Willkommen in Disneybruck. Kultur braucht Raum - auch in Tirols Landeshauptstadt!

Fein, sehr fein hier - in der Tat. Schnieke Zuckergussfassaden, ein properes Straßenbild aufgepeppt mit dem einen oder anderen historischen Sight, lockende Touristenramsch-Einkaufspassagen und dahinter die Alpinkulisse. In der Zwischensaison klappt man die Gehsteige hoch. Wer braucht sie schon? Die deutschen, italienischen und sonstwoherkommenden Touristen werden am liebsten en bloc abgezockt.

"Die 'City' Innsbrucks mit der weltberühmten Maria-Theresienstraße und der historischen Altstadt mit dem Blick auf die Nordkette, der Innsbruck zum (Seh-)Erlebnis macht, ist weltweit einmalig. Dass sich Innsbruck zudem immer stärker als attraktive Einkaufsstadt mit gemütlichem Flair präsentiert, das wissen nicht nur die Einheimischen zu schätzen. ... Eine Vielzahl an Gasthäusern, Gastgärten und 'In'-Lokalen lädt zum Verweilen ein. Das Stadtleben spiegelt sich auch in Kunst, Kultur und Sportveranstaltungen sowie in den gesellschaftlichen Ereignissen wider."

Selbstdefinition der Stadt Innsbruck auf ihrer offiziellen Homepage



Fein, sehr fein hier - in der Tat. Schnieke Zuckergussfassaden, ein properes Straßenbild aufgepeppt mit dem einen oder anderen historischen Sight, lockende Touristenramsch-Einkaufspassagen und dahinter die Alpinkulisse. In der Zwischensaison klappt man die Gehsteige hoch. Wer braucht sie schon? Die deutschen, italienischen und sonstwoherkommenden Touristen werden am liebsten en bloc abgezockt. Danach kehrt Ruhe ein. Die Kleinstadt besinnt sich aufs Ordnung-Machen, Aufpolieren. Und schmort in ihrem eigenen Saft. Seit über 50 Jahren liegen Stadt und Land in der Hand derselben Clique. Politischer Konflikt beschränkt sich auf Kabale in der alles dominierenden katholisch-konservativen Einheitspartei. Deren Hegemonie ist scheinbar sattelfest.

Wen wundert's, dass davon auch Kunst und Kultur betroffen sind? Unzählige entflohen diesem Mief in den vergangenen Jahren. Die selbstgerechten Philister in ihren neuerrichteten Repräsentationspalästen weinen ihnen keine Träne nach. Was von draußen kommt, gilt ohnehin das Dreifache. Und so wird munter eingekauft. Egal, bei welchem Festival das eigene Kulturverständnis mit großen Stars aus 'international' abgefeiert wird. Ob nun der Tanzsommer, die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik oder wie sie alle heißen mögen. Auch in der Welt der Baukunst lässt es sich mit bekannten Namen punkten. Ein Rathaus samt Einkaufsgalerien von Perrault, eine Schanze von Hadid und ein Umspannwerk von van Berkel - das macht was her. Verkaufen kann man's überdies: "Weltstadtgalerien, Neues Wahrzeichen oder architektonisches Juwel" - die Werbetexter freut's. Und auch den kunstbeflissenen Touristen. Von den Tiroler Hoteliers ganz zu schweigen. Die Welt ist in Ordnung, wenn die Kasse klingelt. Da wird dann im Vorfeld schon mal großzügig investiert. Auf der Strecke bleiben in dieser Welt immer die Selben. Aber die haben ohnehin nicht viel zu melden. Saisoniers, die für ein Butterbrot den Dreck wegmachen. Obdachlose, denen in immer weiteren Bereichen des öffentlichen Stadtraums das Aufenthaltsrecht versagt wird. Und eben junge Kunst- und Kulturschaffende, die dem hier herrschenden Lederhosen-Laptop-Kulturbegriff nicht so recht entsprechen.

Seit über zwei Jahren versuchen sich 16 Innsbrucker Kunst- und Kulturinitiativen, die vorwiegend an der Schnittstelle zwischen Musik, Theorie, Politik und (Populär-)Kultur arbeiten, als unfreiwillige Nomaden. Der finanzielle Kollaps des Kulturzentrums Utopia hatte sie ihres Organisations- und Veranstaltungszentrums beraubt. Kein Problem, so schien es anfänglich. Man schmiedete ein lockeres Bündnis, die Plattform Mobile Kulturinitiativen (p.m.k.), das Verhandlungen mit der Stadt Innsbruck für eine Nachfolgelösung aufnahm. Die Stadtverantwortlichen garantierten die für das Utopia budgetierten Finanzmittel, wenn ein zufriedenstellender Ersatz gefunden werde. Ermutigt von diesem Verhandlungserfolg und mit inhaltlicher Unterstützung der Innsbrucker Politik begab sich die p.m.k. auf die Suche nach einem geeigneten Standort. Vieles wurde verworfen, einiges erwogen, und schließlich war das ideale Projekt gefunden. Ein privater Tiroler Supermarktbetreiber stellte das Dachgeschoss eines neuerrichteten Geschäftslokals zum Ausbau zur Verfügung. Bund und Land machten ihre Subventionsbereitschaft klar. Es fehlte lediglich das placet der Stadt Innsbruck, deren VertreterInnen plötzlich auf Tauchstation gingen. Vorbei war es mit der guten Gesprächsbasis, die p.m.k. wie Stadtverantwortliche in den Medien immer wieder gelobt hatten. Nach schier endloser Verzögerungstaktik von Seiten der Stadt Innsbruck folgte im November des Vorjahres die kalte Dusche. In einem durchaus als zynisch zu wertenden Schreiben betonte die ehemalige Kulturstadträtin und nunmehrige Bürgermeisterin Hilde Zach den hohen Wert von Flexibilität und Innovation, welche schon dem Namen der p.m.k. durch den Verweis auf Mobilität eingeschrieben seien und legte den Betroffenen diesen Zustand auch weiterhin wärmstens ans Herz. Die Stadt Innsbruck verfüge nicht über die finanziellen Mittel, das vorgeschlagenen Projekt zu finanzieren.

Dieses Schreiben brachte das Fass zum Überlaufen, und einige AktivistInnen griffen zur Selbsthilfe. In der Nacht von 28. auf 29. November 2002 besetzten sie die seit langem leerstehende Minatti-Halle in unmittelbarer Nähe zum Innsbrucker Zentrum. Quer durch die Stadt wurden zugleich Plakate angebracht, die die Besetzung eines anderen Gebäudes verkündeten, das in einer ebenfalls höchst umstrittenen Entscheidung zum Abriss in den nächsten Monaten freigegeben worden war. Dabei handelt es sich um das vom Tiroler Architekten Herbert Lackner erbaute, ehemals größte europäische Jugendzentrum, die MK. Deren Leiter, Pater Sigmund Kripp, war nach einem heftigen Streit über seine innovativen Ansätze in der Jugendarbeit, der von der Tiroler Öffentlichkeit bis in höchste Kreise des Vatikans vorgedrungen war, in den 70er Jahren aus dem Jesuitenorden ausgeschlossen worden. Die signifikante Verschiebung bei der Benennung des besetzten Objektes diente daher nicht bloß dazu, die Exekutive zu verwirren, sondern sie intervenierte in einen alten Diskurs und eröffnete somit ein sehr viel breiteres Feld für die politische Diskussion. Die BesetzerInnen artikulierten erstmals einen universalistischen Anspruch, der auf die Gesamtgestaltung des Innsbrucker Stadtraumes Bezug nahm.

Als die Polizei und etwas später auch die Bürgermeisterin bei der besetzten Minatti-Halle eintrafen, war deutliche Verwirrung auf Seiten des "offiziellen" Innsbruck spürbar. Hilde Zach versprach in Verhandlungen mit den BesetzerInnen, von einer polizeilichen Räumung des Gebäudes abzusehen und erklärte, das durch die Besetzung artikulierte Anliegen zur Kenntnis genommen zu haben. Abschließend meinte sie, nun eilig gehen zu müssen, da noch ein weiteres Gebäude, nämlich die MK, besetzt worden sei. Im Haus mischte sich die Siegesstimmung ob der abziehenden Polizei mit Geschäftigkeit. Für den Abend hatten sich zahllose VertreterInnen der Innsbrucker Musikszene angekündigt, und man schickte sich an, ein Solidaritätsfest im neugewonnenen Kulturraum zu organisieren. Über 300 BesucherInnen feierten gemeinsam mit den BesetzerInnen bis in die frühen Morgenstunden. Das böse Erwachen folgte im wahrsten Sinne des Wortes bald darauf. Splitternde Scheiben, polternde Stiefel und schneidende Anweisungen per Megaphon rissen die AktivistInnen aus ihrem kurzen Schlaf. Die Minatti-Halle wurde geräumt. Das Eigentumsrecht dürfe nicht beeinträchtigt werden, rechtfertigte die Bürgermeisterin ihren Wortbruch einige Zeit später in den Tiroler Medien.

Doch da war es bereits zu spät für Rechtfertigungen und Legitimierungsversuche. Die Forderung der jungen Kunst- und Kulturszene nach Raum in Innsbruck wurde aufgrund der Ereignisse zum symbolisch überdeterminierten Element in der politischen Auseinandersetzung mit der verknöcherten Innsbrucker Politik. Mit diesem partikularen Widerstand verknüpfen sich eine ganze Reihe weiterer Forderungen, teilweise über Äquivalenzketten, die zu anderen Gruppierungen entstehen und teilweise über die Einbettung der eigenen Forderung in einen universalen politischen Anspruch durch einige der AktivistInnen selbst. Der Begriff des 'Raumes' mutierte zum leeren Signifikanten, der in den unterschiedlichsten Artikulations- und Aktionsformen mit den verschiedensten konkreten Forderungen füllbar ist und das Feld des politischen Konflikts in Innsbruck neu formiert. Plötzlich geht es nicht mehr bloß in parteiinternen Auseinandersetzungen um Posten, Einfluss und die Machtverteilung innerhalb der Tiroler Bankenwelt, sondern ein fundamentaler Widerspruch wird artikuliert. Dass dieser Anspruch von einem durchaus heterogenen politischen Bündnis getragen wird, tut seinem inhärenten Streben nach Hegemonisierung keinen Abbruch.

So waren in den auf die Besetzung folgenden Wochen viele Interventionen in den öffentlichen Raum beobachtbar. Eine Spontantheatergruppe inszenierte etwa in den luxuriösen Einkaufsgalerien des neu errichteten Innsbrucker Rathauses ein theatralisches Stück, das auf die Entfernung missliebiger Elemente durch private Wach- und Securitydienste aus dem Stadtraum aufmerksam machte. Die zentrale Forderung war hier, dass öffentlicher Raum nicht nur jenen zur Verfügung stehen dürfe, die ihn auch kaufen können. Die symbolische Besetzung der BesucherInnenplattform des Innsbrucker Stadtturms hoch über den Glühweinbuden des Christkindlmarktes machte klar, dass ein Ausverkauf des Innenstadtbereiches stattfindet, und verlangte eine gerechte Verteilung auch dieses Raumes. Wenig später organisierten Vereine und Plattformen, die mit AsylwerberInnen arbeiten, eine Aktion, die auf die Entlassung zahlloser Menschen aus der Bundesbetreuung hinwies. Die beiden Forderungen verknüpften sich durch personelle und inhaltliche Überschneidungen auch diesbezüglich und wurden zum universalistischen Anspruch auf Raum für alle Menschen gesteigert. Am deutlichsten wurde der oszillierende Gehalt des Raum-Signifikanten aber in folgender Operation: Über die gesamte Stadt verteilt tauchten an den Hausfassaden Transparente auf, die mit dem Begriff des Raumes spielten. Einmal hieß es da "tRAUMa", ein andermal wurde von "freiRAUM" gesprochen und wieder ein andermal stand "transitRAUM" und "warteRAUM" zu lesen. Ein RÄUMungs-Verkauf, bei dem Tiroler Kunst- und Kulturschaffende selbst zum Schleuderpreis unter den Versteigerungshammer kamen, schloss die vorweihnachtlichen Aktivitäten ab.

Derzeit ist für die p.m.k erneut eine Phase der Verhandlungen mit der Stadt Innsbruck angebrochen, die sich nun doch gesprächsbereit zeigt. Das breite Bündnis aus AktivistInnen besteht jedoch weiter, und eine Reihe von weiteren Aktionen im politischen Raum ist geplant. So schnell, wie Innsbrucks Verantwortliche hoffen, wird die Stadt wohl nicht zur Ruhe kommen. Die Kratzer am scheinbar ehernen Gewand der bestehenden hegemonialen Dominanz sind zu offensichtlich, der Bruch mit ihr zu deutlich. Ganz einfach: Platz da - Wir brauchen Raum!

Sylvia Riedmann ist Mitglied des StudentInnenkollektivs kuugel und arbeitet als freie Kulturwissenschaftlerin in Innsbruck.

Ähnliche Artikel

Rund um Raum brodelt es, wenn es um Kunst- und Kulturarbeit geht. Neben der Frage des Zugangs zu Ressourcen (inklusive Geld) und der Anerkennung geleisteter Arbeit, ist die Frage des Zugangs zu Raum genauso wichtig. Denn Raum bietet eine fundamentale Grundlage für viele (die meisten) Aspekte unseres Schaffens. Das Finden, Erhalten, Betreiben und Nutzen von Raum sind in der freien und autonomen Kulturarbeit Dauerthemen. 
p.m.k. Innsbruck Wie sehen die Arbeitsverhältnisse im Kulturbereich konkret aus? Wie geht sich das finanziell aus und wie vereinbart man das mit der Lebensplanung? Wie landet man im Kulturbereich und was motiviert dennoch so viele Menschen, sich aktiv einzubringen? Patrick Kwasi von der IG Kultur im Gespräch mit Kulturarbeiter*innen. Hier mit David Prieth ist Geschäftsführer von p.m.k., einem Zusammenschluss von 30 in Innsbruck tätigen Kulturvereinen.
Graffiti mit Vögel, Foto: ©Edith Zitz Sich unbeschwert im öffentlichen Raum bewegen zu können ist ein Grundrecht – möchte man meinen. De facto beeinflussen jedoch z.B. soziale Herkunft, Migrationsbiografie oder Geschlecht die Möglichkeiten, sich Raum zu nehmen, ganz massiv.