Aufwändige Durchquerungen. Subjektivität als sexuelle Arbeit

Das Paradox der Subjektivierung aus Ermöglichung und Zwang im Bereich der Arbeit erinnert an das Bild der Eier legenden Wollmilchsau. Renate Lorenz bezeichnet dieses Paradox als Prekarisierung und die Leistung, in diesem Paradox zu agieren, als sexuelle Arbeit.

Das Paradox der Subjektivierung aus Ermöglichung und Zwang im Bereich der Arbeit erinnert an das Bild der Eier legenden Wollmilchsau. Renate Lorenz bezeichnet dieses Paradox als Prekarisierung und die Leistung, in diesem Paradox zu agieren, als sexuelle Arbeit. Wie schon in ihrem gemeinsamen Band mit Brigitta Kuster und Pauline Boudry „Reproduktionskonten fälschen – Heterosexualität, Arbeit & Zuhause“ (1999) und dem Band „sexuell arbeiten: eine queere perspektive auf arbeit und prekäres leben“, den sie mit Brigitta Kuster herausgegeben hat, lässt sie die Kohärenz von Geschlechtsidentität, Heterosexualität und Arbeitsposition fragwürdig erscheinen. Sie zeigt, dass alle das Paradox der Subjektivierung bewältigen müssen, betont jedoch, dass der jeweilige Aufwand den verschiedene Individuen dafür betreiben müssen, unterschiedlich groß ist. Wer nicht in der Lage ist bzw. sein möchte, den Aufwand einer erfolgreichen Identität, um Kaja Silverman zu zitieren, „genügend gut“ zu leisten, dem/der drohen Entrechtungen, Verletzungen und Beschämungen.

Auf der Suche nach einem Subversion ermöglichenden Modell von Macht im Feld von Arbeit und Sexualität, in dem sich Arbeit und Subjektivität verbinden, rekurriert Lorenz neben Michel Foucaults diskursivem Sexualitätsbegriff auf Louis Althusser. Althusser sieht in der Reproduktion der Arbeitskraft sowohl die Reproduktion der Qualifikation als auch die Reproduktion der Unterwerfung unter die Verhaltensregeln der etablierten Ordnung. Gleichzeitig verweist Lorenz mit Judith Butler und Michel Pêcheux auf den Doppelcharakter von Beherrschung und Unterwerfung, womit das Subjekt immer schon das Subjekt ist, zu dem es durch die Anrufung wird. Die Szene der Anrufung ermöglicht jedoch auch Durchquerungen von Identitätspositionen und Umarbeitungen von alltagsverständlichen Praxen, wie Lorenz anhand des Begriffes der Scham zeigt. Der zu leistende Aufwand, dem Doppelcharakter der Anrufung zu widerstehen, beschreibt den Begriff der sexuellen Arbeit.

Lorenz arbeitet das Feld der sexuellen Arbeit mit queer-feministischen, medienwissenschaftlichen, psychoanalytischen, (neo-)marxistischen und gouvernementalitätstheoretischen Ansätzen um. Anhand von Tagebüchern, Fotografien und Zeichnungen der Hausangestellten Hannah Cullwick und des Juristen Arthur M. Munby zeigt Lorenz Visualisierungsstrategien, mit denen derartige Umarbeitungen möglich werden. Sie sieht in dem Material, mit Luce Irigaray sprechend, eine Art Mimikry, durch die Klassen-, Geschlechter- und Sexualitätspositionen zur Disposition gestellt werden. Die Strategie der Mimikry erlaubt es, sich aus einer Distanz heraus spielerisch, ironisch, aber auch mit einem gewissen Aufwand in Szene zu setzen. Diese als sexuelle Arbeit bezeichneten Praxen produzieren sowohl subversive – denormalisierende und enthierarchisierende – als auch herrschaftsstabilisierende Effekte. Damit erweist sich das herrschaftskritische Potenzial ihres Instrumentariums gerade im Changieren zwischen dem Schreckgespenst der Eier legenden Wollmilchsau, das einen enormen Aufwand darstellt, und den Gespenstern des Verworfenen, die als konstitutiver Teil des Symbolischen vorhanden sind.

Renate Lorenz: Aufwändige Durchquerungen. Subjektivität als sexuelle Arbeit. Bielefeld: transcript 2009

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