Toolbox: Verletzende Sprache angehen

Toolbox verletzende Sprache

Mit der Toolbox „Verletzende Sprache angehen!” wollen wir Materialien zur Verfügung stellen, die es ermöglichen sollen sich mit den Schattenseiten mensch-licher Kommunikationauseinanderzusetzen.

„Angehen“ ist deswegen auch das Motto: Aktiv werden, weil es mich etwas angeht; aktiv werden, weil es mich stört; aktiv werden, weil ich auch manchmal Leute ungut angehe...

Die Toolbox „Verletzende Sprache angehen!” ist Teil des Projektes „Check the Facts - Mind the Gap”, das 2014 von der IG Kultur Österreich organisiert und mit Unterstützung der Open Society Foundation finanziert wurde. Das Projekt widmete sich verletzender Sprache im EU-Wahlkampf und entwickelte in einer Workshopserie Materialien, die es erleichtern sollen, über Sprache nachzudenken, manches Verletzende zu verlernen und neu zu denken.

Wir danken den Lehrlingen der Kraftfahrzeugtechnik und des Maschinenbaus von Jugend am Werk, Elke Smodics von Trafo-K, Vlatka Frketić von ][diskursiv, Hans Christian Voigt, Franz Joseph von den Gebrüder Moped, Sandra Selimovic und Simonida Jovanovic von Romano Svato sowie Eva Dertschei und Carlos Toledo von tid.

Idee und Projektkoordination: Marty Huber 
Grafik, Design: gebr.silvestri 
Umsetzung Toolbox: Erika Doucette

 

 

Einleitung: Verletzende Sprache angehen

Marty Huber

Mit der Toolbox „Verletzende Sprache angehen!” wollen wir Materialien zur Verfügung stellen, die es ermöglichen sollen sich mit den Schattenseiten menschlicher Kommunikation auseinanderzusetzen. „Angehen“ ist deswegen auch das Motto: Aktiv werden, weil es mich etwas angeht; aktiv werden, weil es mich stört; aktiv werden, weil ich auch manchmal Leute ungut angehe... 

Wann hast du das letzte mal jemandem mit Sprache weh getan? Wann einfach zugehört, mitgelacht, weggeschaut? Wir alle kennen Situationen, wo wir in einer Art und Weise kommunizieren, die darauf abzielt, das Gegenüber in eine Position zu ver_setzen, die unangenehm ist, Schweigen oder Aggression befördert. Manchmal gibt es die Vorstellung, es würde reichen gewisse Wörter aus dem Wortschatz zu streichen, aber Wörter sind von sich aus nicht besonders „magisch“. Wir verleihen Wörtern Macht, in der Art, wie und wann wir sie benutzen, welchen Ton wir anschlagen, welche Körperhaltung wir einnehmen. Verletzende Sprache wird aber nicht nur in der privaten Kommunikation verwendet, sondern findet sich in politischen Diskursenwieder. Demagogie und Populismus sind starke Verstärker dieser negativen Kommunikation. 

Die Tools der Box sollen ein Bewusstsein schaffen, wie mit verletzender Sprache umgegangen, wie und wann sie eingesetzt wird. Es sind Übungen zur Selbstkritik, die jedoch auch aufzeigen, dass nichts in Stein gemeißelt ist und sich Sprache ständig verändert.

Sprache verwenden, die möglichst alle inkludiert und nicht ausschließt, ist keine Einschränkung des Wortschatzes, sondern eine der Möglichkeiten Räume zu eröffnen, die von Respekt geprägt sind. Dieses Verständnis wollen wir stärken.

Im Privaten wie auch im Politischen gibt es Situationen, wo 
uns die für uns „richtigen“ Antworten auf verletzende Sprache erst zu spät einfallen. Die Materialien zeigen Wege auf, wie mit Humor und künstlerischen Mittel Gegenreden entwickelt werden können.

Die Toolbox „Verletzende Sprache angehen!“  wurde gemeinsam mit Lehrlingen von Jugend am Werk und Kunst- und Kulturarbeiter_innen entwickelt. Sie ist ein Startpunkt, um über Sprache nachzudenken und mit ihr zu spielen. Sie kann und soll den jeweiligen Gruppen, die sich mit dem Thema befassen, angepasst und entsprechend erweitert werden.

 

Das Unbehagen in der Moderation oder sind Sie von der Sprachpolizei?

Marty Huber

Mit der Toolbox „Verletzende Sprache angehen” wollen 
wir Werkzeuge zur Verfügung stellen, die es ermöglichen einen Diskussionsraum und Handlungsoptionen zu eröffnen: 
Es geht uns dabei um zwei Aspekte:

  1. Kritisch über den eigenen Gebrauch von verletzender Sprache nachzudenken und
  2. einen Prozess der Selbstermächtigung in Gang zu setzen.


Durch Diskussionen und Auseinandersetzungen wird versucht, verletzende Handlungen zu verlernen und übliche Sprache neu zu besetzen. Wir wollen Normen aufbrechen und deutlich machen, dass Sprache lebendig und veränderlich ist. Wörter stellen Wirklichkeit her und es ist daher zu überlegen, wie der eigene Beitrag für eine offene Gesellschaft ausschauen kann. 
In diesem Sinne gibt es immer auch die Möglichkeit sich die Macht der Wörteranzueignen und ihre verletzende Kraft auszuhebeln und ihnen neue Bedeutungen zu geben.

Leider erfahren wir tagtäglich in Gesprächen, Werbungen, in den sozialen Medien etc., dass Begriffe, die verletzend und ausgrenzend sind, häufig verwendet werden. Als Geleitwort für diese Toolbox möchten wir ein paar Anregungen geben, wie die eigene Moderation dazu beitragen kann, verletzende Sprache nicht fortzusetzen:

GEMISCHTE GEFÜHLE ZULASSEN

Oftmals löst es ein Unbehagen aus, mit diesen Wörter konfrontiert zu werden und wir fragen uns wie wir auf stereotype Meldungen reagieren können. Eine gelassene Thematisierung einer Grenzüberschreitung kann, obwohl sie manchmal schwer fällt, der richtige Ansatz sein.

RESPEKTVOLL PLATZ ERÖFFNEN

Verletzende Begriffe sollen aufkommen dürfen und nicht sofort mit einer wertenden Reaktion abgestempelt werden. Gerade zu Beginn einer Konversation werden die Grenzen getestet und abgesteckt. Trotzdem soll es möglich sein, Wörter im Raum stehen lassen zu können.

ÜBER DAS PERSÖNLICHE HINAUS

Eines der Ziele ist es, Formen und Aspekte verletzender Sprache auf einer Metaebene zu behandeln und nicht auf einer persönlichen Konfliktebene zu verharren. Es soll ein unvoreingenommener Handlungsraum entstehen, um über die Macht der Wörter nachdenken zu können.

GESCHICHTE DER WÖRTER ERZÄHLEN

Uns ist es wichtig diese Wörter zu kontextualisieren, ihre Bedeutung und Herkunft darzulegen. Oft sind sich Menschen nicht über die lange Geschichte von Wörtern bewusst. Auch nicht über das, was mit ihnen mitschwingt.

UNTERSCHIEDLICHE BETROFFENHEIT ANERKENNEN

WICHTIG: Hineinhören in unterrepräsentierte Gruppen, die 
von diesen Worten betroffen sind und ihre Forderungen im Umgang mit verletzenden Sprache ernst nehmen. Bei Zweifel, nicht verzweifeln, Leute anfragen, nachforschen und sich schlau machen, was die „Betroffenen“ dazu sagen – oftmals gibt es da auch unterschiedliche und nicht immer einstimmige 
Meinungen und Alternativen.

Abschließend ist es wichtig festzuhalten, dass Jugendliche oftmals sehr fremdbestimmt und strukturell benachteiligt sind. Sprache ist ein Terrain, über das sie etwas mehr selbst bestimmen können, weshalb Themen wie Abgrenzungen, Hierarchien, Machtverhältnisse gern darüber verhandelt werden. Jugendliche sind deshalb auch Expert_innen dieser sich ständig verschiebenden Normierungen und Kreationen und können eine_n überraschen.  

 

 

Tool 1: Starter-Karten

Elke Smodic

Die beigelegten* Bildkarten werden ausgebreitet und jede Person (auch die Moderation) nimmt sich eine Karte. Jede_r erzählt, was sie oder er auf dem Bild sieht und warum sie_er es ausgewählt hat. Wichtig ist es, in der Moderation für möglichst offene Atmosphäre zu sorgen und jedes Bild als Anlass und Chance für eine Mini-Diskussion zu begreifen. So können sich aus sehr prägnanten Bildern längere Gespräche entspinnen, insbesondere wenn alle in der Gruppe eingebunden werden.

* Leider können wir die Bildkarten nicht zum Download zur Verfügung stellen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es hilfreich ist u.a. Bilder von künstlerischen Arbeiten oder Kunstfiguren heranzuziehen. Ein Bild von Conchita Wurst etwa kann ein guter Ausgangspunkt für Diskussionen über Geschlecht, Sexualitäten sein.

 

 

Tool 2: Speed Dating

Vlatka Frketić

Heiße 2-3 Minuten, um im Schnellverfahren ins Thema zu kommen. Jede Person erhält eine Frage. Es werden zwei Reihen gebildet und gegenüber Platz genommen. Die linke Reihe beginnt mit den jeweiligen Fragen und rückt nach 2-3 Minuten zur nächsten Person weiter und stellt die selbe Frage bis alle durch sind. Dann wechseln die Rollen und die rechte Reihe ist dran mit dem Fragen. 
WICHTIG: Dazu sagen, dass Nachfragen nicht nur erlaubt, sondern notwendig ist, um mehr vom Gegenüber zu erfahren!

 

 

Tool 3: Fotos

Marty Huber

Mit Digital- und Handykameras ausgerüstet auf die Pirsch gehen und Bilder schießen.

  1. Gemeinsam Bilder auswählen
  2. Bilder ausdrucken und
  3. Mit Untertitel versehen

 

Die Bilder & Bilduntertitel bilden die Basis für die Diskussion. Die Bilder werden danach in Überthemen zusammengefasst und gruppiert und Namen für die Kategorien erfunden. So sehen wir, wie Kategorien geformt werden und wie 
es passieren kann, dass Menschen und Themen zusammengewürfelt werden. Haben wir das erkannt, dann können wir auch eingreifen und verletzende Sprache in solchen Kategorisierungen entgegenwirken, aber auch eigene Kategorien entwerfen.
 

 

 

Tool 4: Plakate

Gebrüder Moped

Großformatige Plakate nehmen viel Platz im öffentlichen Raum ein und begleiten unseren Alltag. Manche von ihnen verwenden Bilder und Ausdrücke, die verletzend sind. Viele stellen Menschen und wichtige Themen fragwürdig dar. Was können wir dagegen tun? In diese störenden Plakate eingreifen und sie umgestalten - und zwar mit Humor. Das können wir mit diesem Tool üben, indem wir Bild und Text neu kombinieren, Symbole hinzufügen und somit die Interpretation des Bildes in einem völlig neuen Licht erscheint. Als Ausgangsmaterial können Magazine, Zeitungen und Fotos von Plakaten dienen. Für die Interventionen können die beigelegten Sticker eine Anregung sein.

 

 

Tool 5: Jubel-Demo

Hans Christian Voigt

Performative Intervention könnten wir das Format einer Jubel-Demo nennen, 
es geht darum z.B. (öffentliche) Reden, die verletzende Sprache verwenden, 
mit Zustimmung zu unterbrechen und die Aufmerksamkeit zu verschieben. Jubel-Demos stiften Verwirrung, entlocken ein Schmunzeln und sind eine Protestform mit einem Augenzwinkern. Dieses Tool schlägt eine unübliche, vielleicht auch unerwartete Form des Protestes vor: lauthals Jubeln! 
Wie funktioniert das Tool? Wir testen zuerst den Jubel-Chor unter uns und anschließend im öffentlichen Raum, um zu sehen, wie Jubeln so ankommt. 
So können wir üben, wie wir als Gruppe agieren. Ist es besser beieinander zu 
stehen, oder verteilt? Hintereinander zu jubeln, oder alle zusammen? Eine genauere Erklärung befindet sich im Video.

 

 

Tool 6: Rap

Simonida Jovanovic und Sandra Selimovic

Rappen ist eine weitverbreitete Form der Gegenrede mit einer langen politischen Tradition aus der Schwarzen Community. Mit verletzender Sprache und Diskriminierung umzugehen ist eine Grundpfeiler des Rap. Es werden Wörter gesammelt, die mit den Teilnehmer_innen zu tun haben, die sie kennen, gehört oder selber verwendet haben. Während der Beat läuft (s. Datenstick) kann jede_r für sich versuchen ein Gedicht zu schreiben, mit dem Rhythmus der Musik den richtigen Takt für den Text zu finden. Für die Texte gilt es Kraftausdrücke nicht nur zu verwenden, sondern diese umzuleiten, zu verändern, eine Demonstration aus Musik und Text zu formen. Wenn möglich, stellen wir uns gegenseitig unsere Ergebnisse vor, dafür empfiehlt es sich mit Improvisationsübungen Körper und Stimme aufzuwärmen.

 

 

Tool 7: Calling Cards

Eva Dertschei und Carlos Toledo

Calling Cards sind Karten, die jemandem gegeben werden, wenn man schräg angemacht wird. Darauf befindet sich ein Spruch, der die Anmache abwehrt und eine Gegenrede ermöglicht. Dieses Tool ist dazu da eigene Karten zu machen. Vieles ist möglich. Als Einstieg überlegen wir uns gemeinsam mehrere Sprüche, die wir nach einer stressigen Situation gerne gesagt hätten, uns in der Situation aber nicht eingefallen sind. Danach überlegen wir uns ein Motiv, ein Symbolbild, das dem Ganzen einen starken Ausdruck verleiht. Ein einfacher Drucker kann zur Vervielfältigen verwendet werden. Motiv aus Moosgummi ausschneiden, händisch auf die Karten drucken, auf der anderen Seite wird der Spruch (aus)gedruckt oder geschrieben. Voila: Eure eigenen Calling Cards.