Leerstand aktivieren! Aber wie?

Räume für Kunst und Kultur sind mehr als Orte – sie sind soziale, kulturelle und demokratische Infrastrukturen. Doch während Leerstand wächst, wird Raum für freie Kulturarbeit zunehmend zur Mangelware. Die Frage nach Quadratmetern ist längst eine Frage der Teilhabe: Wer gestaltet Stadt, wer hat Zugang und wer bleibt außen vor?

vlnr: Pioniernutzung Rösselmühle Graz, Talstation Innsbruck, Semmelweisklinik Wien © Johanna Lea Lassnig
 

Zwischennutzungsprojekte zeigen seit Jahren, wie Leerstand aktiviert werden kann – schnell, kreativ und mit großem Engagement. Doch sie zeigen auch, wie fragil solche Räume bleiben. Österreichweit werden leerstehende Gebäude wiederbelebt, nicht aus wirtschaftlicher Kalkulation, sondern aus gesellschaftlichem Bedürfnis. Diese Projekte leisten weit mehr als kurzfristige Nutzung: Sie schaffen Orte der Begegnung, der Zusammenarbeit und des Gemeinschaffens.
 

„Die Räume, die wir anbieten, sind derzeit extrem gefragt, weil sie nicht nur Arbeitsräume sind oder Einzelateliers irgendwo in der Stadt, sondern weil sie eben auch ein soziales und infrastrukturelles Bedürfnis abdecken. Die Gemeinschaftsbereiche, die Synergien bei der Materialnutzung, beim Kochen, beim Einkauf – die sind einfach gewaltig.“ 

– Nathalie Frickey, Semmelweisklinik

„Das Tolle daran ist, dass sich Verantwortungen ergeben und junge Menschen selbst gelernt haben, wie Regeln funktionieren, wo die Grenzen sind und dass man auch selbst Grenzen einführen muss, um ein gemeinschaftliches Zusammensein in so einem Haus zu ermöglichen.“ 

– Thomas Krug, Junge Talstation

„Wir sind 14 Menschen, die Ressourcen und Kapazitäten haben, die wir alleine nicht hätten. Und die teilen wir. Und wir können sie an einem Ort teilen, den wir der Öffentlichkeit öffnen können. “ 

– Raum 117, Magda Vith & Julez Wolf


Die Junge Talstation in Innsbruck zeigt exemplarisch, wie Kulturarbeit Stadt verändert. Von 2014 bis 2021 nutzte der Verein die ehemalige Talstation der alten Hungerburgbahn als selbstverwaltetes Jugend- und Kulturzentrum – ein Ort, der schnell zum lebendigen Treffpunkt junger Menschen wurde. Was als temporäres Experiment begann, entwickelte sich zu einem viel beachteten Modell für partizipative Stadtteilarbeit: niedrigschwellig, offen, gemeinwohlorientiert. 2022 lief die Nutzungsbewilligung aus, das Gebäude darf seitdem nicht mehr betreten werden. Ein Beispiel dafür, wie politische Rahmenbedingungen erfolgreiche Projekte ausbremsen können.

Und das ist kein Einzelfall – Das Kunst- und Kulturzentrum Semmelweisklinik in Wien ist seit Juni 2022 geöffnet, ursprünglich befristet bis 2024, mittlerweile zweimal verlängert – aktuell bis Ende November 2026. Die gleiche unsichere Planungssituation bei Raum 117, Graz : „ …seit 2021 mieten wir die Stahl-Eberhart-Halle in der Smart City. Es ist schwierig zu sagen, wie lange wir dort noch bleiben dürfen aber derzeit bekommen wir unsere Verträge auf jeweils ein Jahr verlängert.“  


Räume, die mehr sind als Quadratmeter

Nach Jahren neoliberaler Stadtentwicklung, in der Raum als Ware gilt, braucht es ein Umdenken: Die Allianz Leerstand nutzen!, eine breite Kooperation Wiener und bundesweiter Architektur- und Kulturinstitutionen, fordert genau das: den politischen Mut, Leerstand systematisch zu erfassen und als Ressource für die Stadtentwicklung zu begreifen.

Im Open Book „Leerstand nutzen!“, eine Online-Publikation, werden Fachbeiträge, politische Analysen und der Forderungskatalog der Allianz Leerstand nutzen! zur Erfassung und Aktivierung von Leerstand gebündelt.
Hinter der Initiative stehen die Allianz für Substanz, das Architekturzentrum Wien, die Fakultät für Architektur und Raumplanung der TU Wien, die IG Architektur, die IG Kultur Wien, die Kammer der Ziviltechniker*innen für Wien, Niederösterreich und Burgenland sowie die Österreichische Gesellschaft für Architektur.
 

„Also was (in Wien) am dringendsten notwendig wäre, wäre einerseits zu definieren, was ist überhaupt Leerstand, weil auch das muss man erstmal definieren, um es überhaupt erfassen zu können und diskutieren zu können. Und dann eben eine Erfassung des Leerstands, damit wir wissen, von welchem Thema und von welchem Problem sprechen wir da.“  

– Fabian Wallmüller, IG Architektur und Allianz Leerstand nutzen!

„ …also kommunale Strukturen einfach aufzumachen, preisgünstig, unter Marktwert, unter Anführungszeichen, einfach Initiativen, aber auch Kreativen im sozialen Bereich einfach zu eröffnen, zur Verfügung zu stellen, damit leistbarer Raum möglich ist.“ 

– Irmgard Almer, eheml. Geschäftsführung IG Kultur Wien und Allianz Leerstand nutzen!


Die IG Kultur Wien, Interessensvertretung der freien und autonomen Kulturinitiativen Österreichs, betreibt seit über einem Jahrzehnt kulturpolitisches Lobbying zu diesem Thema. Denn Raumnot war in der freien Szene schon immer Realität – von Proberäumen über Ateliers bis zu soziokulturellen Zentren.

Aus einer breiteren stadtpolitischen und zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Raumnot und Leerstand ging 2015 die Einrichtung von Kreative Räume Wien (KRW) hervor – einer Servicestelle für Leerstandsaktivierung und Zwischennutzung, initiiert von den Geschäftsgruppen für Kultur, Stadtplanung und Finanzen der Stadt Wien. Heute fungieren die Kreativen Räume Wien als zentrale Schnittstelle zwischen Verwaltung, Eigentümer*innen und Projekten – sie beraten, vermitteln und fördern Bewusstsein für die nachhaltige Nutzung städtischer Räume.

Uli Fries, Geschäftsführer der KRW, sieht auf Länder- und Bundesebene viele Möglichkeiten, um eine gerechtere Vergabe von Raum zu fördern: steuerrechtliche Anpassungen (Vorsteuerabzug), baurechtliche Erleichterungen im Bestand, die Anpassung von Förderbedingungen, eine wirksame Leerstandsabgabe, die Neubewertung öffentlichen Eigentums, langfristige Pioniernutzungen, die Quantifizierung des sozialen Mehrwerts, verpflichtende Gemeinwohlflächen bei Neubauten sowie eine verstärkte politische Bewusstseinsbildung.
 

„… [Das] Stichwort der Pionierprojekte, das stärker verfolgt werden sollte. Also das heißt, dass man einfach von vornherein die Qualitäten von solchen Projekten in Stadtentwicklungsprojekten stärker mitdenken sollte und einfach in Räumen, die sich im Umbruch finden, Transformationsflächen, Konversionsflächen, durch solche Projekte ermöglicht und dann aber auch langfristig mitnimmt.“

"die Entwicklung von einem Social Impact Value* [für Leerstandsaktivierung]. Dass man sich wirklich anschaut, auch quantifiziert, was die positiven Effekte von solchen Projekten sind. … weil das einfach die Argumentation auch erleichtern würde, sowohl gegenüber Akteur*innen in der Verwaltung als auch gegenüber der Immobilienwirtschaft.“ 

–Uli Fries (KRW)


Als klimapolitisches Instrument ist Leerstandsaktivierung schlüssig. Kulturpolitisch wird sie erst dann stimmig, wenn Verwaltung, (Kommunal-)Eigentum und Förderlogik so justiert werden, dass dauerhafte, leistbare Räume entstehen – nicht nur gut klingende Zwischenlösungen.

 

Danke!

Irmgard Almer, Fabian Wallmüller, Uli Fries, Thomas Krug, Nathalie Frickey, Julia Wolf und Magdalena Vith


Relevante Links


IG Kultur Wien:
igkulturwien.at

IG Architektur:
www.ig-architektur.at

Openbook der Allianz Leerstand nutzen!:
openbook.at/home/leerstand-nutzen

Kreative Räume Wien:
www.kreativeraeumewien.at

Kunst- und Kulturzentrum Semmelweisklinik Wien:
https://www.semmelweisklinik.at
www.instagram.com/semmelweisklinik

Jungen Talstation Innsbruck:
www.talstation.org
www.instagram.com/talstationibk

Raum 117 Graz:
www.raum117.at
www.instagram.com/raum.117


Radiosendung  
„Leerstand aktivieren! Aber wie?"


*Der Social Impact Value ist ein Ansatz, um die gesellschaftliche Wirkung kultureller Projekte sichtbar zu machen – etwa ihren Beitrag zu sozialer Teilhabe, Gesundheit oder lokaler Entwicklung. Er dient als Bewertungsinstrument in Förderlogiken und Stadtentwicklungsstrategien.

 

Raum 117, Graz

Pioniernutzung Rösselmühle
Oeverseegasse 11, 8020 Graz
2 Wohneinheiten im Arbeiterhaus der Arbeiter:innen der Rösselmühle

Zwischennutzung ehemalige Stahl-Eberhart-Halle
Waagner-Biro-Straße 117, 8020 Graz
Hallenfläche ehemaliges Verwaltungsgebäude der Stahlfirma Eberhart in der Smart City

Wir nutzen die Orte als Ateliers oder vermieten sie niederschwellig weiter an Künstler*innen und öffnen sie mit kulturellen Veranstaltungen für die Öffentlichkeit. 

Von 2021 bis 2024 haben war unsere Arbeit zu 100% ehrenamtlich und seit wir 2024 das Kunstraum Steiermark Stipendium haben können wir teilweise Stunden vergüten, obwohl man dazu sagen muss, dass ein Teil der geleisteten Stunden im Rahmen der Freiwilligenpauschale erbracht wird und ist somit nicht vergütet wird. Wir schätzen, dass wir trotzdem ca zwischen 20-100 Stunden pro Person kommen arbeiten. Manche Arbeiten mehr, manche weniger. 

Am Anfang waren wir einfach nur eine Gruppe motivierter Menschen, die sich ein Atelier teilten. Doch schnell wurde uns klar: Es braucht mehr niederschwellige Räume für Kunst und Kultur. Also fingen wir an, mit viel Elan eigene Veranstaltungen zu organisieren. Das Interesse von außen wuchs stetig – und spätestens beim ersten großen Event, einem mehrtägigen Graffiti-Festival mit über 60 Künstler*innen teilweise aus Europa, das die Wände der Smart City bemalten, wurde spürbar: Wir sind Teil von etwas, das wachsen will.

⇒ Learnings zum Weitergeben
Durch unsere zahlreichen Veranstaltungen haben wir in einem geschützten Rahmen gelernt, was es bedeutet, Projekte eigenständig zu planen, zu organisieren und umzusetzen. Dabei haben wir nicht nur unsere Fähigkeiten im Teamwork und in der Kommunikation geschärft, sondern auch gemerkt, wie wichtig ein gemeinsames Werteverständnis ist – denn genau das bildet für uns die Grundlage für unsere gelungene Zusammenarbeit.

⇒ Unsere Wünsche
Wir wünschen uns, dass die Leerstandsthematik von Politik und Eigentümer:innen ernster genommen wird und das Potenzial niederschwelliger Räume für die junge Kunst- und Kulturszene erkannt wird. Vor allem braucht es mehr Planbarkeit und Sicherheit für Zwischennutzende – nur so kann nachhaltiges und langfristiges Arbeiten überhaupt möglich werden.

www.raum117.at
instagram.com/raum.117

 

Semmelweisklinik, Wien

Hockegasse 37, 1180 Wien
Das Gebäude war als Wirtschaftsgebäude Teil des Ensembles der Frauenklinik und davor Teil des Kinderheims. mit ca. 2.850 m2 innen / Außen nur innerhalb des Bauzauns. Wir bieten Ateliers, Gemeinschaftsräume, Werkstätten, Räume für Events sowie ein eigenes Eventprogramm mit Veranstaltungen.

Seit Juni 2022, ursprünglich bis 2024 begrenzt, 2x verlängert, aktuell bis Ende Nov. 2026 ca. 600 auf viele Personen aufgeteilt. Sind durch den Open Call der Kreativen Räume Wien zusammengekommen, haben das Gebäude besucht, uns anschließend online vernetzt und während der Lockdowns per Zoom ein Nutzungskonzept entwickelt und den Verein gegründet. Im zweiten Durchgang hat unser Konzept von der BIG den Zuschlag bekommen. Danach folgten knapp 6 Monate Vertragsverhandlungen, während wir uns mit dem Haus vertraut gemacht haben. Seit Sommer 2022 läuft unsere Nutzung, die Mitgliederzahl ist seitdem beständig gewachsen und umfasst nun mehr als 100 Personen, die teilweise Mieter*innen sind, teilweise als Externe projektbezogen mitgestalten.  

⇒ Learnings zum Weitergeben 
Wir haben gelernt, dass es zusätzlich zu geeigneten Orten (hinsichtlich Bausubstanz, Erreichbarkeit, Nahversorgung, Infrastruktur, Leistbarkeit) auch geeignete Menschen braucht. Menschen, die Lust haben, eigenständig und in Koordination mit anderen gemeinsam Projekte ins Leben zu rufen, und gleichzeitig für das gemeinsame Ganze Sorge zu tragen. Die unsichtbare Care-Arbeit, die jenseits von Events und Veranstaltungen in die Pflege und den Erhalt des Gebäudes und der Community fließt, ist ganz zentral für deren gelingen.

⇒ Unsere Wünsche 
Mut und Vertrauen. Mut, gemeinsam Neue Wege auszuprobieren, sich etwas zu trauen, miteinander zu experimentieren und füreinander Sorge zu tragen. Wir wünschen uns Möglichkeiten, wie erfolgreiche, etablierte Zwischennutzungen auch langfristig bestehen bleiben dürfen, wir wünschen uns Ansprechpartner aus Bund und Stadt und Land, die sich mit dieser Praxis auskennen und helfen können, solche Projekte einfacher und mit klaren Rahmenbedingungen fahren zu können. 
Kommt zu unserer Wintervaganza! Kunsthandwerk trifft auf Musik, Variété, und Gaumenfreuden am 13. und 14. Dezember.

semmelweisklinik.at
instagram.com/semmelweisklinik    
 

 

Verein Junge Talstation

Rennweg 41, Innsbruck
Jugend-Kulturzentrum von 2014 bis Februar 2022 in der Standseilbahntalstation (Innen 700qm)

100 Geschätzte ehrenamtliche Stunden pro Monat.
Ideenwettbewerb der Stadt, wegen Leerstand. Bahn schloss 2005 und stand dann leer und verkam.

⇒ Learnings zum Weitergeben 
Man darf sich vor der Politik nicht in die Hose machen. Networking in der Szene ist wichtig

⇒ Unsere Wünsche 
Transparenz, Kommunikation auf Augenhöhe, Respekt

talstation.org  
instagram.com/talstationibk