Am Sportplatz

Weil es wieder lau wird auf den Wiesen, soll auch in dieser Zeitschrift ruhig einmal was über Sportplätze zu lesen sein. Seit langem schon, spätestens aber seit Habermas, bin ich nämlich für Gerechtigkeit - auch im "außermoralischen Sinn". Und so möchte ich jetzt gegen das Verhalten von Nörglern oben auf den Rängen protestieren.

Eine Replik auf Oliver Marchart in Kulturrisse 0101.

1.

Weil es wieder lau wird auf den Wiesen, soll auch in dieser Zeitschrift ruhig einmal was über Sportplätze zu lesen sein. Seit langem schon, spätestens aber seit Habermas, bin ich nämlich für Gerechtigkeit - auch im "außermoralischen Sinn". Und so möchte ich jetzt gegen das Verhalten von Nörglern oben auf den Rängen protestieren, die ein Team auspfeifen, von dem sie sich den schnellen Triumph erhoffen und das zur Halbzeit leider nur "ein paar zerquetschte Punkte" geholt hat. "Schießt endlich auf´s Tor", rufen sie feurig, "spielt den linken Flügel an, tauscht die Mittelfeldspieler aus, tut endlich was..."

Solche Zurufe scheinen mir unzweckmäßig und ungerecht zu sein. Sie sind nicht zweckmäßig, weil sie einmal dies und dann wieder was anderes empfehlen. Und deshalb können sie auch nicht gerecht sein, selbst wenn sich in der Vielfalt von Ratschlägen beinahe zwangsläufig auch berechtigte Kritik findet. Das wirklich Unangenehme dieser Zurufe ist aber ein Eindruck, den sie hinterlassen. Der Eindruck, es ginge weniger um die Leistung oder die Taktik der Spielenden am Feld als um eine gute Gelegenheit, sich billig in Szene zu setzen. Ist das Publikum mit dem Spielverlauf unzufrieden, applaudiert es bekanntlich gerne den radikalen Stimmen aus den Rängen.

2.

Manche Intellektuelle glauben, sie müssten, damit sie sich so nennen dürfen, in unregelmäßigen Abständen die öffentliche Aufmerksamkeit durch Erregung auf sich richten. Sie ängstigen sich, andernfalls nicht registriert zu werden und dann vielleicht gar nicht mehr intellektuell zu sein. Jüngere lernen das von Routiniers, brave Linke von wilden Konservativen. Eine Methode, um genügend Erregung zu provozieren, wird in Österreich spätestens seit dem Regierungswechsel besonders gerne genutzt:

Ein verbreitetes Unbehagen, der Groll über die politischen Verhältnisse etwa, wird in Texte gekleidet, die sich nicht gegen jene wenden, die für diese Verhältnisse zuallererst verantwortlich sind, sondern - programmierte Verblüffung - gerade gegen die, die genauso unzufrieden sind und sich bemühen, dass es anders wird. Sie werden beschuldigt, die miese Lage selbst verursacht zu haben, schlecht organisiert zu sein, zu schwach anzukämpfen oder aufgeregt herumzuwacheln. Wie im Sport sollte diesen Kritikern und Kritikerinnen auch in der Politik schnell einmal zugerufen werden: Macht ihr denn tatsächlich irgendwas, aber auch schon irgendwas besser?

Auch in der letzten Ausgabe der Kulturrisse gibt es solche kritischen Texte. Sie richten sich gegen die beiden österreichischen Oppositionsparteien, weil sie sowohl dem Vormarsch des Neoliberalismus als auch der schwarzblauen Regierung zu wenig entgegensetzen. Damit verbunden wird die Forderung nach radikalerer Politik und der Vorwurf, dass die linken Flügel gelähmt wurden. Solche Forderungen klingen natürlich wie Musik. Sie klingen erfrischend, tapfer und gradeheraus.

3.

Unzufriedene finden aber auch bessere Gelegenheiten, über die Kritik an anderen Unzufriedenen hinaus etwas zu ändern. Die gegenwärtigen demokratischen Strukturen vorausgesetzt, sehe ich dafür drei Möglichkeiten:

- Sie können erstens innerhalb der parlamentarischen Oppositionsparteien einiges verbessern und, wenn sie das wollen, deren Aktivitäten und Programme radikaler, linker oder sonst wie färben. Das freilich bedeutet harte institutionelle Arbeit. Eine demokratisch organisierte Partei ändert ihre Grundeinstellung und die politische Gangart nicht von einem Tag auf den anderen, nicht auf Wunsch und Betreiben von außen und schon gar nicht aufgrund von Zurufen. Sie ändert sich vor allem aber auch nicht auf Wunsch von gewählten Spitzenkandidatinnen oder Klubchefs.

- Sie können, wenn ihnen die Parteien nicht reformierbar erscheinen, zweitens, eine eigene, radikalere Linkspartei gründen. Die bräuchte freilich ein genaues Ziel, eine Vorstellung davon, wo die Reise hingehen soll. Was denn dann beispielsweise mit dem Kapital zu geschehen habe, mit den Hierarchien, mit Besitz, Macht, Medien. Da gibt es keine wirklich überzeugende, konsistente und realitätsnahe Vorstellung. Und vor allem müsste sie die Frage beantworten, wie denn so eine radikale Position in absehbarer Zeit (sagen wir optimistisch in vierzig Jahren) eine Mehrheit für ihr Programm gewinnen könnte. Eine Mehrheit, die gerade von den Kritikern und Kritikerinnen gegenwärtiger Oppositionspolitik als unabdingbare Voraussetzung für jeden Wandel genannt wird.

- Oder sie können, drittens, außerparlamentarisch agieren und politische Initiativen unabhängig von den gegenwärtigen Legislativ- und Kontrollstrukturen des Staatsapparates setzen. Politik wird allzu schnell mit dem Ringen einzelner Menschen oder ganzer Fraktionen nach parlamentarischer Macht gleichgesetzt. Schließlich definiert sich so die repräsentative Demokratie: Wenige sprechen für andere, stehen für andere im Rampenlicht, entscheiden für andere. Dabei spielt sich gerade in dieser Demokratie das politische Geschehen auch und vor allem hinter den Kulissen und draußen an der Garderobe ab. Ja die eigentlichen KontrahentInnen um die wirtschaftlichen, kulturellen oder wissenschaftlichen Hegemonien gehen meist gar nicht rein ins "Theater". In der repräsentativen Demokratie wird Politik mit den politischen Akteuren also zwar gespielt, aber sie wird gleichzeitig auch außerhalb des politischen Spektakels gemacht. Deshalb hängt vieles vom Einfluss in den Schulen, Familien und anderen Sozialisierungsgruppen ab, von Drehbüchern, Zeitungen und Stammtischen.

Die Trägheit der Massen, ihr Mangel an Reformwille, selbst wo Reformen dringend notwendig wären, lässt sich durch radikale Forderungen oder durch Aufrufe zur Radikalität bestenfalls in Krisenzeiten - und da nicht unbedingt zum Besten - spontan verändern. In den allermeisten Fällen lassen sich gesellschaftspolitische Einstellungen nur über langfristige Strategien modifizieren. Das Betäubungsmittelgesetz etwa - und damit eine Legalisierung der weichen Drogen - wird über Konfrontationen am parteipolitischen Podium nur geändert, wenn im Hintergrund ein meinungsbildender Prozess stattfindet, verbunden mit dem wachsenden Gebrauch der Drogen, mit einer ständigen Wiederholung der medizinischen und sozialen Argumente und mit entsprechenden Nebensätzen in populären Filmen. Das sind die wirksamen Faktoren. Gegen diese Faktoren hat jede kurzfristig ausgerichtete Machtpolitik langfristig das Nachsehen.

Freilich können über demokratische Legitimationen Veränderungen in der Gesellschaft leichter durchgesetzt werden als ohne dieses Werkzeug. Und doch brauchen die eigentlichen Verschiebungen viel Zeit, bevor sie überhaupt Gesetz werden können. Wer also scheinbar Unmögliches erreichen und gleichzeitig demokratische Grundregeln einhalten will, muss sich auf lange Märsche einstellen. Und da ist es manchmal besser, gerade und mit wenig Glamour, wie ein Besenstiel, die trockene Arbeit zu verrichten.

4.

Die SozialistInnen haben über Jahrzehnte, bei Berechtigung aller linker Kritik, in Österreich ein liberales Klima geschaffen. Und die Grünen haben mit ihrer Forderung nach nachhaltiger Politik, also einer Politik, die nicht auf kurzfristige Erfolge setzt, in den letzten Jahre gezeigt, dass sie nicht den einfachen Weg der populistischen Agitation wählen, nur um Mehrheiten auf der Bühne zu bekommen. Oft genug missachtet und verspottet, setzen sie sich seit ihrer Gründung für Minderheiten ein, für den vorsichtigen Umgang mit Ressourcen, für gerechte Verteilung. Sie haben sich bei großen Teilen der Bevölkerung (forciert durch die Kronen Zeitung) wiederholt unbeliebt gemacht und doch den Ruf erhalten, dass sie unorthodoxe Einstellungen und Problemlösungen umsichtig, aber bestimmt vertreten. Mit diesem Ruf bleiben sie heute nach wie vor in der Minderheit, und da zählen kleine Stimmengewinne auch nicht viel, wenngleich sie aufmunternde Wirkung haben. Gerade aber weil es um langfristige Politik geht, die zuletzt die Menschen mehr überzeugt, sind Wahlgewinne nur in ihrer langfristigen Progression interessant. Die gespielte Attitüde radikaler Agitation ist demgegenüber nur eine Variante des Populismus, der vorübergehend triumphieren kann, zuletzt aber doch mehr verhindernd als verbessernd wirkt.

5.

Wenn für legislative Veränderungen in absehbarer Zukunft andere Hegemonien als die gegenwärtigen benötigt werden, dann sind die nur über demokratische Mehrheitsverhältnisse zu bekommen. Mehrheiten bilden sich aber selten dadurch, dass mehr oder weniger Gleichgesinnte aufeinander losgehen. Wie soll es je zu einer Hegemonie der heute oppositionellen Ideologien gegen Konservativismus und Neoliberalismus kommen, wenn keine Gelegenheit versäumt wird, um selbst in (zweifellos wichtigen) Details politischer Gangart die Differenzen stärker zu betonen als die Gemeinsamkeiten?

Wolfgang Zinggl ist Kunsttheoretiker, leitet gemeinsam mit Stella Rollig das Depot in Wien.

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