Intervention zur Wienwoche
<p>Mit der folgenden Intervention wollen wir eine Debatte über die Konzeption der WIENWOCHE anstoßen. Wir stellen die Frage, ob die WIENWOCHE unbedingt auf eine Woche verdichtet werden muss und ob die Suche nach zusätzlicher Finanzierung eine vordringliche Aufgabe der Leitung der WIENWOCHE sein soll. Mit der neuen Regierungskonstellation in Wien kommt auch etwas Bewegung in die Kulturpolitik. Von Donauinselfest und Stadtfest sollen ab 2012 Mittel für die WIENWOCHE. Kunst
Mit der folgenden Intervention wollen wir eine Debatte über die Konzeption der WIENWOCHE anstoßen. Wir stellen die Frage, ob die WIENWOCHE unbedingt auf eine Woche verdichtet werden muss und ob die Suche nach zusätzlicher Finanzierung eine vordringliche Aufgabe der Leitung der WIENWOCHE sein soll. Mit der neuen Regierungskonstellation in Wien kommt auch etwas Bewegung in die Kulturpolitik. Von Donauinselfest und Stadtfest sollen ab 2012 Mittel für die WIENWOCHE. Kunst - Kultur - Zivilgesellschaft umgewidmet werden. Dass sich dieses Kulturprojekt der Erweiterung urbaner Handlungsräume für alle Stadtbewohner_innen widmen will, deutet einen Paradigmenwechsel an, ein Bekenntnis zur veränderten demographischen Realität, das nicht auf verbaler Ebene bleibt, sondern mit Mitteln von ca. 450.000.- EUR ausgestattet als Programm umgesetzt werden soll. Als Autor_innen der Studie zu Perspektiven der Kunst- und Kulturpolitik Wien 2010 – 2015 mit besonderem Fokus auf Migrationsrealität* sehen wir uns herausgefordert, zur tatsächlichen Realisierung dieses Paradigmenwechsels beizutragen und eine Debatte über die Konzeption der WIENWOCHE anzustoßen. Durch eine breitere Debatte soll in der Zivilgesellschaft der top-down-approach, den die Ausschreibung der WIENWOCHE notwendigerweise mit sich bringt, möglichst früh relativiert und konterkariert werden. Die vorliegende Intervention versteht sich insofern als Anstoß, eine Aneignung der WIENWOCHE durch zivilgesellschaftliche Akteur_innen in die Wege zu leiten.
Zivilgesellschaftliche Synergien
Damit der angestrebte Paradigmenwechsel Realität werden kann, erscheint es uns notwendig, die Konzeption der WIENWOCHE als zeitlich auf wenige Tage verdichtete Einheit in Frage zu stellen. Wir argumentieren, dass die Verdichtung eines genreübergreifenden Veranstaltungsprogramms auf eine Woche keine nachhaltige Erweiterung urbaner Handlungsräume für alle Stadtbewohner_innen bringen kann. Wenn die vermehrte Teilhabe insbesondere von Migrant_innen aber auch von anderen diskriminierten Gruppen erreicht werden soll, dann ist die Formatierung als Woche kontraproduktiv. Damit würde ein Charakter der WIENWOCHE als vorübergehendes Event festgeschrieben. In unserer Studie betonen wir nicht umsonst die Notwendigkeit einer schrittweisen Implementierung einer transkulturellen Offensive im Kunst- und Kulturbereich. Die Parallelität aller Veranstaltungen in einer Woche würde den beteiligten künstlerischen und kulturellen Interventionen einen Teil ihrer Wirksamkeit nehmen, weil sie im punktuell konzentrierten Überangebot unterzugehen drohen. Wir schlagen daher vor, die Woche auszudehnen und umzudeuten. Die Mittel und die Impulse der WIENWOCHE sollen über das ganze Jahr verteilt werden. Wir regen an, statt einem energieverschwendenden Feuerwerk Kontinuität und Nachhaltigkeit zu schaffen, indem über das Jahr verteilt entlang der für zivilgesellschaftliche Akteur_innen wichtigen Termine Schwerpunkte gesetzt werden, zu denen jeweils eine künstlerische/ kulturelle Hauptaktion und kleinere Begleitprojekte ausgeschrieben werden. Die Kooperationen von zivilgesellschaftlichen Akteur_innen mit Kunst- und Kulturschaffenden sollen insbesondere über thematische Verknüpfungen sowie symbolische Orte und Tage hergestellt werden. Daraus ergibt sich ein Veranstaltungskalender, der sich an den brennenden politischen Themen orientiert, die von Gruppen in der Zivilgesellschaft bearbeitet werden und mit den Mitteln der WIENWOCHE auch von künstlerischen und kulturellen Interventionen begleitet werden können. Eine erste Sondierung zu symbolischen Tagen ergibt folgende Möglichkeit der thematischen Zusammenfassung, (wobei noch zu prüfen sein wird, inwieweit die zivilgesellschaftlichen Initiativen diese Tage als ihre Tage anerkennen oder aufgrund des Beigeschmacks der ideologischen Beschwichtigung eher ablehnen und inwieweit Bereitschaft zur Kooperation besteht):
Setzung 1
1. März: Transnationaler Migrant_innen-Streiktag
8. März: Internationaler Frauentag
21. März: Internationaler Tag gegen Rassismus
8. April: Internationaler Roma-Tag
Schwerpunkte: Bewegungen für Migration, gleiche Rechte, Entlohnung, Anerkennung, Gleichstellung, affirmative action, gegen Rassismus, Sexismus, Antiziganismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus
Setzung 2
28. April: Welttag für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz
30. April: Tag der Arbeitslosen
1. Mai: Tag der Arbeit, Mayday, Gedenken an die Tötung von Marcus Omofuma Schwerpunkte: Bewegungen für gerechtere Verteilung, bessere Arbeitsbedingungen und neue soziale Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit im urbanen Raum, gegen Arbeitsfetisch, Prekarisierung, Ausbeutung, Gefährdung, Marginalisierung, Repression und systemisches Töten.
Setzung 3
17. Mai: Internationaler Tag gegen Homophobie
2. Juni: Internationaler Hurentag
16. Juni: Regenbogenparade
Schwerpunkte: Bewegungen für Freiheit und Gleichheit der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität, für die Rechte von Sexarbeiter_innen, gegen Menschenhandel, Unterdrückung der Sexualität, sexuelle Gewalt und Ausbeutung.
Setzung 4
20. Juni: Weltflüchtlingstag
26. Juni: Internationaler Tag zur Unterstützung der Folteropfer
Schwerpunkte: Bewegungen für die Stadt als Zufluchtsort, als Katalysator für neue Verbindungen, Bevölkerungsentwicklung, gegen Illegalisierung, Folter und Asylverweigerung.
Setzung 5
1. Oktober: Internationaler Tag der älteren Menschen
7. Oktober: Welttag für menschenwürdige Arbeit
17. Oktober: Internationaler Tag für die Beseitigung der Armut
Schwerpunkte: Bewegungen für Generationengerechtigkeit, Menschenwürde, Grundeinkommen, soziale Sicherheit, gegen Armut, Entwürdigung und Altersdiskriminierung.
Setzung 6
1. Dezember: Welt-AIDS-Tag
3. Dezember: Internationaler Tag der Menschen mit Behinderung
Schwerpunkte: Bewegungen für ein selbstbestimmtes Leben, die selbstbewusste Artikulation und gesellschaftliche Berücksichtigung von besonderen Bedürfnissen, leistbare und niederschwellige Gesundheitsversorgung und Krankheitsprävention, gegen Barrieren, Abwertung, Aussonderung und Isolierung.
Setzung 7
10. Dezember: Internationaler Tag der Menschenrechte
18. Dezember: Internationaler Tag der Migrant_innen
Schwerpunkte: Bewegungen für Menschenrechte, deren Ausweitung und Modernisierung, Migration, offene Grenzen, gegen die Spaltung der Gesellschaft in Menschen, die Menschenrechte haben oder nicht haben.
Wenn die WIENWOCHE Kunst und Kultur mit Zivilgesellschaft in Verbindung bringen will, dann muss sie ein Kunst- und Kulturschaffen fördern, das zivilgesellschaftliche Auseinandersetzungen aufgreift. Statt einer Woche im Herbst würden sich durch eine Orientierung an einem politischen Kalender die dargestellten Schwerpunkte (so oder in ähnlicher Form) ergeben. Rund um die erwähnten Tage und nicht in Konkurrenz zu etwaigen Veranstaltungen der zivilgesellschaftlichen Akteur_innen sollen die verhandelten Thematiken mit künstlerischen und kulturellen Mitteln aufgegriffen werden. Die aktionsbezogenen Setzungen sind als Schnittstellen zu betrachten, an denen sich die Projekte plazieren können. Durch diese Aufteilung der WIENWOCHE ist gewährleistet, dass Aufbauarbeit und Involvierung vieler verschiedener Gruppen effektiver und effizienter stattfinden können. Die zivilgesellschaftlichen Bewegungen sollen durch das Kunst- und Kulturschaffen verstärkt und kritisch reflektiert werden; und zwar nicht abgekoppelt, sondern in Interaktion genau dann, wenn die Aktivist_innen Verstärkung brauchen, wenn die Bewegung passiert und spürbar ist. Damit wird es möglich, emanzipatorische kulturelle Praktiken nicht nur punktuell zu erproben, sondern eine Kontinuität, ein Wachstum und ein Erfahrungslernen dieser Praxen zu fördern. Durch Veranstaltungen mit immer neuen zivilgesellschaftlichen Anliegen und an immer neuen Orten besteht die Möglichkeit, mehr Menschen laufend als Kunst- und Kulturschaffende, als Publikum und als Öffentlichkeit zu involvieren. Genau das sollte das zentrale Anliegen der WIENWOCHE sein.
Finanzierung
Pro Schwerpunkt werden im Rahmen der WIENWOCHE ca. 30.000.- bis 60.000.- EUR zur Verfügung stehen. Die für emanzipatorische Kunst- und Kulturprojekte sonst zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel sind eng begrenzt. Das Koordinationsteam der WIENWOCHE soll daher davon Abstand nehmen, diese Mittel offensiv anzusprechen. Denn damit bestünde die Gefahr, dass vielen kleineren Projekten faktisch Mittel und Möglichkeiten entzogen werden. Indem die Koordination der WIENWOCHE mit Ressourcen ausgestattet wird, die für das hauptamtliche Antragstellen genutzt werden könnten, entsteht ein uneinholbarer Wettbewerbsvorteil der WIENWOCHE gegenüber freien Projekten ohne hauptamtliche Strukturen.
Die WIENWOCHE darf den kleinen und mittelgroßen Initiativen die vorhandenen Subventionsmittel nicht wegnehmen. Ein finanzieller Konzentrationsprozess (der noch dazu in eine Woche münden soll) würde zu einer noch weitergehenden Verarmung der freien Kunst- und Kulturszene und damit zu einer Verarmung des städtischen Kunst- und Kulturschaffens führen. Das Koordinationsteam soll mit den vorhandenen Mitteln der WIENWOCHE inhaltlich arbeiten und die Qualität der ausgewählten Projekte gewährleisten. Allenfalls soll das Koordinationsteam empowerment für kooperierende Projekte in Sachen Finanzierung leisten, falls diese etwas Teureres planen und daher um weitere Subventionen ansuchen wollen. Prinzipiell sehen wir die Mittel der WIENWOCHE jedoch als Chance, die ausgewählten Kunst- und Kulturprojekte von der aufwendigen und zunehmend unökonomischen Suche nach öffentlichen Fördermitteln zu entlasten und solchermaßen eine gute Basis für die volle Entfaltung kreativer Potentiale zu schaffen. Sehr wohl sollte es jedoch Aufgabe des Koordinationsteams sein, die Zusammenarbeit mit privaten und halbprivaten sowie staatlichen Institutionen zu suchen, um durch Nutzung von Räumen und PR-Instrumentarien der Instituionen eine win-win-Situationen herzustellen und Mittel der WIENWOCHE zu sparen.
Wir sehen die vorliegende öffentliche Intervention auch als eine Ausweitung des Bewerbungsverfahrens. Wir unterwerfen diesen öffentlichen Teil unseres programmatischen Statements zur WIENWOCHE der kritischen Begutachtung und Reflexion insbesondere durch die kunst- und kulturinteressierten Akteur_innen der Zivilgesellschaft und ersuchen in diesem Sinne um Weiterleitung. Der vorliegende Impuls verfolgt das Ziel, eine Diskussion anzuregen; und er erfolgt aus politischer Überzeugung. Wenn ein anderes Team für die Leitung der WIENWOCHE ausgewählt wird, würden wir uns freuen, wenn unsere Ideen wegbereitend waren und umgesetzt werden. Den zweiten (künstlerisch-inhaltlichen) Teil unseres programmatischen Statements zur Begründung und Auswahl des Jahresthemas behalten wir hingegen der Jury vor.
Wien, am 19.10.2011 Ülkü Akbaba und Andreas Görg
Feedback bitte an Ülkü Akbaba und Andreas Görg
Kunst, Kultur und Theater für Alle!
Impulse für eine transkulturelle Theateroffensive Studie zu Perspektiven der Kunst- und Kulturpolitik Wien 2010 – 2015 mit besonderem Fokus auf Migrationsrealität siehe http://www.iodo.at/studie.htm
Ülkü Akbaba: ist Schauspielerin, Dramaturgin, Regisseurin, Film- und Theaterautorin und Co-Autorin der Studie "Kunst, Kultur und Theater für alle!"
Andreas Görg: ist Jurist und arbeitet seit 1996 als Geschäftsführer, Projektmanager, Wissenschaftler und Trainer im NGO-Bereich zu den Schwerpunkten Antidiskriminierung, Antimobbing und Machttheorie.
ALTERNATIVEN ZUM VERLUST DER KULTURPOLITIK:
Teil 26: Umverteilung ist eine Alternative. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 25: Die engen Grenzen der Kunst. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 24: Internationale Kulturpolitik zwischen Dialog, Selbstrepräsentation und Ausgrenzung. Von Franz Schmidjell
Teil 23: Kulturpolitik machen – für eine Verteilungsdebatte, jetzt! Von Juliane Alton
Teil 22: Umverteilung jetzt! Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 21: Die Wissensgesellschaft und ihre freien Idioten. Von Andrea Roedig
Teil 20: Kunst irrt. Von Juliane Alton
Teil 19: Gipsy Dreams. Von Gilda-Nancy Horvath
Teil 18: Intervention zur Wienwoche. Von Ülkü Akbaba und Andreas Görg
Teil 17: Kulturpolitik für Menschen, nicht für Institutionen! Von Marty Huber
Teil 16: Mobilität statt Barrieren!. Von Petja Dimitrova
Teil 15: Alternativen zum Verlust der Kulturpolitik: Ein Zwischenresümee. Von Gabi Gerbasits
Teil 14: Von Schönheitsfehlern und Mißtönen abgesehen. Von Gerhard Ruiss
Teil 13: Lasst alle Hoffnung fahren. Von Otto Tremetzberger
Teil 12: Soziale Lage? Oder Wallfahren für Linke. Clemens Christl
Teil 11: Ein Lüfterl oder ein Brain-Storm? Gottfried Wagner
Teil 10: Panic on the Streets of London. Michaela Moser
Teil 9: Gefällige Demokratur oder demokratische Kultur? Stefan Haslinger
Teil 8: Räume der kulturellen Tat. Marty Huber
Teil 7: Transparenz in der Kulturverwaltung - a never ending story. Juliane Alton
Teil 6: Musiktheater als bürgerlicher Selbstbedienungsladen? Juliane Alton
Teil 5: Zwei ökonomische Argumente, warum man sich bei der Kultur nichts erspart und ein Plan B. Paul Stepan
Teil 4: Eine Kulturpolitik für Alle und von Allen. Ljubomir Bratić
Teil 3: Abschminken ist angesagt! Michael Wimmer
Teil 2: Keine Angst vor den freien Szenen? Elisabeth Mayerhofer
Teil 1: Fehlt da jemand? Stefan Haslinger
Teil 0: Geht's noch? Marty Huber