Das Licht kommt von links. Zu den möglichen Beziehungen zwischen Kunst und Gewalt

Wendet sich die Kunst gegen die Gewalt, scheint alles klar: Kunst gegen Gewalt eint die Kunstrichtungen, eint auch Phänomene und Formen der Gewalt. Die Kunst tritt auf, verrichtet einen Dienst, ihren moralischen Auftrag, macht - als gestaltende bürgerliche Waffe - das Böse nieder. Oder zumindest darauf aufmerksam.

Wendet sich die Kunst gegen die Gewalt, scheint alles klar: Kunst gegen Gewalt eint die Kunstrichtungen, eint auch Phänomene und Formen der Gewalt. Die Kunst tritt auf, verrichtet einen Dienst, ihren moralischen Auftrag, macht - als gestaltende bürgerliche Waffe - das Böse nieder. Oder zumindest darauf aufmerksam. Was folgt nach dem geordneten Stellung beziehen? Geordneter Rückzug? Interaktives Zurückschnellen in den Ursprungszustand? Kunst-gegen-Gewalt-Initiator Franz Morak: "Gewalt in all ihren Erscheinungsformen hat Ursachen, die in Wahrnehmungsdifferenzen zwischen einzelnen Menschen, Gruppen oder Nationen liegen und sich in Machtstrukturen, Ideologien und Herrschaftskonzepten manifestieren, welche dann mit gewalttätigen Mitteln durchzusetzen versucht werden. Millionen von Menschen erleben Gewalt, Krieg, Verletzungen und Unterdrückung ihrer Menschenrechte und Menschenwürde als leidvolle Alltagsrealität" so Morak , selbst soeben mit markiger Performance ("Wir haben hier in diesem Land zweieinhalb Jahre lang aufgeräumt") Eröffnungsredner der Grazer Ausstellung "In Search of Balkania".

Die von Morak mit ersonnene Dachmarke stülpt sich über eine Reihe von Veranstaltungen aus verschiedenen Kunstsparten, unterstützt unter anderem von der Deutschen Bank, die in diesem Motto die eigene Jahreslosung "Toleranz - Vielfalt, Identität und Anerkennung" wiedergefunden hatte.

Morak verkennt also nicht das Vorhandensein struktureller Gewalt, einer Form der Gewalt, die Ursache für den Unterschied zwischen dem Potenziellen und dem Aktuellen ist, diskriminatorisch in und zwischen den Gesellschaften wirkt. Morak spielt an auf den differenzierten Prozess des mittendrin und trotzdem dagegen seins, auf politische Gewalt und Formen des Protests und tuned auch diese zur "Wahrnehmungsdifferenz zwischen Gruppen" herunter. Eine Auseinandersetzung über politische Gewalt, über die "Rhetorik des Warnens, Mahnens und Forderns, die nicht mehr im Interesse der Ordnung gegen den Sünder" zielt, sondern "im genauen Sinne in der Gesellschaft für die Gesellschaft gegen die Gesellschaft" bleibt im Reigen der Veranstaltungen ausgespart. Denn: "Kunst nimmt immer Beobachterstatus ein. Wenn sie selbst nicht gewaltsam ist, so nimmt sie die Bilder, die Geräusche und sinnlichen Eindrücke zum Ausgangsmaterial ihrer Bearbeitung" (Kunst-gegen-Gewalt-Kurator Rainer Metzger). Was aber wenn die Konjunktion "gegen" gegen die Konjunktion "und" getauscht wird? Die Fronten von Gut und Böse fächern sich gemäß der Variabilität der einzelnen Angriffs- und Verbindungslinien auf. Die Moraksche Schematisierung des Dagegen als Einheit wird aufgehoben.

Kunst und Gewalt umfasst: Sichtbarmachung von Gewaltphänomenen, Arbeit über Gewalt, Arbeit zur Überwindung der Gewalt, Arbeit mit Mitteln der (politischen) Gewalt bzw. des zivilen Ungehorsams. Oder auch meinetwegen: Rammstein und andere Formen der Koketterie.

1997 attackiert Alexander Brener im Stedeljik-Museum in Amsterdam ein suprematistisches Bild von Kasimir Malewitsch und geht so an den Rand der Vereinbarung, Kunst habe sich alles in allem innerhalb symbolischer Ordnungen zu artikulieren. Sein Akt gilt einem weißen Quadrat als Statthalter des Systems Kunst, ist also Kunst über Kunst, aber auch zumindest eine Geste der Gewalt, denn das auf die Leinwand gesprühte Dollarzeichen ist sehr real und Grund genug für eine Anklage wegen Sachbeschädigung. "Have you heard of the concept that in a communication both participants stay living? And in this case one side was damaged", antwortet einer der Amsterdamer Richter auf Breners Argument, sich innerhalb der Symbolebene Kunst bewegt und ein Doppelkunstwerk geschaffen zu haben. Das Dollarzeichen auf dem Malewitsch, zentral wie Christus am Kreuz positioniert, schmerzte nicht nur den Richter, der Brener zu zehn Monaten verurteilte, und Stedeljik-Leiter Rudi Fuchs, sondern forderte auch die museale Selbstdefinition heraus, kulturelles Gedächtnis zu sein, und Ort, an dem jede/r das Recht haben soll, originale Zeugnisse kulturellen Schaffens betrachten zu können.

Breners Arbeit zu Machtverhältnissen im Kunstsystem, eigentlich stellvertretend eine Kritik des Spätkapitalismus, schrammt nicht weit am Idealfall zeitgenössischer Kunst vorbei: der Einzelkünstler macht in einer Aktion auf etwas aufmerksam, setzt innerhalb der Logik eines ständig innovativen Potenzials, das der Kunst zugesprochen wird, Gesten und symbolische Handlungen, in diesem Fall der Zerstörung. Die Kritik bleibt innerhalb des Systems, wird von ihm im Zuge einer immanenten Innovationsstrategie sogar begrüßt, was man sich nicht als Selbstgeißelung vorstellen darf, sondern als eher gleichmütige "ökonomische Operation, angetrieben von den Gesetzen des Tausches, der Bewertung, der Dynamik des intellektuellen Marktes, der Nutzung des kulturellen Archivs." Brener verharrt in der Opferrolle, der noch immer gültigen Stilisierung des autonomen Einzelkünstlers, der aus einer unterprivilegierten Position heraus agiert - a hungry man is an angry man (Bob Marley). Es sind aber zum einen die körperbasierten Methoden Breners, die das Kunstsystem als symbolisches System nur schwer verdauen kann: Aggression, Sexualität, gezielte "Respektlosigkeit" und daraus folgend Uneinschätzbarkeit der künstlerischen Handlung. Brener, so machistisch und moralisch beseelt seine Gesten auch aufgebaut sein mögen, hält sich nicht an die Spielregeln, weil seine Arbeiten simultan mehrere Wertesysteme in die Zange nehmen. Seine Body Art geht also hier über die Askese als "Technik des Selbst" (Foucault), die mit der Herrschaft über sich selbst auch die Grundbedingungen der Herrschaft über andere thematisiert, hinaus (anders als etwa Body Art von Flatz oder die "Carnal Art" der französischen Künstlerin Orlan). Eine Kernfrage an die Kunst ist, wie KünstlerInnen als soziale AgentInnen arbeiten können, wie sich das Ende der Autonomie des Kunstwerks (als Teil eines bürgerlichen Konzepts der Ausdifferenzierung von Öffentlichkeit? Als Schutzzone? Als l´art pour l´art?) in der Kunst zeigt. Das Leben und damit auch Fragen zu Formen und Phänomenen der Gewalt gehen nicht an der Kunst vorbei. Anerkannte (Rosemarie Trockel), einigermaßen anerkannte und dezidiert politische (Jochen Gerz), anerkannte und etwas umstrittene (Katharina Fritsch) oder umstrittene und deshalb anerkannte (Gerhard Merz) künstlerische Ansätze, die sich weit diesseits der Grenzen der Ästhetik befinden, befassen sich mit struktureller Gewalt oder lösen auf der Suche nach der idealen Form mit ihren disziplinierten Artefakten Beklemmungen aus.

Inwieweit aber haben KünstlerInnen ein Potenzial, mit ihrer Arbeit "auf die gegenwärtigen Probleme von Migration, Globalisierung, Armut und Disneysierung zu verweisen"? Oder inwieweit ist es eben "unsexy ..., gesellschaftliche Machtverhältnisse zu analysieren".

Unter denen, die sich dieser Unsexiness verschrieben haben, gibt es unterschiedliche Ansätze: Am 7. September, noch vor Eröffnung seiner Arbeit "Anheuern und Anordnen von 30 Arbeitern nach ihrer Hautfarbe" im Project Space der Wiener Kunsthalle waren die WienerInnen zu einer Mitmachaktion des in Mexiko lebenden Spaniers Santiago Sierra angehalten, um sich schon einmal auf die noch bevorstehende soziopolitische Katharsis vorbereiten zu können: Eine "Cacerolada" galt es im internationalen Verbund mit BürgerInnen in Frankfurt, Genf, London und New York zu intonieren, beziehungsweise Wien mit den Geräuschen einer von Sierra im Frühjahr mitgeschnittenen Demonstration in Argentinien zu beschallen. Die CD (Auflage 6.000 Stück) war kostenlos erhältlich und verblieb als Auflagenobjekt im Besitz der Teilnehmenden. Interessanter als diese kleine Lehrstunde in Partizipation ist dann aber natürlich die Arbeit im Project Space. Im Zentrum von Sierras Arbeiten steht ebenfalls Kapitalismuskritik, die er in Arbeiten verdeutlicht, die die Sprache der Unterdrücker sprechen. Sierra bezahlt Menschen für Tätigkeiten, die sinnlos und erniedrigend sind. Er bindet das Publikum in einer speziellen Weise in seine Mimikrys zu Formen und Methoden politischer Repression und wirtschaftlicher Ausbeutung ein: Es wird zum konstituierenden Element - gäbe es keine Nachfrage, gäbe es auch das Angebot nicht.

Die kubanische Künstlerin Tania Bruguera setzt Schweigen als beredte Stille ein. In ihren zumeist performativen Arbeiten geht es um Gewalt und Widerstand. Sie lud auf der Documenta11 ebenfalls zur Partizipation ein: StatistInnen waren gesucht, die in ihrer Arbeit "Unititled (Kassel)" mit schwerem Schuhwerk auf einem Laufsteg gehen oder ein Gewehr durchladen sollten. Die BetrachterInnen, im ansonsten dunklen Raum von hellem Licht geblendet, waren kaum in der Lage, die Geräuschquellen auszumachen. Weitreichender als die Erfahrung des (ja in Sicherheit) im Dunkeln-Tappens, mag jene für die StatistInnen sein, denen - ähnlich wie den Probanten des Milgram-Experiments , die Rolle der GewalttäterInnen zugeschrieben war. Weitere Kunst-und-Gewalt-Splitter von der Documenta: in einer Assemblage das Unbeschreibliche beschreiben (Eyal Sivan zum Völkermord in Ruanda), politische und Konzept-Kunst zu künstlerischen Outputs verbinden (Kendell Geers), mittels Fotografie die Spuren der Gewalt aus dem unscheinbaren Aftermath synthetisieren (Lisl Ponger). Alejandra Riera brach - enerviert von einem zu achtlosen Text im Documenta-Führer - die Arbeit an ihrem prozessualen Werk zur türkisch-kurdischen Politikerin Leyla Zana ab.

Was aber passiert jenseits des ästhetischen Feldes? Dort, wo die KünstlerInnen als soziale Agenten nicht undercover im Einsatz sind, sondern die Werteproduktion des Kunstfelds nutzen und mit diesem symbolischen Kapital ausgestattet in die Felder der Politik und des Sozialen einlaufen? Ein Beispiel aus der künstlerischen Praxis der WochenKlausur, "Intervention in der Schule", verweist auf Möglichkeiten, alltagskonstituierenden Normen, einer Art subkutaner Gewalt, zu begegnen. Der Umgestaltung zweier Schulräume ging eine Beschäftigung mit den Normen, nach denen Schulen gebaut und eingerichtet werden, voraus. Die Analyse zeigte Alltagseinheiten, die jede/r von uns erlebt und erlitten hat. Etwa das Sitzen auf gleich hohen Stühlen auch bei unterschiedlicher Körpergröße. Und: Das Tageslicht im Klassenzimmer kommt immer von links. Ergebnis der Intervention waren Raumkonzepte, die sich über diese Normen hinweg setzten.

Schwarz/Blau löste zu Beginn 2000 reflexartig den Wunsch aus, die Intellektuellen des Landes zu befragen nach Ratschlägen und Befindlichkeiten und sodann eine Intellektuellendämmerung heraufzubeschwören. Ironie und Gesetz des Marktes, dass keine Befragungen vor der Wahl stattfanden. Die Meinung der Intellektuellen ist wichtig: Effekte des intellektuellen Diskurses verzahnen sich mit den Effekten anderer Diskurse zu einer geistigen APO. Brennt erst einmal der Hut, dann wird jedes Wort schnell zur Schlagzeile. So geschehen mit Karlheinz Stockhausen, dessen Aussage zum 9. September 2001 ("Das größte Kunstwerk aller Zeiten") fälschlich in einen intellektuellen Zusammenhang gestellt worden ist. Denn eigentlich hat Stockhausen nicht mehr gemacht, als aus dem Elfenbeinturm heraus zu rufen und damit schmerzlich unter Beweis zu stellen, dass es diesen noch gibt.

Patricia Köstring ist Mitarbeiterin des Depot Wien und Vorstandsmitglied der IG Kultur Österreich.

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