Suppenwürfe auf Kunstwerke: Der Klimaprotest findet im Museum eine Bühne.

Ein halbes Jahrhundert schon warnt die Wissenschaft. Genauso lange formieren sich bereits Umweltschutzbewegungen, doch die Politik reagiert nicht oder zu langsam. Die Jugend eröffnete mit Friday for Future ein Handlungsfenster, doch es wurde nicht genutzt. In der Energiekrise ist nun sogar AKW-Laufzeitverlängerung oder Comeback von Kohlekraft wieder im Gespräch. Der Aktivismus greift zu drastischeren Mitteln, um wachzurütteln – das ruft viele Widerstände hervor, aber auch Zuspruch, sogar aus dem musealen Bereich. Wer die Suppe nicht auslöffeln will, die uns hier eingebrockt wird, der muss sie werfen. 

Suppenwurf Kunstwerke Klimaprotest im Museum

Suppe und Kunst, das hat Tradition: 1962 schuf Andy Warhol die Reihe „Campbell’s Soup Cans“. Es handelte sich um 32 handgemalte Suppendosen. Warhol präsentierte die Blechdosen einer großen Öffentlichkeit. Was heute niemanden mehr wundert, hat damals zu großer Aufregung geführt: Suppe in der Galerie? Ein profaner Gegenstand in den heiligen Hallen der Kunst? Die damals entstehende Pop Art sollte die Kunstwelt für immer verändern. Sie selbst war ein Spiegel des Konsumerismus, billig und in Massen produziert, nach Effekt haschend, glamourös und doch immer wieder dasselbe. Pop Art war gleichzeitig Kritik wie Extrem jener Gesellschaft, die sie hervorgebracht hat, eine Gesellschaft, in der Konsum das Herzstück darstellt. Das Geschichte der Suppe in der Galerie wird also nur um ein Kapitel reicher. 

Auch Kunstzerstörung ist fester Bestandteil der Kunstgeschichte. Die Gründe dafür sind manchmal sehr banal: Eine Hobbymalerin versuchte sich vor wenigen Jahren als Restauratorin des „Ecce Homo“- zum Erschrecken wie zur Belustigung von Millionen von Menschen, die das Resultat als Meme im Internet zirkulieren sahen. Ebenso bekannt dürfte vielen noch der Junge sein, der in Taiwan stolperte und mit seiner Hand ein 3050 Jahre altes Gemälde beschädigte. Nun waren das Unfälle oder Unvermögen, doch es gibt auch mutwillige Kunstzerstörung. Die Kunsthauptstadt Kassel, die mit der Documenta alle fünf Jahre ein Millionenpublikum anzieht, musste dieses Jahre gleich zwei Vorfälle erleiden: Bilder der Künstlerin Arya Atti und Andreas Rosentalon wurden zerschnitten, ein Werk des Künstlers Andrzej Dzierzbicki wurde einem Lagerfeuer geopfert. In beiden Fällen sind die Motive unklar. Politische oder kulturelle Beweggründe werden nicht ausgeschlossen, es könnte sich aber auch um persönliche Gründe gehandelt haben, wie bei einem Mann in Dallas, der dieses Jahr zahlreiche antike griechische Artefakte aus Frust über seine Beziehungsprobleme beschädigte.
Ein anderer notorischer Kunstzerstörer fällt ebenfalls in das Bild des wütenden Mannes: Der sogenannte „Dürrer Attentäter“ Hans-Joachim Bohlmann zerstörte in den 70er und 80er Jahren über 50 Kunstwerke. Er übergoss Bilder von Dürrer mit Schwefelsäure. Zur Frage über seine Motive bezog er sich selbst direkt auf den Tod seiner Frau: „Ich war schwer getroffen. Da wollte ich die Gesellschaft treffen, und nebenbei wollte ich noch Furore machen. Für mich war das Teuerste meine Frau, für die anderen war Rembrandt am teuersten.“ Die Gerichte befanden übrigens seine Freiheitsrechte als höher wiegend als die Sachbeschädigung – obwohl hier tatsächlich Werke zerstört wurden und Schäden in Millionenhöhe entstanden sind. Dass zuständige Psychiater Wiederholungsgefahr nicht ausschließen konnten tat dem keinen Abbruch. So vollzog er 2005 den letzten Streich wenige Jahre vor seinem Tod, leidtragend war dieses mal ein Rembrandtgemälde in Amsterdam. 

Häufig ist auch (männlicher) Größenwahn das Motiv: Alexander Brener besprühte 1997 ein Werk des russischen Avantgardisten Kazimir Malevich und wollte sich dabei selbst als Künstler verstanden wissen, der das Werk nur vollendete. Laszlo Toth attackierte 1972 Michaelangelos „Piéta“, weil er sich selbst für Jesus hielt. Es gab auch einige politisch motivierte Taten, hier finden sich interessanterweise häufig Frauen als Übeltäterinnen: Die Suffragette Mary Richardson beschädigte 1914 Velázquez „Rokeby Venus“. „La Jaconde“, umgangssprachlich als Mona Lisa bekannt, ist schon lange hinter Panzerglas geschützt, da sie schon mehrere Attacken erdulden musste. So unter anderem 1974 als Protest gegen die Behindertenpolitik. Auch die Mona Lisa hat schon Erfahrungen mit den Sorgen über die Umwelt gemacht, wie ein kürzlicher Tortenwurf belegt. 

Nach der Suppenattacke auf ein Bild von Van Gogh durch Aktivistinnen der Just Stop Oil Gruppe in London hat nun auch Österreich den ersten prominenten Fall der Kunstbeschüttung: Florian Wagner hat vor ein paar Wochen ein Bild von Klimt mit falschem Öl beschüttet. Es handelt sich um kein richtiges Öl, sondern um eine nicht giftige Flüssigkeit, die wie Öl aussehen sollte. Das hatte symbolischen Charakter und damit zu tun, dass sich das Leopold Museum just in Zeiten der Klimakrise von der OMV sponsern lässt, dem Konzern also dabei hilft, sich in ein positives Licht zu rücken. Eigentlich geht es bei den Aktionen aber nicht um Museen, geschweige denn um die Kunst. Gesucht wird nach Möglichkeiten, die Öffentlichkeit wachzurütteln, denn um das Thema ist es neben Pandemie, Ukraine Krieg, Energiekrise und Inflation seit einiger Zeit still geworden. Die Probleme sind deshalb aber nicht weniger dringlich: Zuletzt versuchten diverse Lobbys die Gunst der Stunde gar für einen Backlash zu nutzen und brachten sich für die Laufzeitverlängerung europäischer Atomkraftwerke oder die Rückkehr zu Kohlekraft in Stellung. Eine bedenkliche Entwicklung. 

„Es ist schon merkwürdig, da versucht man vernünftige Vorschläge zu machen und niemand hört zu. Dann schüttet man zwei Liter Öl auf eine Glasscheibe und man wird wochenlang täglich zu Interviews eingeladen,“ meint Florian Wagner im Gespräch mit der IG Kultur
Um das Thema wird nun viel gesprochen, allerdings sehr kontrovers. Viele hätten Angst vor einer „psychologischen Spirale“, so Wagner. Die Sorge ist jene, dass sich die Aktivist*innen zu Gewaltanwendung hochschaukeln könnten. Tatsächlich existiert trotz bisher friedlicher Protestformen bereits der Extremismusvorwurf, in Deutschland wurden bereits Razzien durchgeführt. Wie man beispielsweise im Vergleich zum Dürrer Attentäter feststellen kann, handelt es sich im Vorgehen gegen zivilgesellschaftliche Proteste wohl um politisches Kalkül. Rechtsextreme Straftaten sind jährlich im Steigen begriffen und das obwohl viele davon statistisch nicht aufscheinen, da die Polizei sie als Vandalismus ohne politischen Hintergrund verbucht. 

Die Tatenlosigkeit gegenüber anderen Formen des Extremismus kennen wir von der NSU-Affäre in Deutschland, dem Behindern der Rechtsextremismusbekämpfung in Österreich durch die Lahmlegung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) bis hin zu den Verfehlungen im Vorfeld zum Wiener Attentat vor zwei Jahren. Selbst für die Reichsbürger-Verschwörung, deren geplanter Umsturz in Deutschland gerade vereitelt werden konnte, finden die Presse und Politik mildere Worte als gegenüber den Klimaaktionen, die als Öko-RAF diffamiert werden (die RAF oder Rote Armee Fraktion war ab Ende der 60er Jahre für über 30 Morde verantwortlich). Gleichzeitig kennt man die harschen Reaktionen der Exekutive im deutschsprachigen Raum gegenüber „linkem“ Aktivismus, wie bei dem Demonstranten zu den Klimaprotesten 2019, dessen Kopf von Beamten vor dem anrollenden Reifen eines Polizeiwagens postiert wurde.

In Österreich wurde ein nach den Attentaten auf das New Yorker World Trade Center im Jahr 2001 geschaffener Paragraf bezüglich Terrorismus vorwiegend auf Aktivist*innen angewendet, wie beispielsweise gegen jene Gruppe Tierschützer, die 2011 mit ihrer Kampagne gegen Pelzhandel die Textilkette Kleiderbauer verärgert hatten – und schließlich freigesprochen wurden. Im Vergleich dazu konnten die Identitären ohne große Konsequenzen in der Öffentlichkeit mit Schreckschusspistolen rumballern, eine Aufführung der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek oder die Universität Klagenfurt stürmen, wobei es sogar zu Gewaltanwendung gegen den Rektor kam. Vom Terrorismusparagrafen wollte damals niemand etwas hören. Gegen die rechtsextreme Gruppierung wurde erst vorgegangen, nachdem Verbindungen zum neuseeländischen Christchurch Attentäter bekannt wurden. 

Diese Vorgehensweise ist eine historische Konstante und mangels rechtlicher Grundlage darf durchaus davon ausgegangen werden, dass damit eine öffentliche Diffamierung und Einschüchterung erreicht werden soll. Das ist auch heute in Bezug auf die Letzte Generation der Fall. Bereits die frühe Anti-AKW Bewegung wurde im Deutschland der 70er Jahre als Terrorismus dargestellt, ebenso die Kulturkritik der Post-68er und ihre Hausbesetzungen zum Ziele der Errichtungen von Kulturzentren. Hier wählte das damals sozialdemokratisch geführte Österreich seiner Zeit einen anderen Weg als Deutschland und die Schweiz und befriedete das Land mit Eingeständnissen an die protestierende Jugend, die schließlich in die Etablierung einiger Kulturzentren mündete, wie die Wiener Arena, der Linzer Stadtwerkstadt, ARGE Kultur Salzburg oder dem WUK. Das war übrigens die Geburtsstunde jener Kulturszene, die auch die IG Kultur vertritt. Es handelt sich um einen Teil des Kunst- und Kultursektors, der sich einer politischen Haltung und einer gesellschaftlichen Verantwortung verschreibt. 

 

Beitrag als Podcast:

 

 

Eine gemäßigtere Kritik an den Klimaprotesten besagt, dass diese Aktionsform kontraproduktiv sei, da sie mehr Widerstände hervorrufe als Unterstützung. Doch was könnte man sonst tun, wenn sonst niemand mehr zuhört? Sind sie nicht der logische nächste Schritt einer ungehörten Jugend? Hintergrund des Aktionismus sind die Überlegungen der englischen Extinction Rebellion. Sie testeten verschiedene Vorgehensweisen und probierten sich an immer neuen Aktionsformen aus, doch meist vergebens. Erst das Ankleben an Straßen im Berufsverkehr und Beschüttungen von Kunst brachten mediale Aufmerksamkeit. Die Kritik richtet sich hier nicht gegen Kunst oder Museen, diese dienen lediglich als Bühne. Schaden an den Werken wird tunlichst vermieden. Das hält den Direktor des Leopold Museum Hans-Peter Wipplinger zwar nicht davon ab, einen Schaden und dessen Kosten zu monieren, aber grundsätzlich gibt aus dem Kunst- und Kulturbereich mehr Fürsprache für die Aktionen als Kritik. Viele große Museen hätten Verständnis für die außergewöhnlichen Aktionen, allerdings nur hinter vorgehaltener Hand. Ich habe diesbezüglich in den letzten Wochen mit einigen Mitgliedern der IG Kultur telefoniert. Selbst jene, die im musealen Bereich tätig sind oder Galerien betreiben, haben Verständnis für die Anliegen der Aktivist*innen und sorgen sich auch selbst um das wichtige Thema des Klimaschutzes. Christof Thoeny, Obmann des Museumsvereins Klostertal, sieht in den Protesten trotz Vorbehalten eine Möglichkeit, um auf Probleme hinzuweisen: „Ob eine Attacke auf Kunstwerke das probate Mittel ist, sehen wir als Museum natürlich skeptisch, aber grundsätzlich überwiegt die positive Zustimmung, dass das Thema mehr an Beachtung gewinnt.“ Philip Templ vom Museum Arbeitswelt meint, man habe auch intern über die Proteste gesprochen. Man hat trotz berufsbedingter Bedenken Verständnis für die Verzweiflung und Wut über die politische Inaktivität: „Als Institution Museum muss die Antwort differenzierter Ausfallen, denn als Museum ist es unsere Aufgabe, Objekte und Artefakte zu schützen, öffentlich zugänglich zu machen und das kulturelle Erbe für zukünftige Generationen zu erhalten. Allerdings wurden bis jetzt keine Werke beschädigt. Wir betrachten solche Protestformen durchaus als legitim. “

Florian Wagner meint, dass angesichts der gravierenden Problemlage „ein bißchen Öl auf eine Glasscheibe zu werfen in so einer Situation ziemlich besonnen und zurückhaltend ist. Es ist eine Inszenierung und wir nutzen die mediale Logik aus, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Wir halten es nicht mehr aus, dass diese Krise verdrängt und ignoriert wird. Wir bei der letzten Generation haben einen sehr klaren Konsens, dass wir nichts zerstören wollen.“ Die Suppe wird also nicht so heißt geworfen, wie sie gekocht wird. 
Auf die Frage hin, ob die Letzte Generation aus Verzweiflung zu solchen Maßnahmen greift, antwortet Florian Wagner damit, dass er nicht verzweifelt, sondern wütend sei. Das ist zuerst mal ein persönliches Statement, doch es hat eine strategische Dimension, welche die sozialen Bewegungen in den letzten zehn Jahren erreicht hat. Das Beispiel der „Gun Control“, also der Waffengesetzgebung in den USA, zeigt das deutlich. Es handelt sich um ein politisches Thema, das lange nicht einmal die Demokraten mit der Kneifzange anfassen wollten, da sie wussten, dass gegen die starke Lobby der NRA (National Rifle Association, „Nationale Gewehr-Vereinigung“) mit ihren 5 Millionen Mitgliedern nicht erfolgreich Politik zu machen war. Die sozialen Bewegungen formierten sich dennoch stets nach den Shootings, die häufig an Schulen stattfanden, und forderten politische Konsequenzen bei den folgenden Gedenk- und Trauerveranstaltungen. Gebracht hat es leider wenig. Doch das emotionale Moment hat sich seither ebenso gewandelt, wie das politische – und ähnelt dem Muster der Entwicklung der Klimaproteste: „Es gab einen Wandel der Emotionen nach den Shootings von Trauer zu Wut. Menschen sind nach den Vorfällen nun gehäuft wütend und Wut ist aktivierend,“ meint Angela Kuefler, Vizepräsidentitn der Global Strategy Group, gegenüber den New York Times. So konnte die Bewegung die Emotion alsdann besser in Aktionen umsetzen und hat mittlerweile ganze 20 Millionen Mitglieder – viermal so viel wie die NRA. Das macht nun auch Druck auf die Republikaner, von denen einige mittlerweile gewillt sind für stärkere Restriktionen abzustimmen und das in einigen Fällen auch bereits getan haben. Ein Umbruch zeichnet sich ab.  
Ein Detail am Rande: Abgesehen vom emotionalen Gehalt hat sich auch die Richtung der Proteste verändert. Während früher die NRA selbst Ziel der Kritik war, wenden sich die Bewegungen nun lieber an die tatenlose Politik und knöpft sich statt der Lobby jetzt die Entscheidungstragenden selbst vor. Das funktioniert viel besser und zeigt sich auch in den neuen Klimabewegungen: „Die Regierung muss Verantwortung übernehmen. Als jemand, der sich als Abgeordneter in den Nationalrat wählen lässt, darf ich das nicht verdrängen. Das wollen wir uns nicht gefallen lassen,“ so Florian Wager. Die Grünen Parteien, die selbst aus den Anti-AKW-Bewegungen entstanden sind, sehen sich nun besonders unter Zugzwang. Vor allem in Österreich und Deutschland, wo sie an Regierungen beteiligt sind, wäre ihnen geraten massiven Druck auf die Regierungspartner auszuüben, wollen sie sich nicht selbst ihrer Existenzgrundlage entziehen.

Die Letzte Generation inszeniert die aktuellen Aktionen nicht nur in Räumen der Kunst, sie ist von dieser sogar stark beeinflusst. Florian Wagner bezieht sich auf das Modell der „Sozialen Plastik“. Es handelt sich um einen kunsttheoretischen Begriff. Dabei geht es um den Anspruch von Kunst, gestaltend auf die Gesellschaft einzuwirken. Joseph Beuys erweiterte den Begriff in seinem Konzept von Kunst. Dabei versteht er quasi jeden Menschen als fähig zur Kunst. Die Kunst selbst ist dabei nicht klassisch als das Schaffen von Kunstwerken verstanden, sondern als Handeln, das auf die Formung und Strukturierung der Gesellschaft ausgerichtet ist. Beuys plädierte also für kreatives Handeln zum Wohle der Gesellschaft. Sein Zitat „Jeder Mensch ist ein Künstler“ bezieht sich weniger auf künstlerisches Talent oder Kunstfertigkeit, sondern mehr auf das Potenzial jedes Menschen, auf die Gesellschaft einzuwirken. Genauso wie Joseph Beuys in Demokratiebewegungen aktiv war, sich politisch für grüne Politik national und im Europaparlament einsetzte, so entstammt auch die Letzte Generation den modernen Demokratiebewegungen. Florian Wager hat sich nach seinem Studium der Agrarwissenschaften für Demokratiebewegungen eingesetzt, ist Initiator der Initiative für komplementäre Demokratie, Mitarbeiter bei EuropeanPublicSphere, engagiert sich für die European Credit Initiative und für die Klimaschutzgruppe Letzte Generation.  

Für Beuys sollte sich Kunst auf die gesamte Gesellschaft beziehen, in der Kunst in allen Bereichen nach neuen Wegen suchen muss und dabei helfen sollte, veraltete Lebensformen durch neue zu ersetzen. Aus einem ähnlich politischen und emanzipatorisch motivierten Verständnis von Kultur ist auch die IG Kultur entstanden. Gemeinsam mit unseren Landesorganisationen, anderen Interessenvertretungen aus dem Sektor und vielen weiteren Kulturinstitutionen haben wir einen Solidaritätsbrief verfasst. Damit versuchen wir klarzustellen, dass Klimaschutz kein Verbrechen ist, wir uns gegen die Diffamierungen stellen und für die Bemühungen der Aktivist*innen dankbar sind, wir mit ihnen dringend politische Maßnahmen fordern und uns selbst zu eigenen Anstrengungen verpflichten. Wozu Kultur fähig ist oder sein kann, haben wir in unserem letzten Magazin dargestellt, bzw. was einzelne Kulturinitiativen tun können auch in einem Webtalk. Kunst und Kultur ist diesem Anliegen nicht nur verpflichtet, sondern hat auch besonderes Potential, die nötigen Transformationen zu gestalten, die bitter nötig sind. 

Es werden wohl noch weitere Aktionen folgen müssen, um die Öffentlichkeit wachzurütteln. Die Entwicklung von den sympathischen Friday for Future, die wohl an ihrem eigenen Erfolg gescheitert sind, münden aufgrund der Tatenlosigkeit logischerweise im energischeren Vorgehen der Letzten Generation, Extinction Rebellion und Just Stop Oil Gruppen. Es zeigt auch, dass die Jugend nicht bereit ist, aufzugeben oder sich von politischen Worthülsen abspeisen zu lassen. Ihre immer stärkeren Aktionen sind letztlich nur die logische Antwort auf eine Politik, die sie offenbar bislang als politische Kraft nicht ernst nimmt. Aufgrund eines Staus zu spät ins Büro zu kommen oder als kunstliebender Mensch die Beschüttung eines Werkes zu sehen, erzeugt zunächst einmal Ablehnung oder Wut. Es ist Zeichen der Verdrängung, in der wir gefangen sind. Wir müssen aus der Verdrängung in ein Handeln kommen, um die Politik zu Maßnahmen zu bewegen. 

Neben eingangs erwähnter Suppe ist das Pissoir ein anderes künstlerisches Motiv mit langer Geschichte. Das Kunstwerk „Fountain“ von Marcel Duchamp aus dem Jahr 1927 zeigt nicht nur ein Artefakt der Toilette, es ist tatsächlich ein Objekt der Sanitärabteilung. Er hat die Latrine auf einen Sockel montiert und zur Aufregung der Kunstwelt in einer Galerie ausstellen lassen, unterschrieben und als Kunst deklariert. Auch das Motiv könnte wiederkehren. Lassen wir uns mit der Veränderung nicht so lange Zeit, dass dieses Werk die nächsten Protestaktionen inspirieren könnte. Denn wenn die Politik nicht bald reagiert, könnten wir richtig angepisst werden. 


 

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