Heast, das frischgebackene Jugendwort 2024, hinterlässt bei formal nicht mehr als jugendlich zu bezeichnenden Semestern durchaus Verwunderung, ist es doch im herkömmlichen Sprachgebrauch stabil angesiedelt. Vielleicht also klafft der Generationsgraben doch nicht so massiv, wie oftmals vermutet? Ich verzichte auf eine Auseinandersetzung mit den vielbeschworenen Generationeneinteilungen und entlaste damit die Leser*innen, sich beispielsweise der „Generation Y“ zugehörig fühlen zu müssen, zu wollen oder sich gezwungen zu fühlen, davon Abstand zu nehmen – oder wie auch immer ein Reflex darauf ausfallen mag. Vielmehr möchte ich den oftmals unspezifischen Begriff der Generation zur Diskussion bringen und nachfragen, was er qualitativ bedeuten kann, aber vor allem, inwieweit er für Kunst und Kultur taugt. Mein Blick ist dabei auf die (vergangene, aktuelle und zukünftige) Freie Szene gerichtet (und schielt an manchen Stellen dann doch auch auf das Stadttheater).
Kunst-Generationen
Gesellschaftliche Rahmenbedingungen prägen das künstlerische Wirken der Gegenwart, wie sie das seit jeher tun. Denn Kunst entsteht in einem Umfeld der jeweils zeitlichen Erfahrungen. Für die gegenwärtigen Gegebenheiten gelten prekäre Erwerbsverhältnisse als maßgeblich einflussreich (wie nicht zuletzt die Bestrebungen um Fair Pay beweisen), und sie werden sich – um eine gewiss nicht allzu waghalsige Prognose zu riskieren – in nächster Zeit wohl kaum zum Besseren wenden. Zugleich wirkt die Vergangenheit nach. Der Diskurs um die Genieästhetik einstiger Epochen ist, obwohl schon überwunden geglaubt, noch nicht verstummt und findet aktuell unter anderem entlang der Identitätspolitik eine Fortsetzung (Henke 2023). Für eine Grundpositionierung dienen derweilen weiterhin Kunst-Kollektive der 1960er und 1970er als Vorbilder im Sinne einer Auflehnung gegen die schier unaufhaltsame Verdinglichung. Zentral dabei waren und sind das Aufbegehren gegen Autoritäten und das Streben nach Gleichberechtigung, mit dem postulierten Anspruch, neoliberalen Verhältnissen entschieden entgegenzutreten (Nitsche 2021, S. 114–122). Allerdings – neben weiteren damit einhergehenden Problematiken – erzeugten diese Widerstandsbestrebungen und die Entkoppelungen von „konservativen“ Beschäftigungsverhältnissen hin zu freien Gruppen bereits in der Künstler*innen-Generation der 1980er-Jahre zunehmend zusätzlich Prekarität (Geldmacher 2015, S. 239), da sie die Wirkung von „Logiken des Netzwerkkapitalismus“ (Nitsche 2021, S. 121) entfalteten. Die erfolgreiche Etablierung dauerhafter Zusammenschlüsse kurbelt den Konkurrenzdruck – einem Perpetuum Mobile gleich – immer weiter an. Denn die Ressourcen sind nicht erst seit gestern knapp, und um an Ressourcen zu gelangen, ist das gemeinsame Agieren aussichtsreicher (Geldmacher 2015, S. 229). Ein grundlegendes Missverständnis mag, wenn von der Freien Szene gesprochen wird, darin liegen, sie als generisch homogen zu betrachten, obschon viele Aspekte einladen mögen. Dazu weiter unten mehr.
Orakel
Vor rund zehn Jahren firmierten ambivalente Zukunftsaussichten. Der Freien Szene wurde ein neues Selbstbewusstsein attestiert (Pinto 2013), dem Stadttheater ein kaum mehr spürbarer Puls diagnostiziert (Slevogt und Merck 2013, S. 178). Die Stadt sollte als (Hoch-)Kulturzentrum wiedererstarken, dabei aber auch die um sich greifende Digitalisierung ins Rampenlicht gespült werden. Mehr und mehr entstand der Eindruck multipler Krisenherde. Alter und Altern avancierte auf vielen Ebenen zum brennenden Dauerthema, der demographische Wandel schwebte längst wie ein Damoklesschwert auch über der Kunst- und Kulturszene. Unter dem einprägsamen Titel „War schön, kann weg …“ (2022) greifen Autor*innen unter anderem das Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Innovation auf. Die Schwierigkeit liegt, so scheint es, in der Aufmerksamkeitsökonomie: Wird ein Schwerpunkt auf den Nachwuchs gelegt, bleiben die Stärken und Problemstellungen der „Altvorderen“ auf der Strecke.
Beständigkeit & Wandel
Das Bleibende und das Veränderliche erzeugen stets eine Verbindungslinie, wenn Generationen, Generationswandel und Generationsbeziehungen verhandelt werden. Kunst im Alter entfacht Herausforderungen, die generell die ganze Bevölkerung betreffen und zugleich aber spezifische Fragestellungen adressieren. Eine Verschärfung der prekären soziökonomischen Lage etwa und die damit einhergehende (vor allem Frauen betreffende) Altersarmut ist aus vielerlei Studien zwar bestens bekannt, zu bewegen scheinen sich die realen Bedingungen aber maximal schleppend. In Kunst und Kultur potenzieren sich damit sozioökonomische Unsicherheiten für alle Beteiligten. Politische Androhungen oder gar reale Kürzungsmaßnahmen verschärfen mutmaßlich die Situation. Kaum denkbar, dass auf diesem Nährboden zwischen Generationen so etwas wie „Solidarität“ entstehen könnte.
Soziologisch betrachtet steckt im Begriff der Generation vielerlei und das kommt nicht selten als komplexer Theorieknäuel daher. So unterscheiden sich beispielsweise die Termini der Generation, der Kohorte und des Lebenszyklus. Das Lebenszykluskonzept fokussiert auf Veränderungen im Lebensverlauf, also darauf, wie sich Lebensstile mit den Jahren wandeln. Für den Lebensstil gibt es Determinanten, darunter Geschlecht, Lebensform, Berufsstatus und Alter. Das Periodenkonzept wiederum beschreibt Einflüsse aktueller sozialer, politischer und ökonomischer Ereignisse auf alle Altersgruppen (Isengard 2011, S. 295). Im Laufe eines Lebens verändern sich nicht nur Gesellschaft(en), sondern auch soziale Rollen und Positionen. Mit dem Alter – so zeigt Isengard – nehmen Sozialkontakte eher ab, wohingegen das Sozialengagement steigt und zwar unabhängig davon, welcher Geburtenkohorte eine Person angehört. Lebensstile sind wandelbar, grundsätzlich weisen sie jedoch eine gewisse Stabilität auf (Rössler 2011, S. 13).
Auf die Kultur- und Kunstschaffenden übertragen sollten einige Besonderheiten Beachtung erlangen: Künstlerische (wie auch wissenschaftliche) Arbeit, konstatiert bereits Georg Simmel, ist geprägt durch die „[…] reine Hingebung für die Sache“ (Simmel 1989 [1887–1890], S. 185). Wodurch das gesamte Werk in Anbetracht der Umstände überhaupt erst am Laufen bleibt. Daher ist zu vermuten, dass das Schaffen in betagteren Jahren nicht in der gleichen Weise verläuft wie in anderen Berufsständen. Für Künstler*innen gilt die permanente Anforderung, mit ihrer Arbeit etwas „Neues“ in die Welt zu bringen (Matzke 2012). Dies wäre dann zusammen mit Prekarität und dem nachwirkenden Postulat des Widerstands eine grobe gemeinsame Klammer der in Kunst und Kultur Tätigen, insbesondere in der Freien Szene. Die Freie Szene nämlich, im Vergleich zum Stadttheater, sei, so Hänzi (2013) schärfer charakterisiert durch Autonomie und Abenteuerhunger. Gewiss sind Verschiebungen dieser Prämissen im künstlerischen Lebensverlauf beobachtbar, an dieser Stelle können sie nicht weiter verifiziert werden.
Richtung „Solidarität“
Ohne Erläuterung schob ich oben klammheimlich den Begriff der Solidarität unter, und der Platz reicht hier nicht aus, um dieses zweifelsfrei schon reichlich bemühte Wort in seinen schillernden Grob- und Feinheiten zu beleuchten. Für eine Auseinandersetzung mit Generationen bleibt seine Nennung jedoch unausweichlich. Aus der Familiensoziologie stammend, lassen sich (als negativ oder positiv bewertete) Faktoren auflisten. Solidarität hängt dann damit zusammen, wie sich die emotionale Verbundenheit ausdrückt, welche Kontaktformen bestehen und wie die Verteilung von Ressourcen gestaltet ist. Zu unterscheiden sind einerseits sogenannte Opportunitätsstrukturen – förderliche und hinderliche Umstände – und Bedürfnisstrukturen andererseits, gerahmt durch kulturell-kontextuelle Strukturen (Künemund und Szydlik 2009, S. 11–13). Im Anschluss daran wäre zu fragen, wie sich gesellschaftlicher Wandel, politische Entscheidungen und individuelle Lebensverläufe auf Opportunitätsstrukturen und Bedürfnisstrukturen in der Freien Szene auswirken. Wenngleich ich betonen möchte, diese Begrifflichkeiten aus der Familiensoziologie zu entlehnen, aber die Freie Szene keinesfalls als Familie zu bezeichnen.
Viele wunde Punkte, die in der einen oder anderen Weise mit dem Schlagwort der Generation in Verbindung zu bringen wären, sind hier zumindest skizzenhaft angeklungen. Ohne diese Auseinandersetzung mit Fachausdrücken überfrachten zu wollen, spiele ich abschließend auf Karl Mannheims „Das Problem der Generationen“ (1970 [1928/1929]) an. Mannheim beschreibt darin
- die Generationslagerung, die grundsätzlich für verwandte Geburtsjahrgänge einen gemeinsamen Wahrnehmungs- und Handlungsspielraum erzeugt. Menschen, die also etwa zur gleichen Zeit geboren wurden, befinden sich in diesen geteilten Räumen, sie müssen aber nach Mannheim kein Bewusstsein dafür haben. Der
- Generationszusammenhang führt hingegen schon zu einem geteilten Schicksalsbewusstsein, das jedoch noch durch eine lose Verbundenheit gekennzeichnet ist. Mit
- Generationseinheit meint Mannheim die konkrete Bildung von Problemlösungsgemeinschaften. Die Freie Szene ist mitnichten ein homogenes Feld.
Und dennoch: ein Fokus auf den „konjunktiven Erfahrungsraum“ und die „Gemeinsamkeit der Erlebnisschichtung“, auf die Alltagspraxis, die Erfahrungen von Brüchen und Umbrüchen (Bohnsack und Schäffer 2002, S. 254-255) könnte gegebenenfalls Erhellung herbeiführen. Derzeit ließe sich für Künstler*innen der Freien Szene – ohne Differenzierungsbemühungen – pessimistisch vorhersagen, dass die Jungen sich abzuplagen haben, überhaupt Fuß zu fassen, Ältere damit konfrontiert wären, den Fuß im Spiel zu behalten und sich gegen die drohende Altersarmut zu wappnen. Doch Prophezeiungen irren nicht selten.
Dr.in Karin Scaria-Braunstein, Soziologin, ist derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin (Postdoc) am Institut an der Universität Graz sowie Leiterin des Archivs für die Geschichte der Soziologie in Österreich.
Literatur:
Bohnsack, R.; Schäffer, B. (2002). Generation als konjunktiver Erfahrungsraum. In: Burkart, G. & Wolf, J. (Hg.), Lebenszeiten, S. 24–273, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Geldmacher, P. (2015). Re-Writing Avantgarde: Fortschritt, Utopie, Kollektiv und Partizipation in der Performance-Kunst. Bielefeld: transcript Verlag.
Hänzi, D. (2013). Die Ordnung des Theaters. Eine Soziologie der Regie. Bielefeld: transcript Verlag.
Henke, D. (2023). Der Autor ist tot – es lebe die Autorin! Identitätspolitik als Herausforderung für die Literaturwissenschaft. In: Textpraxis (21), S. 1–19.
Hiesl, A.; Kaiser, R. (Hg.) (2022). War schön, kann weg … Alter(n) in der Darstellenden Kunst. Berlin: Theater der Zeit.
Isengard, B. (2011). Die Prägung von Lebensstilen im Lebensverlauf: Eine alters- und kohortenanalytische Perspektive. In: Rössel J. & Otte, G. (Hg.). Lebensstilforschung, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 51/2011, S.295–315, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Künemund, H.; Szydlik, M. (2009). Generationen aus Sicht der Soziologie. In: Künemund, H. & Szydlik, M. (Hg.). Generationen. Multidisziplinäre Perspektiven. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Mannheim, K. (1970 [1928/1929]). Das Problem der Generationen. In: Maus, H. & Fürstenberg, F., (Hg.), Wissenssoziologie, Neuwied am Rhein/Berlin: Luchterhand.
Matzke, A. (2012). Arbeit am Theater. Eine Diskursgeschichte der Probe (Theater Band 48). Bielefeld: transcript Verlag.
Pinto, A. (2013). Stadt und Theater – zum Wandel einer Beziehung. In: Mittelstädt, E. & Pinto, A. (Hg.). Die Freien Darstellenden Künste in Deutschland. Diskurse – Entwicklungen – Perspektiven, S. 33–44, Bielefeld: transcript Verlag.
Nitsche, V. (2021). Theatermachen als Zeit-Erfahrung. Kollektive Produktionsverfahren in den 1960/70er-Jahren und zu Beginn des 21. Jahrhunderts. In: Germanica 68, S. 113–128.
Rössel, J. (2011). Soziologische Theorie in der Lebensstilforschung. In: ders. & Otte, G. (Hg.). Lebensstilforschung, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 51/2011, S. 35-61, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Simmel, G. (1989 [1887-1890]). Über sociale Differenzierung. In: ders. Aufsätze 1887–1890. Über sociale Differenzierung. Die Probleme der Geschichtsphilosophie (1892). Hg. v. Dahme, H.-J., (Gesamtausgabe Band 2), Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 109–295.
Slevogt, E.; Merck, N. (2013). Der Schrecken des Neuen. Fünf Skizzen zur Krise. In: Schneider, W. (Hg.). Theater entwickeln und planen: Kulturpolitische Konzeptionen zur Reform der Darstellenden Künste, S. 177–188, Bielefeld: transcript Verlag.
Foto: © Linda Meier

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.25 „ÜBERGABE KULTUR“ des Magazins der IG Kultur Österreich - Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
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