Afrika kreativ

Die Diskussion über die Kreativindustrien in Afrika wird mit hoffnungsvollem Optimismus geführt, ohne deren Widersprüche zu übersehen.

Die Diskussion über die Kreativindustrien in Afrika wird mit hoffnungsvollem Optimismus geführt, ohne deren Widersprüche zu übersehen. 

In der senegalesischen Hauptstadt Dakar fand vom 14. bis 16. November 2012 die zweite Konferenz zur African Creative Economy statt. 140 TeilnehmerInnen aus über 40 afrikanischen Ländern nahmen teil, um ihre Erfahrungen zum Thema Kreativwirtschaft zu diskutieren. Eingeladen hatte das panafrikanische Kulturnetzwerk ARTerial, dem vierzig nationale Mitgliedsplattformen angehören. Ziel des Netzwerkes ist die Stärkung des Kunst- und Kultursektors und die Einmischung in die Politikformulierung in den jeweiligen Ländern.

Die offenen Wunden des Kolonialismus

Die Debatte um die richtigen Konzepte im Austausch mit den europäischen Partnern werde noch immer durch die Unkenntnis über die offenen Wunden des Kolonialismus behindert, so einige RednerInnen. Der Künstler Viya Diba aus dem Senegal nannte es die Fallen, die die colonial masters hinterlassen haben. Selbst nach 50 Jahren Unabhängigkeit konnten die meisten Länder Afrikas ihre auf den Rohstoffexport orientierten Ökonomien nicht umgestalten.

Warum sich dieses Muster aber in neuen Sektoren wie der Kreativindustrie fortsetzt, scheint auch KünstlerInnen zu interessieren. Afrika besitzt eine unermessliche musikalische Vielfalt, die Jazz, Blues oder Hip-Hop beeinflussten. Doch ihr Anteil an der weltweiten Musikproduktion ist marginal, die Distribution erfolgt über die Zentren des Nordens.

Von Nollywood bis zum Book Café

Bei den Praxisbeispielen durfte Nollywood nicht fehlen. Die weltweit drittgrößte Filmindustrie produziert jährlich 900 Filme, 40.000 Videoclips und macht einen Umsatz von 200 Millionen US-Dollar. Das Hauptproblem bleibt die Produktpiraterie. Meist dauert es nur wenige Tage, bis die ersten Raubkopien erscheinen. Ein pragmatischer Vorschlag lautete deshalb: „Wenn du die Piraten nicht bekämpfen kannst, arbeitete mit ihnen zusammen.“

Das mittlerweile legendäre Book Cafe in Harare ist eine trade marke. Dahinter stehen eine Non-Profit-Organisation (Pemberi Trust) und ein kommerzieller Kulturbetrieb, der eine Multimedia Werkstatt, einen Buchladen und ein Restaurant führt. Öffentliche Förderung gibt es für die Kleinkunstbühne nicht. Im Gegenteil: Für die Genehmigung eines Theaterstückes müssen 300 US-Dollar bezahlt werden. Mit jährlich über 600 Veranstaltungen ist das Book Café zu einer unentbehrlichen Institution des lokalen Kulturbetriebs und der intellektuellen Auseinandersetzung geworden.

Hoffnungen der kreativen „Klasse“

In den wenigsten Ländern gibt es eine nennenswerte öffentliche Kunst- und Kulturförderung, vielerorts fehlt überhaupt eine entsprechend formulierte nationale Kunst- und Kulturpolitik. Das gilt auch für die Kreativwirtschaft. In Burkina Faso liegt der Anteil am Gesamtbudget bei rund 0,1 Prozent. Marokko gibt 0,25 Prozent vom Gesamtetat für Kunst und Kultur aus, das sind rund 45 Millionen US-Dollar. Meist werden diese Gelder für Gehälter von halbstaatlichen Einrichtungen, Nationalensembles und Museen verwendet.

Besonders schwer hat es das zeitgenössische Kunstschaffen. Einerseits wollen manche Entscheidungsträger den Blick auf das vorkoloniale Afrika stärken und vermischen kulturelle Diversität mit Tribalismus. Andererseits beobachten die Eliten den Kunstsektor mit Skepsis. Dieser wird zwar in den mehrheitlich demokratischen Ländern Afrikas nicht mehr offen bekämpft, aber auch nicht gefördert.

Fehlende öffentliche Institutionen

Ökonomisch gesehen sind die Rahmenbedingungen für die Kreativwirtschaft in einigen Ländern gut. Sechs der am schnellsten wachsenden Ökonomien (2000-2010) liegen in Afrika (Angola 11 Prozent, Nigeria 8,9 Prozent, Äthiopien 8,4 Prozent, Chad 7,9 Prozent, Mosambik 7,9 Prozent, Rwanda 7,6 Prozent). Doch gleichzeitig nimmt die Ungleichheit zu, wie vor 30 Jahren leben 51 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze.

Eine konsumfreudige Mittelschicht ist in den Städten im Entstehen, die verstärkt auf lokale Mode, Musik, Malerei oder Filmangebote annimmt. Doch die lokale Wertschöpfungskette funktioniert nicht, da es an entsprechenden öffentlichen Institutionen und Programmen in den Bereichen Ausbildung, Produktion und Distribution fehlt. Ohne Kunstschulen und Akademien können sich die vorhandenen Talente nicht weiter entwickeln.

Übereinkommen zur kulturellen Vielfalt

Mike van Graan (Cape Town) war von 2007 bis 2011 der Generaldirektor von ARTerial und sieht die Kreativindustrien als eine wirtschaftliche Notwendigkeit, weist aber gleichzeitig auf die Gefahren hin.

Kunst und Kultur seien mehr als Kreativwirtschaft, sie schaffen nicht nur Produkte für den Markt, sondern seien zentral für Afrikas Wertesysteme und Identitäten. Das Kunstschaffen ist für ihn eng mit der Förderung von kulturellen Rechten, Menschenrechten und Demokratie verbunden. Als zentrales politisches Instrument sieht Mike van Graan das UNESCO-Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. 36 afrikanische Länder haben bislang das Übereinkommen ratifiziert Dieses wird nun als politisches Instrument eingesetzt, von den einzelnen Staaten umfassende nationale Kulturpolitiken einzufordern.

Die meisten KünstlerInnen versuchen in ihrer alltäglichen Arbeit, drei Bereiche des kreativen Schaffens zu verbinden: Kunst um der Kunst willen, Kunst zum gesellschaftlichen Wandel und Kunst als Kreativindustrie. Der Musiker Aadal Essaadani aus Marokko bringt die Realität auf den Punkt, wenn er meint: „Wir müssen unsere Produkte verkaufen, ohne unsere Seele zu verlieren.“

Franz Schmidjell ist Mitarbeiter am Wiener Institut für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC). Er betreut seit 15 Jahren Austauschprojekte und Kulturkooperationen mit Afrika und nahm an der Konferenz Creative African Economy teil.

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