kulturrisse 04/05

Jubel aller Orten über das Zustandekommen der neuen „Konvention zum Schutze und zur Förderung der kulturellen Vielfalt“ der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (UNESCO). Allgemeiner Tenor ist, dass sie dazu geeignet sei, die Handlungsfähigkeit der staatlichen Kulturpolitik zu retten, die man schon den launischen Strömungen des liberalisierten Weltmarktes preisgegeben sah.
Seit August läuft in Hamburg die künstlerische Protestaktion „TAMM TAMM – Künstler informieren Politiker“. Anlass ist ein Beschluss, den das Hamburger Parlament, die „Bürgerschaft“, gefasst hat: die Errichtung des „Internationalen Schifffahrts- und Meeresmuseums Peter Tamm“.
Netlabels schaffen neue, größere Öffentlichkeiten und können sich so als effektiver Weg erweisen, Künstler bekannt zu machen. Darüber hinaus sind die anfallenden Kosten sehr viel niedriger, weshalb sehr viel mehr Musik veröffentlicht werden kann. Dies führt aber nicht einfach zu einer Schwemme von schlechter Musik, sondern zu einer ungeheuren Befruchtung innerhalb der Szene, in der mehr Austausch denn je zwischen Musikern stattfinden kann.
Der 6te Sinn, ein partizipatives Kulturprojekt organisiert von der IG Kultur Wien, hat ein Experimentierfeld mit hohen Ansprüchen eröffnet: Kulturinitiativen, KünstlerInnen, soziale Initiativen sowie Gewerbetreibende des sechsten Bezirkes sollten in einen Prozess der Auseinandersetzung versetzt werden. Die alte Losung von der „Kultur für alle“ sollte von einer Praxis der „Kultur von allen“ abgelöst und nicht der kleinste gemeinsame Nenner gefunden werden.
Ein Thema wie die Prekarisierung könnte entlang eines bestehenden ideologischen Geflechts aufgebaut werden, das die europäische Gesellschaft seit je wie ein Myzel durchwächst: dem Christentum. Nicht erschrecken, nicht lachen, sondern aufgreifen: Gerechtigkeit und Gleichheit sind (auch) christliche Grundwerte.
Der Countdown läuft. Bis zum Jahresende kann sich SchwarzBlauOrange noch schützend vor den Kunstmarkt stellen, um ihn vor Folgerechtsabgaben zu bewahren. Danach bricht das Folgerecht auch über Österreich herein: Bildende KünstlerInnen werden ab 1. 1. 2006 einen Anspruch auf finanzielle Beteiligung am Wiederverkauf ihrer Werke haben. Jedes Mal, wenn der Kunstmarkt für einen EigentümerInnenwechsel eines Kunstwerks sorgt (ausgenommen ist der Erstverkauf ), soll die KünstlerIn wenige Prozent vom Verkaufserlös erhalten.
Am Beispiel des Rauchens lässt sich gut zeigen, wie das wohlfahrtsstaatliche System, das in Bezug auf die Krankenversicherung die Beiträge am Einkommen orientiert hat, langsam abgelöst wird durch das Modell einer „versicherungsmathematischen Gerechtigkeit“ (Schmidt-Semisch), die Gerechtigkeit an den Risiken ausrichtet. Hier findet eine Umcodierung von Begriffen wie Gerechtigkeit und Solidarität statt.
Traditionell war es die Sozialdemokratie, die Gerechtigkeit nicht nur als Ziel proklamierte, sondern auch zur Maxime ihres politischen Handelns machte. Das ist bloß noch Geschichte.
Wer glaubt, der Republik könne nach Ablauf des staatlichen Jubeljahres keine Fortsetzung des rot-weiß-roten Hurra-Getöses zugemutet werden, sollte besser für ein nochmaliges Ansteigen der Emissionswerte gewappnet sein. Am 1. Jänner 2006 übernimmt Wolfgang Schüssel – so schreibt es das Rotationsprinzip der Staatengemeinschaft vor – den Ratsvorsitz der Europäischen Union. Der rechtskonservativen Kanzlerpartei eröffnet sich dann sechs Monate lang die Möglichkeit, ihr Hegemoniebestreben territorial erheblich auszuweiten.
Der Osten ist also ein Film. Und im Abspann laufen – was sonst – die Credits.
Die einzige Zukunft Bosniens liegt in Europa. Darüber sind sich die Experten einig. Egal ob Wirtschaft, Politik, Kultur – das Ziel der Bemühungen ist klar: Bosnien muss aufholen, anschließen, beitreten.
Für manche von uns KulturproduzentInnen käme es gar nicht in Frage, auf Dauer einen festen Job in einer Institution haben zu wollen, höchstens für ein paar Jahre. Dann müsste es wieder etwas anderes sein. Denn ging es bisher nicht immer wieder auch darum, sich nicht auf eine Sache festlegen zu müssen, nicht auf eine klassische Berufsbezeichnung, mit der ganz viel ausgeblendet wird; sich nicht einkaufen zu lassen und dadurch viele leidenschaftliche Beschäftigungen aufgeben zu müssen? War es nicht wichtig, sich nicht den Zwängen einer Institution anzupassen, um die Zeit und Energie zu behalten, die kreativen und eventuell politischen Projekte machen zu können, an denen das eigene Herzblut hängt?