kulturrisse 01/10

Je nach Perspektive ist es entweder nicht leicht, über Kulturhauptstädte zu schreiben oder ganz einfach – zumindest wenn eines das schon öfter mal getan hat: Festivalisierung, austauschbare internationale Projekte, vernachlässigte heimische Kulturszene und die ewige Frage, wozu das eigentlich gut sein soll und was es mit Europa zu tun hat – viel mehr lässt sich dazu kaum sagen. Sodass dieses Thema entweder zum Schweigen einlädt oder zu einer Recyclingübung
Die These lautet, dass die erhöhte Bedeutung, die der Kultur im Neoliberalismus zugeschrieben wird, nicht bloß zufällige Begleiterscheinung ist, sondern eine systemische Eigenschaft des vorherrschenden Akkumulationsregimes.
Mit der Besetzung europäischer Universitäten konnte sich in den letzten Monaten eine neue Bewegung formieren, der es sowohl um die Eröffnung autonomer Räume innerhalb universitärer Einrichtungen als auch um die Etablierung eigener Formen der Wissensproduktion und -distribution außerhalb bestehender Institutionen geht.
Die viel versprochene Förderung von Transparenz und Mobilität innerhalb des europäischen Hochschulbetriebs ist weitgehend auf der Strecke geblieben, während mit der Einführung des zwei- bzw. dreigliedrigen Studiensystems im Bachelor-/Master- und Doktoratsstudium die Gefahr sozialer Selektion sowie der Ausschluss von Frauen weiter zugenommen hat.
Quasi „implodiert“ ist vor kurzem eines der Prestigeprojekte der EU, ohne das auch „Bologna“ nicht denkbar wäre: Das im Jahr 2000 auf einer Sondertagung des Europäischen Rats in Lissabon beschlossene Vorhaben, die Union bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“, ist gescheitert. Daran konnte auch das „Europäische Jahr der Kreativität und Innovation 2009“ wenig ändern, mit dem die EU sozusagen „im Endspurt“ noch Ränge gut zu machen versuchte.