Kleines theatrum belli nach 2001

Nach den Anschlägen am 11. September 2001 und dem im Folgenden ausgerufenen „War on Terror“ wurden auch das Theater und andere Kunstinstitutionen immer wieder zu Orten des Diskurses über erweiterte Kriegsanalysen der Gegenwart. „Gott gegen Geld“ ist beispielsweise der Titel eines Beitrags in Lettre International und eines gleichnamigen Symposiums und Buches des Schauspielhaus Bochum und der Ruhr-Universität von 2002.

„Gott gegen Geld“

Nach den Anschlägen am 11. September 2001 und dem im Folgenden ausgerufenen „War on Terror“ wurden auch das Theater und andere Kunstinstitutionen immer wieder zu Orten des Diskurses über erweiterte Kriegsanalysen der Gegenwart. „Gott gegen Geld“ ist beispielsweise der Titel eines Beitrags in Lettre International und eines gleichnamigen Symposiums und Buches des Schauspielhaus Bochum und der Ruhr-Universität von 2002.[1] Aus theaterspezifischer Perspektive versammelten sich hier einige Feindbestimmungen und Analysen zu Arten der Feindschaft im Sinne eines politisch repräsentativen theatrum mundi. Im Machtspiel um die Scheinwelt waren und sind Positionierungen von Feinden strategisch entscheidend, das wusste nicht erst Shakespeare. Das Theaterspiel um Feind und Strafe kann potentiell Realität entsetzen und die Zuschauer beeinflussen: Foucault charakterisiert noch im 17. Jahrhundert ein „Theater des Grässlichen“ als Folter- und Terrorspektakel des Herrschers für das Volk, das dann zunehmend in seiner Gewalttätigkeit und Leidenschaft zum Problem für den Herrscher selbst wurde (vgl.Foucault 1994:73-83).

Auch die gegenwärtig dramaturgisch arbeitende Medienmaschinerie braucht Reibungsflächen, Feinde. Terroristen wie Osama Bin Laden bedienen gleichzeitig Ressentiments gegen die kapitalistische westliche Gesellschaft und gliedern sich nicht nur damit bestens in die fiktionale Reihe großer Verbrecher ein. Walter Benjamin zeichnet diesen als Figur einer Gewalt, die durch ihr bloßes Dasein außerhalb des Rechts dieses bedroht. Er stellt in seiner Rolle das Gewaltmonopol des Staates in Frage und wird insgeheim bewundert. „In diesem Fall tritt also wirklich die Gewalt, welche das heutige Recht in allen Bezirken des Handelns dem einzelnen zu nehmen sucht, bedrohlich auf und erregt noch im Unterliegen die Sympathie der Menge gegen das Recht.“ (vgl. Benjamin 1965:35) Der Begriff „Terrorismus“ artikuliert in diesen Zusammenhängen oft performative „Feind“zuschreibungen. „Terroristen“ werden zu dem zumeist durch unberechenbare hasserfüllte Kräfte und Akteure verkörpert (Balke 2002:34-55); sie drohen, sie verführen aber auch: „Im Spiegel das Feindbild“ ist bei dem Dramatiker Heiner Müller eine immer wiederkehrende, widersprüchliche Figur. Die Bilder des Anderen, des Kampfes, werden selbst Kampfbilder, denn das Subjekt ist von Anfang an auch ein Subjekt der Rivalität (Lehmann 2002:148).

Dictionary of war

Wenige Wochen vor der Abspaltung der Provinz Kosovo von Serbien und seiner Ausrufung als souveräner Staat fand im Jänner 2008 in Novi Sad die fünfte Ausgabe der Veranstaltung Wörterbuch des Krieges statt. Die medien- und kunstaktivistische Gruppe Multitude e.v. (Berlin)/Unfriendly takeover (Frankfurt am Main) organisierte gemeinsam mit dem Medienzentrum kuda.org aus Novi Sad das zweitägige Symposium, das insgesamt weitere 25 Beiträge und Begriffe zum Thema Krieg versammelte. Die Einladung erging, wie schon bei den Veranstaltungen zuvor, an KünstlerInnen, AktivistInnen, WissenschaftlerInnen, KuratorInnen, MedienexpertInnen usw. aus Europa und den USA und wesentlich aus dem ehemaligen Jugoslawien. Alle hatten jeweils 15 bis 20 Minuten zur „Präsentation“ Zeit. Die theoretische Unterlage war dabei von veranstalterischer Seite her ein bisschen deleuzeianisch-fröhlich, positiv formuliert: „Schliesslich ist das WÖRTERBUCH DES KRIEGES womöglich selbst eine Art Kriegsmaschine: Die Begriffe sollen nicht als Kontrollmittel eingesetzt werden, die Bedeutungen regulieren, sondern Entwicklungen und Prozesse aktivieren, Ereignisse evozieren: ‘Die Sprache an sich reissen, und etwas Unverständliches zur Welt bringen’, schreibt Kleist in seiner Abhandlung über die Allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden ...“[2]

Leider erschien nicht viel Publikum im recht theatralen Vortragssaal, dafür wurden für die mediale Veröffentlichung bzw. für die rhizomatische Zusammenführung des Gesamtprojekts im Web alle Beiträge für das virtuelle Publikum entsprechend aufgezeichnet. Es sprachen u.a. Kuratoren aus Serbien, dem Kosovo, Mazedonien und Kroatien vor allem zu verschieden Kunstprojekten, ein Vertreter der Gruppe Irwin aus Slowenien stellte NSK-Kunst-Projekte zur Militanz vor, daneben Beiträge zu „Korruption und Kosovo“ und einige lustige Filme bzw. Videoanalysen über Erinnerungen an Tito, kroatische Dankeslieder an Deutschland und über das letzte Aufeinandertreffen von Milosevic und Tudjman vor Ausbrechen des Kriegs. Weiters gab es in einigen Vorträgen Beiträge zur Israel/Palästina-Diskussion, sowie diskursive Erfahrungsberichte und Analysen zur Gewalt- und Terrorismusdebatte. So reihten sich die verschiedenen „Kriegs“-Begriffe bzw. Themen und Assoziationen zum Teil recht beliebig nebeneinander. Aber die zwanglose Anhäufung im Aufspüren der verschiedenen performativen Verfahren und persönlichen Analysen in politischen und künstlerischen Feldern stellte auch einige interessante Aspekte zur Schau, die aus den unterschiedlichen Perspektiven und persönlichen Erfahrungen mit Krieg von Stories über Blogger im Irak, über persönliche Involviertheit in staatliche Gewaltakte in Russland, bis zu Repressalien in aktivistischen und kulturpoltischen Feldern reichte. Nicht nur ein Vortrag widmete sich den zahlreichen Definitionsversuchen des Wortes „Terrorismus“, einem Begriff, der in der Zeit der französischen Revolution Begriffsform wurde (von lateinisch/französisch „terrere“: „schrecken, Angst machen“) und, wie ich u.a. erfahren konnte, zuerst vor allem mit dem Staat und seiner Gewaltausübung in Beziehung stand.[3] Für meinen Beitrag zum Wörterbuch des Krieges wählte ich den Titel „Performing Posses“, um von meinem Blickwinkel als Theaterwissenschaftlerin und Aktivistin über politisch-theatrale Praktiken und Strategien der unterschiedlichen Kämpfe innerhalb der sozialen Bewegungen zu sprechen. Zur Diskussion über weitere inhaltliche Bezüge von Krieg, (Medien-)Kunst und Aktivismus blieb – abgesehen vom Café nebenan – leider wenig Platz. Die unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen zu den Begriffsfiguren einer „Kriegsmaschine“ prallten letztlich in meinem Kopf recht unbehaglich zwischen Kunstabstraktion und dokumentarischen Erfahrungsberichten aneinander und ließen mich mit komplexen bzw. schwammigen Andeutungen über Krieg- und Terrorismusbegriffe zurück nach Wien fahren.

theatrum belli G8 – Genua 2001, Heiligendamm 2007

„Gipfeltreffen“ bilden und symbolisieren seit einigen Jahren umkämpfte Räume, bei denen einerseits politisches Repräsentationstheater zur Besserung der Welt medial zelebriert wird und andererseits sich der Protest und Widerstand der sozialen Bewegungen performativ einfältig und vielfältig, ob katholisch, pazifistisch, karnevalesk oder militant, entlädt. Mit dem WTO-Gipfel in Seattle 1999 begann eine Folge von „globalisierungskritischen“ Kämpfen, die in Genua 2001 einen ihrer Höhepunkte fand und inzwischen auch schon wieder ein wenig im Hype am verebben ist. Der G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 war in diesem Zyklus eines der letzten großen Events. Wie auch in anderen Ländern zuvor, entfachten sich bereits im Umfeld der Veranstaltung unterschiedlich geführte Diskussionen um „Innere Sicherheit“, Gewalt, Repressionen, Feinde, aber auch unter den AktivistInnen solche über Notwendigkeit der bzw. dem Abschwören von Militanz im Widerstand. Der Staat und seine Exekutivorgane spielten gegenüber den Medien und den sozialen Bewegungen wieder leichtfertig mit Begriffen wie „Terrorismusgefahr“ und „Krieg“ und versuchten die stilisierten Feindbilder hochzuspielen, um sicherheitstechnischen Großaufwand und hartes Vorgehen zu rechtfertigen. Schon im Vorfeld des Gipfels von Heiligendamm kam es, wie bereits in Genua und anderen Orten, zu „Präventiv“eingriffen, Razzien und Einschüchterungen von AktivistInnen. Neben Hausdurchsuchungen drohte die Polizei mit dem Terrorismusparagraphen 129a, der einigen AktivistInnen vorab die Bildung von terroristischen Gruppierungen unterstellte und RAF-Gespenster suggerierte. Nach den euphorischen Aufstandstagen gegen die in Szene gesetzte repressive Machtdemonstration der G8, setzte mit den polizeilichen Repressions- und gerichtlichen Prozesswellen zum Teil die politische Ernüchterung ein. Viele Anklagen des Staates gegen AktivistInnen gehen zuerst einmal bedrohlich in Richtung „Terrorbekämpfung“. Es mehren sich die Versuche, den zum Feind stilisierten „schwarzen Block“ und andere linke militante Gruppen im Umfeld der sozialen Bewegungen mit Anti-Terror-Paragraphen dingfest zu machen. Das in erster Linie von den DemonstrantInnen in Anspruch genommene Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit und die Verteidigung dieser Rechte gegen die Repressionen der Polizei blieben bei der staatlichen und medialen Suche nach feindlichen Sündenböcken zumeist im Hintergrund.

Gerichtliche Nachspiele

Der Gerichtssaal von Genua inszeniert und manifestiert die performative Rechtssprechung architektonisch stilvoll. Hinter der Bühne der Richter steht in goldenen Lettern auf der weißen Wand geschrieben: „Das Recht ist für alle gleich“. In diesem „Justizpalast“ von Genua wurden am 14.12.2007 nach langjährigem Prozess die Urteile über 25 AktivistInnen aus Italien gesprochen, die an den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Genua 2001 teilgenommen hatten. Sie bekamen in erster Instanz ingesamt 110 Jahre Haft (zwischen 5 Monaten und 11 Jahren, ein Freispruch). Ihnen wurde unter anderem anhand von Video- und Bildmaterial vorgeworfen, Steine geschmissen, Barrikaden gebaut und Sachschaden verursacht zu haben. Gegen zehn von ihnen wurde auch Anklage im Sinne des Paragraphen 419 des italienischen Strafgesetzbuches („Verwüstung und Plünderung“) erhoben, der noch aus Nachkriegszeiten stammt und auf eine Ausnahmezustandsgesetzgebung zurückgeht. Er gibt zur „Abschreckung“ der wütenden „Meute“ ein äußerst hohes Strafausmaß vor. In einer Pressemitteilung mit dem Titel „Keinerlei Reue, wie auch immer“ schreibt das AktivistInnennetzwerk Supporto legale zu dem Prozessausgang in Genua: „Das Gericht hat sich für einen Urteilsspruch entschieden, der besagt, dass es eine gute und eine schlechte Art gibt, seinen Dissens auszudrücken, und dass es Protestformen gibt, die kompatibel sind und solche, die wie ein Kriegsverbrechen geahndet gehören.“ Die 25 standen stellvertretend für viele Tausende AktivistInnen vor Gericht und die gefällten Urteile sind als Botschaften der Härte in Richtung aller politischen AktivistInnen der sozialen Bewegungen zu lesen. Trotzdem ist es den AnwältInnen gemeinsam mit den Angeklagten, ZeugInnen (und der Unterstützung von vielen Gruppen) gelungen, einige Anklagepunkte, wie jenen des Vorwurfs der kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung, zu entkräften und auch zu beweisen, dass die Einheiten der Carabinieri oft zuerst die DemonstrantInnen angriffen. In vielerlei Hinsicht könnte dieser Prozess für zukünftige Verfahren gegen AktivistInnen von sozialen Bewegungen in Italien und anderswo richtungsweisend sein. Die Staatsanwaltschaft versucht zwar, mit Unterstützung von Teilen der Polizei und der rechten Öffentlichkeit, mit Terrorismus-, Kriegs- und Mafia-Paragraphen exemplarisch gegen einige AktivistInnen der sozialen Bewegungen vorzugehen und durch harte Urteile abschreckende Wirkung zu erzielen, stößt dabei aber noch an gewisse Grenzen der Rechtssprechung. Gerichtsverfahren gegen PolizistInnen und Verantwortliche, die, wie in Genua geschehen, gezielte Übergriffe auf zum Teil schlafende DemonstrantInnen angeordnet haben oder nächtliche Folterspiele an AktivistInnen in Kasernen ausübten, sind dagegen auch im demokratischen „Westen“ noch immer recht spärlich oder aber die Urteile fallen sehr milde aus bzw. die Anklagen verjähren.

Epilog: Anfang Februar 2008 bekam ich aus Italien Informationen über Gerüchte bezüglich einer bevorstehenden Einleitung eines Verfahrens gegen die VolxTheaterKarawane in der Folge des G8-Gipfels in Genua 2001. Die Staatsanwaltschaft würde noch die Urteilsbegründung aus dem Prozess gegen die vor kurzem verurteilten 25 italienischen AktivistInnen abwarten und dann entscheiden, ob es sich „auszahlt“, wegen „Verwüstung und Plünderung“ Anklage zu erheben. Erneut ein Gerücht? Angstmache? Es holte mich selbst ein Stück vergangener Realität ein, die recht zwiespältig über mich hereinbrach, – nicht das Theater auch noch!

1 vgl. ROGER FRIEDLAND (2001): Gott gegen Geld in: Lettre International, Heft 3/2001 und THOMAS OBERENDER, ULRIKE HASZ (Hg.): Gott gegen Geld. Zur Zukunft des Politischen 1. Schauspielhaus Bochum, Ruhr-Universität Bochum. Berlin: Alexander Verlag, 2002
2 dictionary of war
3 VOLKER EICK: „Terrorism! Too smart to be defined“ vgl. dow weiters: Einstellung So36 und ad Kontrolle und Überwachung: Euro-Police

Literatur

MICHEL FOCAULT (1994): Überwachen und Strafen. Frankfurt a.M.

WALTER BENJAMIN (1965): Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze. Frankfurt a. M.

FRIEDRICH BALKE (2002): Nietzsche und die Topographie des neuesten Terrors. In: THOMAS OBERENDER, ULRIKE HASZ (Hg.): Gott gegen Geld. Zur Zukunft des Politischen 1. Schauspielhaus Bochum, Ruhr-Universität Bochum. Berlin: Alexander Verlag. S. 34-55

HANS THIES LEHMANN (2002): Heiner Müllers ‚Zement’– ein Spiel von der Feindschaft In: THOMAS OBERENDER, ULRIKE HASZ (Hg.): Gott gegen Geld. Zur Zukunft des Politischen 1. Schauspielhaus Bochum, Ruhr-Universität Bochum. Berlin: Alexander Verlag. S. 132-159

Gini Müller Theaterwissenschaftlerin, Dramaturgin, Performerin (u.a. VolxTheaterKarawane (bis 05), SV Damenkraft)

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