Mobilität statt Barrieren!

<p><i>“…applicants from the arts and entertainment sector qualify as ‘exceptionally talented'”? </i>(<a class="external-link" href="http://www.artscouncil.org.uk/news/arts-council-england-set-assess-visa…; target="_blank">Arts Council England</a> über Kriterien der Visaerteilung für drittstaatsangehörige KünstlerInnen, die in Großbritanien arbeiten wollen.)</p> <p>Hochsommer 2011: Die EU- Grenz- und Migrationsregime arbeiten auf Hochtour an

“…applicants from the arts and entertainment sector qualify as ‘exceptionally talented'”? (Arts Council England über Kriterien der Visaerteilung für drittstaatsangehörige KünstlerInnen, die in Großbritanien arbeiten wollen.)

Hochsommer 2011: Die EU- Grenz- und Migrationsregime arbeiten auf Hochtour an Abschiebungen und Selektion. Die Grenzabwehragentur Frontex wird budgetär aufgestockt, „Unterhaltungs- und Gewinnspielformate” für den Kampf um Papiere ausprobiert. In den Niederlanden lief das TV-Quiz „Raus aus den Niederlanden“ (“Weg van Nederland”) mit AsylwerberInnen, die zwar allesamt die Abschiebung erwartete, jedoch konnte die GewinnerIn 4000,- als Bonus mitnehmen. Der Arts Council England beteiligt sich an einem Pilotprojekt und darf 300 KünstlerInnen ohne EU-Pass für Aufenthaltspapiere nominieren „... if they are internationally recognised as world leaders in the arts or sciences. The Arts Council will determine whether applicants from the arts and entertainment sector qualify as ‘exceptionally talented’.” Das Kulturfestival Kasumama Waldviertel – ebenso wie die Afrika Tage Wien – kündigen Auftritte berühmter KünstlerInnen aus Afrika an, müssen diese aber „wegen der Nicht-Ausstellung von Visa durch österreichische Behörden” am Tag der Konzerte wieder absagen.

Kontrollkriterien für die Kunst

Das ist nur ein Teil der Realität von Kulturschaffenden ohne EU/EWR-Pass, die „für uns” kreativ arbeiten dürfen…oder eben nicht. Denn in Österreich werden Visa- oder Aufenthaltsbestimmungen (auch) für KünstlerInnen zunehmend verschärft. Der Daueraufenthaltstitel für KollegInnen, die hier länger leben und arbeiten ist seit 2006 abgeschafft. Eine Bewilligung für den vorübergehenden Aufenthalt ist auch nur möglich „(...) sofern ihr Unterhalt durch ein Einkommen aus ihrer künstlerischen Tätigkeit gedeckt ist und keine andere Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.“ Und die Visa-Bestimmungen für kurzfristige „künstlerische Leistungen” (seit 2006 Reisevisum C+D) sind geprägt von unübersichtlichen Kontrollkriterien: Nachweis ausreichender finanzieller Mittel, fixe Buchung von Retour-Tickets, Abschluss einer Krankenversicherung sowie Einladungen von anerkannten Kunstinstitutionen oder Festivals. Mitunter dann erst entscheiden österreichische Botschaften, ob überhaupt ein Visum ausgestellt wird.

Eine Politik der Destabilisierung und Prekarisierung der Kulturschaffenden ohne EU-Pass

2009 hat das BMUKK eine Interministerielle Arbeitsgruppe zur Auseinandersetzung mit Mobilitätsbarrieren von Kunstschaffenden eingerichtet. Eine Reaktion auf Kritik von Interessenvertretungen, kritischen Initiativen sowie Personen, die seit 2006 vielfältig auf die prekäre fremden- und beschäftigungsrechtliche Lage von KollegInnen aus Nicht-EU/EWR-Ländern aufgrund der rassistischen Fremdengesetze aufmerksam mach(t)en. Schließlich wird durch verweigerte Visa künstlerischer Austausch sabotiert – auch dann, wenn dieser gleichzeitig mit öffentlichen Geldern gefördert wird. All das steht klar im Widerspruch zur UNESCO-Konvention für Kulturelle Vielfalt, zu deren Umsetzung sich auch Österreich verpflichtet hat.

Im Jänner 2011 hält schließlich das BMUKK in einer Stellungnahme zum NÄCHSTEN FremdenUNrechtspaket fest, dass die „…Verbesserung der Rahmenbedingungen der Kunstschaffenden auch im internationalen Kontext ein besonderes Anliegen [ist] und es darf das Bundesministerium für Inneres zum weiterführenden Dialog eingeladen werden.” – Dennoch: Wenige Wochen später gibt der MinisterInnenrat (u.a. mit der Stimme der “Kunst/Kultur”ministerin Schmied) grünes Licht für den weiteren Gesetzesverschärfung. Mit dieser Gesetzesnovelle sind aber keine Änderungen in den Visa- und Aufenthaltsbestimmungen für Kulturschaffende vorgesehen, sondern vielmehr wird eine weitere Kriminalisierung und Rassifizierung aller MigrantInnen vorangetrieben.

Noch kein politisches Handeln, aber eine Infobroschüre ist in Sicht

Während sich die UNESCO Arge „Kulturelle Vielfalt” sofort zu diesem Desaster äussert: „Die vorliegenden Gesetzesnovellen erleichtern jedoch nicht die Mobilität zu künstlerisch-kulturellen Zwecken (…), sondern schaffen zusätzliche Mobilitätsbarrieren”, übt sich Ministerin Schmied wie gewohnt in Kommunikationsverweigerung. Ein offener Brief des Kulturrat Österreich mit Nachfragen zu diesem Thema vom April dieses Jahres ist bis heute unbeantwortet.

Lediglich aus dem Kreis der Interministeriellen Arbeitsgruppe gibt es „Neuigkeiten”: Das Erscheinen, der für diesen Herbst angekündigten Infobroschüre zu fremden-, und beschäftigungsrechtlichen Fragen für Kunstschaffende, wird sich bis Frühling 2012 verzögern. Mitte Oktober soll die Redaktionsgruppe mit VertreterInnen aus Innen-, Außen-, Sozial- und Kulturministerium ihre Arbeit aufnehmen. Ein wichtiger erster Schritt in dieser Ministerien übergreifenden Zusammensetzung! Das Festlegen von Musterprozedere beispielsweise im Visabereich steht jedenfalls seit dem erstem IMAG-Treffen (Dezember 2009) auf der Agenda.

Wir werden weiterhin durch offene Briefe, Aktionen, Vernetzung und Zusammenarbeit antirassistischer KulturproduzentInnen und Initiativen kulturelle Vielfalt statt rassistischer Einfalt fordern und weitertragen! (Siehe Problem- und Forderungskatalog: Mobilität statt Barrieren!)


Petja Dimitrova ist künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Akademie der bildende Künste Wien und Vorsitzende der IG BILDENDE KUNST. Künstlerische Praxis zwischen bildender Kunst, politischer und partizipativer Kulturarbeit auch mit KünstlerInnengruppen und NGO’s.
 

ALTERNATIVEN ZUM VERLUST DER KULTURPOLITIK:

Teil 26: Umverteilung ist eine Alternative. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 25: Die engen Grenzen der Kunst. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 24: Internationale Kulturpolitik zwischen Dialog, Selbstrepräsentation und Ausgrenzung. Von Franz Schmidjell
Teil 23: Kulturpolitik machen – für eine Verteilungsdebatte, jetzt! Von Juliane Alton
Teil 22: Umverteilung jetzt! Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 21: Die Wissensgesellschaft und ihre freien Idioten. Von Andrea Roedig
Teil 20: Kunst irrt. Von Juliane Alton

Teil 19: Gipsy Dreams. Von Gilda-Nancy Horvath
Teil 18: Intervention zur Wienwoche. Von Ülkü Akbaba und Andreas Görg
Teil 17: Kulturpolitik für Menschen, nicht für Institutionen! Von Marty Huber
Teil 16: Mobilität statt Barrieren!. Von Petja Dimitrova
Teil 15: Alternativen zum Verlust der Kulturpolitik: Ein Zwischenresümee. Von Gabi Gerbasits

Teil 14: Von Schönheitsfehlern und Mißtönen abgesehen. Von Gerhard Ruiss
Teil 13: Lasst alle Hoffnung fahren. Von Otto Tremetzberger
Teil 12: Soziale Lage? Oder Wallfahren für Linke. Clemens Christl
Teil 11: Ein Lüfterl oder ein Brain-Storm? Gottfried Wagner
Teil 10: Panic on the Streets of London. Michaela Moser

Teil 9: Gefällige Demokratur oder demokratische Kultur? Stefan Haslinger
Teil 8: Räume der kulturellen Tat. Marty Huber
Teil 7: Transparenz in der Kulturverwaltung - a never ending story. Juliane Alton
Teil 6: Musiktheater als bürgerlicher Selbstbedienungsladen? Juliane Alton
Teil 5: Zwei ökonomische Argumente, warum man sich bei der Kultur nichts erspart und ein Plan B. Paul Stepan

Teil 4: Eine Kulturpolitik für Alle und von Allen. Ljubomir Bratić
Teil 3: Abschminken ist angesagt! Michael Wimmer
Teil 2: Keine Angst vor den freien Szenen? Elisabeth Mayerhofer
Teil 1: Fehlt da jemand? Stefan Haslinger
Teil 0: Geht's noch? Marty Huber

Ähnliche Artikel

Hände, die gemeinsam an einem Strang ziehen zur Illustration des Themas Kultur, Kollektivvertrag, kollektive Bemühungen um Mindeststandards Gute Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen – und das verbindlich für alle in der freien Kulturarbeit? Die Antwort scheint einfach: Ein Kultur-Kollektivvertrag! Über mögliche Wege zu einem Kultur-Kollektivvertrag und dessen Auswirkungen auf die Finanzierungspraxis.
Telearbeit Ab dem 1. Januar 2025 tritt in Österreich ein neues Telearbeitsgesetz in Kraft, das die bestehenden Homeoffice-Regelungen erweitert. Es ermöglicht Arbeitnehmer*innen, ihre Arbeitsleistungen nicht nur von zu Hause, sondern auch von anderen Orten wie Parks, Cafés oder Co-Working-Spaces zu erbringen – so eine entsprechende Vereinbarung geschlossen wurde. Was zu tun ist, wenn ihr diese Möglichkeit nutzen wollt, kurz zusammengefasst.
Ein Über- und Einblick in die ressourcenschonende Kulturarbeit mit Wissen, Praxis und Motivation. Der Workshop unter der Leitung von Mag.a (FH) Julia Weger findet Dienstag, 5. November 2024, von 17.00 – 20.00 Uhr im Jonas Schlössle in Götzis statt. Eingeladen sind Kulturarbeiter:innen, Künstler:innen, Kulturvermittler:innen, Führungskräfte und Interessierte.