Selbst-Prekarisierung von KulturproduzentInnen. Ein Beispiel neoliberaler Subjektivierung.

Für manche von uns KulturproduzentInnen käme es gar nicht in Frage, auf Dauer einen festen Job in einer Institution haben zu wollen, höchstens für ein paar Jahre. Dann müsste es wieder etwas anderes sein. Denn ging es bisher nicht immer wieder auch darum, sich nicht auf eine Sache festlegen zu müssen, nicht auf eine klassische Berufsbezeichnung, mit der ganz viel ausgeblendet wird; sich nicht einkaufen zu lassen und dadurch viele leidenschaftliche Beschäftigungen aufgeben zu müssen? War es nicht wichtig, sich nicht den Zwängen einer Institution anzupassen, um die Zeit und Energie zu behalten, die kreativen und eventuell politischen Projekte machen zu können, an denen das eigene Herzblut hängt?

Für manche von uns KulturproduzentInnen käme es gar nicht in Frage, auf Dauer einen festen Job in einer Institution haben zu wollen, höchstens für ein paar Jahre. Dann müsste es wieder etwas anderes sein. Denn ging es bisher nicht immer wieder auch darum, sich nicht auf eine Sache festlegen zu müssen, nicht auf eine klassische Berufsbezeichnung, mit der ganz viel ausgeblendet wird; sich nicht einkaufen zu lassen und dadurch viele leidenschaftliche Beschäftigungen aufgeben zu müssen? War es nicht wichtig, sich nicht den Zwängen einer Institution anzupassen, um die Zeit und Energie zu behalten, die kreativen und eventuell politischen Projekte machen zu können, an denen das eigene Herzblut hängt? Unter KulturproduzentInnen sind hier Leute gemeint, die unterschiedliche Praktiken durchqueren: Theorieproduktion, Gestaltung, politische und kulturelle Selbstorganisation, bezahlte und unbezahlte Jobs, informelle und formelle Ökonomien, Projekt bezogenes Arbeiten und Leben, also Leute sowohl aus dem Kultur- als auch aus dem Wissenschaftsbetrieb. Bei der hier suggerierten Haltung ist es entscheidend zu glauben, die eigenen Lebens- und Arbeitsverhältnisse seien selbst gewählt und deren Gestaltung sei relativ frei und autonom. Tatsächlich sind die Unsicherheiten, die mangelnden Kontinuitäten unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen zu einem großen Teil durchaus auch bewusst gewählt. Im Folgenden geht es jedoch nicht um die Fragen „Wann habe ich mich wirklich frei entschieden?“, „Wann agiere ich autonom?“, sondern darum, in welcher Weise Vorstellungen von Autonomie und Freiheit konstitutiv mit hegemonialen Subjektivierungsweisen in westlichen, kapitalistischen Gesellschaften zusammenhängen. Der Fokus dieses Textes liegt dementsprechend darauf, inwiefern durch „selbst gewählte“ Prekarisierung die Voraussetzungen dafür mitproduziert werden, aktiver Teil neoliberaler politischer und ökonomischer Verhältnisse werden zu können. Dabei soll die Frage beantwortet werden, inwiefern ehemals als dissident verstandene prekäre Lebens- und Arbeitsweisen aktuell in ihrer hegemonialen, gouvernementalen Funktion offensichtlich werden und weshalb sie ihr Potenzial zu einem Gegenverhalten zu verlieren scheinen. Im Folgenden nur einige wenige Überlegungen, ohne Anspruch auf eine umfassende Analyse.

Selbst-Prekarisierung

Viele der selbst-prekarisierten KulturproduzentInnen, um die es hier pauschalisierend geht, würden sich auf eine bewusste oder unbewusste Geschichte ehemals alternativer Existenzweisen beziehen, meist ohne einen direkten politischen Bezug dazu zu haben. Sie sind mehr oder weniger irritiert über ihre Verschiebung hin in die gesellschaftliche Mitte, also dorthin, wo sich das Normale und Hegemoniale reproduziert. Das heißt allerdings nicht, dass ehemals alternative Lebens- und Arbeitstechniken gesellschaftlich hegemonial werden. Es verhält sich eher genau anders herum: Die massenhafte Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen wird mit der Verheißung, die eigene Kreativität zu verantworten, sich nach den eigenen Regeln selbst zu gestalten, für all diejenigen, die herausfallen aus dem Normalarbeitsverhältnis, als zu begehrende, vermeintlich normale Existenzweise erzwungen. Um diese gezwungenermaßen Prekarisierten geht es hier indes nicht, sondern um diejenigen, die von sich sagen, sie hätten prekäre Lebens- und Arbeitsverhältnisse als KulturproduzentInnen freiwillig gewählt. Es ist erstaunlich, dass es hierzu noch keine systematischen empirischen Untersuchungen gibt. Die gängigen Parameter von KulturproduzentInnen dürften jedoch darin bestehen, dass sie gut bis sehr gut ausgebildet sind, zwischen fünfundzwanzig und vierzig Jahren, kinderlos und mehr oder weniger gewollt prekär beschäftigt. Sie gehen befristeten Tätigkeiten nach, leben von Projekten und Honorarjobs, von mehreren gleichzeitig und einem nach dem anderen, meist ohne Kranken-, Urlaubs- und Arbeitslosengeld, ohne Kündigungsschutz, also ohne oder mit minimalen sozialen Absicherungen. Die 40-Stunden-Woche ist eine Illusion. Arbeitszeit und freie Zeit finden nicht entlang klar definierter Grenzen statt. Arbeit und Freizeit lassen sich nicht mehr trennen. In der nicht bezahlten Zeit findet eine Anhäufung von Wissen statt, welches wiederum nicht extra honoriert, aber selbstverständlich in die bezahlte Arbeit eingebracht und abgerufen wird, usw. (vgl. u.a. Böhmler / Scheiffele 2005; kpD 2005; McRobbie 2002; Rambach / Rambach 2001). Dies ist keine „Ökonomisierung des Lebens“, die etwa von Außen kommt, übermächtig und totalisierend. Es geht hier vielmehr um Praktiken, die sowohl mit Begehren als auch mit Anpassung verbunden sind. Denn diese Existenzweisen werden immer wieder auch in vorauseilendem Gehorsam antizipiert und mitproduziert. Die nicht existierenden oder geringen Bezahlungen, im Kultur- oder Wissenschaftsbetrieb zum Beispiel, werden allzu häufig als unveränderbare Tatsache hingenommen, anderes wird gar nicht erst eingefordert. Die Notwendigkeit, anderen, weniger kreativen, prekären Beschäftigungen nachzugehen, um sich die eigene Kulturproduktion finanzieren zu können, wird hingenommen. Diese erzwungene und gleichzeitig selbst gewählte Finanzierung des eigenen kreativen Schaffens stützt und reproduziert genau die Verhältnisse immer wieder, unter denen man leidet und deren Teil man zugleich sein will. Vielleicht sind die kreativ Arbeitenden, diese selbst gewählten prekarisierten KulturproduzentInnen deshalb so gut ausbeutbare Subjekte, weil sie ihre Lebens- und Arbeitsverhältnisse wegen des Glaubens an die eigenen Freiheiten und Autonomien, wegen der Selbstverwirklichungsphantasien scheinbar unendlich ertragen. Sie sind in einem neoliberalen Kontext dermaßen ausbeutbar, dass sie von staatlicher Seite sogar als Rolemodels angeführt werden.

Das Zusammenfallen von Produktion und Reproduktion

Mit dieser Selbst-Prekarisierung sind Erfahrungen von Angst und Kontrollverlust verbunden, Gefühle von Verunsicherung durch Verluste an Sicherheiten, sowie Angst vor und die Erfahrung von Scheitern, sozialem Abstieg und Armut. Auch deshalb sind „Loslassen“ oder Formen des Ausstiegs und Abfallens vom hegemonialen Paradigma schwierig. Man muss „on speed“ bleiben, sonst könnte man rausfallen. Klare Zeiten für Entspannung und Erholung gibt es nicht. Solche Reproduktion hat keinen klaren Ort, was wiederum eine unerfüllte Sehnsucht und ein fortwährendes Leiden an diesem Mangel zur Folge hat. Das Begehren nach Entspannung, danach, „zu sich selbst zu kommen“, wird unstillbar. Derart reproduktive Praktiken müssen meist neu erlernt werden. Sie entbehren jeder Selbstverständlichkeit und müssen gegen sich und andere hart erkämpft werden. Das macht diese Sehnsucht nach Reproduktion, nach Regeneration wiederum so überaus vermarktbar. Nicht nur die Seite der Arbeit, die der Produktion, ist demnach prekär geworden, sondern auch die so genannte andere Seite, die oft als „Leben“ bezeichnet wird, die Seite der Reproduktion. Fallen Produktion und Reproduktion demnach zusammen? Bei diesen KulturproduzentInnen auf eine alte neue Weise, ja. Was sich an ihnen zeigen lässt, ist, dass in einer neoliberalen Form von Individualisierung Teile von Produktion und Reproduktion in die Subjekte hineinverlagert werden. Im gegenwärtigen Kontext von prekarisierter immaterieller, meist individualisierter Arbeit und ebensolchem „Leben“ verändert sich folglich die Funktion von Reproduktion. Sie wird nicht mehr nur auf andere, vornehmlich Frauen ausgelagert. Individuelle Reproduktion und Generativität, die Produktion des Lebens individualisiert und verlagert sich nun zum Teil in die Subjekte selbst hinein. Es geht um Regeneration jenseits von Arbeit, auch durch Arbeit, aber immer noch sehr häufig jenseits von angemessen bezahlter Lohnarbeit. Es geht um Regeneration, um Erneuerung, Aus-sich-selbst-Schöpfen, sich selbst aus eigener Kraft wieder herstellen: eigenverantwortlich. Die Selbstverwirklichung wird zur reproduktiven Aufgabe für das Selbst. Arbeit soll die Reproduktion des Selbst gewährleisten. Wenn selbst-prekarisierte KulturproduzentInnen in ihrer ganzen Heterogenität in dieser Weise vereinheitlichend dargestellt werden, lässt sich über deren Subjektivierung im Neoliberalismus sagen, dass sie offensichtlich in einem Widerspruch stattfindet: in der Gleichzeitigkeit von Prekarisierung zum einen, das heißt immer auch Fragmentierung und Nicht-Linearität, und Kontinuität von Souveränität zum anderen; das heißt in einem Setting, das bisher vornehmlich als widersprüchlich verstehbar ist.

Das „selbst gewählte“ als „gutes Leben“?

KulturproduzentInnen geben deshalb eines von vielen Beispielen dafür ab, inwiefern „selbst gewählte“ Lebens- und Arbeitsweisen, mitsamt deren Vorstellungen von Autonomie und Freiheit, mit politischen und ökonomischen Umstrukturierungen kompatibel sind. Wie ließe sich sonst erklären, dass bei einer Untersuchung über Lebens- und Arbeitsverhältnisse kritischer KulturproduzentInnen auf die Frage nach dem „guten Leben“ von diesen keine Antworten zu bekommen waren (vgl. kpD 2004)? Wenn Arbeit und Leben zunehmend voneinander durchdrungen sind, dann heißt das zwar, wie es eine Interviewte ausdrückt: „Die Arbeit sickert in dein Leben.“ Aber offensichtlich sickern nicht genügend Vorstellungen von „gutem Leben“ in die Arbeit, wodurch diese dann wiederum zu etwas transformiert werden könnte, was kollektiv ein „gutes Leben“ bedeutet. Das Gegenverhalten mit der Perspektive auf ein besseres Leben, das immer weniger eine gouvernementale Funktion hat, bleibt aus. Offenbar kann mithilfe einer widersprüchlichen Subjektivierung zwischen Souveränität und Fragmentierung der Glaube an Prekarisierung als eine liberal gouvernementale Widerspruchsposition aufrecht erhalten werden. Dabei werden allerdings fortwährend Macht- und Herrschaftsverhältnisse unsichtbar und Normalisierungsmechanismen als selbstverständliche und autonome Entscheidung des Subjekts naturalisiert. Dazu trägt die totalisierende Rede von der „Ökonomisierung des Lebens“ bei, da Hegemonieeffekte und damit Kämpfe und Widersprüche aus dem Blick geraten. Die eigenen Imaginationen von Autonomie und Freiheit werden nicht in der gouvernementalen Kraftlinie moderner Subjektivierung reflektiert, andere Freiheiten nicht mehr vorgestellt und so die Perspektive auf mögliches Gegenverhalten zur hegemonialen Funktion von Prekarisierung im Kontext neoliberaler Gouvernementalität verstellt. Was ist der Preis dieser Normalisierung? Was bekommt im Neoliberalismus die Funktion des Anormalen, Devianten? Was ist nicht dermaßen ökonomisch und politisch verwertbar? Statt den Fokus augenblicklich auf das messianische Kommen von Widerständigkeit und neuen Subjektivitäten zu legen, glaube ich, dass davor noch weiter und genauer an den Genealogien der Prekarisierung als hegemonialer Funktion gearbeitet werden muss, an der Problematisierung der Kontinuitäten bürgerlicher gouvernementaler Subjektivierungsweisen im Kontext von sich auch als dissident verstehenden Vorstellungen von Autonomie und Freiheit.

Literatur

Böhmler, Daniela / Scheiffele, Peter (2005): Überlebenskunst in einer Kultur der Selbstverwertung. In: Franz Schultheis / Christina Schulz (Hg.): Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Zumutungen und Leiden im deutschen Alltag. Konstanz, S. 422–448

Kleines Postfordistisches Drama/kpD (2005): Prekarisierung von KulturproduzentInnen und das ausbleibende „gute Leben“. In: arranca! für eine linke Strömung. Nr. 32 (Sommer), S. 23–25

McRobbie, Angela (2002): „Jeder ist kreativ“. Künstler als Pioniere der New Economy?. In: Jörg Huber (Hg.): Singularitäten – Allianzen. Interventionen 11. Wien /New York, S. 37–60

Rambach, Anne / Rambach, Marine (2001): Les intellos précaires. Paris Film Kleines Postfordistisches Drama/kpd (2004): Kamera läuft! (Zürich / Berlin, 32’)

Isabell Lorey ist Politologin, Aktivistin der Gruppe kpD und unterrichtet an der Universität der Künste Berlin Gender und Postcolonial Studies. Der vorliegende Artikel ist die gekürzte Version des Textes „Governmentality and Self-Precarization: On the normalization of culture producers“, der Ende 2005 im Ausstellungskatalog „CAPITAL“, herausgegeben von Simon Sheikh, erscheinen wird.

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