Achtung mehrfach geringfügig Beschäftigte

Mehrfach geringfügige Beschäftigungen sind in Kunst und Kultur keine Seltenheit. Änderungen in der Arbeitslosenversicherung seit 1.4. 2024 ziehen nun potentiell gravierende Auswirkungen für alle Betroffenen nach sich. Eine Erstinformation zum aktuellen Stand. 
 

Betroffen sind zentral jene Personen, die mit zwei oder mehr geringfügigen Beschäftigungen im Kalendermonat insgesamt mehr als die Geringfügigkeitsgrenze verdienen (aktuell: 518,44 Euro). In geringerem Ausmaß betrifft es allerdings auch jene mit einem geringfügigen Zuverdienst zu einer anderen unselbstständigen Beschäftigung. Wer mehr als geringfügig aus unselbstständigen Beschäftigungen verdient, ist seit Anfang April nicht mehr (nachträglich) nur kranken- und pensionsversichert, sondern auch arbeitslosenversichert. Das ist grundsätzlich sehr gut, aber hat in der aktuellen (als rechtswidrigen einzuschätzenden) Umsetzung fatale Tücken im Detail. 

Hintergrund der aktuellen Änderungen ist eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) vom März 2023. Diese Entscheidung gilt nun seit 1.4.2024. Aber: Anders als vom VfGH empfohlen wurde diese Änderung nicht durch flankierende gesetzliche Änderungen in das Sozialversicherungssystem implementiert. Das Ministerium für Arbeit und Wirtschaft hat stattdessen entschieden, solche Regelungen mittels nichtöffentlicher (zunächst vorläufiger) Durchführungsweisung an das AMS zu erlassen. Wir können allerdings nicht mit Sicherheit sagen, dass es nicht schon Änderungen gegeben hat. Öffentlich zugänglich ist bisher nur die (vernichtende!) Begutachtung dieser vorläufigen Durchführungsweisung seitens der Arbeiter_innenkammer (AK).

Die AK stellt im Kern fest, dass die Durchführungsweisung aus ihrer Sicht rechtswidrig ist, aber seit 1.4.2024 in Kraft. Was aus der Stellungnahme nicht hervorgeht: Gegen diese Durchführungsweisung gibt es keine direkten Rechtsmittel, Einsprüche gegen Entscheidungen des AMS aufgrund dieser Durchführungsweisung sind aber natürlich möglich. Unklar bleibt, ob diese Durchführungsweisung auf Zeiten vor dem 1.4.2024 Anwendung finden wird.


Konkrete Änderungen (soweit destillierbar)

Personen mit zwei oder mehr geringfügigen Beschäftigungen, die damit im Kalendermonat zusammen mehr als die Geringfügigkeitsgrenze verdienen (aktuell: 518,44 Euro), sind jetzt auch arbeitslosenversichert. Das ist an sich eine großartige Nachricht. Schließlich war der Zugang zur Arbeitslosenversicherung für diese Gruppe seit 2017 (seit Abschaffung der täglichen Geringfügigkeitsgrenze) versperrt.

Praktisch gibt es zwei Wege in diese Arbeitslosenversicherung:

  1. Abwarten der quartalsweisen Abrechnung durch die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK). Stellt die ÖGK ein Überschreiten der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze fest, folgt eine rückwirkende Einbeziehung in die Kranken- und Pensionsversicherung und neuerdings nun auch in die Arbeitslosenversicherung. 
  2. Antrag auf Beitragsvorauszahlung (die sogenannte „Formalversicherung“): Wer sicher weiß, dass die monatliche Geringfügigkeitsgrenze überschritten wird, kann die Beitragsvorauszahlung beantragen. Diese enthält seit 1.4.2024 auch die Arbeitslosenversicherung.

Gut zu wissen: Bis zu einem monatlichen Einkommen von 1951,- Euro (Wert 2024) entstehen für die Arbeitslosenversicherung keine zusätzlichen Kosten für Versicherungsbeiträge. Die Arbeitslosenversicherung tritt rückwirkend in Kraft.
 

VORSICHT: In beiden Fällen sieht es derzeit so aus, dass die Arbeitslosenversicherung jeweils vom ersten geringfügigen Beschäftigungstag bis Monatsende aufrecht sein soll. In diesen Zeiträumen steht also KEIN Arbeitslosengeld (keine Notstandshilfe) mehr zu, auch wenn die tatsächlichen Anstellungszeiten kürzer sind. Und: Wer sich für die Beitragsvorauszahlung entscheidet, soll auch unabhängig vom tatsächlichen Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze arbeitslosenversichert bleiben und also nicht arbeitslos sein können.


Dies betrifft auch Personen mit Voll- oder Teilzeitbeschäftigung/en (Anstellung oder Freier Dienstvertrag) und geringfügigem Zuverdienst: Wer die pflichtversicherte Beschäftigung verliert, soll nun auch die geringfügigen Zuverdienste kündigen müssen, um als arbeitslos zu gelten und einen Anspruch auf Arbeitslosengeld geltend machen zu können. 

Derzeit heißt das auch: Wer rückwirkend in die Arbeitslosenversicherung einbezogen wird, im betreffenden Zeitraum aber auch Zeiträume mit Arbeitslosengeld-/ Notstandshilfebezug hatte, wird wohl Rückzahlungsaufforderungen erhalten.
 

Updates und Informationen zu weiteren Details folgen sobald die Situation klarer wird.

 

Kulturrat Österreich, Interessenvertretungen in Kunst und Kultur wie auch die Arbeiter_innenkammer (AK) setzen sich seit Jahren für eine faire Lösung ein. Wir empfehlen Künstler_innen, Kultur- und Medienarbeiter_innen sowie allen anderen Betroffenen, sich bei auftretenden Fragen und Problemen an ihre Interessenvertretung zu wenden.

 

Weitere Information:

Pressemitteilung zur aktuellen Einschätzung und unsere Forderungen (26. April 2024)

# Arbeitslosengeld als Notnagel für prekär Tätige? (Kurzinformation, April 2020)
Was ist perspektivisch im Hinterkopf zu behalten, wenn Arbeitslosengeld eine Option sein sollte? Was muss ich beachten, wenn ich jetzt aus der Selbstständigkeit kommend Arbeitslosengeld beziehe? Wie sieht das eigentlich mit Mindestsicherung/ Sozialhilfe und selbstständigem Zuverdienst aus?

 

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