Dezentral & verbindlich, lustvoll & ernsthaft

Dass wir uns gegenwärtig in einer der tiefsten Krisen des kapitalistischen Weltsystems befinden, ist kein Geheimnis mehr. Dass die neoliberale Propaganda des „Mehr Privat – Weniger Staat!“ sich zwecks Sozialisierung der immensen Krisenverluste nachgerade ins Gegenteil verkehrt hat, ebenso wenig.

Der zumindest temporär mit „Superlinke“ betitelte Diskussionszusammenhang, um den es in diesem Text gehen wird, hat sich nichts Geringeres als die Organisierung einer neuen „Linken mit gesellschaftlicher Dimension“ zur Aufgabe gemacht. Im Spätsommer 2009 wurde nach informellen Diskussionen ein Text verfasst, der mehrmals in Gruppen diskutiert und anschließend umformuliert wurde. Im Februar dieses Jahres einigten wir uns schließlich auf den aktuellen Aufruftext „Für eine Linke mit gesellschaftlicher Dimension“, sammelten Unterstützungsunterschriften und gingen mit dem Text an die (linke) Öffentlichkeit. Am 19. Juni soll im Wiener WUK im Rahmen des „Ersten Ratschlags“ eine breite Diskussion um eine neue Form linker Organisierung und deren mögliche Betätigungsfelder angestoßen werden. Der Aufruftext, unter superlinke.blog.at abrufbar, soll dabei als Rahmen dienen[1].
Im Folgenden sollen nicht die Argumentationen des Aufrufs wiederholt, sondern durchaus subjektiv gefärbte Schlaglichter auf die dringende Notwendigkeit einer neuen linken Organisierung geworfen werden; auf die gesellschaftliche Umbruchperiode, in der wir uns momentan befinden sowie auf die Chancen, Risiken, Verlockungen und Probleme dieses Versuches – und als solcher ist die „Superlinke“ momentan (noch?) zu umreißen. Wie auch immer, durchaus erwünscht ist die Rezeption als Aufruf zum Mitmischen!

Zunächst aber ein paar Worte darüber, was die „Superlinke“ nicht sein soll, nämlich (a) eine Partei, (b) eine Wahlplattform und (c) eine (demokratisch-) zentralistische (Kader-)Organisation. Nun denn, eigentlich auch bereits genug der Worte, mögen sich die Begründungen für bzw. eben gegen (a), (b) und (c) aus der folgenden Argumentation ergeben.
Dass wir uns gegenwärtig in einer der tiefsten Krisen des kapitalistischen Weltsystems befinden, ist kein Geheimnis mehr. Dass die neoliberale Propaganda des „Mehr Privat – Weniger Staat!“ sich zwecks Sozialisierung der immensen Krisenverluste nachgerade ins Gegenteil verkehrt hat, ebenso wenig. Der Kapitalismus hat, zum ersten Mal seit 1989, auch seine Hegemonie auf symbolischer Ebene (mehr Wohlstand für mehr Menschen oder zumindest nach Margret Thatcher: „There is no alternative“) eingebüßt. Er hat seinen Kredit im wahrsten Sinne des Wortes verspielt, es wird ihm nicht mehr geglaubt. Die derzeitige Herausforderung für die Linke ist weniger die Analyse der Krisenursachen als vielmehr die gesellschaftliche Verankerung der Konsequenzen dieser Deutungsmuster, kurzum einer plausiblen und kommunizierbaren Systemalternative. Die KeynesianerInnen aller Länder kredenzen alten Wein (Regulation, „Zivilisierung“ des Kapitalismus) in alten Schläuchen (Staat, Staat und nochmals Staat), die stärksten Parteien bleiben einfach die stärksten – und besten – Parteien, und die sympathischen Militanten haben das mit dem Zerschlagen auch immer schon gewusst – oder hoffen beim Abwarten und Wein Trinken auf die Selbstorganisationskraft der sozialen Bewegungen.

Aber auch die kreativen und politisch klugen Zusammenhänge können die Desartikulation linker Themen durch Mainstream-Medien und Alltagsverstand kaum – und wenn, dann höchstens punktuell – durchbrechen. Ähnliches gilt für soziale Bewegungen und Kämpfe. Diese Bewegungen allerdings sind stets Zyklen unterworfen[2]. Eine größere und an einer gesamtgesellschaftlichen Transformation orientierte Organisierung könnte sowohl zwischen einzelnen sozialen Bewegungen Resonanzen und Verbindungen herstellen bzw. verstärken und auch in Zeiten der Flaute Themen und Aspekte dieser Bewegungen öffentlich wahrnehmbar machen. Dies bedeutet nicht, dass die Organisierung eine Avantgarde- Funktion erfüllen oder gar soziale Bewegungen anführen soll.
Derweilen aber erleben wir das Aufkommen eines rechtspopulistischen Deutungsmusters bzw. eines ganzen Sets von solchen Mustern, die da wären: (a) „Die faulen Griechen“, (b) „Die Banken“ und (c) „Die Spekulanten“. Mag zweiteres, wenngleich auch zu wenig weitreichend, noch mit der Entwicklung einer linken Perspektive zusammengehen, die von Strache bis weit in sozialdemokratische Gefilde reichende Mischung aus primitivstem Nationalismus und Spekulanten-Bashing (ja, eine Titelseite der Krone berichtete tatsächlich vom „Krieg gegen den Euro“ und gleich darüber, zur Kontextualisierung, von der dazugehörigen „Verschwörung in Manhattan“ – wo auch sonst, an der Westküste wird ja im Gegensatz dazu unter Oberaufsicht eines echten Österreichers hart gearbeitet …) gibt eine Vorahnung davon, was da von rechts noch kommen wird. Eine linke Gegenposition müsste hingegen das Phänomen der Spekulation als notwendigen Aspekt des gegenwärtigen Kapitalismus analysieren – und vor allem kommunizieren können.

Eine „linke“ Gegenperspektive aber, die lediglich die alte Leier von der staatlichen Regulierung und den neu zu schaffenden Arbeitsplätzen wiederholt, mag der personellen Erneuerung von Gewerkschaften und Sozialdemokratie dienen, nicht aber der Entwicklung einer emanzipatorischen Perspektive. Nicht zufällig freut sich die Zeitschrift der GPA-dip nachgerade darüber, dass Faule und MigrantInnen eh keinen Anspruch auf Mindestsicherung hätten[3]. Selbst noch in Zeiten grassierender Massenarbeitslosigkeit wird eisern am Fetisch Arbeit festgehalten – und an der Maxime aller herrschaftlich verfassten Organisationen: Was gut für die Armen ist, wissen wir besser als ihr, nämlich Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit! Nicht zuletzt deshalb muss sich meines Erachtens nach eine Gegenperspektive an folgenden Motiven ausrichten – natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit: (1) Die Migration ist so global wie der Kapitalismus, deshalb: Alle, die hier sind, sind von hier! (2) Es ist genug für alle da! (3), aus (2) folgend: Arbeit ist ein Recht, Einkommen ist eine Pflicht (von der französischen Arbeitslosenorganisation AC! geklaut …)! (4) Der Staat ist ein Hindernis auf dem Weg der Emanzipation, (5) Es gibt KEINEN Grund für gesellschaftliche Hierarchien aufgrund geschlechtlicher und/oder sexueller Zuschreibungen, (6) Das Klima kennt keine Grenzen, der Klimawandel auch nicht. Unter anderem daraus folgt (7) Lasst uns darüber nachdenken, wie wir ein gutes Leben führen können und welche Produkte und Leistungen wir dafür brauchen, also: Systemwechsel! Und – last not least (8) Ein gutes Leben ist nicht allein Ziel unserer Aktivitäten, sondern auch Maßstab unserer gemeinsamen Organisierung: Das bedeutet gelebte Solidarität im alltäglichen Umgang miteinander.

Raus aus den linken Szenesümpfen!
Wie aber kann sich angesichts der Systemkrise eine linke Alternative entwickeln, die die kritische Schwelle gesellschaftlicher Bedeutung überschreitet? Alleine durch die Addition verschiedenster bereits existierender Gruppen der (radikalen) Linken und der sozialen Bewegungen alleine nicht. Womit also beginnen? Ihren Ausgang nahm auch das Experiment „Superlinke“ im Bassin der hiesigen Linken. Bereits in den frühen Diskussionen aber wurde die Notwendigkeit eines Überschreitens dieser Zusammenhänge konstatiert, ohne die das Projekt wohl zum Scheitern verurteilt wäre. Wer jetzt auf die Enthüllung des Masterplans wartet, wird allerdings enttäuscht. Präsentiert werden können „lediglich“ einige Zwischenergebnisse des bisherigen Diskussionsprozesses wie zum Beispiel:

- Eine gesellschaftliche Dimension verlangt das Überschreiten von Szenegrenzen und sozialen Milieus. Dazu braucht es nicht nur, aber auch die Entwicklung einer Sprache jenseits von Szene-Codes und althergebrachtem linken Vokabular.
- Existierende Zusammenhänge, die in einzelnen gesellschaftlichen Feldern aktiv sind, können und sollen ihre Erfahrungen in einen größeren und breiteren Zusammenhang einbinden und so zu einer gemeinsamen Suche nach einer Perspektive gesamtgesellschaftlicher Veränderung beitragen.
- Eine größere Organisation kann leichter die Schwelle gesellschaftlicher Sichtbarkeit überschreiten, sowohl über die Erstellung und Distribution eigenen Materials als auch im Rahmen der bürgerlichen Medienöffentlichkeit.

Viel Raum in den bisherigen Diskussionen hat auch das Thema „Struktur“ eingenommen: Wie können wir angesichts der Krise der repräsentativen Demokratie und den bekannten Problemen mit historischen Formen der Organisation eine Perspektive entwickeln, die sowohl Kollektivität als auch Selbstermächtigung zusammenbringt? Oder, anders gesagt: Wie kann eine heterogen zusammengesetzte Gruppierung zu gemeinsamen Entscheidungen kommen, ohne sich einer „Parteidisziplin“ oder sonstigen autoritären Formen zu unterwerfen? Sicherlich braucht es dazu eine Kultur des solidarischen Umgangs miteinander, gegenseitiges Vertrauen anstatt permanenten Kampf um die „richtige Linie“. An dieser Stelle sind zumindest zwei „Problemfelder“ zu benennen, die sich in der bisherigen Debatte gezeigt haben: Da wäre zum einen die quantitative wie qualitative Männerdominanz – hier haben wir bereits die „gesellschaftliche Dimension“, allerdings im schlechtesten Sinne –, die sich sowohl in der Zusammensetzung der bisherigen Plena als auch in den Diskussionen und Themensetzungen auswirkte, aber auch Gegenstand von kritischen Diskussionen und Interventionen ist; zum anderen ist die Breite hinsichtlich der politischen „Herkünfte“ bzw. Aktivitätsfelder der bislang Beteiligten zwar durchaus beachtlich, aber eben noch nicht breit genug (Stichworte hier wären etwa „Migrantische Selbstorganisation“ oder „Bildungsaktivismus“).

Einige etwas konkretere Hinweise zum Schluss
Die Strukturen der Organisierung sollen ein Höchstmaß an Dezentralität für die einzelnen Komitees bei gleichzeitig intensiver Koordination und Diskussion erlauben. Deshalb soll die Gremienstruktur so einfach wie nötig gegliedert sein, nämlich in autonome thematische und/oder regionale Komitees und in ein Koordinationsgremium, in das die einzelnen Komitees ihre Delegierten entsenden. Geschlechtergerechtigkeit bei der Delegierung sowie ein Rotationsprinzip zählen dazu ebenso wie die Besetzung von Funktionen (wie z. B. Öffentlichkeitsarbeit oder Finanzen) mit je mindestens zwei Leuten. Dies ist allerdings bereits Zukunftsmusik. Der Erste Ratschlag am 19.6. wird zeigen, ob und in welchem Ausmaß überhaupt Interesse und Bereitschaft zur Teilnahme an einer neuen Organisierung vorhanden sind, und welche Themenfelder angegangen werden sollen. Vielleicht nimmt ja das ein oder andere Komitee bereits im Sommer seine Tätigkeit auf, einige Ideen für die Zeit nach dem Ratschlag gibt es bereits ... Für jene, die in ihren eigenen sozialen Milieus, mikropolitischen Nischen und vermeintlich vom Kapitalismus entkoppelten Zusammenhängen zufrieden sind, ist das freilich nichts. Und was meint ihr?

[1] Auf der Homepage findet sich auch das detaillierte Programm des Ratschlags.

[2] Siehe zum Beispiel die Kampagne und den Aktionstag „Eure Krise zahlen wir nicht!“ am 28. März 2009, bei dem tausende Menschen auf die Straße gingen, deren Energie jedoch schon bald darauf erschöpft war ...

[3] Vgl. Kalaitzis, Lisa (2010): „Ab in die Hängematte?“. In: KOMPETENZ. Das Magazin für den organisierten Erfolg, Ausgabe 3/2010, S. 8-9.

Link
superlinke.blog.at

Martin Birkner ist außerdem krisenbedingt erwerbsarbeitslos sowie Redakteur der grundrisse. zeitschrift für linke theorie & debatte in Wien.

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