Soziale Lage? Oder Wallfahren für Linke.

Sozialpolitik in der Kultur? Mangels aktiver Kulturpolitik ist das Soziale für Kreative derzeit hoch im Kurs – sogar in Sonntagsreden. Upps, gibt es ja nicht, Frau Ministerin. Wenn es nach den Presseaussendungen geht, ist aber auch alles in Butter: Vernünftige Sozialversicherung für KünstlerInnen. Erledigt. Allgemeine Beratung: Done. Verbesserung der Bezugsmöglichkeiten von Arbeitslosengeld: Wird ja wohl schon ausbezahlt, wenn nur EineR fragt. Wie es der interimistische Sprecher Ihrer Partei für alles mögliche vor kurzem formulierte: „Österreich ist für die Linke, aber auch für interessierte Bürgerliche bald ein Wallfahrtsort.“

Was haben Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenstatistik gemeinsam?

Sozialpolitik in der Kultur? Mangels aktiver Kulturpolitik ist das Soziale für Kreative derzeit hoch im Kurs – sogar in Sonntagsreden. Upps, gibt es ja nicht, Frau Ministerin. Wenn es nach den Presseaussendungen geht, ist aber auch alles in Butter: Vernünftige Sozialversicherung für KünstlerInnen. Erledigt. Allgemeine Beratung: Done. Verbesserung der Bezugsmöglichkeiten von Arbeitslosengeld: Wird ja wohl schon ausbezahlt, wenn nur EineR fragt. Wie es der interimistische Sprecher Ihrer Partei für alles mögliche vor kurzem formulierte: „Österreich ist für die Linke, aber auch für interessierte Bürgerliche bald ein Wallfahrtsort.“

Die augenfällige Diskrepanz zwischen Text und Realität ist solcherart, dass Absicht zu unterstellen durchaus ansteht: Es ist alles gut. Nein, es ist immer schon alles gut gewesen – aber noch verbesserbar. So sieht das Regierungsprogramm de facto aus. Ein besonders augenfälliges Beispiel sind die Veränderungen in der Arbeitsmarktpolitik, insbesondere gegenüber Kreativen. Ein kleiner historischer Abriss:

I.
In den 1990ern war ein selbstständiger Zuverdienst weder Hindernis noch überhaupt Thema: Solange ein Anspruch auf Arbeitslosengeld aus unselbstständiger Arbeit nachgewiesen werden konnte, gab es auch Arbeitslosengeld. Dass diese Konstruktion vor allem UnternehmerInnen bevorzugte, die sich selbst oder gegenseitig anstellten, war kein Thema. Erst als ein Künstler „aufflog“, der diese Lücke nutzte, wurde dieselbe unter großem Mediengetöse geschlossen: Fortan gab es Zuverdienstgrenzen, mehrfach modifiziert, bis 2007 die letzte große Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AlVG)-Novelle einen Schlussstrich zog: Eine Pflichtversicherung schließt die Möglichkeit des Arbeitslosengeldes  aus. Damit wurde einer Reihe von Kunstschaffenden die Existenzsicherung entzogen, die schließlich in erwerbslosen Phasen zwischen tageweiser selbständiger (nicht nur unselbständiger) Tätigkeit auch von etwas leben müssen. In die Arbeitslosenversicherung einzahlen: Ja, aber in Anspruch nehmen können? Nix da!

II.
Anlässlich des parlamentarischen Begutachtungsverfahrens zur AlVG-Novelle 2007 teilte das BMUKK in Ihrem Namen, Frau Schmied, mit, dass „zu den betreffenden Änderungen keine Bedenken bestehen." Obwohl klar war, dass neben verschiedenen anderen Änderungen – insbesondere die KünstlerInnenbetreuung des AMS betreffend – bereits intensiv urgierter Handlungsbedarf bestanden hat.

III.
Nachdem in der Folge schon die Novelle des „Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetzes" (KSVFG) vollkommen nutzlos verpuffte (wenn auch Ihre Worte anders klingen: „Diese Novelle verbessert die soziale Situation von Künstlerinnen und Künstlern mit niedrigem Einkommen.“), stand das Thema AMS und KünstlerInnen relativ weit oben auf der Agenda „zur Verbesserung der sozialen Lage der Kreativen“. Das Resultat war analog der Absicht ernüchternd: Im Zuge des interministeriellen Arbeitsprozesses (auch IMAG) bekamen die Forderungen aus der Ecke der Kunst-, Kultur- und Medienschaffenden das Siegel: Politisch derzeit nicht erwünscht. Zuguterletzt kam mit dem KSVSG dann doch noch ein Schritt in die richtige Richtung: Die prinzipielle Ermöglichung von Ruhendstellen der selbstständigen Tätigkeit zur Ermöglichung eines Einlösens des Anspruchs auf Arbeitlosengeld. Dies allerdings derzeit so eng gefasst, dass im ersten Halbjahr  des Geltens nur rund 40 Personen im Sinne des Gesetzes davon Gebrauch machten ...

Bezeichnenderweise findet sich diese Gesetzesänderung in der Presseaussendung zum Kunstbericht 2010 nur mit „Verbesserungen im Rechtsbereich, die soziale Lage von KünstlerInnen betreffend“ erwähnt. Tatsächlich ist erst ein sehr kleiner Schritt Richtung (Wieder-) Verknüpfung unterschiedlicher Erwerbsformen und dem AMS getan. Da sind noch einige Schritte zu tun, bevor überhaupt sinnvollerweise von Verbesserung gesprochen werden kann – ganz abgesehen davon, dass das AlVG spätestens seit der Novelle 2007 im Widerspruch zu einem Zweck des AMS steht (festgeschrieben im AMS-Gesetz §29: „die wirtschaftliche Existenz der Arbeitslosen zu sichern“).

Hier geht's zur Beantwortung der Eingangsfrage: Was haben Arbeitslosenversicherung und Arbeits­losenstatistik gemeinsam? Letztere wird in der heute gängigen Form per Meinungsumfrage (Mikrozensus) erhoben. Erstere ist nach Meinung der Regierungsparteien geliefert. „Versicherung“ intendiert hingegen eine ganz andere Bedeutung: Her mit einer Absicherung bei Einkommensausfall. Oder anders formuliert: Her mit einem bedingungslosen existenzsichernden Grundeinkommen! Nicht zuletzt gegen Willkür und Meinung der Regierenden gegenüber Erwerbslosen zu versichern.


Weiterführender Link:
Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der Arbeitslosenversicherung (Kulturrat Österreich)

Clemens Christl arbeitet für den Kulturrat Österreich.

ALTERNATIVEN ZUM VERLUST DER KULTURPOLITIK:

Teil 26: Umverteilung ist eine Alternative. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 25: Die engen Grenzen der Kunst. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 24: Internationale Kulturpolitik zwischen Dialog, Selbstrepräsentation und Ausgrenzung. Von Franz Schmidjell
Teil 23: Kulturpolitik machen – für eine Verteilungsdebatte, jetzt! Von Juliane Alton
Teil 22: Umverteilung jetzt! Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 21: Die Wissensgesellschaft und ihre freien Idioten. Von Andrea Roedig
Teil 20: Kunst irrt. Von Juliane Alton

Teil 19: Gipsy Dreams. Von Gilda-Nancy Horvath
Teil 18: Intervention zur Wienwoche. Von Ülkü Akbaba und Andreas Görg
Teil 17: Kulturpolitik für Menschen, nicht für Institutionen! Von Marty Huber
Teil 16: Mobilität statt Barrieren!. Von Petja Dimitrova
Teil 15: Alternativen zum Verlust der Kulturpolitik: Ein Zwischenresümee. Von Gabi Gerbasits

Teil 14: Von Schönheitsfehlern und Mißtönen abgesehen. Von Gerhard Ruiss
Teil 13: Lasst alle Hoffnung fahren. Von Otto Tremetzberger
Teil 12: Soziale Lage? Oder Wallfahren für Linke. Clemens Christl
Teil 11: Ein Lüfterl oder ein Brain-Storm? Gottfried Wagner
Teil 10: Panic on the Streets of London. Michaela Moser

Teil 9: Gefällige Demokratur oder demokratische Kultur? Stefan Haslinger
Teil 8: Räume der kulturellen Tat. Marty Huber
Teil 7: Transparenz in der Kulturverwaltung - a never ending story. Juliane Alton
Teil 6: Musiktheater als bürgerlicher Selbstbedienungsladen? Juliane Alton
Teil 5: Zwei ökonomische Argumente, warum man sich bei der Kultur nichts erspart und ein Plan B. Paul Stepan

Teil 4: Eine Kulturpolitik für Alle und von Allen. Ljubomir Bratić
Teil 3: Abschminken ist angesagt! Michael Wimmer
Teil 2: Keine Angst vor den freien Szenen? Elisabeth Mayerhofer
Teil 1: Fehlt da jemand? Stefan Haslinger
Teil 0: Geht's noch? Marty Huber

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