil 13: Lasst alle Hoffnung fahren. Von Otto Tremetzberger
Teil 12: Soziale Lage? Oder Wallfahren für Linke. Clemens Christl
Teil 11: Ein Lüfterl oder ein Brain-Storm? Gottfried Wagner
Teil 10: Panic on the Streets of London. Michaela Moser

Teil 9: Gefällige Demokratur oder demokratische Kultur? Stefan Haslinger
Teil 8: Räume der kulturellen Tat. Marty Huber
Teil 7: Transparenz in der Kulturverwaltung - a never ending story. Juliane Alton
Teil 6: Musiktheater als bürgerlicher Selbstbedienungsladen? Juliane Alton
Teil 5: Zwei ökonomische Argumente, warum man sich bei der Kultur nichts erspart und ein Plan B. Paul Stepan

Teil 4: Eine Kulturpolitik für Alle und von Allen. Ljubomir Bratić
Teil 3: Abschminken ist angesagt! Michael Wimmer
Teil 2: Keine Angst vor den freien Szenen? Elisabeth Mayerhofer
Teil 1: Fehlt da jemand? Stefan Haslinger
Teil 0: Geht's noch? Marty Huber

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Kulturbudget Regierung Verhandlungen Mit Blick auf die laufenden Regierungsverhandlungen zu Kunst und Kultur und die daran anschließenden Budgetverhandlungen appellieren wir an die Verhandler*innen: Setzen Sie sich für die Absicherung der Kunst- und Kulturfinanzierung ein und investieren Sie in die freie Kunst und Kultur! Erhöhen sie die Finanzierungszuschüsse des Bundes für freies Kunstschaffen und zeitgenössische Kunst- und Kulturarbeit um zumindest 50 Millionen Euro. Aktuell belaufen sich diese auf lediglich 0,1% der Bundesausgaben. Jeder mehr investierte Euro ist eine nachhaltige Investition in die Zukunft, wie zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen.
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