Frauennetzwerke in elektronischen Musikszenen

Es ist keine Neuigkeit, dass DJ-Frauen, Musikproduzentinnen und Event-Veranstalterinnen in elektronischen Musikszenen unterrepräsentiert sind. Die Gründe für diese soziale Geschlechterungleichheit liegen aber nicht, wie häufig argumentiert, an einem Mangel an aktiven Frauen in diesen Szenen. Es sind u. a. die Ausschlüsse von Frauen aus den männlich dominierten Szene-Netzwerken, die zu ihrer geringen Anzahl bei Clubnächten und Musikfestivals führen.

Es ist keine Neuigkeit, dass DJ-Frauen, Musikproduzentinnen und Event-Veranstalterinnen in elektronischen Musikszenen unterrepräsentiert sind. Die Gründe für diese soziale Geschlechterungleichheit liegen aber nicht, wie häufig argumentiert, an einem Mangel an aktiven Frauen in diesen Szenen. Es sind u. a. die Ausschlüsse von Frauen aus den männlich dominierten Szene-Netzwerken, die zu ihrer geringen Anzahl bei Clubnächten und Musikfestivals führen. Um diesen Ausschlüssen entgegenzuwirken, gründen DJ-Frauen ihre eigenen Netzwerke, wie etwa Female Pressure, Junglistic Sistaz oder Rubina DJanes. Am Beispiel von Female Pressure werden die unterschiedlichen virtuellen Aktivismen von Frauennetzwerken in elektronischen Musikszenen beschrieben und die Widersprüche ausgelotet, die diesen Netzwerken eingeschrieben sind.

Female Pressure

1998 gründete die Wiener DJ und Musikproduzentin Electric Indigo die Datenbank Female Pressure, in der sich aktive Frauen in elektronischen Musikszenen registrieren können. Heute, mehr als zehn Jahre später, sind 1.030 Musik-, Kunst- und Medienproduzentinnen aus 52 Ländern in der Datenbank eingetragen, die Zugang zu den beiden Mailinglisten „Female Pressure“ und „Female Pressure Vienna“ erhalten. 2005 wurde die Online-Plattform Open:Sounds für den Austausch von Musik innerhalb des Netzwerks ins Leben gerufen, und zusätzlich werden monatlich Female-Pressure-Radiosendungen bei Radio Organe in Wien und Radio FSK in Hamburg gesendet und Female-Pressure-Clubnächte organisiert. Die Ziele des Netzwerks werden auf der Webseite mit den Begriffen „Visibility“ und „Vision“ beschrieben: Female Pressure versucht, die Sichtbarkeit von Musikerinnen und Produzentinnen zu garantieren, ihre Präsenz in elektronischen Musikszenen zu erhöhen und einen Austausch von Erfahrungen und gegenseitige Unterstützung durch die beiden Mailinglisten zu ermöglichen. Open Sounds operiert zudem auf der Basis der „liberal creative commons licence“, die als Alternative verstanden wird zu „the conventional and sluggish way of producing our music under the full restrictions of copyright“. Female Pressure bettet sich folglich selbst in eine „Do-It-Yoursef-Industry“ (Peterson/Bennett 2004) ein, die von ProduzentInnen und Fans ins Leben gerufen wird, zu einem großen Teil auf unbezahlter Arbeit basiert und einen Gegenpol zu den global agierenden Musik- und Medienkonzernen bildet. Die von Female-Pressure-Akteurinnen produzierte Musik zirkuliert in der DIY-Industrie elektronischer Musikszenen, indem die veröffentlichten Female-Pressure-Tonträger verschenkt werden und die Musik bei Radiosendungen und Clubnächten gespielt wird. In der Selbstpräsentation auf seiner Webseite taucht der Begriff „Feminismus“ allerdings nicht auf, obwohl Female Pressure in einem feministischen und antikommerziellen Kontext steht. Welche Bedeutung Feminismus für einzelne Akteurinnen hat, wird bei der Analyse der Diskussionen auf den beiden Mailinglisten erkennbar.

Virtuelle Aktivismen

Neben einer Vielzahl an Ankündigungen von Clubnächten und veröffentlichten Tonträgern sind auf den Mailinglisten häufig Berichte über diskriminierende Erfahrungen zu lesen – wie etwa dieser:

Hello ladies, I need your help! I am a drum’n’bass producer [...] breaking through into the scene and have had radio play on the BBC. I posted on my blog today an article [questioning why there are so few female drum & bass producers] and posted my blog link on a few drum & bass forums. […] In the last 4 hours I have had around 100 men visit my blog and the replies on the forum have been shocking. I’ve been called a lesbian, a feminist, comments about tampax and everything. […] I thought it would be AMAZING if all you girls from female pressure replied to their posts with your point of view. This could be really amazing for making men more aware of female pressure!!!

Ein Blick auf die erwähnten Diskussionsforen zeigt, dass mehr als 20 Frauen auf die verbalen Übergriffe reagieren, wobei vier unmittelbar auf Female Pressure verweisen. Eine ähnliche Form des virtuellen Aktivismus leitet der Aufruf ein, gegen die Einladungspolitik des Musikmagazins Groove zu protestieren, das anlässlich seines 20-jährigen Bestehens ausschließlich männliche DJs und Musiker zu seinen Partys einlud.

Die virtuellen Aktivismen, um gegen Übergriffe und Ausschlüsse anzukämpfen, manifestieren sich in den Aktionen einzelner, die Kommentare auf szenerelevanten Diskussionsforen posten, direkt bei Event-OrganisatorInnen gegen die Bevorzugung von männlichen DJs protestieren und für noch mehr Networking über Social-Networking-Plattformen plädieren. Diesen virtuellen Aktivismen liegt ein zentrales Element des Feminismus zu Grunde: die strukturelle Verbindung zwischen den persönlichen Erfahrungen einzelner Female-Pressure-Aktivistinnen und den kollektiven Aktionen. Es ist ihnen aber auch ein zentraler Widerspruch eingeschrieben: das „Paradox der Frauenförderung“, das sich exemplarisch an den Diskussionen über das Verfassen eines Female-Pressure-Manifests zeigt.

Das Female-Pressure-Manifest und das Paradox der Frauenförderung

Der Prozentsatz von DJ-Frauen, Musikerinnen und Musikproduzentinnen bei Mutek, dem internationalen Musikfestival in Montreal, belief sich, laut Angaben eines Postings auf der Mailingliste, im Jahr 2009 auf fünf Prozent. Die Tatsache, dass bei anderen Festivals für elektronische Musik kaum mehr Frauen eingeladen sind, unterstreichen zahlreiche andere Emails auf dem Thread „Mutek / the lack auf female artists at festivals“. Um diesen Ausschlüssen entgegenzuwirken, schlägt eine DJ vor, ein Manifest zu verfassen, das in Musik- und feministischen Medien veröffentlicht werden soll. Die Idee stößt auf Anklang. Sie soll umgesetzt werden, sobald der Inhalt des Manifests feststeht. Eine DJ bringt folgenden Input ein:

I don’t like when the female artist issue turns into something "special“ from the common world. Last Sònar I was invited to play and when I received the invitation […] I was totally in shock. […] I realized that the last edition of Sònar was especially dedicated to woman artists. In one way I found this a really nice detail from the organization. But on the other side, I didn’t feel my participation like a common one. I would like to get this idea clear in the manifesto. We are not supernatural persons who besides being girls can play too.

Mit der Kritik an Sònar, einem internationalen Musikfestivals in Barcelona, und der Einladung zu einem Abend, der ausschließlich Musikerinnen und Künstlerinnen gewidmet war, entsteht eine Diskussion über female showcases und „Ladies Nights“ bei Musikfestivals. Die DJs kritisieren „Tokenismus“ (Kanter 1977) als herrschendes Prinzip in den Musikszenen, weil sie immer wieder aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit und nicht aufgrund ihres DJ-Stils gebucht werden. Mit dieser Kritik wird auch das „Paradox der Frauenförderung“ erkennbar: Die Strategien der Frauenförderung folgen einem Weg, der zu einer „Reifizierung der hierarchischen Geschlechterdifferenz“ führt und folglich die binäre Struktur von Weiblichkeit und Männlichkeit eher unterstreicht als dekonstruiert (Gildemeister/Wetterer 1995). Die Female-Pressure-Aktivistinnen befinden sich demnach in einer paradoxen Situation: Sie sind in einem Netzwerk, das unterschiedliche Strategien der Frauenförderung umsetzt, wie die Organisation von Female-Pressure-Clubnächten oder die Veröffentlichung von Female-Pressure-Tonträgern, um die Sichtbarkeit und Präsenz von Musikerinnen und Künstlerinnen in elektronischen Musikszenen zu gewährleisten. Gleichzeitig sind es aber gerade diese Strategien, die – wie die female showcases bei Musikfestivals – zu einer unerwünschten Festschreibung der Geschlechterdifferenz führen. Im Zuge der Diskussionen über den Inhalt des Manifestes bringt eine DJ dieses Paradox auf den Punkt:

i expect support and mentoring of female newcomers and colleagues by every active woman in the scene. i know this involves a certain awareness of gender issues and many women do like to block this agenda out because it has a latent ambiguity – no one of us wants to put herself in some sort of ghetto – and it produces troubles every once in a while.

Einen Ausweg aus dieser „latenten Ambiguität“ sieht die DJ darin, die frauenzentrierte Einladungspolitik bei Clubnächten und die Unterstützung von Frauen nicht als solche zu benennen. Eine Vorgangsweise, die sich als „programmatische Strategie“ beschreiben lässt. Eine andere Strategie schlägt diese DJ vor:

i would understand female pressure and the manifesto as feminist and queer, that means to be open for transgender and all artists who reject to fit into the male category. […] the idea for the manifesto that we say ”we women“, i think that’s not appropriate anymore. it simply doesn’t make sense, if we want to reach out. i mean it was important in the 70s to say “we women“ but these days queer is a much more appropriate term and far more political.

Das „Paradox der Frauenförderung“ soll mit Rekurs auf die Begriffe „feministisch“ und „queer“ umgangen werden. Queer wird dabei als ein strategischer Begriff für die Etablierung von Allianzen mit kulturellen ProduzentInnen in elektronischen Musikszenen verstanden, die sich als Transgender identifizieren oder die Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht ablehnen, und er dient zudem zur Abgrenzung von der Identitätspolitik der Zweiten Frauenbewegung, die unter der Kategorie „Frau“ alle Frauen – unabhängig ihrer sozialen Herkunft und Zugehörigkeit – subsummierte und Differenzen zwischen Frauen negierte. Dieses Verständnis von queer lehnt eine „progammatische Politik“ ebenso ab wie die Assimilation aller Female-Pressure-Akteurinnen unter die Kategorie „Frau“. Die Verwendung des Begriffs „queer“ lässt sich demnach als eine politische Strategie verstehen, die darauf abzielt, das „Paradox der Frauenförderung“ zu minimieren und eine größere Akzeptanz für das Manifest zu erlangen.

Innerhalb des Female-Pressure-Netzwerks gelangen allerdings beide Strategien – eine „programmatische“ und eine „queere“ – zur Anwendung: Die Selbstdarstellung von Female Pressure auf der Webseite zielt auf die Sichtbarkeit von Musikerinnen und Künstlerinnen, auf Networking, Erfahrungsaustausch und Unterstützung ab, ohne jedoch explizit auf Feminismus oder eine Frauenförderpolitik zu verweisen. Die queere Strategie manifestiert sich in der Inklusion von Transgender-DJs in die Female-Pressure-Datenbank und die Ankündigung von Events auf den Mailinglisten, die die Bezeichnungen „queer“, „trans“ oder „drag“ im Titel tragen. Die kollektive Entscheidung, welche Strategie(-n) für das Manifest die beste(-n) sei(-en) und welche Inhalte es an die Öffentlichkeit tragen soll, steht allerdings bis heute aus.

 

Literatur
Gildemeister, R. / Wetterer, A. (1995): „Wie Geschlechter gemacht werden. Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung“. In: Knapp, G. / Wetterer, A. (Hg.): Traditionen Brüche. Entwicklungen feministischer Theorie. Freiburg: Kore, S. 201-250.

Kanter, R. (1977): Men and women of the corporation. New York: Basic Books.

Peterson, R. A. / Bennett, A. (2004): „Introducing Music Scenes“. In: Bennett, A. / Peterson, R.A. (Hg): Music Scenes. Local, Translocal, and Virtual. Nashville: Vanderbilt University Press, S. 1-16.

Rosa Reitsamer ist Soziologin.

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