Was soll Universität heute?

Die Luft ist vorerst raus aus den Protesten! Bei der letzten Bildungsdemonstration in Berlin nahmen Anfang Juni gerade einmal 5.000 Menschen teil; im Jahr zuvor waren es bundesweit noch 270.000 gewesen. Doch bietet das Abflauen der jüngsten Protestwelle nunmehr auch die Möglichkeit, einen vorläufigen Schlussstrich unter die Ereignisse der vergangenen Monate zu ziehen und nach deren Implikationen für künftige Kämpfe zu fragen.

Die Luft ist vorerst raus aus den Protesten! Bei der letzten Bildungsdemonstration in Berlin nahmen Anfang Juni gerade einmal 5.000 Menschen teil; im Jahr zuvor waren es bundesweit noch 270.000 gewesen. Doch bietet das Abflauen der jüngsten Protestwelle nunmehr auch die Möglichkeit, einen vorläufigen Schlussstrich unter die Ereignisse der vergangenen Monate zu ziehen und nach deren Implikationen für künftige Kämpfe zu fragen. So beschäftigen sich dann auch zwei kürzlich erschienene Publikationen – eine aus München, die andere aus Wien – mit den jüngsten Universitätsbesetzungen, welche zum einen eine neue Qualität der Auseinandersetzung brachten, sich zum anderen aber auch in eine länger zurückliegende Geschichte (europäischer) Bildungsproteste einschrieben. Ausgehend von Derridas „Die unbedingte Universität“ stellt sich für das Münchner Herausgeber/innenkollektiv somit die zentrale Frage: Was soll Universität tun, und was soll für sie getan werden? Diese wurde im Dezember 2009 an Wissenschafter/innen unterschiedlicher Fachbereiche und Universitäten gesandt, wobei die Antworten zusammen mit den Resolutionen und Positionspapieren der besetzten Universitäten den Inhalt des bei diaphanes erschienenen Sammelbandes bilden. Und so verweist auch gleich zu Beginn ein Wiener Kollektiv aus dem Umfeld der Akademie der bildenden Künste auf die paradoxe Tatsache einer zunehmenden Ungleichzeitigkeit: Während es im Rahmen der postfordistischen Produktionsweise zu einer weitgehenden Deregulierung außerhalb der Hochschulen kommt, scheinen die Universitäten in den vergangenen zehn Jahren von der (Re-)Installation eines neofordistischen Disziplinarsystems geprägt. Eine für die weitere Lektüre spannende These, die dann auch von dem Philosophen Gerald Raunig aufgegriffen und mit dem bei Deleuze entlehnten Begriff der modulierenden Modulation weiter zugespitzt wird.

Disziplin und Kontrolle
Es sei hier vor allem das „Ineinanderrinnen von Disziplinar- und Kontrollgesellschaft“ (S. 59), welches die aktuelle Stufe kapitalistischer Vergesellschaftung zu erklären verspricht. Diesen Prozess nur einseitig zu fassen – wie etwa in der Kritik Robert Pfallers an der zunehmenden Bürokratisierung und Zentralisierung der Universität im Zuge von Bologna –, läuft demnach Gefahr, am Ziel vorbei zu schießen, zumal die antiautoritäre und anti-hierarchische Forderung nach Dezentralisierung, Flexibilisierung und Zerstreuung ohnehin Teil des neoliberalen Repertoires ist. Erst in der Verschränkung von Disziplin und Kontrolle zeige sich ein neuer Modus der Modulation in der zeitgenössischen Wissensfabrik. So fragt der in New York lehrende Philosoph Simon Critchley nach der Aktualität einer institutionalisierten Form des Denkens und kommt zu dem Schluss, dass die (national-)staatlich organisierte, am Humboldt’schen Bildungsideal orientierte Reformuniversität nicht mehr den gegenwärtigen Anforderungen entspricht. Anstatt allerdings gut dotierten Forschungsclustern das Wort zu reden, plädiert er für den Entwurf einer radikal autonomen Institution des Denkens, welche sich an der Lehre zu orientieren hätte. Hierin wird die Philosophie zum Vorbild für ein kritisches Hinterfragen konventioneller Ansichten, ein Hinterfragen, das von Judith Butler dann auch als das unbegründete Hinterfragen der Legitimität von bestehenden Gründen definiert wird. Und eben hierzu bedarf es kollaborativer Frei- und Zwischenräume an und außerhalb der Hochschulen, welche für den Berliner Politikwissenschaftler Alex Demirović die Voraussetzung für ein gutes, weil kritisches Studium bilden: „Es sollte zur Ausbildung der Fähigkeit zum mutigen Gebrauch des eigenen Verstandes und zur ebenso mutigen demokratischen Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse beitragen“ (S. 405).

Zurück in Wien
In Unterscheidung zu den weitgehend aus der Distanz verfassten Stellungnahmen zur aktuellen Lage der Universität, handelt es sich bei der von einem Wiener Kollektiv herausgegebenen und bei Turia + Kant erschienenen Textsammlung vor allem um Beiträge aus den besetzten Hörsälen selbst, wobei neben Graz, Klagenfurt, Salzburg, Innsbruck und Berlin, der Schwerpunkt eindeutig auf Wien gelegt wurde – was auch durch die Auswahl der Bilder in der Mitte des Bandes untermauert wird. Den Beiträgen ist die hitzige Stimmung jener Zeit jedenfalls noch anzumerken, was einerseits den bereits abgekühlt analytischen Blick aus München vermissen lässt, andererseits aber den im Untertitel versprochenen atmosphärischen Zugang durchaus einzulösen verspricht. Und so mag auch der Mangel an einer wirklich durchdachten Strukturierung des Buches charmant erscheinen, ist er doch vor allem der Tatsache geschuldet, dass die im Zuge der Universitätsbesetzung entstandene Arbeitsgemeinschaft Buchveröffentlichung gerade einmal zwei Monate Zeit hatte, den Sammelband fertig zu stellen. Dieser ist nunmehr bereits in der zweiten Auflage erhältlich und enthält als sinnvolle Erweiterung noch die Transkription der Podiumsdiskussion anlässlich der Buchveröffentlichung (u. a. mit Marlene Streeruwitz) sowie weitere Beiträge aus Deutschland und Kroatien. Trotz der äußerst unterschiedlichen Zugänge ist beiden Büchern doch der Versuch gemein, die Unterordnungsverhältnisse an den Universitäten wieder als Unterdrückungsverhältnisse sichtbar und damit für neue Formen des Widerstandes angreifbar zu machen.

Literatur
Horst, Johanna-Charlotte/Johannes Kagerer/ Regina Karl/u.a. (Hg.) (2010): Unbedingte Universitäten. Was passiert? Stellungnahmen zur Lage der Universität. Zürich: diaphenes.
Heissenberger, Stefan/ Viola Mark/Susanne Schramm/u.a. (Hg.) (2010): Uni Brennt. Grundsätzliches Kritisches Atmosphärisches. Wien/Berlin: Turia + Kant.

Clemens Apprich ist Promotionsstudent der Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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