Räume der kulturellen Tat – für eine erweiterte Kulturlandschaft

<p>„Kultur für alle“ ist eine der leersten Worthüllen dieser kulturpolitischen Gegenwart: Wenn sich große kulturelle Häuser, wie das Museumsquartier, diese Maxime an die Fahnen heften, ist davon auszugehen, dass ein neuer Slogan gefunden werden muss. Da hilft auch kein freier Eintritt für Jugendliche in großen Museen, die dann doch nur als eine Ziffer in den Besucher_innenzahlen enden. „Kultur für alle“ ist die beschnittene Version eines Gesellschaftsbildes,

„Kultur für alle“ ist eine der leersten Worthüllen dieser kulturpolitischen Gegenwart: Wenn sich große kulturelle Häuser, wie das Museumsquartier, diese Maxime an die Fahnen heften, ist davon auszugehen, dass ein neuer Slogan gefunden werden muss. Da hilft auch kein freier Eintritt für Jugendliche in großen Museen, die dann doch nur als eine Ziffer in den Besucher_innenzahlen enden. „Kultur für alle“ ist die beschnittene Version eines Gesellschaftsbildes, das diesen Aufruf mit „Kultur von allen“ fortzusetzen verstand. Ein Gesellschaftsbild, das von seinen Bevölkerungen nicht als reine Konsument_innen träumte, sondern von aktiven, gestaltenden Menschen, die im Austausch ihrer Fähigkeiten und Interessen selbstverständlich auch Kulturproduzent_innen waren und sind. Diese Träumer_innen, die sich nicht davor scheuten diesen Slogan ernst zu nehmen, erstritten und besetzten sich Stätten ihres politischen und kulturellen Handelns, seien es die Arena-, WUK-, EKH-, Amerlinghaus-, Stadtwerkstatt-, p.m.k-, u.v.a.m.-Aktivist_innen. Sie alle haben kulturelle Räume geschaffen, für die sich keine offizielle Kulturpolitik interessierte, aber diese Initiativen sind der Nährboden dafür, dass irgendwann so etwas wie „Kultur von und für alle“ überhaupt denkbar wird. Denn wo können die Experimente stattfinden, die uns morgen in den Feuilletons beschäftigen werden? Wo finden junge Musiker_innen, Performer_innen, DJs ihre ersten Herausforderungen?

Die Wahrheit ist, dass für die aktuelle und die nächsten Generationen diese Orte zu wenig vorhanden sind. Und das obwohl die Vorteile von selbstorganisierten, offenen Strukturen auf der Hand liegen. Eines der Beispiele sind die freien Radios in Österreich, die selbst einmal in die Illegalität gedrängt, als Piratenradio begonnen haben. Heute haben durch die freien Radios 2500 Menschen die Möglichkeit aktiv Radiosendungen zu gestalten, was sie in 25 verschiedenen Sprachen auch tun. Niemand garantiert derartig weit gestreut Zugang zu einer Kulturtechnik, und vermittelt (nicht nur) das notwendige Know-how, welches den Grundstein für Selbstorganisation und Professionalisierung legen kann. Ein Beispiel gefällig? Die erste schwarze Nachrichtensprecherin im ORF, Claudia Unterweger, begann als Radiomacherin bei Radio Afrika auf dem freien Radio Wien (Radio Orange 94.0). Ein anderes Beispiel aus der Musiksparte ist Gustav, die ihren ersten Auftritt bei einem der Frauenbanden-Feste hatte, ein Veranstaltungszyklus, der es Frauen ermöglichen soll, erste Bühnenerfahrungen zu sammeln.

Was also tun, um die Forderung von „Kultur für und von alle“ aus dem Koma zu erwecken? Wie wäre es einmal damit Initiativen nicht sofort im Keim zu ersticken, sondern wirklich nach Lösungen zu suchen, die den Menschen vor den Profit stellt? Anstatt der – aufgrund von sozialen und wirtschaftlichen Zwängen – wieder wachsenden Hausbesetzungsbewegungen die Polizei zu schicken und die Leerstände zu räumen, wäre es an der Zeit an unzähligen Orten aktive Jugendliche bis Senor_innen nicht immer nur vor die Tür zu setzen. Diese zurecht geforderten Freiräume sind nicht der Wunsch auf Kosten der Allgemeinheit für die eigene Gruppe Privilegien zu erringen, im Gegenteil geht es darum, bisher negierten und ausgeschlossenen Bevölkerungsteilen erst den Zugang zu diesen Räumen zu ermöglichen. Diese Räume zeichnen sich dadurch aus, dass sie durch persönlichen Einsatz gestaltbar sind, sie brauchen aktivierte Menschen, die bereit sind, sich mit unterschiedlichen Bedürfnissen auseinanderzusetzen, sich neues Wissen anzueignen und eigenes weiter zu geben. Deswegen einmal mehr zurück zur Forderung nach „Kultur(-Räume) von und für alle“, statt der Degradierung der Menschen zu Konsument_innen und ein Bekenntnis der Kulturpolitik für offene, soziale Räume mit entsprechender Förderung.


Marty Huber ist kulturpolitische Sprecherin der IG Kultur Österreich.

ALTERNATIVEN ZUM VERLUST DER KULTURPOLITIK:

Teil 26: Umverteilung ist eine Alternative. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 25: Die engen Grenzen der Kunst. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 24: Internationale Kulturpolitik zwischen Dialog, Selbstrepräsentation und Ausgrenzung. Von Franz Schmidjell
Teil 23: Kulturpolitik machen – für eine Verteilungsdebatte, jetzt! Von Juliane Alton
Teil 22: Umverteilung jetzt! Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 21: Die Wissensgesellschaft und ihre freien Idioten. Von Andrea Roedig
Teil 20: Kunst irrt. Von Juliane Alton

Teil 19: Gipsy Dreams. Von Gilda-Nancy Horvath
Teil 18: Intervention zur Wienwoche. Von Ülkü Akbaba und Andreas Görg
Teil 17: Kulturpolitik für Menschen, nicht für Institutionen! Von Marty Huber
Teil 16: Mobilität statt Barrieren!. Von Petja Dimitrova
Teil 15: Alternativen zum Verlust der Kulturpolitik: Ein Zwischenresümee. Von Gabi Gerbasits

Teil 14: Von Schönheitsfehlern und Mißtönen abgesehen. Von Gerhard Ruiss
Teil 13: Lasst alle Hoffnung fahren. Von Otto Tremetzberger
Teil 12: Soziale Lage? Oder Wallfahren für Linke. Clemens Christl
Teil 11: Ein Lüfterl oder ein Brain-Storm? Gottfried Wagner
Teil 10: Panic on the Streets of London. Michaela Moser

Teil 9: Gefällige Demokratur oder demokratische Kultur? Stefan Haslinger
Teil 8: Räume der kulturellen Tat. Marty Huber
Teil 7: Transparenz in der Kulturverwaltung - a never ending story. Juliane Alton
Teil 6: Musiktheater als bürgerlicher Selbstbedienungsladen? Juliane Alton
Teil 5: Zwei ökonomische Argumente, warum man sich bei der Kultur nichts erspart und ein Plan B. Paul Stepan

Teil 4: Eine Kulturpolitik für Alle und von Allen. Ljubomir Bratić
Teil 3: Abschminken ist angesagt! Michael Wimmer
Teil 2: Keine Angst vor den freien Szenen? Elisabeth Mayerhofer
Teil 1: Fehlt da jemand? Stefan Haslinger
Teil 0: Geht's noch? Marty Huber

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Prekär leben viele, prekär ist vieles. Einmal im Jahr – am transnationalen Arbeiter*innenkampftag – gehen wir gemeinsam auf die Straße, versammeln Anliegen und Kämpfe um Details wie auch ums große Ganze. Aufruf zur Teilnahme am MayDay 24 - Parade der Prekären am 1. Mai.
In der November Ausgabe des Kulturradios hört ihr ein Gespräch zum Thema selbstorganisierte Räume und Kulturräume.