Bewegung, Sichtbarkeit, Wahrnehmung

Hamburg, laut Kultursenatorin Barbara Kisseler immer noch eine „Kaufmannsstadt“, hat einen guten Ruf zu verlieren: den als Stadt progressiver Kunstförderung.

Ein Gespräch mit der Hamburger Stadtkuratorin Sophie Goltz.

Hamburg, laut Kultursenatorin Barbara Kisseler immer noch eine „Kaufmannsstadt“, hat einen guten Ruf zu verlieren: den als Stadt progressiver Kunstförderung. Eingebettet in prozessuale Szenarien, inklusiv für lokale Szenen, entstanden in den 80ern und 90ern über Programme wie weitergehen ephemere, projektorientierte, soziologische, diskursive „Stadtlandschaften“. Es wurde gezeigt, wie sich Kunst im öffentlichen Raum in Abgrenzung zum Skulpturenpark auch definieren kann. Dann flachte das Engagement ab. 2013 nun gibt es zwei neue Impulse: Mit dem Hamburger Kunstbeutelträger (er kann auch eine –trägerin sein) wurde eine anonyme Figur behördlich eingeführt, der / die bis Jahresende 40.000 Euro Fördermittel verteilt. Das mag ein Gag sein oder – versucht man es positiv zu lesen – ein Nachdenken über das Subjektivistische an KuratorInnenmodellen.  Aber auch Kunst im öffentlichen Raum soll wieder neu belebt werden. Der Job einer StadtkuratorIn wurde ausgeschrieben und mit Sophie Goltz, Kuratorin am Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.), für zwei Jahre besetzt. In der Ausschreibung gab sich die Hamburger Kulturbehörde selbstkritisch: Kürzungen des Programms Kunst im öffentlichen Raum hätten die konzeptionelle Weiterentwicklung des Programms erschwert, stadtplanerische Großprojekte die Nutzungsinteressen am öffentlichen Raum verschoben, die Einbindung von KünstlerInnen in flankierende Maßnahmen würde als Vereinnahmung (Gentrifizierung) kritisiert. Die Kulturrisse baten Sophie Goltz zum Gespräch über Wahrnehmung, die auf Sichtbarkeit folgt, über ihre Pläne, und auch den oder die anonyme KollegIn.

 

„Welche Relevanz und welche Möglichkeiten hat die Kunst im öffentlichen Raum unter den veränderten Rahmenbedingungen heute?“ lautete eine der Fragestellungen der Ausschreibung - Wie hast du diese Frage beantwortet?

Gar nicht, da diese Fragen für mich vor allem methodisch relevant sind. Das herauszufinden und zu erforschen ist Teil des von mir vorgeschlagenen Projektkonzepts und kann daher nur zusammen mit den KünstlerInnen im Laufe der nächsten zwei Jahre beantwortet werden.

In einem anderen Interview für diesen Schwerpunkt (mit dem früheren österreichischen Bundeskunstkurator Wolfgang Zinggl) beantwortet dieser die Frage nach den Herausforderungen subjektivistischer Kunstförderungsmethoden (also in puncto künstlerische Positionen selektieren / selektieren müssen, aber auch bezüglich Quantifizierung der eigenen Arbeit) mit der Notwendigkeit eines stringenten eigenen Konzepts, das „abgesegnet“ ist, den/die KuratorIn leitet und unangreifbarer macht. Wo siehst du Gefahren und Vorteile des Hamburger Stadtkuratorenmodells? Oder anders gefragt: Beneidest du den oder die Hamburger KunstbeutelträgerIn, die/der derzeit als Scout anonym durch die Stadt zieht und Geld verteilt?

Beide Programme sind neue Formen der Kulturförderung in Hamburg, die damit eigene Wege beschreibt jenseits von kulturpolitischem Bürokratismus. Ob explizit oder implizit subjektivistisch: Beide werden sich am „Erfolg“ der Kunst messen lassen müssen — und am vermittlerischen „Erfolg“ der Inhalte.

Aber wer nimmt diese „Vermessungen“ vor? Und: Ich sehe schon einen Unterschied zwischen der kleinen Gießkanne, die deiner anonymen KollegIn in die Hand gedrückt wurde, und deinem Job. Der Kunstbeutel ist ja ein förderpolitisches Gimmick. Bleibt da nicht zu hoffen, dass verschiedenerlei Maß angelegt wird?

Es ist etwas paradox, doch mein gegenwärtiger Eindruck ist folgender: Beide Programme wurden seitens der städtischen Kulturpolitik geschaffen, um Bewegung und so auch Sichtbarkeit in der Hamburger Kunstszene zu erzeugen. Und das haben sie durch ein hohes mediales Echo auch erreicht. Doch was heißt das für die Wahrnehmung von zeitgenössischer Kunst in/aus Hamburg? – Und das meine ich mit dem schwierigen Begriff „Erfolg“.

Neue Impulse über die (mehr oder weniger breite) Streuung von Mitteln setzen zu wollen, ist auch ein Ziel. Und ich sehe in dieser Zielsetzung grundsätzlich zwischen den Programmen keinen Unterschied, außer den der Historizität: Das KiÖR-Programm wurde dergestalt 1981 gegründet, und in diesem Rahmen bewegt sich das stadtkuratorische Projekt und damit reicht es über den von dir zitierten Gimmick-Effekt hinaus. Und, nein, ich unterscheide diese Programme auch nicht in ihrer Wirkung. Sie sind aus dem gleichen Ansinnen geschaffen und das nehme ich ernst. Einer der Hauptunterschiede ist: Ich bin nicht anonym und agiere öffentlich. Doch es ist etwas anderes, was mich darüber hinaus bewegt: Unser Programm wird sich daran messen lassen, wie wir die soziale Schichtung der Stadt wahrnehmen.

Wie progressiv sind aus deiner Beobachtung Theorie und Praxis der Hamburger Kulturförderung?

Hamburg ist nach Berlin die zweitgrößte Stadt Deutschlands mit 1,7 Millionen EinwohnerInnen und fokussiert in seiner Kulturpolitik verstärkt auf die Unterstützung der freien künstlerischen Szenen. Mit der Einrichtung des Elbkulturfonds (seit 2013) wurde ein weiterer Schritt in diese Richtung getan. Das Problem, das ich sehe, ist die Einseitigkeit: Den Standort Hamburg „attraktiv“ zu machen, um KünstlerInnen hier zu „halten“, heißt noch lange nicht, ihn zu öffnen, damit KünstlerInnen „kommen“. Ein Standort wird dann interessant, wenn er Fluktuationen evoziert. Das ist in Hamburg durch die HfBK sicher gegeben, doch was kommt danach? Wie lässt sich eine Kulturpolitik denken zusätzlich zum Ausbildungsmarkt und dessen AspirantInnen? Wie entstehen Plattformen für Austausch und Recherche als Teil einer künstlerischen Produktion in Hamburg?

 

Wie kann man sich deine Tätigkeit in Kooperation mit, aber auch in Abgrenzung zu Stadtentwicklung und Kulturbehörde vorstellen? In wieweit kannst du weisungsfrei und gemäß deinem Konzept agieren (oder meinst du, dir wird schon auch mal ein Projekt umgehängt)?

Die Grundlage meiner Tätigkeit ist das der Kommission vorgelegte Konzept und über dessen Realisierung werden wir im Gespräch bleiben.

Gefordert werden Theorie und Praxis, also Analyse von Situation, Potenzialen, Netzwerken, Profilentwicklung und die Realisierung von künstlerischen Projekten. Wie ist das - auch angesichts des dafür nicht so langen Zeitraumes - möglich? Ist das mit einem Budget von insgesamt 200.000 Euro möglich?

Es ist ein Sprung ins kalte Wasser. Daher sehe ich die Herausforderung nicht in der Beantwortung, vielmehr in der Weiterführung dieser Fragen, im Hervorholen der Potenzialität solcher Betrachtungsweisen in der Gegenwart und damit der Möglichkeit zum Widerstreit auch nach zwei Jahren. Oder anders gesprochen: Wäre das StadtkuratorInnenmodell eines, das Zukunft in ich sich birgt, und über den festivalen Eventcharakter hinaus in die Stadt wirken kann?

Das Festivale wird ja in Wien seit vergangenem Jahr mit der Wienwoche auf seine Wirkmächtigkeit als Kunstformat geprüft, wo in verdichteter Form (zwei Wochen im Herbst) kulturelle Handlungsräume für das Sozio-/Politische eröffnet werden. Wie sehen deine Timelines der Aufmerksamkeit aus? Geballte oder einzelne Programmationen? Verdichtung oder Streuung?

Ich setze auf Verdichtung ephemerer Praxen und deren digitale Streuung.

Du hast dich sowohl in Theorie als auch in der Praxis mit Kunstvermittlung auseinandergesetzt. Welche Rolle spielt sie in deinem Konzept für Hamburg?

Der Fokus liegt auf künstlerischen (und aktivistischen) Formaten sowie der Überführung von Kunstvermittlungsformaten in den digitalen (öffentlichen) Raum.

Wer ist hier das Gegenüber?

Deutschland hat eine Woche vor Österreich gewählt — es gibt eine Menge zu tun, um die Frage der politischen Emanzipation als gegenwärtig zu verteidigen.

Patricia Köstring ist Redaktionsmitglied der Kulturrisse und lebt in Wien

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