Aus Donuts müssen Krapfen werden

Ein Aufbruch der ländlichen Regionen braucht programmatische Inhalte, wie die leerstehenden und verödeten Stadtzentren und Dorfkerne wieder mit Leben zu füllen sind. Zukunftsfähige Ideen für ihre Renaissance können nur gemeinsam mit den Bewohner*innen entstehen und angepackt werden.

Bild nonconform

Über Leerstand, verödete Zentren und neue Zukunftsbilder
 

Ein Aufbruch der ländlichen Regionen braucht programmatische Inhalte, wie die leerstehenden und verödeten Stadtzentren und Dorfkerne wieder mit Leben zu füllen sind. Zukunftsfähige Ideen für ihre Renaissance können nur gemeinsam mit den Bewohner*innen entstehen und angepackt werden.

Immer mehr Dörfer und Städte haben kein Zentrum mehr, sie sehen aus wie ein Donut. Das Leben findet am Stadtrand statt, in peripheren Eigenheimsiedlungen und Einkaufszenten, aufrechterhalten durch einen hohen Mobilitätsaufwand. Dieser Donut-Effekt ruiniert die Städte nicht nur für die kommenden Generationen: Öffentliche Begegnungsräume verlieren ihre Bedeutung und Orte ihre Identität und Attraktivität.

Um dem weiteren Verstummen der Stadt- und Dorfzentren etwas entgegenzustellen, braucht es mutige Akteur*innen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, die bereit sind, Neues partizipativ mit Bürgerinnen und Bürgern zu denken und zu realisieren. Fundus und Humus dafür liegen im konsequenten Aufspüren und in der umfassenden Transformation der regionalen Schätze und Besonderheiten. Das ist ein vielschichtiger, demokratischer Aushandlungsprozess über gemeinsame Zukunftsbilder, die mit neuen Formen des Wohnens und Arbeitens, der Mobilität und mit Orten der Gemeinschaft das Leben in die Zentren zurückbringen können.

Dafür sind starke bauliche Interventionen gefordert, die einen inspirierenden Raum für das Leben im ruralen Raum ermöglichen – für ein zeitgemäßes Leben auf dem Land, das eine eigene Qualität erreicht: Technologisch am Puls der Zeit, bei dem aber Achtsamkeit und Entschleunigung mitschwingt und ein deutliches Zeichen für einen sparsamen und intelligenten Umgang mit Grund und Boden gesetzt wird.

Die Zentren der Orte und Städte spielen eine Hauptrolle auf dem Weg zu Zukunftsorten. Leerstehende Gebäude und aufgelassene öffentliche Bauten, verlassene Fabriken und Höfe sind Teil der Realität. Dieser nicht mehr genutzte Raum birgt ein enormes Entwicklungspotential und Chancen für die Kommunen. Gerade im Bewusstsein des Klimawandels sind diese vorhandenen Ressourcen ein bedeutendes Potenzial zur Rückkehr zu einem intakten Sozialraum für die Menschen am Land.
Wir brauchen einen Krapfen-Effekt. Die Metapher vom Donut aufgreifend stellt sich die Frage, wie die verödete Mitte wieder mit Leben gefüllt, wie sie wieder zum Krapfen mit gehaltvoller Füllung werden kann? Akzeptieren müssen wir, dass klassische Nutzungen wie der Handel in seiner ursprünglichen Form nicht mehr in den Kern der Dörfer und Städte zurückzuholen sind. Die leeren Hüllen brauchen experimentelle Ideen für ein gehaltvolles Inneres, die das Leben wieder attraktiv machen. In einem sich gegenseitig stützenden Netzwerk sind die dafür zentralen Aspekte auszugestalten: Neue Wohnformen, gemeinschaftliche Treffpunkte für den sozialen Zusammenhalt, Nahversorgung mit Gütern und Kultur, vernetzte und flexibel nutzbare Mobilität und eine Wirtschaft, die regionale und innovative Impulse setzt. Das sind große Themen, die tragbare Antworten erfordern, um für das Land die lebensnotwendige Diversifikation zu erreichen: eine Vielfalt an Jung und Alt, an Familien und Singles, an sozialen Milieus und an kulturellen Vorstellungen.

Wie lassen sich alte Hüllen vitalisieren? Ein Wirtshaus bleibt nicht nur Schank- und Gastraum, sondern bietet auch Raum für Seminare, für junges Wohnen und für die Poststelle mit Ladenzone, für Kulinarik. Die ehemalige Handelsstraße wird öffentliches Wohnzimmer und ein Ort für Spezialist*innen, bei denen die Musikschule die erste Geige in der Begegnungszone spielt. Schulen vernetzen sich zu einem 360 Tage offenen Bildungscampus mit Mensa, Reparaturwerkstatt und täglich frisch gekochtem Essen. Die leerstehende Wurstfabrik wird zum Labor für Handel, Co-Creation, Kultur, zu einem Käsekeller mit Marktflächen und bietet Wohnen für Menschen mit Beeinträchtigung. Der Leerstand am Dorfplatz ist jetzt ein Ort für Co-Worcation, also eine Drehscheibe, um Urlaub und Arbeiten gleichzeitig zu ermöglichen. Digitalisierung und schnelles Internet schaffen dafür die Basis. Doch auch Ideen sind gefragt, die auf diese Weise kreativ etwas Neues für die Region schaffen.
Aufbruch braucht einen partizipativen, kraftvollen und kollektiven Moment. Wenn Menschen an der Zukunftsgestaltung ihrer Lebenswelt beteiligt werden, wenn sie sich in die Veränderung ihres eigenen Ortes mit ihren Ideen und Vorstellungen einbringen können, kann das gemeinschaftliche Leben in Dörfern und Städten gestärkt werden. Bürgerinnen und Bürger sind vom ersten Akt der Ideenfindung bis zur konkreten Umsetzung als lokale Expertinnen und Experten in die Veränderungsarbeit einzubeziehen. Aus unserer langjährigen Erfahrung auf dem Gebiet der Bürgerbeteiligung haben wir gelernt, dass zeitlich komprimierten Prozessen – analog oder digital durchgeführt – eine stärkere Dynamik innewohnt. Die Ergebnisse solcher Prozesse sind gut reflektiert, sehr zukunftsfähig und können direkt zur Umsetzung gebracht werden. Dieser kollektive Aufbruch mit professioneller Begleitung bringt gemeinsame Visionen und ist Wegbereiter für einen Strategiewechsel für die Entwicklung der Region.

Bei den handelnden Akteur*innen muss ein Verständnis für den Wandel geschaffen werden. Eine gemeinsame Lernexpedition in Orte, die es geschafft haben, ist dafür ein guter Beginn. Für diesen Start sind nicht nur die Akteure vor Ort, sondern auch die Ausheimischen zu involvieren, also diejenigen, die aus dem Ort, der Region stammen, aber nicht mehr dort leben. Gerade sie tragen immer ein Stück regionale Identität im Herzen, erweitert um interessante Erfahrungen. Zivilgesellschaftliches Engagement, die Handschlagqualität und die Möglichkeit der raschen Umsetzung und Aneignung sind das große Plus der Region, um Veränderungen umzusetzen. Damit können Innovationen, in mitunter experimentellen Formaten, direkt erlebt werden. Es braucht mehr Mut fürs Ausprobieren, weniger reden und mehr tun.

Zitat nonconform



Damit schließlich aus dem Donut ein Krapfen wird, ist ein Kümmerer notwendig. Diese Person trägt im Prozess dafür Sorge, dass die Zukunftsstrategie mit den geplanten Projekten umgesetzt wird. Sie stellt das Gesicht der Veränderung dar, kümmert sich, die richtigen Menschen in den richtigen Situationen zusammenzubringen und dass neue Ideen und Vorschläge offen weiterentwickelt werden. Außerdem baut sie nützliche Netzwerke auf, macht Wissen sichtbar und managt Umsetzungen.

Hohe Qualitätsstandards sind für die Realisierung der Ideen gefordert. Es geht nicht um gut gemeint, sondern um gut gemacht. Deshalb sind auch bei kleineren Interventionen die besten Partner*innen für die bauliche Umsetzung zu suchen. Partizipative Verfahren zur Auswahl der stärksten gestalterischen Konzepte sind dafür zu entwickeln, zu fördern und einzusetzen. Sie stellen die angemessene Antwort auf die veränderten Anforderungen dar. Entscheidend ist dabei, sowohl die Bürgerinnen und Bürger verstärkt in den Entscheidungsprozess zu involvieren, als auch kreative Gestalter*innen innerhalb und außerhalb der regionalen Grenzen einzuladen. So gewinnt das Leben in Dörfern und Städten abseits der Ballungszentren eine Qualität, die geprägt ist durch gelebte Gemeinschaft, bunte Nutzungen, lebendige Urbanität, kurze Wege und natürlich durch schöne Räume.

 

 

Wir tragen die Stadt mit uns herum, deshalb ist jetzt ein Landleben möglich

Roland Gruber im Gespräch mit den Regionalaktivist*innen Christoph Holz (Informatiker und Co-Working Gründer, St. Johann, Tirol), Prof. Kerstin Schultz (Gemeinderätin, Professorin und Architektin, Reichelsheim im Odenwald, Hessen) und Dr. Klaus Zeitler (Soziologe und Regionalentwickler, Rottenburg a.d. Laaber, Oberpfalz, Bayern)

Hat der ländliche Raum eine Zukunft?
Klaus Zeitler: Kommunen in ländlichen Räumen brauchen einen permanenten Erneuerungsprozess, ansonsten werden sie weiter abgehängt und haben wenig Überlebenschancen. Sie müssen auf die neuen sozialen Kontexte reagieren, sich mit anderen Kommunen vernetzen und zusammenarbeiten, ihre Infrastrukturen erneuern, die Digitalisierung zum Standard machen, neue Steuerungsinstrumente entwickeln, innovative Beteiligungsformate ausprobieren und mit zeitgemäßer Öffentlichkeitsarbeit kommunizieren. Das hat nicht unbedingt etwas mit der Finanzkraft zu tun. Vor allem sind gute Ideen, Willen und Ausdauer gefragt, dann ist es zu schaffen.

Christoph Holz: In jedem Koordinatensystem kann man den Mittelpunkt verschieben. In unserer digitalen Zeit bedeutet das, dort wo die Informationsknoten sind, dort entsteht etwas. Die Stadt, wie wir sie kennen, ist ein Produkt der Industrialisierung. Und sie ist deshalb so attraktiv, weil pro Einwohner weniger Kosten entstehen, es mehr Arbeit gibt und Gehälter wie Kreativität höher sind. Jetzt erlebt das Land eine neue Blüte, weil immer mehr Köpfe dezentraler arbeiten können. Die Digitalisierung schafft eine Re-Regionalisierung.

Müssen wir darüber nachdenken, Orte aufzugeben, die es nicht schaffen, Leben zurückzuholen?
Klaus Zeitler: Offiziell darf man es nicht sagen und eigentlich auch nicht schreiben, aber viele Untersuchungen zeigen, dass nicht alle Kommunen gerettet und künstlich am Leben erhalten werden können. Meine Empfehlung ist, wenn eine aktive Bevölkerung spürbar ist, wenn Entwicklungen stattfinden und die Menschen voll dahinterstehen, dann wird ein Fortbestehen möglich sein. Bei den anderen nicht. Es hängt sehr stark von der Energie vor Ort ab.

Wie schaffen wir es, in metropolferneren Gebieten in Zukunft gut zu leben?
Kerstin Schultz: Wir müssen den Fokus auf gute Strukturarbeit legen, um die Basisfunktionen wie Bildung, Einkaufen, Essensversorgung, öffentlicher Verkehr, Medizin und Breitband bestmöglich zu gewährleisten. Wenn das nicht vorhanden ist, dann werden außer ein paar Aussteigern auch in Zukunft keine Leute aufs Land ziehen. Vielleicht wird es irgendwann heißen: „Wer Breitband nicht hatte, hatte ein Problem“.

An welchen Projekten arbeiten Sie als landaffine Akteurinnen und Akteure derzeit?
Kerstin Schultz: Als Gemeinderätin begleite ich Studierende bei der Entwicklung von Ideen für die Zukunft unseres Ortskerns. Mit einer transparenten Kommunikation wollen wir der Bevölkerung die Vision als Gesamtplan zeigen, damit die Zusammenhänge für Entscheidungen besser verstanden werden. In der Region kümmere ich mich um Vernetzungs- und Bewusstseinsarbeit für qualitätsvolle Entwicklung, damit kleinere Impuls- und größere Leuchtturmprojekte leichter ins Leben kommen und die Baukultur verbessert wird.

Christoph Holz: In meiner Kleinstadt baue ich eine Homebase für globale Jobnomaden wie mich auf, für reisende, selbstständige Unternehmer, auch „IT-Nerds“ genannt. In der Regel haben sie zwei Monate Zeit, um ein Projekt fertigzustellen, und können dabei überall arbeiten. Mein Space in der Ortsmitte ist dann für sie ein Platz, um ihre Zelte für ein konzentriertes Arbeiten aufzuschlagen. Ich biete ihnen Zugang zur lokalen Creative Community, einen 3D-Drucker und schnelles Internet. Und sie bekommen ein charmantes Hotelzimmer. Mehr brauchen sie nicht. Mit dem Co-Working bekommen wir ein Stück Stadt in unser Dorf, also Kreativität, Bewegung und einen guten Spirit.

Klaus Zeitler: In Adorf, einem kleinen Ort in Sachsen, arbeiten wir gegen die Folgen des demographischen Wandels. Die Grundidee entstand bei einem Zukunftsentwicklungsprozess mit den Bürger*innen. Gewünscht sind Orte für das gemeinschaftliche Leben und den Zusammenhalt zwischen den Generationen. Dafür wurde das leerstehende Gefängnis zu einem Kreativort mit Proberäumen für Bands, einem Punk-Open-Air-Konzert und Räumen für Kultur ertüchtigt. Das Miteinander von Jung und Alt ist der Kern und wir konnte schon einige experimentelle Projekte umsetzen. Plötzlich ist Adorf lebendig und wir bekommen viel Anerkennung.

 

 

nonconform ist ein Büro für Architektur und partizipative Raumentwicklung mit dem Ziel, mit partizipativer Planung ein gutes Leben am Land und in der Stadt zu ermöglichen, Räume und Plätze neu zu beleben und nutzungsoffene, urbane Gebäude zu schaffen.

 

Info:
www.nonconform.at

Ähnliche Artikel

Kulturvereine, die Vereinsräumlichkeiten haben, sind in der Regel Mieter, manchmal auch gleichzeitig Vermieter. Welche Probleme durch die Nutzung von Räumlichkeiten entstehen können, worauf in der Praxis zu achten ist und welche Rechte Mieter, als auch Vermieter grundsätzlich haben, klären wir im Webinar am 12. Juni. Teilnahme für IG Kultur Mitglieder kostenlos, Anmeldung erforderlich.
Eine Getreidemühle, ein Schwimmbad, ein Krankenhaus, eine Fabrik – was haben sie gemeinsam? Sie sind fantastische Orte für Kunst und Kultur! Ein Veranstaltungsort, der als solcher gebaut wurde, ist viel weniger interessant als eine Umnutzung, die Kreativität räumlich verkörpert und auf eine Geschichte verweist, zu der die lokale Bevölkerung bereits eine emotionale Beziehung hat. Eine Reportage zu Kulturarbeit im Leerstand.
In der November Ausgabe des Kulturradios hört ihr ein Gespräch zum Thema selbstorganisierte Räume und Kulturräume.