Die Grenze

Unter den drei heiligen Prämissen des Bologna-Prozesses bekam in den letzten zehn Jahren die Gestalt einer Universität konkrete Züge, die nicht mehr als ihre spezifische Fachausbildung Wert sein darf, wobei Fachausbildung „naturgemäß“ nur im Sinne einer makellos marktkonformen Berufsausbildung auszulegen sei.

Unter den drei heiligen Prämissen des Bologna-Prozesses – auch das Rechtschreibprogramm (er)kennt das Wort und unterstreicht es nicht mit der vertraut-gezackten Fehlerrotlinie – bekam in den letzten zehn Jahren die Gestalt einer Universität konkrete Züge, die nicht mehr als ihre spezifische Fachausbildung Wert sein darf, wobei Fachausbildung „naturgemäß“ nur im Sinne einer makellos marktkonformen Berufsausbildung auszulegen sei. Die Förderung von Mobilität, internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungsfähigkeit, wie es so schön heißt, scheint vorerst eins erreicht zu haben: Die Idee einer sich politisch verstehende Bildung samt hart erkämpften kritischen und emanzipatorischen Ansätzen ist ein großes Stück ins Abseits gerückt. Wie soll aber heute Uni gedacht, oder besser gesagt praktiziert werden, um sie als etwas mehr, etwas anderes als die wirtschaftlich rentable Absetzbarkeit ihrer Sprösslinge oder aber als bloße Vergabestelle akademischer Titel zu begreifen? Was macht, pathetisch gefragt, heutzutage aus Sälen emanzipative Denk- und Praxisräume? Welche FreiRäume kann die Universität aktuell noch beanspruchen, was soll und darf zu der (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit solcher Räume gehören, wer zählt (sich) bzw. wird zu der akademischen Community gezählt?

Mitte Juni machten sich Studierende der zur Universität London gehörenden School of Oriental and African Studies (SOAS) in der Praxis an die Beantwortung solcher Fragen. Sie besetzten ihre Fakultät, um effektiv gegen die Abschiebung von MigrantInnen, die als Reinigungspersonal an der Universität arbeiteten, zu protestieren, um einen anderen Teil der universitären Community sichtbar zu machen, aber auch um den Anspruch der Uni als Freiraum ernst zu nehmen. Anlass war die Razzia der Einwanderungsbehörde auf dem Campus der Universität, in der neun Menschen fest genommen wurden; mehrere davon wurden in einem exemplarisch beschleunigten Verfahren unmittelbar danach abgeschoben. Bezeichnenderweise kämpften die illegalisierten Reinigungskräfte der SOAS nämlich seit Monaten darum, sich gewerkschaftlich zu organisieren, für bessere Arbeitsbedingungen und für den – zumindest auf dem Papier bestehenden – Mindestlohn. Abseits der konkreten Vermutung, dass und wie weitgehend das Management der Uni mit den „Authorities“ kooperiert hat, reiht sich das Ereignis in die aktuell massiven Versuche ein, die Universität als ein neues und direktes staatliches Kontrollorgan zu vereinnahmen. Für viele verlaufen (Staats)Grenzen immer öfter in ihrer Uni. Eine Uni, die sich immer noch (zwar theoretisch) gern kritisch gibt, in ihrer Praxis jedoch indifferent, gar kollaborativ agiert; eine Uni, die einzig und alleine individuelle Entfaltung propagiert; eine Uni, die erfolgreich soziale Selektion betreibt und solche über theoretische Produktion legitimiert.

Auch heute bedeutet die Auseinandersetzung mit kritischem Denken und emanzipatorischer Praxis an der Uni keine Fingerübung angesichts des nächsten Prüfungstermins. Es bedeutet, eine weitgehende Kohärenz zwischen den „rein“ theoretischen kritischen Auseinandersetzungen mit Themen und die praktizierte Handhabung solcher Themen zu verlangen, zu erkämpfen und umzusetzen. Immer wieder heißt dies, das Besetzten von abgekapselten Bereichen zu betreiben, das Sprengen von sich immer wieder verfestigenden Hierarchien auszuüben sowie Menschen und Sachen zu einander neu in Beziehung zu bringen.

SOAS

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