Resistance in Progress

Unter dem Titel „work in progress: Protestbilder“ präsentierte die Diagonale 2010 vier Filme zur und aus der Bildprotestbewegung. Die anschließende, bis spätnachts geführte Publikumsdiskussion schaffte einerseits Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit dem Gezeigten. Darüber hinaus wurden Fragen nach Möglichkeiten (und Grenzen) eines kollektiven (basisdemokratischen) filmischen Arbeitsprozesses aufgeworfen.

Unter dem Titel „work in progress: Protestbilder“ präsentierte die Diagonale 2010 vier Filme zur und aus der Bildprotestbewegung. Die anschließende, bis spätnachts geführte Publikumsdiskussion schaffte einerseits Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit dem Gezeigten. Darüber hinaus wurden Fragen nach Möglichkeiten (und Grenzen) eines kollektiven (basisdemokratischen) filmischen Arbeitsprozesses aufgeworfen. Wer produziert welche Bilder und durch welche Montage welchen Film? Was können – Bezug nehmend auf jene drei Filme, die Bildmaterial zu Geschichte/n und Ereignissen der Protestbewegung zum Ausgangspunkt hatten – diese Arbeiten über eine Berichterstattung und Dokumentation hinaus leisten? Und wie kommen die filmischen (Zwischen-)Ergebnisse beim Publikum an, das teilweise selbst Teil dieser Bewegung ist?

re*claim your imagination
Resistance in Progress und re*claim your imagination spannen zeitlich einen großen Bogen, quasi von der ersten Stunde des kollektiven Protests bis zu Aktivitäten in den Tagen vor der Filmvorführung. Die Anfangsmomente der Besetzung der Akademie der bildenden Künste Wien am 20.10.2009 sind filmisch festgehalten (Durchsage: „Die Besetzung beginnt nun. Now. Squat the University now.“; Aufhängen eines riesigen Transparents an der Hauptfassade des Gebäudes am Schillerplatz). Auch bei der zwei Tage später stattfindenden ersten Abstimmung im Audimax, nachdem der zuvor durch die Uni Wien schweifende Demonstrationszug letztlich im größten Hörsaal angekommen ist, war die Kamera mit dabei: „Wollen wir diesen Hörsaal besetzen? Wer ist dafür? Handzeichen…“ Die Antwort ist bekannt und die Beweggründe in zahlreichen Statements in den Filmen festgehalten. Auch das politische Gegenüber kommt u. a. in Interviews zu Wort. Dabei entbehrt es nicht an Komik, wenn etwa der damalige Wissenschaftsminister Hahn nach einer Sitzung des so genannten Bildungsdialogs auf die wiederholte Einladung von Aktivist*innen zu Gesprächen ins Audimax derart dümmliche Antworten gibt, dass ihn ein Mitarbeiter bereits von hinten am Ärmel zu zupfen beginnt, um ihn von der Kamera wegzubewegen.

Kunst ist schön
Top aktuell waren beide Filme zum Vorführungszeitpunkt bei der Diagonale mit Szenen, die wenige Tage zuvor in Wien im Rahmen der week of action „Bologna Burns“ anlässlich des Zusammentreffens EUropäischer Bildungsminister*innen zum zehnjährigen Jubiläum des Bologna-Prozesses aufgenommen wurden. Sowohl Bilder der international unterstützten Proteste auf der Straße als auch aus dem Festsaal der Hofburg, wohin ÖH-Vertreter*innen zum „Festakt“ ebenfalls eingeladen waren und dies subtil für Protest nutzten, sind zu sehen. Und ebenso Akte willkürlicher Polizeirepression bei einer zeitgleich stattfindenden Sitzblockade, um den Festgästen den Zugang zu erschweren.
Die Filmemacher*innen von Resistance in Progress haben einen chronologischen Erzählungsstrang gewählt. re*claim your imagination verknüpft Szenen vor allem inhaltlich (assoziativ). Beide Filme ergänzten Videoaufzeichnungen der Protestbewegung mit Interviews, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Resistance in Progress verzichtete auf eine Untertitelung der Sprechenden, wenn diese Teil der Protestbewegung sind (ausgenommen Personen, die darüber hinaus in bestimmten Funktionen sprechen). Eine andere Variante, Personalisierung zu vermeiden, wählte re*claim your imagination mit der Bezeichnung „Studierende Arbeitende Lehrende“. So wurde einerseits Kollektivität und andererseits die oftmals gar nicht vorhandene Zuordnungsmöglichkeit aufgrund mehrerer Lebensrealitäten ein und derselben Person zum Ausdruck gebracht.

Das Burgtheater brennt
Beim Kurzfilm Das Burgtheater brennt ist eine spezielle Aktion in den Fokus gerückt, die hier in größerer Ausführlichkeit erzählt werden kann: Vom Weg zum Burgtheater, über die letzten Absprachen im Foyer, die Verlesung von Forderungen auf der Bühne und Publikumsreaktionen bis hin zur Rückkehr auf die Ringstraße Richtung Universität. Der vierte Film der „Protestbilder“ stellt ausgehend von der Protestbewegung (die schließlich an einer Kunstakademie ihren Anfang nahm) Fragen zur (eigenen) künstlerischen Tätigkeit: „Ist in der Kunst ein Streik möglich? Streikt die Kunst oder die Künstlerin? Bestreikt die Künstlerin die Kunst? (…)“ Der Kurzfilm Kunst ist schön zeigt eine Performance der Künstler*innen Lilo Nein und Martina Nowak.

Anders als bei den anderen drei Filmen, sind bei Kunst ist schön die Bilder ausdrücklich für die Kamera produziert und die Gefilmten die Regisseur*innen selbst – das Einverständnis, später in einem Film zu erscheinen, ist somit evident. Wie ist es aber mit Personen in einem Plenum? Oder bei einer Demo? In einigen wenigen Sequenzen sind Gesichter unkenntlich gemacht, in anderen Situationen Filmausschnitte bereits so gewählt, dass Gesichter nicht oder nur partiell (einmal auch bei Interviews) zu sehen sind. Grundsätzlich, so die Filmemacher*innen, wurde versucht, die Gezeigten um ein entsprechendes O.k. zu ersuchen, was allerdings im Nachhinein bei den Mengen an gesammeltem Filmmaterial kaum möglich ist. Von 600 bis 700 Stunden Material wusste allein die AG Doku zu berichten. Doch: Wer sich wieder erkennt und dies nicht möchte, möge sich melden, um dies im Film zu ändern – so die AG Doku, die in Zusammenarbeit mit Coop99 Filmproduktion für Resistance in Progress verantwortlich zeichnet. Der Titel ist Programm – für den Film. Und die Bewegung.

Filme
AUDIMAX R.I.P. – Resistance in Progress
Dokumentarfilm, AT 2010, 40 Min., Regie: AG Doku und coop99 filmproduktion.

Das Burgtheater brennt
Dokumentarfilm, AT 2009, 14 Min., Regie: Samuel Traber.

Kunst ist schön
Dokumentarfilm, AT 2009, 8 Min., stumm, Regie: Lilo Nein und Martina Nowak.

re*claim your imagination
Dokumentarfilm, AT 2010, 23 Min., Regie: Studentinnenkollektiv: Cana Bilir-Meier, Joanna Wilk, Miriam Raggam.

Anmerkung
In Wien sind weiterhin die Aula der Akademie der bildenden Künste und an der Universität Wien die Aula im Alten AKH besetzt.

Info: www.malen-nach-zahlen.at und www.unsereuni.at

Daniela Koweindl ist kulturpolitische Sprecherin der IG Bildende Kunst.

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