Konservative Radikalisierung

Konservative Parteien driften in ganz Europa stark nach rechts, adaptieren teilweise sogar rechtsextreme Ideen, kopieren ihre Strategien. Nicht nur Rechtsextreme, sondern auch einst staatstragende konservative Parteien agieren heute teils demokratiegefährdend - entgegen ihrer ursprünglich erhaltenden Rolle. Was bedeutet es, wenn Ideen der Identitären in allen Medien diskutiert werden, oder wenn man Positionen von Parteien wie AfD und CDU oder FPÖ und ÖVP nicht mehr unterscheiden kann? Was sind die Ursachen für die Radikalisierung der Konservativen und welchen Strategiewandel brauchen wir? Ein Gespräch mit Politikwissenschafterin Natascha Strobl. 

Radikaler Konservatismus

Patrick Kwasi
Rechtsextreme Parteien gewinnen in vielen Ländern Wahlen, auch bei uns sind die Prognosen düster. Auch Identitäre scheinen wieder salonfähig, es gab das Reichsbürgerkomplott, dazwischen sind in nur einem Jahr vier Neonazi-Waffenlager ausgehoben worden. Bin ich da unnötig alarmiert oder spitzt sich da tatsächlich eine Entwicklung dramatisch zu?

Natascha Strobl
Da spitzt sich tatsächlich etwas zu und es ist beeindruckend, wie wenig das öffentliche Debatte wird. Wir müssen natürlich auch fragen, was eigentlich der Einfluss von Russland auf die extreme Rechte in Europa ist. Hier tut sich ein großes Problem auf. Wir sehen rapide Radikalisierung, wir sehen Bewaffnung, wir sehen das Schmieden von Plänen zu gewaltvoller Machtergreifung. Zudem sehen wir, wie eng das vernetzt ist und wir einen Staatsakteur haben, der ein großes Interesse daran hat. Das sollte uns mehr alarmieren, als es das gerade tut. 

 

Kwasi
Wenn ich es richtig verstanden habe, ist deine Einschätzung ja, dass der außerparlamentarische Rechtsextremismus in Österreich verhältnismäßig stark ist – wie hat sich das in den letzten Jahren entwickelt?

Strobl
Die Grenzen verschwimmen zunehmend, da der Rechtsextremismus längst transnational operiert. Man sieht das in formellen Partnerschaften zwischen einzelnen Akteur*innen, aber auch an der Themenlage, die über Sprachgrenzen hinweg funktioniert. Die amerikanischen Kulturkämpfe kommen nach Europa. Genauso bin ich aber auch überzeugt davon, dass der Begriff „Remigration“, den die Identitären gewählt haben, um Deportationen und ethnische Säuberungen zu bezeichnen, auch im US-Wahlkampf noch eine Rolle spielen wird. Der Austausch geht in alle Richtungen.

 

Kwasi
Sind da rechtsextreme Ideen quasi gesellschaftlich auf breiter Basis anschlussfähig geworden? Oder ist die gesellschaftliche Mitte so weit nach rechts gewandert?

Strobl
Beides. Das Problem reicht über die extreme Rechte hinaus. Ihre Rhetorik ist mittlerweile kaum noch von der größerer, einflussreicherer Parteien zu unterscheiden. Wenn ich nicht mehr unterscheiden kann, ob die AfD oder die CDU etwas gesagt hat, oder was die Positionen der Identitären, der FPÖ oder der ÖVP sind, dann habe ich ein Problem, dann verwischen hier Dinge, die nicht verwischt werden sollten. 

 

Kwasi
Man hat sich früher quasi Neonazis oder Rechtsextremen als kahlrasierte Typen mit Baseballschläger vorgestellt. Die haben sich ein ordentliches Makeover verpasst. Die Identitären waren, nachdem denn Verbindungen zum Christchurch Attentäter aufgeflogen sind, mehr oder weniger abgemeldet - sie sind irgendwie fulminant zurückgekehrt. Warum sind sie so erfolgreich, dass sie sogar solche Skandale überstehen?

Strobl
In Österreich waren sie zunächst durch mehrjährige Gerichtsverfahren gebunden. Doch die Pandemie und die damit einhergehenden rechtsextremen Proteste boten ihnen eine Plattform zur Regeneration. Herbert Kickl hat ihnen die Tür weit offen gehalten in der FPÖ. Das hat dann dazu geführt, dass in neuen Bahnen eine Revitalisierung gegeben hat. Martin Sellner ist nach wie vor die zentrale Figur dieses Kulturkampf-Rechtsextremismus in Europa.

 

Kwasi
Man kann also konservative Parteien von den Rechtsaußenparteien teilweise nicht mehr unterscheiden - wieso begeben sich die konservativen Parteien in dieses Fahrwasser?

Strobl
Die Konservativen erkannten, dass sie mit ihren bisherigen Strategien - ähnlich wie bei der Sozialdemokratie – am absteigenden Ast waren. Sie haben stabilisierend auf ein System gewirkt, das sich nicht mehr stabilisieren lässt, weil wir eine Systemkrise haben. Aus den Erfahrungen nach 1945 war die Systemstabilisierung ihr wichtigstes Versprechen - das geht nun aber nicht mehr. Nun denkt sich ein Teil des Konservatismus, dass sie sogar destabilisierend wirken möchten, und das aktuelle System autoritär nach vorne überwinden wollen. So kommt man dann dazu, dass man spricht und handelt und dieselben Themen bespielt, wie die extreme Rechte und eigentlich kein Blatt Papier mehr dazwischen passt.

Doch Gleiches hat hier ungleiche Wirkung: Die Volksparteien, tief in der Gesellschaft verwurzelt, entfalten eine breitere Wirkung. Indem sie ihre stabilisierende Rolle aufgeben, beschleunigen sie politische Umwälzungen.

 

Kwasi
Müssten die damit nicht auch ihre eigene Basis verschrecken? Wieso funktioniert es trotzdem?

Strobl
Das müssten sie eigentlich, aber dazu kommt noch ein Versprechen. Denn der Radikalisierung geht eine Form der Kränkung voraus: Warum sind wir nicht Kanzler, wir haben doch ein Anrecht auf die Kanzlerschaft? Man muss sich in die Zeit vor Kurz zurückversetzen, als es immer diese SPÖ Kanzler waren und man nicht mehr geschafft hat, den ersten Platz zu erreichen. Das wirkt. Dann kommt eine Person, die Erfolg hat - dann zählt das mehr als alles andere, Hauptsache man gewinnt mal wieder. So wurde es ziemlich still innerhalb der Partei.

So war es auch in den USA – Hauptsache die anderen ärgern sich, auch wenn man Trump in Kauf nehmen muss. Die Gegenkränkung der anderen ist wichtiger. 

 

Kwasi
Wenn sie jetzt laut Prognosen damit aber keine Wahlen mehr gewinnen können, müssen sie dann nicht auf diese neue Kränkung auch wieder reagieren, um sich dann von den rechtsextremen Parteien abzugrenzen? 

Strobl
Das kann sehr schnell implodieren. Wir haben es bei Kurz, Bolsonaro, Boris Johnson oder Trump gesehen. Aktuell gibt es noch Orban, der das Vorbild von allen ist, Modi in Indien oder Netanjahu, der genau zu dieser Clique des radikalisierten Konservatismus gehört. Jetzt ist die Frage, wie reagiert Trump, wenn er das verliert? Für die ÖVP ist mal wieder das wichtigste Thema, die Sozialdemokratie hinter sich zu lassen, um das als Erfolg zu verbuchen. Aber ich denke, dass die Ableitungen dennoch wieder sein wird, dass sie noch mehr wie die FPÖ sein müssen.

Kwasi
Würdest du also gerade wenn du Orban nennst, dann sagen, dass von diesem radikalisierten Konservatismus ein ähnliches Problem oder eine ähnliche Bedrohung für den Rechtsstaat ausgeht, wie von den rechtsextremen Parteien, an denen sie die Anleihen nehmen?

Strobl
Auf jeden Fall geht vom radikalisierten Konservatismus ein ähnliches Bedrohungspotenzial aus. Es ist ein bisschen anders gelagert, denn man darf nicht vergessen, dass der Rechtsextremismus und auch die rechtsextremen Parteien und alle Gruppierungen in ihrem Schlepptau ein unglaubliches Gewaltpotenzial haben. Das hat man bei den Konservativen nicht im selben Ausmaß. Aber für den Rechtsstaat, für die Demokratie ist es sogar fast noch ein größeres Problem. Wir haben gesehen, wie schnell Orban Ungarn umgebaut hat, Ungarn ist keine Demokratie mehr. Es hat noch den Anschein, aber man muss nur mit ungarischen Abgeordneten reden, die auch vor der Kamera sagen, dass es keine Möglichkeit gibt, Orban legal und demokratisch abzusetzen. Und das ist keine Demokratie. 

Betrachtet man die Entwicklungen in Österreich, insbesondere die angespannte Situation mit der WKStA und den Kampf um die Justiz in den letzten beiden Regierungen, wird deutlich, dass die Gefahr keineswegs gebannt ist. Die ÖVP entscheidet eine Koalitionsbildung danach, wer ihnen den Zugriff auf die Justiz gibt. Da sollte uns also mehr bewegen als nur die Frage, ob die FPÖ in der Regierung ist. 

 

Kwasi
Du hast schon öfter vorgeschlagen, dass dringend ein Strategiewechsel gegenüber rechts nötig wäre, um diesen Erfolgslauf einzudämmen. Was meinst du damit?

Strobl
Es ist mein Job zu warnen. Politisch halte ich es für wichtig, sich der Gefahr bewusst zu sein, die Gefahren anzusprechen. Aber genauso wichtig ist es, nicht nur im Negativen zu sein. Wir müssen eine schöne, demokratische, denkmögliche Zukunft zu malen, an der Leute partizipieren wollen. Wenn man das politisch nicht schafft, dsnn wird man immer nur in der Defensive sein. Von Parteien und politischen Akteur*innen erwarte ich, dass sie eine klare Vision vermitteln können: Wie wird die Welt in fünf Jahren aussehen? Was wird sich verbessert haben? Welche konkreten Auswirkungen wird das auf unseren Alltag haben? All das sollten sie so darstellen, dass wir es uns konkret vorstellen können. Politik darf nicht den Niedergang verwalten, sondern muss sich überlegen, wie sie die Zukunft gestalten kann. 

 

Kwasi
Das heißt für politische Mitbewerber nun produktive oder positive Visionen zu entwerfen, aber heißt das für den Journalismus, oder auch für Privatpersonen auf den Socials, rechtsextremen Parteien nicht so sehr eine Bühne zu geben, sondern sie zu ignorieren oder sich auf andere Dinge zu konzentrieren? Das ist schwierig, wenn sie schon so groß sind.

Strobl
Man kann sie nicht ignorieren, wenn Leute bedroht werden. Aber es gibt auch Clickbaits und Engagement Farming und man muss sich überlegen, wann man darauf einsteigt und wann nicht. Aber es wäre trotzdem auch wichtig, eine Gegenerzählungen, das Positive herauszustreichen. Ich erinnere mich, an die holprige Vorwahlkampfzeit in der SPÖ, doch einmal hat man drei Wochen lang leidenschaftlich darüber gestritten, was besser ist, einen Mindestlohn einführen oder Arbeitszeitverkürzung. Plötzlich hat man gesehen, dass man auch über so etwas streiten kann. Da ist es doch viel lukrativer, wenn die Leute ganz leidenschaftliche Meinungen zu so etwas haben. Reden wir über den Mindestlohn, reden wir über die Arbeitszeitverkürzung, über die Kindergrundsicherung, über Klimagesetze, anstatt darüber zu reden, welches Geschlecht Weinköniginnen haben. Diese Scheingefechte des Kulturkampfes lenken von den wahren Problemen ab und zermürben die Gesellschaft.

 

Kwasi
Ich hätte jetzt persönlich den Eindruck, dass die Sozialdemokratie sich schwertut, diese Themen zu setzen und Aufmerksamkeit zu erregen.

Strobl
Ich glaube, dass die Sozialdemokratie nach wie vor zwei oder drei verschiedene Parteien sein möchte. Das ist ein Zustand, den die ÖVP vor Kurz hatte, da gab es eine Mitterlehner ÖVP der Großkoalition, dann gab es die Schwarz-Blau Fraktion und so weiter. Ihre schlechten Wahlergebnisse lagen weniger an einem Problem in der Programmatik, denn an der Tatsache, wie zerrüttet sie war. Die Sozialdemokratie hat ein ähnliches Problem und wir werden sehen, wer sich durchsetzt, die alte SPÖ, die der großen Koalition nachhängt oder die neue SPÖ, die verstanden hat, dass sie keine konservative, stabilisierende Partei sein können, sondern Dinge anders machen müssen, wenn sie gewählt werden sollen. 

 

Kwasi
Großbritannien hatte einen Wechsel, auch Trump hat Problem - glaubst du, dass dieser Trend langsam ein Ende hat und es eine Wende gibt? Oder ist es nur ein zwischenzeitliches Schwächeln der radikalen Konservativen? 

Strobl
Es ist uns allen zu wünschen. Dass Trump, wenn er so schwach ist, immer noch ein so knappes Rennen liefern kann, sagt aber auch etwas aus. Eigentlich haben wir die Wende hinzu Demokratie und zu progressiven Kräften und zu demokratischen Kräften noch gar nicht gesehen. In Österreich ist es ganz schwer vorherzusehen, viele Kleinparteien, die womöglich den Einzug schaffen oder implodieren, das kann vieles ändern. Die eine Partei wird in den Prognosen überbewertet, wie bei der EU-Wahl, die andere womöglich unterbewertet. Im Endeffekt geht es aber um die Frage: Reicht es für Schwarz-Blau oder nicht. 

 

Kwasi
Müssen wir uns auf Schwarz-Blau einstellen?

Strobl
Man muss bis zum Wahltag um eine demokratische Alternative ringen. Das sollten alle im Rahmen ihrer jeweiligen Weltsicht, ihrer präferierten Partei, ihrer präferierten Koalition auch tun.

 

 

 

Natascha Strobl

 

Natascha Strobl ist Politikwissenschafterin und Expertin für Rechtsextremismus. Ihr Buch „Radikalisierter Konservatismus“ erschien im Suhrkamp Verlag. 

 

Coverbild: Savannah B. from Unsplash
Portrait: Christopher Glanzl

 

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