Was sind Diversitätskompetenzen & wie können wir sie lernen?

Diversitätskompetenz ist kein Privileg Weniger – sie ist eine erlernbare Fähigkeit, die jede Person entwickeln und praktisch umsetzen kann. Vor diesem Hintergrund beschreiben Eli Taxacher und Adjanie Kamucote im nachfolgenden Text, was Diversitätskompetenzen sind, welche Bedeutung diese über den kulturellen Bereich hinaus für die Gesellschaft haben und wie sie erlernt werden können.

Kulturvereine und Kulturbetriebe sind Orte, an denen alle Menschen sich willkommen, gesehen und respektiert fühlen sollten – unabhängig von ethnischer und sozialer Herkunft, Sprache, Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion und Weltanschauung, körperlichen Voraussetzungen oder anderen Merkmalen. Es sind Orte, die gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegeln und gleichzeitig aktiv daran mitwirken, wer dazugehört, wessen Perspektiven sichtbar werden und welche Stimmen gehört werden.

Wissen über Diversitätskompetenzen kann in diesem Zusammenhang ein Werkzeug sein, um sensibler für unterschiedliche Lebensrealitäten zu sein, Privilegien zu reflektieren und sich bewusst dafür einzusetzen, dass so viele Menschen wie möglich inkludiert werden. Eine diversitätssensible Haltung entwickelt sich nicht von selbst. Sie erfordert Bereitschaft zur Selbstreflexion, das Erkennen von „unconsious Biases“ (dazu unten mehr) und die Offenheit, voneinander zu lernen. Wenn Kulturvereine und Kulturbetriebe diesen Weg aktiv gehen, können sie nicht nur gerechtere Strukturen schaffen, sondern auch neue Impulse für Kreativität, Zusammenhalt und gesellschaftliche Teilhabe setzen. Damit werden sie zum Vorbild für eine Gesellschaft, in der Vielfalt als Bereicherung gelebt und erlebt wird. 

Der nachfolgende Artikel widmet sich zunächst der Frage, was unter Diversitätskompetenzen zu verstehen ist und wie diese erlernt und entwickelt werden können. Anschließend werden praktische Anregungen gegeben, wie Diversitätskompetenzen im Vereins- und Kulturbereich angewendet werden können und welche Herausforderungen dabei möglicherweise auftreten. Ziel ist es, sowohl ein grundlegendes Verständnis für das Thema zu schaffen, als auch konkrete Impulse für die Umsetzung in der Praxis zu bieten.

Was sind Diversitätskompetenzen?

Diversitätskompetenz bedeutet, dabei bewusst wahrzunehmen, dass Menschen unterschiedlich sind – und diese Vielfalt zu respektieren und wertzuschätzen. Dazu gehört nicht nur theoretisches Fachwissen zum Thema Diversität, sondern auch die Fähigkeit, das eigene Denken und Verhalten immer wieder zu reflektieren. Dazu bedarf es Wissen darüber, wie sich gesellschaftlich konstruierte Kategorien auswirken und welche Machtverhältnisse damit verbunden sind. Wichtig ist außerdem, dieses Wissen nicht nur zu haben, sondern im Alltag anzuwenden: Also aktiv so zu handeln, dass Vielfalt anerkannt und ein respektvolles Miteinander gefördert werden.

Um Diversitätskompetenzen umzusetzen, ist es zunächst wichtig, Diskriminierung zu verstehen, zu erkennen und einen intersektionalen Blick darauf zu haben. Diskriminierung ist nicht nur das Ergebnis einzelner unfairer Handlungen, sondern ein strukturelles Machtverhältnis in der Gesellschaft, welches dazu führt, dass Menschen aufgrund zugeschriebener Merkmale benachteiligt und/oder ausgeschlossen werden. Menschen werden mehr oder minder willkürlich kategorisiert in: ethnische Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion und Weltanschauung und Behinderung.

Das Verbot, Menschen aufgrund dieser Zuschreibungen zu diskriminieren, ist in den Menschenrechten Artikel 2 (Verbot von Diskriminierung) festgehalten und steht in Österreich sowie der EU unter gesetzlichem Schutz. Am meisten Schutz bietet das Gleichbehandlungsgesetz im Bereich der Arbeitswelt – beim Zugang zu Gütern, Wohnen und Dienstleistungen schon deutlich weniger. So ist es in Österreich gesetzlich nicht untersagt, Personen aufgrund ihrer (auch nur angenommenen) sexuellen Orientierung den Zugang zu kulturellen Veranstaltungen, Restaurants oder einer Wohnung zu verweigern.[1] 

Diskriminierung tritt auf drei Ebenen auf: strukturell, institutionell und individuell (Bühl, 2016)[2]: Auf der individuellen Ebene durch persönliche Vorurteile und verletzende Handlungen; auf der institutionellen Ebene durch Strukturen und Regeln, die bestimmte Gruppen systematisch benachteiligen; und auf der strukturellen Ebene durch Normen, Narrative und Bilder. Alle drei Ebenen sind miteinander verbunden und können nicht voneinander getrennt betrachtet werden – sie verstärken sich sogar gegenseitig. Ein wichtiger Bestandteil von Diversitätskompetenz ist deshalb das Bewusstsein dafür, dass Diskriminierung nicht nur dann existiert, wenn sie sichtbar oder absichtlich geschieht – sie ist oft subtil, in Routinen eingebettet oder sogar unbemerkt, weil sie als „normal“ erscheint.

Ein weiterer Ansatz zur Reflexion ist die Theorie der Intersektionalität. Der Begriff beschreibt, dass Menschen nicht nur durch eine einzelne Zuschreibung oder Zugehörigkeit diskriminiert werden können, sondern durch das Zusammenspiel mehrerer Kategorien gleichzeitig. Die Juristin Kimberlé Crenshaw, die diese Theorie sehr stark geprägt hat, veranschaulicht dies mit folgender Metapher: Ähnlich wie der Verkehr an einer Straßenkreuzung kann Diskriminierung in die eine oder die andere Richtung fließen. Wenn auf der Kreuzung ein Unfall passiert, dann kann er durch Autos verursacht worden sein, die aus verschiedenen und manchmal aus allen Richtungen kommen. Ähnlich sieht es aus, wenn eine Schwarze Frau verletzt wird, weil sie sich auf der Kreuzung befindet: Ihre Verletzung kann das Resultat geschlechtlicher oder rassistischer Diskriminierung sein.[3]

Diese Überschneidungen (engl. intersection) schaffen spezifische Erfahrungen von Ungleichheit, die nicht verstanden werden können, wenn jede Diskriminierungsform isoliert betrachtet wird. Intersektionalität ermöglicht also einen differenzierten Blick auf soziale Gerechtigkeit und verhindert vereinfachte Erklärungen. Diversitätskompetenz ist somit kein „nice to have“, sondern eine grundlegende Fähigkeit für eine demokratische, gerechte und zukunftsorientierte Gesellschaft. Sie beginnt damit, genau hinzusehen, kritisch zu reflektieren und Verantwortung zu übernehmen

Für Vereine und Kulturbetriebe bedeutet das, dass Diversitätskompetenzen weit mehr als nur symbolische Maßnahmen sein sollten. Stattdessen geht es darum, aktiv Strukturen zu schaffen, die gerechte Teilhabe für alle ermöglichen. Dazu gehört auch die Offenheit zuzuhören, eigene Fehler zu erkennen und daraus zu lernen. Vereine und Kulturbetriebe gelten als Orte kollektiver Gestaltung und gesellschaftlicher Repräsentation. Demzufolge haben insbesondere diese Räume die Verantwortung, Diversität nicht nur abzubilden, sondern aktiv zu leben und so strukturelle Ausschlüsse abzubauen.

Wie kann dies nun umgesetzt werden? 

Wie geht „Diversität lernen“?[4]

Diversität zu lernen bedeutet, mit Unterschieden konstruktiv umzugehen. Dabei geht es oftmals um Zuschreibungen und Erwartungen, die wir an bestimmte Personen(gruppen) aufgrund bestimmter Merkmale haben. Diese Erwartungsstrukturen und Zuschreibungen lernen wir durch unsere Sozialisation in einer rassistischen und sexistischen (Aufzählung kann mit weiteren -ismen fortgeführt werden) Welt. In Diversitäts- und Antidiskriminierungstrainings galt lange das Ziel, „vorurteilsfrei“ zu werden. Unterstützt durch neurowissenschaftliche und sozialpsychologische Erkenntnisse gewinnt aber seit den 2000er-Jahren der Ansatz der „Bias-Sensibilisierung“ an Bedeutung. 

Unter „unconscious bias“ (zu Deutsch: „unbewusster“, kognitiver“ oder „impliziter Bias“) wird die Funktionsweise unseres Gehirns verstanden; dass dieses „Abkürzungen“ nimmt. Nur ein Bruchteil unserer Wahrnehmungen wird bewusst verarbeitet; das allermeiste passiert unbewusst oder vorbewusst. Das ist notwendig, damit wir in einer Welt voller Wahrnehmungsreize handlungsfähig sein können. Im Deutschen gibt es keine adäquate Übersetzung. Denn Bias als „Wahrnehmungsfehler“ oder „-verzerrung“ zu übersetzen, bringt eine moralische Bewertung mit sich. Womit wir wieder bei dem Ideal wären, dass „gute Menschen keine Vorurteile haben (dürfen)“. Aber: Alle Menschen haben Vorurteile. Oder wie die Wissenschaftlerin und Diversitytrainerin Femi Otitoju zusammenfasst: „If you have a brain, you have a bias.“ Wir können sie nicht nicht-haben. Wir können also nicht vorurteils“frei“ werden, sondern das Ziel ist, vorurteils“bewusst“ zu werden. Um dorthin zu gelangen, müssen wir – immer wieder – den unangenehmen Prozess durchlaufen, unsere Bilder, Erwartungen und Zuschreibungen bewusst wahrzunehmen, sie zu verbalisieren, und sie im nächsten Schritt zu überprüfen. 

Diversität zu lernen bedeutet, lern- und arbeitsfähig zu sein, sowohl auf persönlicher, zwischenmenschlicher Ebene, als auch strukturell auf organisationaler Ebene. Was können wir also tun? Die gute Nachricht ist, wir können sowohl unser Gehirn (also unsere Wahrnehmung) als auch unser Herz (Emotionen) verändern. Das braucht nur Übung. 

Diversität braucht folgende Kompetenzen:

  • Selbstwahrnehmung, um den eigenen Emotionen und Bedürfnissen Beachtung zu schenken, Stärken und Schwächen zu kennen sowie über die eigenen „hot buttons“ (wo „springe ich an?“) Bescheid zu wissen. Es bedarf eines ausgeprägten Sinnes für den eigenen Selbstwert und die eigenen Fähigkeiten, sowie Selbstreflexion und ein Bewusstsein dafür, dass jede Person (auch ich selbst) Einfluss auf andere Menschen und die Welt um uns herum hat – und die Welt auf sie.
  • Selbstregulierung bzw. Selbstmanagement bedeutet zu eigenen Fehlern zu stehen, anstatt sie vermeiden zu wollen. Wir alle haben Vorurteile – es geht darum, sie zu managen. Wir werden Fehler machen, und dann weiter machen.
  • Empathie, Beziehungsmanagement und Konfliktfähigkeit als die Fähigkeit, sich auf die Emotionen anderer einzustellen, ihre Gefühle, Bedürfnisse und Sorgen wahrzunehmen. 

Gespräche sind dann verändernd, wenn Menschen in polarisierenden Positionen in der Lage sind, empathisch miteinander zu sein. Die Perspektive der anderen Person anzuerkennen, ohne die andere Person überzeugen zu müssen oder sich von etwas überzeugen zu lassen. Kurz: To agree to disagree.

Das bedeutet auch mit Meinungsverschiedenheiten und Konflikten umgehen zu können. Besonders hilfreich ist darüber hinaus die „Ich weiß nicht alles“-Haltung sowie die Fähigkeit, Ambiguität (= Mehrdeutigkeit) und Ambivalenz (= Widersprüchlichkeit) auszuhalten. Denn ganz oft kann es schon wirken zu sagen: Es ist „sowohl-als-auch“ statt „entweder-oder“.

Ein paar konkrete Strategien, die helfen können Vorurteile und ihre Auswirkungen zu minimieren, sind:

  • Vorbilder: Studien belegen, dass Vorurteile reduziert werden, wenn Menschen, die Ziel von negativen Stereotypen sind, in einem anderen (positiven) Licht gezeigt werden. Z.B. durch starke positive Vorbilder wie Barack und Michelle Obama, David Alaba oder Conchita Wurst.
  • Innere Motivation: Wer davon überzeugt ist, dass sowohl die Gesellschaft als auch die Person selbst von einer gerechteren Welt profitiert, wird eher Vorurteile abbauen können als Leute, die „es müssen“. Logische Fähigkeiten und Willenskraft helfen dabei, Präferenzen zu erkennen und Urteile kontrollieren zu können.
  • Kontakt und Beziehung: Mit Menschen zusammen zu sein, die anders sind als wir, ist hilfreich, um Auswirkungen von Vorurteilen einzudämmen. 
    Ein persönliches Beispiel: Mit einer Freundin, die Kopftuch trägt, durch die Stadt zu gehen, in Geschäfte zu gehen, zu bemerken, wie sie behandelt und angesehen wird, und Zeug*in zu werden von vielen kleinen oder größeren Aggressionen – macht einer als weiß gelesenen Person, der immer zugeschrieben wird „von hier zu sein“ deutlich, wie viel noch zu tun ist und was jede Person dazu beitragen kann. Denn: Rassismus hat nicht nur mit denen zu tun, die rassistische Zuschreibungen erleben und jenen die sie machen, sondern mit allen.
  • Counter-Stereotype (Gegenstereotype) planen: das Hirn neu verdrahten. Menschen andere Zuschreibungen geben als die, die sie ständig kriegen. Das wirkt vielleicht banal, aber Tatsache ist: Wir können zwar nicht nicht-zuschreiben, aber wir können üben, nicht „das Übliche“ zu tun.
  • Bildung und Training: Die Arbeit zu Gender & Diversität ist nicht nur schmerzvoll, im Hinblick auf die Anerkennung, was alles schiefläuft. Sie ist auch hoffnungsvoll, wenn wir neugierig auf uns selbst und die Dynamiken im Umgang mit anderen bleiben.

Was können Herausforderungen sein?

Die Umsetzung von Diversitätskompetenzen in Vereinen und Kulturbetrieben kann verschiedene Herausforderungen mit sich bringen:

Bestehende Routinen und Machtstrukturen sind zentrale Punkte, die unbewusst wirken und nur schwer zu durchschauen sind (Stichwort: Bias). Die meisten Vereine und Kulturbetriebe arbeiten seit Jahren nach denselben Abläufen. Veränderungen werden nicht selten als Bedrohung wahrgenommen. Sie benötigen Ressourcen. Dies kann zu Widerständen führen – sei es aus Angst vor Kontrollverlust, aus Überforderung, aufgrund der Fantasie, bereits diversitätssensibel zu arbeiten oder sogar aus Unsicherheit darüber, was es überhaupt bedeutet. Hinzu kommt, dass die Auseinandersetzung mit eigenen Privilegien und unbewussten Vorurteilen emotional herausfordernd sein kann. 

Der bereits genannte Faktor Ressourcen stellt in vielen Fällen eine weitere zentrale Herausforderung dar. Die Entwicklung von Diversitätskompetenzen braucht kontinuierliche Weiterbildung, Reflexion und strukturelle Anpassungen. Dies benötigt einerseits zeitliche, andererseits finanzielle Ressourcen, weshalb viele Vereine und Kulturbetriebe an ihre Grenzen stoßen. Ebenso wird die Ausbildung von Diversitätskompetenzen dadurch gehemmt, dass sich – aufgrund fehlender Repräsentation und mangelnder Zugänge – wenig Menschen aus marginalisierten Gruppen in gewissen Räumen aufhalten. Somit bleiben diese Räume meist recht homogen. Dies führt in weiterer Folge dazu, dass ihre Perspektiven unsichtbar bleiben und wichtige Impulse für gerechtere Strukturen fehlen. Man befindet sich sozusagen in einem strukturellen Teufelskreis.

Wie können diese Herausforderungen gemeinsam bewältigt werden?

  • Bestehende Ressourcen nutzen, vorhandene Checklisten und Vorschläge durcharbeiten, Best Practices von anderen übernehmen
  • Motivation ergründen (Warum wollen wir das?)
  • ein diverses Team bilden (aber: Achtung „Tokenism“[5])
  • Diversität ins Leitbild integrieren, im Umgang miteinander leben und nach außen sichtbar machen, auch inhaltlich
  • (verpflichtende ;-)) Fortbildungen für alle
  • Prioritäten setzen bei der Ressourcenverteilung (Zeit und Geld); Ressourcen z.B. für externe Begleitung und Input freimachen
  • Engagement von Einzelnen
  • die Bereitschaft Fehler zu machen, sie zu erkennen und daraus zu lernen (Stichwort: Fehlerkultur)
  • Diversitätsbeauftragte*r und/oder Vertrauenspersonen: Personen, die sich zuständig fühlen und dranbleiben

Die Ausbildung bzw. Entwicklung von Diversitätskompetenzen ist ein langfristiger Prozess, der sowohl Geduld und Haltung als auch die Bereitschaft erfordert, sich Unangenehmem zu stellen und unbequeme Schritte zu gehen (Stichwort: Privilegien aufzugeben). Genau dieser Prozess ist aber ein wesentlicher Weg hin zu einer lebendigen, offenen und zukunftsfähigen Kultur des Miteinanders.


[2] Bühl, Achim (2016), Rassismus. Anatomie eines Machtverhältnisses. Marixverlag.

[4] Basierend auf dem Buch „Deep Diversity. Die Grenzen zwischen „uns“ und den „Anderen“ überwinden, von Shakil Choudhury, unrast Verlag, 2017.

[5] „Tokenism“ bezeichnet eine symbolische Geste, bei der eine Person aufgrund eines ihr zugeschriebenen Merkmals zur Repräsentation (zum „Token“) für die gesamte marginalisierte Gruppe wird, und damit zum Aushängeschild für eine vermeintliche gelebte Diversität.