ROMANISTAN ist überall! Ein Kulturprojekt im Ausnahmezustand.

Romanistan. Crossing Spaces in Europe war eines der 103 im EU-Kulturprogramm (Kultur 2007-2013 im Aktionsbereich „Mehrjährige Kooperationsprojekte) 2010 ausgewählten Kulturprojekte. Unter den 280 Einreichungen befanden sich etablierte Kulturbetriebe mit solider Personal- und Infrastruktur und es galt sich in einem Förderprogramm, in dem die Kunstproduktion bzw. deren Rezeption im Fokus steht, zu platzieren.

Romanistan, Foto: Patrick Kwasi

Die Initiative für den EU-Antrag ging vom Roma Kulturzentrum Wien aus. Einem kleinen serbischen Romakulturverein, der für seine lokalen Veranstaltungen seit Jahren vergeblich um nationale Mittel angesucht hatte. Der Zugang zu europäischen Förderungen schien ebenfalls verstellt, da der Verein nicht über die notwendigen formalen Voraussetzungen wie ausreichende Bankgarantien oder die Möglichkeiten einer Vorfinanzierung verfügte. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit Fördergebern war auch das Risiko, die erforderliche nationale Kofinanzierung nicht zu erhalten, zu groß. Der Verein trat daher an die IG Kultur Österreich (IGKÖ) mit einem Kooperationsvorschlag heran. Aus dieser Richtung haben wir uns Romanistan genähert und auf dem Weg dorthin mit FAGIC aus Barcelona und Amaro Drom aus Berlin ideale Partner gefunden.

Zum Erfolg des EU-Ansuchens beigetragen haben sicherlich die von der IGKÖ investierten Mittel in die Antragsphase. Reale Treffen in Berlin, Wien und Barcelona mit den ProjektpartnerInnen in der Phase der Entwicklung der Inhalte und der Budgeterstellung sowie eine Vollzeitbeschäftigte plus eine Teilzeitassistenz über den Zeitraum von 2 Monaten inklusive zugekauften Beratungsleistungen und Übersetzungen ergaben einen Betrag von rund 10.000 Euro. Nicht einberechnet sind hier die Arbeitsleistungen der Partnerorganisationen.

Den Titel „ROMANISTAN“ hat Hamze Bytyci von Amaro Drom dem Projekt gegeben. Er selbst schreibt dazu: „Was ist das ... ROMANISTAN …was will es sein ...? Indien ist es sicherlich nicht, denn obgleich ich dieses Land als mein Gyrbet sehe, ist es für mich fremd. ROMANISTAN sollte vielmehr ein Symbol sein. Ein Symbol für einen Traum, einen geschützten Raum für jeden von uns, so etwas wie SAFE SPACE [...] Im Moment ist es nur ein interaktiver ART SPACE, in dem sich einzelne KünstlerInnen auch als KünstlerInnen verwirklichen können. [...] ROMANISTAN steht für einen Wunsch nach einer selbstverständlichen Existenz – mit der damit verbundenen Hoffnung, dass irgendwann alles gut wird.“

Und so wurde Romanistan. Crossing Spaces in Europe rund um die Kunstproduktion von KünstlerInnen, die Roma sind, um ihre Selbstdarstellung, um Fremdwahrnehmung und um die „Exotisierung“ ihres künstlerischen Schaffens arrangiert.

Romanistan startete in Wien mit einer international besetzten Konferenz, in der Daniel Strauß in seiner Eröffnungsrede das Projektfeld folgendermaßen absteckte: „Es ist unabhängig von der nationalen Vertretung wichtig, sich selbst zu ermächtigen. Wir, sowohl die Roma der nationalen als auch der migrantischen Minderheit, brauchen endlich Einrichtungen, Vereine, Projekte, in denen wir unsere eigene regionale und lokale Geschichte, unsere eigene Kultur, unsere Identität mit allen Fremdeinwirkungen und die verschiedenen Lebenswirklichkeiten erforschen. Auf der anderen Seite braucht es Antirassismus-Arbeit. Das sind wichtige Grundlagen für die Arbeit gegen den Antiziganismus.“ Während der Konferenz zeigten wir eine übersetzte und für das Projekt adaptierte Auswahl der von FAGIC für Schulen in Spanien konzipiert Plakatausstellung „Wie Du!“.

Daniel Strauss, Elisabeth Mayerhofer, Foto: Patrick Kwasi

Die anschließend in den Partnerstädten durchgeführten Projekte waren über einzelne „Knotenpunkte“ vernetzt. Einer dieser Vernetzungspunkte ist die Facebookseite Romanistan, die von allen beteiligten Institutionen administriert wird und auch nach Projektende weiterbesteht.

Das Roma Kulturzentrum Wien produzierte unter dem Titel „Mapping Vienna. Barcelona. Berlin“ Audiofiles, Fotos, Texte und Videos. In allen ging es um von Roma produzierte Darstellungen von Roma. In Kooperation mit dem aktionstheater ensemble entstand ein Kurzvideo über freiwillige und unfreiwillige Wander- bzw. Migrationsbewegungen. Dieses wurde im Rahmen eines zweitägigen Chöretreffens, in dem traditionelle Volkslieder über das Wandern vorgetragen wurden, am Kirchenplatz in Dornbirn gezeigt.

FAGIC organisierte ein ganztägiges Roma-Festival „Visca la Cultura Gitana!“ im hochfrequentierten und zentral gelegenem Parc del la Ciutadella, wo neben einem Bühnenprogramm mit KünstlerInnen aus allen 3 Städten sich 25 NGOs präsentierten und ein spannendes Rahmenprogramm boten.


Sowohl in Barcelona als auch in Berlin fanden Konferenzen statt, die der Frage nachgingen, wie Diskriminierung und Rassismus die Kunstproduktion von Roma beeinflusst. Hamze Bytyci hat diese Problemlage in der Projektpublikation „Romanistan ist überall“ folgendermaßen umrissen: „Kunst ist dazu da, um Individuen eine Freiheit zu verleihen, eigene Gefühle, Ansichten oder Identität auszudrücken, ohne gesellschaftliche Konventionen allzu sehr beachten zu müssen. Doch wenn es sich um die Kunst und Kultur von Sinti und Roma handelt, scheint die Situation etwas komplexer zu sein. Hier kommen zahlreiche Vorurteile, Stereotype oder einfach bestimmte Erwartungen ins Spiel, sei es seitens der Mehrheitsgesellschaft oder seitens der Angehörigen dieser Minderheit selbst.“

FAGIC, Parque della Ciutadella, Foto: Patrick Kwasi

Amaro Drom in Berlin hat eine Fülle von Veranstaltungen durchgeführt, drei davon seien hier exemplarisch angeführt: Das „Roma Image Studio“, eine Ausstellung in der Galerie Saalbau Neukölln, die als künstlerisch-kritische Plattform von André J. Raatzsch kuratiert wurde und von Workshops, Lesungen und Filmabenden begleitet wurde, das Festival „Musik der Unterdrückten“ und der „DULDUNG DELUXE PASSPORT“ - der bosnische Fotograf Nihad Nino Pušija hat Roma-Jugendliche und junge Erwachsene aus den Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens während ihres „geduldeten“ Aufenthalts in Deutschland und nach ihrer Abschiebung in ihre „Heimatländer“ fotografisch begleitet und zu ihrer Situation befragt. DULDUNG DELUXE PASSPORT dokumentiert die Arbeitsergebnisse von Pušijas Langzeitstudie. Gestaltet ist die Publikation im Format eines fiktiven Reisepasses und kann bei http://shop.jugendkulturen.debestellt werden.

Eine weitere Projektklammer waren auch die sogenannten Satelliten. Jede Partnerorganisation wählte eineN WissenschaftlerIn ihres Vertrauens - den „Satelliten“, der das jeweilige Projekt in Bezug auf Wirksamkeit und Nachhaltigkeit beobachten sollte und für Feedback zur Verfügung stand. Diese Idee einer begleitenden Außenwahrnehmung wurde im Laufe des Projektes von Außenstehenden heftig kritisiert. So schreibt Simone Schönett in der Publikation „Romanistan ist überall“: „Allerdings muss ich sagen, dass der Name dieses Projekts ziemlich eigenartig, um nicht zu sagen, furchtbar dumm ist. Romanistan? Was soll das sein? Ein Roman-Land? Oder gar ein Land für Roma – wie absurd ist das denn? Und: Roma unter Beobachtung von sogenannten ‚Satelliten’ zu stellen, was ist das denn für eine furchtbare Idee? Für mich ist das keine der üblichen Unbedachtheiten oder gar nur ein anachronistischer Ansatz, sondern Ausdruck mangelnden Vertrauens – und zwar von allen Seiten.“ Die in diesem Zitat angerissenen Brüche innerhalb des Aktionsfeldes haben die Abschlusskonferenz „Thank you for flying ROMANISTAN“ in Berlin dominiert.

Roma Image Studio, Nenad Marinkovic

 

Die Publikationen sind gratis, können bei der IG Kultur Österreich@email bestellt werden und sind auf der Website zum download verfügbar.

Amaro Drom: www.amarodrom.de,
FAGIC: www.fagic.org,
Roma Kulturzentrum Wien: http://www.romakult.org/wp/
Romanistan auf Facebook:https://www.facebook.com/Romanistan.CrossingSpacesInEurope?ref=hl
Aktionstheater-Video „Romanistan“: http://vimeo.com/63324059

Gabriele Gerbasits ist wirtschaftliche Geschäftsführerin und Projektkoordinatorin der IG Kultur Österreich.

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