Gewerkschaften im Nebel des Zukunftspluralismus - Reißt ihn ein neuer Maschinensturm auf? Oder: William Turner als Realist, "Arbeiterführer" als Romantiker

Ich möchte mich, und kann nicht anders, zum Thema Gewerkschaften heute in der Darstellung impressionistisch verhalten. Meine Impressionen aus Diskussionen mit Gewerkschaftlern haben etwas Ätzendes und vor den Kopf stoßendes an sich, als wären die Gewerkschaften Erstarrung schlechthin und Konservativität bis in die Tiefen.

Ich möchte mich, und kann nicht anders, zum Thema Gewerkschaften heute in der Darstellung impressionistisch verhalten. Meine Impressionen aus Diskussionen mit Gewerkschaftlern haben etwas Ätzendes und vor den Kopf stoßendes an sich, als wären die Gewerkschaften Erstarrung schlechthin und Konservativität bis in die Tiefen. Und doch stehe ich auf dem Standpunkt, dass die Gewerkschaften, so wie sie institutionell bestehen in unserer Gesellschaft, die einzigen erprobten Notbremsen dieses Gesellschaftsprozesses ausmachen. Und wer möchte ohne geprüfte Notbremsen fahren? Sie dürfen nicht demontiert werden.

Und so gilt, was aus meinen Impressionen herkommt, der Auseinandersetzung und Entwicklung in den Gewerkschaften selber, nicht als eine Kritik von außen. Und das Impressionistische meint nur die Darstellungsform, im übrigen fehlt ihm das Unparteiliche, das den Impressionismus begleitet hat, außer man würde von einer Parteilichkeit für ästhetische Phänomene sprechen.

Es war einmal eine Tagung vor wenigen Jahren mit dem Gesamtthema: "Veränderung der Arbeitsformen in der Bundesrepublik Deutschland". Vor allem drehte sich aber das Interesse um die Verlagerung der Arbeitsplätze von mittleren Angestellten aus den Verwaltungsgebäuden großer Konzerne in die Privatwohnungen der Angestellten, Frage der Heimarbeitsplätze also. Ich selber hatte frühe Erfahrung damit, vielmehr meine Frau, und ich so mittelbar. Redakteurin in einem Magazin, zu dem hatte die Verlagsleitung entschieden, lieber einige ihrer engagierten Journalisten an deren Heimarbeitsplätze zu schicken, statt neue Verlagsräume zuzumieten. Das hieß damals aber, in der Frühe des Manövers, noch Mietbeitrag des Unternehmens für den Heimarbeitsplatz und Stellen der Computertechnologie mit allem Drum und Dran, wodurch ja Heimarbeitsplatz überhaupt erst möglich wird, aus den Beständen des Verlags.

Nichts mehr von solchem zur Zeit der angesprochenen Tagung. Denn auch die Computertechnologie gehört ja schon zum Leib eines Angestellten, zu dessen natürlicher Arbeitskraft, wird mit dem Gehalt eingehandelt. Und doch sah alles noch wunderbar aus für die betroffenen IBM'ler etwa. Durch Eigenorganisation der zu leistenden Arbeit, das Unternehmen gibt nur Leistungsnormen vor und Fristen, Einsparen von 10 Arbeitsstunden die Woche bei gleichbleibendem Einkommen. Dazu Einsparen der Verkehrszeiten zum und vom Arbeitsplatz, noch einmal 10 Stunden die Woche etwa. Also, alles im Interesse des Arbeitsnehmers trotz der Groteske, dass Unternehmen mietfreie Verwaltungsräumlichkeit bekommen und sich sogar die Verwaltungstechnologie sparen können.

Es war also schon richtiger gewerkschaftlicher Sinn, darin zu erwittern, dass da etwas nicht stimmt. In der Zukunft geht das auf jenes Heimarbeit zusammenfassende Verlagssystem hinaus, in dem der Arbeitnehmer fast Unternehmer wird, ganz wie in Gerhart Hauptmanns "Die Weber" geschildert. Und dann kommt der Konkurrenzkampf der Angebote nach den vorausgeschriebenen Leistungsnormen. Die IBM'ler werden bald vor dem Gegenteil ihrer Situation stehen, 60 Stunden Arbeit aufwenden zu müssen, um bei dem Gehalt für 40 Stunden anzulangen.

Aber dagegen hilft am wenigsten, was die Gewerkschaftler auf der angesprochenen Tagung einforderten: Die Politik solle die Heimarbeitsplätze verbieten, politischer Maschinensturm also. Noch jeder Maschinensturm ist gescheitert.

Auf die Intervention, die Gewerkschaften müssten an verschiedenen Fronten ihre Kampfziele ändern, etwa von Verteidigung und Verbesserung von Stundentarifen zu Einsatz für Honorarhöhen gegenüber Leistungsnormen der Arbeitabnehmer und deren Ansprüchen, oder auch Einmischen der Kampfziele in solche Leistungsnormen selber, damit aus der Wandlung der Arbeit nicht ein enormer Entlohnungsdruck sich entfessele, erwiderten die Gewerkschaftler doch wieder mit ihrer Forderung nach politischem Verbot des Heimarbeitsplatzes. Denn nur durch das Zusammensein in den Anlagen der Unternehmen bilde sich erst jene Solidarität, die Voraussetzung sei für gewerkschaftliche Arbeit. Dieses Stallgeruch-Argument für Solidarität stimmt selbstverständlich so nicht. Solidarität basiert in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung auf Interessengleichheit, zu der der Stallgeruch nur die Begleitmusik spielte. Interessengleichheit lässt sich aber auch elektronisch aushandeln. Und die elektronische Medientechnologie, so sehr sie die Einzelnen einzeln vor die jeweiligen Bildschirme samt deren Tastaturen schickt, vereinsamt ja auch nicht, weil sie nichts anderes will, als Kommunikation erzeugen, unter immer mehr Menschen.

So müssen sich darin auch Solidaritäten hervorrufen lassen, wenn auch solche, die für den Wechsel anfälliger sind als die klassischen Solidaritäten. Doch zu konkreten Konfrontationen würden sie je und je ausreichen.

Gewiss freilich, an dem gewerkschaftlichen Stallgeruchsargument ist allerdings einiges andere daran. Dreidimensionale Leibeskommunikation, das ist etwas erheblich anderes als die elektronische Kommunikation, selbst wenn diese eine extreme Simulativität erreicht. Doch hier sind wir auf der Ebene der Zukünfte in unserer existenziellen Lebenskultur. Soll sie elektronisch von allen Stallgerüchen befreit werden, geht das überhaupt? Hier müsste die Gewerkschaft andere Wege finden zum neuen Hervorbringen neuer Solidaritäten als die des unmittelbaren Arbeitskampfes. Letzterer dagegen verlangt das Entwickeln von Solidaritäten über die elektronische Medientechnologie und ihre Kommunikativität. Beides müsste ineinander greifen und zugleich sich vermitteln mit klassischen Solidarisierungen am Arbeitsplatz. Denn weiterhin gilt Ernst Blochs Theorie von der Ungleichzeitigkeit mehr als zuvor.

Auch die klassische Produktion wird sich in zwar abnehmendem Anteil noch lange erhalten, ohne dass die elektronische Revolution der Produktivkräfte und ihre Veränderungen von Arbeit und Lebenskultur aufzuhalten wären. Dazu bleiben nur Einflusschancen auf die Art dieser Veränderungen insgesamt und auf mögliche Auffangnetze für die Verlierer im Veränderungsprozess, so dass sie möglichst nur vorübergehende Verlierer sind, in Transformationen mit Neuanschluss.

Aber da hörte ich, um zu weiteren Impressionen überzugehen, deutsche und bayrische Gewerkschaftler reden über alle die neuen Perspektiven auf eine neue, nun Service- statt Produktionsgesellschaft, über die Art der neuen Arbeitsformen. Sie wurden für eine lächerliche Zumutung erklärt, gestellt an hoch qualifizierte Arbeitskräfte aus Bergbau, Stahlverarbeitung und so weiter. Fähnchen schwingende Animatoren auf Massenevents für Gruppenorientierungen?, eine höhnische Herabsetzung! Als ob irgendeine Arbeit oder Service-Leistung schänden könnte. Gewiss, das Deutschsprachige kennt nicht das equilibristische Beherrschen von hochkomplexen Situationen im Königlichen Kellnerstolz des Mediterranen oder auch Österreichs. Aber immerhin würde der Frühtod an der Staublunge sich vermeiden lassen. Gewerkschaftler jedoch im Deutschsprachigen tun jetzt bisweilen so, als gäbe es gleichsam ein Menschenrecht auf diesen.

Dabei handelt es sich im Thema der Servicegesellschaft darum, dass ganz neue Dienst-, Unterhaltungs-, Erlebnis-, Bildungs- oder Informations- Leistungen in den Blick geraten, Möglichkeitsfelder dessen, was Menschen für Menschen tun könnten, einmal um das Alltagsleben zu erleichtern, zum anderen aber für Steigerung des Lebensglücks, und dann die künstlerisch-intellektuelle Öffnung der Lebenstiefen, Erlebenstiefen für alle, also die Kulturarbeit. Man denke etwa daran, es würde endlich das Ausbildungssystem für die Jugend umgestellt von der Berufsqualifikation auf die Qualifikation im Umgang mit der freien Zeit. Dann ahnt man in der Tat, dass hier viele neue, neuartige Arbeitsplätze auf ihr Entstehen warten.

So viele Gewerkschaftler aber gehen von den Horizonten der tradiert-gegebenen Servicesysteme aus. Und dann hat ihr Hohn auf Servicegesellschaft recht, dann wird der Zuwachs an Arbeitsplätzen sich beschränken auf den Zuwachs an gehobeneren Ansprüchen, die wiederum sich beschränken werden, die Anspruchszuwächse, auf immer schmaler werdende Schichten der immer reicher werdenden Reichen. Und zugleich werden die Entlohnungen für Service tief sinken wegen des wachsenden Angebots der darin tätig werden Wollenden. Der knappe Zuwachs von Arbeitsplätzen wird ein Tropfen auf dem heissen Stein bleiben gegenüber den Mengen der freigesetzten lebendigen Arbeitskräfte, freigesetzt durch die Automatisation von Produktion und deren Organisation.

Doch es geht eben nicht im Problem der Servicegesellschaft um den Stand von bisherigem Service, der sich ja im übrigen auch weithin automatisieren lässt, sondern um phantastisch neue Weisen, Formen, Strukturen wie Gehalte von Service, wie ich in meinem Buch "Bild im Ab-wesen" von 1998 herauszuarbeiten versuchte. Der Versuch dort im Buch lief nicht zuletzt über eine andere Interpretation des Kunstmärchens "Des Kaisers neue Kleider" entgegen der Interpretation des Autors selber von diesem Kunstmärchen, Hans Christian Andersen. Die Schneider leisten wirklich Arbeit, die Arbeit der Inszenierung in hohem Raffinement, sie leisten sozusagen virtuelle Arbeit für die Sehnsüchte des Königs nach dem Feinsten, die ihrerseits aufs gleichsam Virtuelle hin tendieren. So kommt man beim Streben nach immer feineren, das heißt aber auch immer dünneren Stoffen überein in der schließlichen Nacktheit des Königs als der dünnsten Bekleidung, also der feinsten. Da liegt am wenigsten einfach Betrug vor und die Schneider werden zu Unrecht hingerichtet, während Andersen das zum Erwachen des Königs aus Berauschtheit erklärt, Antwort der Industriegesellschaft.

Also an den neuen Arbeitsformen liegt es nicht, wogegen die Gewerkschaften Front machen müssten. Mit den Tendenzen zu neuen Arbeitsformen, soweit sie sich nicht auf die Technologie an ihr selber beziehen, hängt aber eben ein ungeheurer Entlohnungsdruck zusammen, weil die Tendenzen nur erst tröpfeln statt strömen. Im Entlohnungsdruck lägen die Fronten, in denen das Gewerkschaftliche seinen Widerstand artikulieren müsste, und Entlohnung sei hier weit gefasst, so dass auch alle Sozialabsicherung und Sicherheit am Arbeitsplatz, einschließlich eines Schutzes der Psyche, dazugehören.

Doch so mancher Gewerkschaftler möchte eine politische Einschränkung der Automatisation, hinter dem Rücken einig mit der Arbeitgeberseite, dass der Wert der neuen Arbeitsformen herabgesetzt zu sehen sei. Man möchte sich also lieber für einen Don Quijote-Kampf gegen Windmühlenflügel entscheiden und engagieren. Gleichermaßen verhält sich das mit gewerkschaftlichem Widerstand gegen Globalisierungsprozesse und schafft hinter dem Rücken falsche Bündnisse.

Man möchte im Interesse der eigenen staatsgebundenen Arbeitnehmerschaften die Erweiterung von Wirtschaftsräumen erschweren, um den Konkurrenzdruck auf die Arbeitnehmerschaft gering zu halten, und findet sich plötzlich mit einem Bein bei dem rechtsextremen Ausländerhass wieder. Ja bei mancher Gewerkschaftler-Äußerung möchte sich die Rede von einem neuen Nationalsozialismus nahelegen, wenn man diesen Begriff geschichtsfrei von seinem Wort-Sachverhalt her einsetzt. Ich möchte das nicht. Denn National-Sozialismus stand jenseits dessen für das Entwickeln einer industriellen Massenvernichtung von willkürlich für lebensunwert erklärtem Leben der so gebrandmarkten Untermenschen. Selbst nationale Orientierung der Gewerkschaftskämpfe hat damit nichts zu tun. Dennoch steht sie für Diskriminierungen im Wert des Engagements.

Die Gewerkschaften scheinen hierin am wenigsten ihren Charakter als situationelle und provisorische Notbremse vorübergehender Geltungen mit höchstem Relativismus begriffen zu haben, der wegen seines Relativismus nur aufs Konkreteste sich diskutieren lässt. Vielmehr wird wiederum ein Kampf gegen Windmühlenflügel eingeleitet. Denn die heutige Globalisierung ist unaufhaltsam. Es käme allein auf die Gestaltung ihres Wie an mit den verschiedensten Notnetzen.

William Turner zeigte die prozessualen Naturphänomene Nebel und Licht als äußerste Zerstreuungsfaktoren in seinen Landschaftsbildern. Um so bestimmter und detailhafter müsste man ihnen gegenüber agieren, um Halt und Unterstand zu gewinnen, ohne dass man sie aufzuheben vermöchte, den Nebel und das Licht. Er, der Romantiker, war darin klarer, aber kritischer Realist, während heutige Gewerkschaftler mit ihrem Verlangen, politische Nebel und Licht zu zerschlagen, zu zerreißen, wie romantische Nostalgiker wirken in ihrer Sucht, Netze politisch zerreißen zu lassen.

Burghart Schmidt ist Philosoph und Professor an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach/Main, Schwerpunkt: Sprache und Ästhetik.

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