Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

Wer glaubt, der Republik könne nach Ablauf des staatlichen Jubeljahres keine Fortsetzung des rot-weiß-roten Hurra-Getöses zugemutet werden, sollte besser für ein nochmaliges Ansteigen der Emissionswerte gewappnet sein. Am 1. Jänner 2006 übernimmt Wolfgang Schüssel – so schreibt es das Rotationsprinzip der Staatengemeinschaft vor – den Ratsvorsitz der Europäischen Union. Der rechtskonservativen Kanzlerpartei eröffnet sich dann sechs Monate lang die Möglichkeit, ihr Hegemoniebestreben territorial erheblich auszuweiten.

Wer glaubt, der Republik könne nach Ablauf des staatlichen Jubeljahres keine Fortsetzung des rot-weiß-roten Hurra-Getöses zugemutet werden, sollte besser für ein nochmaliges Ansteigen der Emissionswerte gewappnet sein. Am 1. Jänner 2006 übernimmt Wolfgang Schüssel – so schreibt es das Rotationsprinzip der Staatengemeinschaft vor – den Ratsvorsitz der Europäischen Union. Der rechtskonservativen Kanzlerpartei eröffnet sich dann sechs Monate lang die Möglichkeit, ihr Hegemoniebestreben territorial erheblich auszuweiten. Ausgerechnet jetzt steckt die EU angesichts der Verfassungspleite, des Beschäftigungstiefs und sozialer Unruhen in einer schweren Krise. Was aber beschert ihr nun die ÖVP? Das Jahr 2005 bot bereits aufschlussreiche Anhaltspunkte. In einem engen Zusammenwirken von Regierung, ORF und Kronen Zeitung wurde Österreichs Vergangenheit in den Dienst der Gegenwart gestellt. Die Inszenierung einer Heimat der großen Söhne sollte in erster Linie das Regime der Volkspartei unter Wolfgang Schüssel zum Erstrahlen bringen. An einer kritischen Auseinandersetzung mit Geschichte, historischer Verantwortung, Wiedergutmachung und politischem Neubeginn war an offizieller Stelle niemand interessiert. Am 5. November trat der Bundeskanzler auf die Bühne der Wiener Staatsoper, um anlässlich des runden Jubiläums vor laufenden Kameras zu den Festgästen zu sprechen. Wie in keiner der Ansprachen dieses Abends ließ sich auch von ihm nichts darüber in Erfahrung bringen, dass mit der Wiedererrichtung des Opernhauses vor 50 Jahren die Verweigerung einer politischen, geistigen und kulturellen Erneuerung nicht nur in Stein gehauen, sondern als Sinnbild einer vermeintlich kulturellen Großmacht geradezu dauerhaft festgeschrieben worden war. Stattdessen schwärmte Schüssel von einer ganz besonderen Dimension, auf die er sich nunmehr selbst zu beziehen versuchte: „Die Oper ist ein Teil unserer Identität, Teil unserer Kultur, unserer europäischen Kultur.“ Und: „Wir werden das Thema Kultur in der Präsidentschaft zu einem Thema machen.“ Daraufhin verschwand er auch schon wieder. Welche Schlüsse soll Europa nun daraus ziehen?

Gegenaufklärung als Staatsdoktrin

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Wie sehr doch manche historische Szenen einander gleichen. „Österreich“, so ließ der Kanzler seine Mitbürger und Mitbürgerinnen mit einem Zuruf wissen, „ist wieder ein Land geworden, das den ihm zukommenden Platz in der Welt einnimmt. Unsere Erzeugnisse werden gern gekauft. Die Schönheiten unseres Landes und die Liebenswürdigkeit seiner Bewohner bringen hunderttausende Besucher alljährlich zu uns.“ Die Regierungserklärung des Jahres 1956 zeigte Entschlossenheit und neu erwachtes Bewusstsein einer politischen Mission. „Wir werden die Arbeit, welche die nächste Zukunft von uns fordert und welche sicherlich leichter ist als die, die wir bereits vollbracht haben, bewältigen können. Der Dichter Friedrich Hebbel sagt: Dies Österreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält. Und waltet erst bei uns das Gleichgewicht, dann wird’s auch in der andern wieder Licht.“ Julius Raab markierte den Staatsvertrag sowie die Verabschiedung der Alliierten stets als das Ende eines nationalen Leidenswegs, dessen Täter-Opfer-Umkehr das kollektive Bewusstsein vieler Generationen prägen sollte. Mit ihm an der Regierungsspitze setzte insbesondere die ÖVP alles daran, moderne Einflüsse in Kunst, Kultur und Geistesleben zu unterdrücken und Österreich im bereits früh globalisierten Weltenlauf mit einem Gemisch aus Heimat-Idylle, Provinzialismus, Antikommunismus und Hartwährungspolitik auf gegen-aufklärerischen Kurs zu bringen. Das so genannte Gedankenjahr, in dem – so Wolfgang Schüssel vor dem Opernpublikum – „das ,Danke‘ im Namen drinnen steht“, stimmt 50 Jahre später einen Multimedia-Jubel auf die alten Zeiten an. Nun sollen diese Hymnen auch auf Europa übertragen werden. Die ÖVP ist für 2006 schon im Sommer davor auf Kurs gebracht. In ihrer Aufgabe als Think-tank hat sich die Politische Akademie frühzeitig darum gesorgt, wie sich „Österreichs Erfolgsstory global exportieren“ lässt. „Sehen wir uns als verträumtes Alpendisneyland für Luxuspensionäre – oder als gesellschaftlich und wirtschaftlich erfolgreichen Zukunftsstandort?“ Der Philosoph Rudolf Burger sowie auch der Schriftsteller Cees Noteboom dienten sich als intellektuelle Avantgarde an, den schwarzen Kadern neue „Identitätsräume“ als „Wohnorte der österreichischen Seele“ zu erschließen. Einer der Höhepunkte im Programm: „Österreich im Herzen Europas. Werte als Verbindung. Werte als Trennung.“

What is Austria’s problem?

Es dauerte nicht lange, da konnte die europäische Öffentlichkeit einen Eindruck davon gewinnen, welche Werte der künftige Ratspräsident seinem politischen Handeln zu Grunde legt. Als im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei deutlich wurde, dass VP-Kanzler Schüssel völlig isoliert und angesichts düsterer Umfragedaten im Vorfeld der steirischen Landtagswahl aus leicht durchschaubaren innenpolitischen Erwägungen auf die Bremse stieg, machten sogleich Zweifel an der Vereinbarkeit Österreichs mit den Gemeinschaftsgrundsätzen die Runde. „What is Austria’s problem?“, fragte der britische Guardian am 4. Oktober und konstatierte in diesem Verhalten eine ungebrochene Affinität zur eigenen NS-Vergangenheit („a country which has never faced up to its Nazi past“). Als zentrales Problem entpuppte sich in weiterer Folge tatsächlich Wolfgang Schüssel. „Was mich empört und nachdenklich gemacht hat, sind Pressestimmen, die offensichtlich unausrottbar sind.“ Ein Regierungschef, der derart unverhohlen seinen Wunsch nach Beseitigung kritischer Publizistik zum Ausdruck bringt, lässt auf europäischem Parkett noch Düsteres erahnen. Was also wird erst geschehen, wenn nach dem 1. Jänner 2006 auch nur irgendjemand die volle Integration der extremen Rechten in das politische System seit Februar 2000 problematisiert? Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse erscheint es allemal als geradezu skurril, dass ausgerechnet im April 2006 ein Gastauftritt des austro-türkischen Designers Atil Kutoglu im Rahmen einer Modenschau unter den Highlights des kulturellen Programms der Präsidentschaft anzutreffen ist. Franz Morak, als Staatssekretär für Kunst und Medien mehr tragikomischer Platzhalter denn ein ernst zu nehmender Gestalter auf der Regierungsbank, musste für grundlegendere Bekenntnisse in die erste Reihe treten: Europa ist „nicht sexy“, dafür aber „sehr wichtig für uns und unsere Kinder!“. EU-Kulturpolitik sei eben „Knochenarbeit“, ein „EU-Politiker am Abend meist ziemlich müde“. „Österreich“, so tönte es dessen ungeachtet aus dem Kanzleramt, „wird während seiner EU-Ratspräsidentschaft verstärkt Akzente auf die Vertiefung des europäischen Gedankens setzen.“ Und als zählte er selbst zu jenen, die nach neuen „Wohnorten der österreichischen Seele“ Ausschau halten, führte Morak zur Standortbestimmung weiter aus: „Europa sucht seine Mitte. Kunst und Kultur können einen wesentlichen Beitrag zum Projekt Europa leisten. Gerade im Bereich von Kunst und Kultur finden wir einen gemeinsamen Raum und eine gemeinsame Sprache.“

Technologien der Einschränkung statt freier Software

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Am 1. Jänner 2006 geht Österreichs Kampf um kulturelle Selbstbehauptung in die nächste Runde. Seit Jahrzehnten legt die Kulturpolitik der ÖVP großes Gewicht auf das Paradigma der Identität durch Abwehr (siehe dazu auch Kulturrisse 0103, Gott behüte Österreich). Staatssekretär Franz Morak knüpft daher an Traditionen an: „Die rasante Entwicklung der Informationsgesellschaft sowie die Internationalisierung und Globalisierung der Märkte stellen neue Herausforderungen dar. Unser Handlungsfeld ist durch die europäische Tradition und die Cultural Industries geprägt. Österreich möchte hier den derzeit laufenden Diskussionsprozess vertiefen.“ Eine erste Vertiefung österreichischer Provenienz erfuhr der Diskussionsprozess bereits Mitte November 2005 auf außereuropäischem Terrain. Im Rahmen des UN-Weltgipfels der Informationsgesellschaft sollten auch die Vienna Conclusions in Tunis mit Denkanstößen in die Agenda der Vereinten Nationen Eingang finden. Der Broschüre vorausgegangen war eine internationale Tagung unter dem Titel „ICT + Creativity = Content“, zu der Bundeskanzler Schüssel im Juni 2005 geladen hatte. An der Arbeitsgruppe beteiligten sich neben Peter Rantasa vom Music Information Center Austria (mica) auch Georg Greve, Präsident der Free Software Foundation Europe, sowie Ralf Bendrath, Politikwissenschafter an der Universität Bremen und Beobachter des WSIS-Prozesses für die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung. Ihnen gemeinsam erschien es von Bedeutung, in den Ergebnispapieren vor allem auch freie Software als vielversprechende Kulturtechnologie einer digitalen Gesellschaft festzuschreiben. Als der Augenblick der Präsentation gekommen war, staunten die Beteiligten nicht schlecht, als ihnen plötzlich anders lautende Passagen vorgetragen wurden. Der Begriff „Freie Software“ fehlte gänzlich, statt dessen fanden sich in den Vienna Conclusions Referenzen zu Technologien der Einschränkung freier Entwicklungen (Digital Rights Management). Die Manipulation war offenkundig, an einen Zufall glaubte niemand. Das Bundeskanzleramt erklärte sich in Folge zu keinerlei Stellungnahme bereit, dennoch blieb nicht verborgen, dass dieser schwerwiegende Eingriff von Thomas Lutz, Mitglied der Geschäftsführung von Microsoft Österreich, sowie von Carina Felzmann betrieben wurde. Die Nationalratsabgeordnete der ÖVP ist nicht nur Geschäftsführerin einer PR- und Lobbying-Agentur, sondern sitzt auch dem Verband creativ wirtschaft austria vor, dem wiederum der Verband der Österreichischen Musikwirtschaft (IFPI Austria) angehört.

Vom nationalen Aufbaujahr in die EU-Verlängerung

„Bei aller Gemeinsamkeit im geeinten Europa muss man realistischerweise sagen: Es gibt Länder, in denen die mediale Öffentlichkeit mit erkennbarer Freude auf Österreich hinklopft oder sich über die Ösis lustig macht.“ Obwohl das Neue Volksblatt noch am 26. November 2005 nationale Trübsal bläst, signalisiert das ÖVP-Parteiorgan nach innen wie auch nach außen Stärke. „Wir Österreicher sind selbstbewusst genug, um solche Untergriffe locker wegzustecken.“ Das nationale Aufbaujahr zeigt in den eigenen Reihen Wirkung. Nun geht die Kanzlerpartei in die EU-Verlängerung. Europas Kultur- und Entertainment-Industrien dürfen sich schon jetzt die Hände reiben, Demokratieausbau, politische Partizipation sowie der Kampf für Menschenrechte haben vorerst Sendepause. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel? Am 1. Juli 2006 ist für Europa der „I am from Austria“-Spuk vorüber. Die darauf folgenden Wahlen im Herbst werden zeigen, ob dieses Spiel auch hier zu Lande ein Ende finden kann.

Martin Wassermair ist Historiker und Geschäftsführer der Wiener Medienkultur- Institution Netbase

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