Clubkultur und Ökonomie

Eine Voraussetzung für eine gelungene Selbstvermarktung ist die Entwicklung eines individuellen „DJ-Profils“ im Verlauf der Karriere, das bei Auftritten in Veranstaltungslokalen und im Internet präsentiert und vermarktet wird.

Dass Jugendkulturen und Ökonomie heute kaum mehr als einander ausschließende Pole zu verstehen sind, setzt sich in der Alltagswahrnehmung von Jugendkulturen ebenso durch wie in ihrer akademischen Erforschung. Aber auch DJs bringen, wie dieser Artikel anhand ihrer Selbstdarstellungen illustriert, den „Gegensatz von Kunst und Geld“ (Bourdieu 1999) allmählich zum Erodieren.

Lange Zeit dominierte eine Definition von Jugendkulturen als subkulturelle, nicht-kommerzielle Räume von Jugendlichen im Übergang von der Kindheit zum Erwachsenen-Status, die sie mit ihrer Eingliederung in die fordistische Arbeitswelt sukzessive verlassen. Seit rund 20 Jahren werden auch die ökonomischen Aspekte von Jugendkulturen beleuchtet – eine Bewegung weg von der Suche nach widerständigen Praxen und subversiven Stilen hin zur Untersuchung der Mikroökonomien in jugendkulturellen Feldern. Einen Ausgangspunkt dieser Fokusverschiebung bilden neoliberale Umstrukturierungsprozesse und die staatlich forcierte Entwicklung von Creative Industries-Klustern in urbanen Zentren. Nicht zuletzt diese Prozesse ermöglichen, dass Jugendkulturen und Musikszenen immer häufiger zu Arbeitsorten von Jugendlichen werden, die versuchen, ihren Lebensunterhalt mit Musik, Event-Veranstaltungen, Grafik- oder Modedesign, Medienproduktion und dergleichen zu verdienen. Sie streben ökonomisch erfolgreiche „Do-It-Yourself-Karrieren“ an, die, wie der Begriff bereits nahelegt, auf dem DIY-Ethos als umfassendes Organisationsprinzip basieren.

Do-It-Yourself Karrieren
In der Avantgarde der 1950er Jahre und den aufkommenden sozialen Bewegungen der 1960er Jahre wurzeln die Anfänge des Do-It-Yourself-Ethos. Vor allem die Hippie-Bewegung und der Punkrock mit ihren folgenden modifizierten Formen, inklusive der feministischen Riot Grrrls und Ladyfeste, aber auch elektronische Musikszenen und Clubkulturen erhoben das DIY-Ethos zum zentralen Organisationsprinzip. Jede_r, so der Anspruch, kann durch das Aufbrechen der Grenzen zwischen Konsument_in und Produzent_in und die Verwendung neuer Medien- und Kommunikationstechnologien Musik, Medien, Mode und Kunst produzieren und seine_ihre kulturellen Artefakte und Leistungen über alternative Distributionswege anbieten, verbreiten und verkaufen. Die Karriereverläufe dieser (sub-)kulturellen Produzent_innen basieren folglich auf umfassender Selbstorganisation, „learning by doing“ abseits von Ausbildungsinstitutionen und intensiven Strategien der Selbstvermarktung, weshalb ich sie als „Do-It-Yourself-Karrieren“ (Reitsamer 2011) bezeichne. Dass ökonomisch erfolgreiche DJs die Charakteristika einer DIY-Karriere erfüllen, illustrieren ihre umfassenden Tätigkeitsbereiche: DJ-ing und Musikproduktion im „Home-Studio“ sind ihre zentralen Praxen, die häufig durch benachbarte Tätigkeiten wie das Veranstalten von Szene-Events ergänzt werden. Mit der Übernahme all dieser Aufgaben sind DJs heute zu Musiker_innen, Musikproduzent_innen und Event-Organisator_innen geworden. Um jedoch mit diesen Tätigkeiten den Lebensunterhalt verdienen zu können, sind eine Reihe zusätzlicher Leistungen zu erbringen wie etwa Selbstvermarktung und Selbstorganisation.

Strategien der Selbstvermarktung und der Selbstorganisation
Eine Voraussetzung für eine gelungene Selbstvermarktung ist die Entwicklung eines individuellen „DJ-Profils“ im Verlauf der Karriere, das bei Auftritten in Veranstaltungslokalen und im Internet präsentiert und vermarktet wird. Die zentralen Dimensionen eines solchen „Profils“ sind u.a. der DJ-Name, der beim DJ-ing und der Musikproduktion entwickelte Musikstil und die Tonträgerveröffentlichungen sowie die „Referenzen“ der DJs respektive die Plattenlabels, auf denen die Tonträger veröffentlicht werden, und die Auftritte bei möglichst renommierten Clubnächten und Musikfestivals. Hinzu kommen die Netzwerke der DJs, die durch die Zugehörigkeit zur einer „DJ-Crew“ und die Kooperationen mit Musiker_innen und Event-Veranstalter_innen erkennbar werden. In ihrer Kombination vermitteln die einzelnen Dimensionen des DJ-Profils ein geschlossenes Bild über die Tätigkeiten einer_eines DJs; vermarktet wird das DJ-Profil im Internet über diverse Social-Networking-Plattformen. Welchen Nutzen DJs daraus ziehen können, beschreibt ein Wiener Techno-DJ:

„Seit ich bei MySpace bin, ist (…) überhaupt alles komplett in die Luft gegangen. Seitdem habe ich keine Booking Agency mehr, weil ich mir alles selber mach’, weil es einfach besser ist und ich keine Prozente abgeben muss. Über Myspace kannst du dich ganz einfach (…) zusammenschließen und da find’ ich mehr gutes, neues Zeug auf diesen Plattformen (…) als die ganzen Promos, die ich zugeschickt krieg’. (…) Ich hab über MySpace einmal eine ganze Asientour angeheuert.“

Der DJ kündigte den Vertrag mit seiner Booking Agentur, weil er im Zuge seiner Selbstvermarktung über MySpace Agenturagenden problemlos selbst übernehmen kann, wodurch Kosten gespart und gleichzeitig seine Auftrittshäufigkeit erhöht werden können. Er kombiniert also die virtuelle Selbstvermarktung mit Selbstorganisation, indem er sein DJ-Profil einer musikinteressierten „virtuellen Gemeinschaft“ (Rheingold 1994) anbietet. Seine positive Bezugnahme auf MySpace resultiert aus dem gewonnenen Bekanntheitsgrad im virtuellen Raum. Dieses symbolische Kapital kann er durch Auftritte bei Szene-Events in lokalen Musikszenen in ökonomisches Kapital konvertieren.

Die Voraussetzungen für die Produktion und die Aufrechterhaltung virtueller Netzwerke spricht der DJ allerdings nicht an. Es erscheint selbstverständlich, neben Computer, Software und Internet-Zugang über das technische Wissen für die Wartung der Social-Networking-Einträge und englische Sprachkenntnisse für die Kommunikation mit virtuellen Szene-Akteur_innen zu verfügen. Unerwähnt bleiben auch die investierte Zeit in die „Netzwerkpflege“ und seine Bereitschaft, für Musikinteressierte im virtuellen Raum verfügbar zu sein. Erst durch diese „Netzwerk-Sozialität“ (Wittel 2006) kann das entwickelte DJ-Profil im realen und virtuellen Raum der Musikszenen verwertet und der Karriereverlauf gezielt gesteuert werden. Selbstvermarktung geht also Hand in Hand mit Selbstorganisation und dem gezielten Aufbau von Netzwerken. Das angestrebte Ziel dabei ist die erfolgreiche Selbststeuerung des Karriereverlaufs. Dieses Ziel verfolgt auch eine andere Wiener Techno-DJ:

„Ich brauch’ (…) viel Zeit, die ich in die Promotion stecken muss und (…) um mich künstlerisch auszubilden, brauche ich auch wahnsinnig viel Zeit. Aber ich bin ja selbstständig und kann selber entscheiden, was ich wann mach’ und (…) wie groß (…) mein Business ist oder wie klein. Das entscheidet sich halt ganz nach meiner persönlichen Energie und meiner Zeit und meinen Ressourcen. Das kann ich als Ich-AG wahnsinnig gut lenken.“

Die Selbststeuerung des Karriereverlaufs beruht auf der freien und selbstbestimmten Verwendung von Zeit, persönlicher „Energien“ und „Ressourcen“, die einerseits für die Selbstvermarktung („Promotion“) eingesetzt werden, andererseits für das Erlernen und Üben des DJ-ings und der Musikproduktion („künstlerisches Ausbilden“). Die DJ spricht von der eigenverantwortlichen Gestaltung ihres „Business“ und beschreibt ihren Erwerbsstatus, der erlaubt, Größe und Umfang ihrer „Geschäftsbeziehungen“ zu bestimmen, mit dem Begriff „Ich-AG“. Sie greift damit einen in der Ratgeberliteratur zur Propagierung des „unternehmerischen Selbst“ (Bröckling 2007) und der „Neuen Selbstständigkeit“ (Bologna 2006) verwendeten Begriff auf, der nahelegt, die eigenen Tätigkeiten – von den Auftritten bei Szene-Events über die organisierten Clubnächte bis zu den produzierten und auf Tonträgern veröffentlichten Musikstücken – als Dienstleistungen und Waren zu begreifen. Diesen Vorschlag der einschlägigen Ratgeberliteratur hat die DJ längst verinnerlicht, indem die Dienstleistungen den Inhalt ihres DJ-Profils bilden, das es durch Selbstorganisation zu vermarkten gilt. Im Zentrum der „Ich-AG“, bei der die „Ich-Aktien“ den Kapitalstock des Unternehmens bilden, steht also das „Selbst“. Als „(sub-)kulturelle Unternehmer_innen ihrer Selbst“ (Reitsamer 2011) sollen DJs über die Gestaltungsfreiheit ihres Lebens verfügen, einschließlich der Wahl der Erwerbstätigkeit und der Verwendung der Lebenszeit. Folglich korrespondiert die Selbststeuerung der Karriere mit der Vorstellung der Selbstbestimmung über das eigene Leben.
Exemplarisch illustrieren die Selbstdarstellungen der beiden DJs, wie sie im Verlauf ihrer ökonomisch erfolgreichen DIY-Karriere neoliberale Arbeitsverhältnisse inkorporieren. Eine Folge dieses Prozesses ist, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit sowie der „Gegensatz von Kunst und Geld“ erodiert. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, die Frage nach dem emanzipatorischen Potenzial von „(sub-)kulturellen Unternehmer_innen ihrer Selbst“ in Musikszenen und Clubkulturen neu zu stellen, denn möglicherweise liegt es nicht (länger) in den Selbstaktivierungsstrategien der DJs als vielmehr in den dystopischen Momenten des „Hardcore Continuums“ (Simon Reynolds) auf dem Dancefloor.

Literatur
Bologna, S. (2006): Die Zerstörung der Mittelschichten. Thesen zur Neuen Selbständigkeit. Nauser & Nauser.
Bourdieu, P. (1999): Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Suhrkamp.
Bröckling, U. (2007): Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivitätsform. Suhrkamp.
Reitsamer, R. (forthcoming 2011): „When Will I Be Famous?“ Die Do-It-Yourself-Karrieren von DJs. Löcker.
Rheingold, H. (1994): Virtuelle Gemeinschaft. Soziale Beziehungen im Zeitalter des Computers. Addison-Wesley.
Wittel, A. (2006): „Auf dem Weg zu einer Netzwerk-Sozialität“. In: Hepp, A. et. al. (Hg.): Konnektivität, Netzwerk und Fluss. Konzepte gegenwärtiger Medien-, Kommunikations- und Kulturtheorie. VS Verlag, S. 163–188.

Rosa Reitsamer ist Soziologin und arbeitet derzeit am FWF-Forschungsprojekt „Feminist Media Production in Europe“ an der Universität Salzburg.

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