"Es geht um eine Sichtbarmachung der freien Kulturszene..."

Bereits zum dritten Mal wurde 2006 der von der IG KULTUR WIEN (IGKW) initiierte INNOVATIONSPREIS (IP) vergeben. Anders als vergleichbare, innerhalb der Szene selbst bzw. von Seiten der entsprechenden IGs entwickelte Modelle wie etwa der KUPF-Innovationstopf (vgl. KR 02/06) oder das TKI Open (vgl. KR 01/06) ist der IP nicht als Projektförderung, sondern als Preis konzipiert.

Bereits zum dritten Mal wurde 2006 der von der IG KULTUR WIEN (IGKW) initiierte INNOVATIONSPREIS (IP) vergeben. Anders als vergleichbare, innerhalb der Szene selbst bzw. von Seiten der entsprechenden IGs entwickelte Modelle wie etwa der KUPF-Innovationstopf (vgl. KR 02/06) oder das TKI Open (vgl. KR 01/06) ist der IP nicht als Projektförderung, sondern als Preis konzipiert. Die Kulturrisse sprachen mit Angela Heide (AH) und Irmgard Almer (IA) von der IGKW über den IP 06.

KR: Was sind die inhaltlichen Zielsetzungen, die ihr mit dem IP verfolgt?

AH: Eines der wesentlichsten Ziele ist die größere Transparenz der Kulturschaffenden und ihrer Aktivitäten in Wien, die verstärkte Sichtbarmachung der freien Kulturszene Wiens, die der Initiierung eines Preises dieser Art zu Grunde lag. D.h. de facto geht es uns nicht nur um das Preisgeld und um die Sieger, sondern um alle, die einerseits in Wien im freien Kulturbereich tätig sind und die andererseits dann auch beim IP ihre Projekte präsentieren.

KR: Vergleichbare Modelle wie etwa der KUPF-Innovationstopf oder das TKI Open versuchen mittels klarer thematischer Vorgaben sozusagen Agenda Setting zu betreiben und über die Formulierung inhaltlicher Kriterien gezielt politisch-emanzipatorische Kulturarbeit zu unterstützen und zu fördern. Warum die Entscheidung der IGKW, in dieser Hinsicht keinerlei Vorgaben zu machen?

AH: Zum ersten stimmt das nicht ganz, insofern es letztes Jahr zum ersten Mal mit dem Titel „Off road – navigating the future“ sehr wohl eine thematische Vorgabe gab. Das ist sicher immer noch ein sehr weites Feld, aber – das muss man zumindest von den Projekteinreichungen her sagen –, die haben sich wirklich auch mit dem Thema beschäftigt. Zum zweiten hat sich der IP heuer einem Themenschwerpunkt, konkret „Community & Social Arts“, gewidmet. Da war es spannend zu sehen, wie die Zugangsweisen und „Interpretationen“ dieses Themas aussehen, wenn es nicht in der Formulierung der Stadt „vorgegeben“ wird – gerade weil es, zumal in den letzten Jahren, zu einem „Thema“ (in) der Stadt geworden ist: vom „Grätzelmanagement“ bis zum „Stadtteilmanagement“ –, sondern wenn wir dieses Thema zu den Kulturschaffenden selbst zurückwerfen. Und ich denke, kaum eines der eingereichten Projekte hat dieses Jahr das Thema „verfehlt“. Wie werden „Community & Social Arts“ von den Kunst- und Kulturschaffenden verstanden und in ihren Arbeiten und Projekten aufgegriffen? Ich denke, dass das schon sehr ernst genommen wurde.

KR: „Community Art“ und „Social Art“ sind nun aber relativ vage Begriffe, und ihr definiert sie nirgendwo – weder in der Ausschreibung noch auf der Website[1]. Wird durch eine solche Undefiniertheit die Beliebigkeit nicht sogar noch befördert?

AH: Das war eine sehr bewusste Entscheidung. Die IGKW ist eine Interessengemeinschaft, und ich denke, es ist wichtig, dass wir als Vorstand dieser IG und auch als „Knoten“ von Netzwerken sozusagen schauen, was rauskommt, wenn man diese Themen schlichtweg unkommentiert „anbietet“. Gerade weil es letztlich einfacher ist – und das macht auch angefangen von der Stadt Wien jede/r –, eine Definition zu geben, an die man sich dann halten muss. Aber was ist das für die, die in diesem Feld arbeiten, und was wird in der freien Kulturszene darunter verstanden? Das finde ich persönlich spannender. Und die Bandbreite ist da enorm.

KR: Der IP ist mit 10.000 Euro seitens der Stadt Wien gefördert, wobei 7.000 Euro gesplittet auf die beiden Kategorien „Projekte in der Stadt Wien“ und „Internationaler Austausch“ effektiv als Preisgeld vergeben werden. Denkt man da an das Budget des TKI Open (68.500 Euro) oder des KUPF–Innovationstopfs (mind. 75.000 Euro), fragt man sich fast schon zwangsläufig: Warum die überaus bescheidene Dotierung des IP seitens der Stadt Wien?

AH: Das ist das, was die Stadt Wien in den letzten Jahren für den Preis zur Verfügung gestellt hat. Wobei man wieder Abstriche machen muss: Es ist eben keine Projektförderung. D.h. mit diesem Preisgeld – und das wird immer niedriger sein als eine Projektförderung – kann man z.B. auch schlichtweg einmal auf Urlaub fahren. Aber es ist sicher auch so, dass die freie Kulturszene – deutlich ausgedrückt – der Stadt nun einmal nicht mehr wert ist – zumindest im Moment. Natürlich ist es insofern auch eines unserer Ziele, das Budget zu erhöhen. Aber ich glaube nicht, dass wir, wenn wir mehr Geld bekämen, daraus eine Projektförderung machen würden. Aber wir hätten sehr gerne mehr operatives Budget, weil mit 3.000 Euro nachhaltige Arbeit zu leisten, ist nicht möglich.

KR: Stichwort „Operatives Budget“: Bindet die organisatorische Arbeit für ein solches Projekt – gemessen an der Budgetierung – nicht zu viele Energien, die anderswo dann fehlen?

IA: Ja. Die Antwort ist ganz klar ja. Die Frage ist nur, wie sich da die Waage halten lässt. Weil das Interessante ist, dass von Anfang an die Ansprüche extrem hoch waren. Aber natürlich stellt sich die Frage nach den Ressourcen, nur ist es halt bis zu einem gewissen Grad auch eine Frage der Abwägung: Wie viel Öffentlichkeit oder wie viel Sichtbarkeit brauchst du, um u.a. auch die Stadt Wien dazu zu bringen, dem Preis – und damit den Kulturschaffenden – mehr Aufmerksamkeit zu schenken?

KR: Das Präsentationsverfahren für die eingereichten Projekte bestand heuer sozusagen aus vier Teilen: Zum Ersten der sog. InnovationsSchau, in der sämtliche eingereichten Projekte drei Tage lang in Form einer Ausstellung präsentiert wurden; zum Zweiten einer achtstündigen Jurysitzung, in deren Rahmen die projektbegleitende Jury – im Austausch mit den EinreicherInnen – sämtliche Projekte öffentlich diskutierte; zum Dritten der Preisverleihung und schließlich – viertens – der Website. Welche Überlegungen standen hinter diesem komplexen Präsentationsverfahren?

IA: Nun ja, die InnovationsSchau war von Anfang an Thema, um die Projekte noch sichtbarer zu machen. Und natürlich ist die „Szene“ anders sichtbar, wenn du über ein paar Tage hinweg alle Projekte ausstellst, als wenn du sie einfach nur diskursiv verhandelst oder auf die Website stellst. Das ist etwas, das sich leider erst nach drei Jahren realisieren hat lassen. Was die öffentliche Jurysitzung betrifft, gab's nach dem ersten Jahr mit klassischer, d.h. geschlossener Jurysitzung und wo nichts nach außen gedrungen ist, die Idee, das im zweiten Jahr ganz anders zu machen – und zwar nicht nur insofern, als man nun die Projekte öffentlich bespricht, sondern auch, indem die Projekte sich selbst präsentieren, damit die Möglichkeit des Austauschs mit der „Jury“ und v. a. mit der Öffentlichkeit garantiert werden kann. Das wurde letztes Jahr dann auch ganz gut angenommen. Und dieses Jahr gab es dann die dreitägige InnovationsSchau und die öffentliche Jurysitzung.

KR: Während man sich 2004 also hinsichtlich der Auswahl- und Vergabeverfahren noch eines klassischen Jurymodells bediente, führte man 2005 ein Voting-Modell inkl. projektbegleitender Jury ein. Im Rahmen des heurigen IP hat man am letztgenannten Modell weitestgehend festgehalten. Wie genau funktionierten die Auswahl- und Vergabeverfahren beim IP 06, und warum hat man sich dazu entschieden?

IA: Was das Voting anbelangt, war es uns wichtig, dass die „Szene“, und dazu zählen die meisten der eingereichten Projekte und Initiativen, die Möglichkeit hat, selbst zu wählen. Da muss es dann natürlich klare Vorgaben geben. Es war uns auch sehr wichtig, die Mitglieder der IGKW mit einzubinden. Deshalb war es klar, dass das ein „Wahlkreis“ sein muss. Und der andere „Wahlkreis“ sind natürlich die Einreichenden selbst.

AH: Hinzu kommen die Mitglieder der projektbegleitenden Jury, deren Stimmen jedoch nicht mehr Gewicht haben, als jene der IG-Mitglieder oder die der EinreicherInnen.

KR: Wozu braucht es dann aber überhaupt noch eine Jury? Wäre anstelle der öffentlichen Jurysitzung eine moderierte Diskussion nicht ebenso praktikabel?

AH: Vorweg: Es gibt einen Fall, wo die Jury wie eine klassische Jury agieren würde, nämlich wenn es einen Gleichstand gäbe, dann wäre die Jury die End-Entscheiderin, insofern als dann ihre Stimmenvergabe den Ausschlag geben würde.
Außerdem denke ich schon, dass es wichtig ist, dass es diese Jury gibt und nicht nur eine Moderation. Einfach auch, weil eine Projektpräsentation trotz allem etwas anderes ist als ein rein diskursives Element, das du mit einer Jury im Idealfall rein bekommst. Und wenn das – wie auch immer kompetent – nur moderiert wird, ist das doch etwas anderes.

IA: Ich verstehe deine Frage, aber man kann das Problem schwer lösen, weil der Anspruch, dass jede Stimme gleich viel zählt, weil alle mitwählen dürfen, sich nun einmal nicht mit dem Anspruch verträgt, dass der Jury mehr Stimmkraft zu geben wäre. Also du musst dich entweder für die eine oder für die andere Möglichkeit entscheiden. Und das sind Sachen, die wir diskutieren, weil es letztes Jahr beispielsweise in der projektbegleitenden Jury schon diesbezüglich Kritik gegeben hat.

KR: Die Abstimmung selbst erfolgte heuer mittels eines „Voting Sheets“: Die Wahlberechtigten waren dazu aufgerufen, alle 34 eingereichten Projekte in fünf Kategorien (bspw. künstlerischer Ansatz oder Innovationspotenzial) mit einer Note zwischen 1 und 5 zu beurteilen. Das vollständige Ausfüllen des Sheets war dabei Voraussetzung für seine Gültigkeit, d.h. jeder und jede musste 170 Noten abgeben, wenn das Wahlblatt gültig sein sollte. Ist das nicht eine tendenzielle Überforderung der Abstimmenden, zumal ich mich mit den Projekten doch relativ genau beschäftigt haben muss, um sie in den genannten Kategorien überhaupt bewerten zu können?

AH: Der Grund, wieso wir das heuer mal so versucht haben, ist der gleiche wie die Motivation für den Preis an sich: Wir wollten die Leute ein bisschen mehr fordern, sodass sie nicht nur sagen: „Das Projekt kenne ich eh schon, da gebe ich gleich die höchste Punktezahl!“ Und das hat dann auch ganz gut geklappt – wir haben z.B. Leute gesehen, die wirklich mit dem Voting Sheet während der InnovationsSchau von einem Projekt zum anderen gegangen sind und sich alles durchgelesen haben. Andere haben das Netz aktiv genutzt, und es gab schließlich auch einige, die die Jurysitzung mit dem Zettel verfolgt haben.

IA: Aber das Voting Sheet war natürlich auch ein Versuch. Angela hat da auch eine vierte Gruppe von Stimmberechtigten vergessen, nämlich die, die gescheitert sind. Das war dann mehr so: „Ich wollte, aber das war mir dann alles zu viel...“

KR: Noch eine abschließende Frage zum Voting-Verfahren: Dadurch, dass die EinreicherInnen nicht für sich selbst stimmen durften und dass jede/r EinreicherIn nur eine Stimme hat, sollten Phänomene wie jenes des „Bandbusses“ beim Wiener Netzkulturfördermodell verhindert werden (vgl. KR 03/06). Aber sind etablierte Initiativen bzw. Projekte nicht trotzdem sozusagen in einer privilegierten Position, insofern sie tendenziell leichter Aufmerksamkeit, aber auch Personen für sich mobilisieren können als andere?

AH: Anhand der Stimmen, die jetzt vergeben wurden, kann man eigentlich sagen, dass das nicht so ist. Zum Beispiel sind Thara, die Zweiter in der Kategorie „Projekte in der Stadt Wien“ geworden sind, noch nicht wirklich einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Die konnten einfach vermitteln, worum es in ihrem Projekt geht.

IA: Also ich denke mir, ganz ausschließen kann man das trotzdem nicht. Und je weniger die Leute bereit sind, sich mit den Projekten auseinander zu setzen, desto größer ist sicherlich die Gefahr, dass etabliertere Projekte sich durchsetzen. Das kannst du nie ganz vermeiden. Und wenn du – auf der anderen Seite – sehr kompliziert wirst, läufst du Gefahr, dass dann halt keiner mehr mitstimmt. Der Preis ist ja, seitdem es ihn gibt, immer in „Bewegung“, wir erproben neue Verfahren. Drum wäre eine der möglichen Veränderungen, die wir ja laufend diskutieren, z.B. die Kategorien aufzulösen und das Preisgeld entsprechend der „Wahlkreise“ zu verteilen, damit dann jeder Kreis „sein“ Projekt wählen könnte. Wobei auch zu überlegen wäre, die Wahlverfahren entsprechend zu adaptieren.

AH: In jedem Fall würden wir uns für die Zukunft ein klares Bekenntnis der Stadt Wien wünschen und weiter verstärkt für die Präsenz der freien Kulturszene arbeiten.

Die IG KULTUR WIEN ist die Interessengemeinschaft und Interessenvertretung der frei schaffenden KünstlerInnen, KulturarbeiterInnen, Kulturschaffenden, KulturveranstalterInnen, KulturvermittlerInnen und Kulturinitiativen in der Stadt Wien.
IG Kultur Wien Innovationspreis

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