Brücken bauen und Sessel sägen

Die freie Kulturszene durchlebt einen Umbruch, besonders in Kulturszentren, die oft von festen Gruppen oder Einzelpersonen geprägt sind, was den Generationenwechsel erschwert. Konflikte zwischen älteren und jüngeren Initiativen entstehen häufig, da die Jüngeren keinen Zugang zu Ressourcen oder Entscheidungsmacht erhalten. Das Kulturzentrum p.m.k. in Innsbruck zeigt, wie durch demokratische Strukturen und aktive Mitbestimmung eine positive Transformation und Wissensweitergabe zwischen den Generationen möglich ist.

pmk 2014 Theorie_Revolution- © Daniel Jarosch

 

Dass die freie Kulturszene derzeit in einem Generationenumbruch begriffen ist, ist kein Geheimnis. Viele etablierte und geförderte Kulturzentren, die als gemeinnützige Vereine organisiert sind, identifiziert man mit „der einen“ Person oder einem eingeschworenen Grüppchen, das seit Jahrzehnten aus denselben Mitgliedern besteht. In dieser Hinsicht ähneln diese Initiativen Firmen mit langjährigen Senior- und Juniorchef*innen. Ebenso ist bekannt, dass Generationenwechsel oft schwierig bis gar nicht funktionieren. Man landet im Gespräch schnell bei Vorwürfen der Sesselkleberei oder dass „die Jungen“ ohnehin keine Chance bekommen würden, bevor „die Alten“ nicht das Zeitliche segnen würden. Dementsprechend schnell können Gespräche verletzende Wendungen nehmen und hart an der Ignoranzgrenze oder überhaupt weit darunter verlaufen. Es sind Momente wie diese, in denen klar wird, dass der freie Kulturbetrieb eben auch nur ein Teil der Gesellschaft mit all ihren Konflikten ist.
 

Ein großes Problem entsteht aber dann, wenn sämtliche Schlüsselfähigkeiten und Weisungsbefugnisse auf eine oder wenige Personen konzentriert werden und eine Übergabe nicht einmal für den Fall der Fälle vorbereitet wird.

 

Vereinbarungen werden überlicherweise zu einem Zeitpunkt getroffen, wenn man sich (noch) versteht; doch was tun, wenn der Haussegen bereits schief hängt oder man nicht mehr miteinander reden kann oder gar nicht will? Es ist selbstverständlich nicht einfach, eine Struktur und ein geliebtes Projekt, mit dem man im Laufe vieler Jahre verwachsen ist, hinter sich zu lassen. Oder auch die eigene Expertise in Frage zu stellen, nachdem man einer Sache den Gutteil seines Lebens gewidmet, sowie wertvolle Netzwerk- und Aufbauarbeit geleistet hat. Kulturinitiativen sind zudem meist anders strukturiert als große Firmen mit starren Hierarchien, in denen ganz klar ist, welche Position einer anderen welche Weisungen erteilen kann. Vieles ergibt sich im Tun oder wechselt über die Jahre. Ein großes Problem entsteht aber dann, wenn sämtliche Schlüsselfähigkeiten und Weisungsbefugnisse auf eine oder wenige Personen konzentriert werden und eine Übergabe nicht einmal für den Fall der Fälle vorbereitet wird. Sollten diese Personen dann wirklich längerfristig ausfallen, steht der gesamte Betrieb still. Genauso problematisch ist die „pro forma“-Übergabe, bei der im täglichen Betrieb alles weiterläuft wie bisher und die neue Person in Wirklichkeit nichts entscheiden kann, ohne überwacht und sofort zurückgepfiffen zu werden. Beide Varianten verhindern, dass sich ein fruchtbarer Generationendialog unter Kulturarbeiter*innen ergibt, der Wissen und Expertise wertschätzt, weitertragen, langfristig sichern und das Beste für die Kulturinitiative erwirken kann. Zumindest hinterfragt werden darf auch das „dynastische“ Denken, bei dem – wie in einem Familienbetrieb – selbstverständlich die eigenen Kinder den Betrieb weiterführen sollten, auch wenn es dazu klare Alternativen gäbe: Ausschreibungen.

 

Straßenfest p.m.k., © Daniel Janosch

 

Klar ist: Es muss sichergestellt werden, dass die jahrzehntelange Arbeit der Vorgängergeneration wertgeschätzt wird und daran angeknüpft werden kann. Klar ist aber auch: Es frustriert jüngere Initiativen, wenn diese keinen Zugriff auf Ressourcen oder kulturelle Gestaltungsmöglichkeiten bekommen. Gegenüber Fördergeber*innen argumentieren „die Jungen“ dann, warum es jetzt „schon wieder“ etwas Neues braucht, obwohl doch bereits tolle kulturelle Räume vorhanden sind. Bereits stärker verankerte Initiativen sind oft mit anderen Themen oder sich selbst beschäftigt und nicht bereit, bestehende Ressourcen (Raum oder Geld) abzugeben – gerade weil in der freien Kulturlandschaft so gut wie niemand im Überfluss arbeitet und lebt. Ressourcen, die man sich hart erarbeitet hat, wollen also bewahrt werden. Fest steht: Einfach nur für einen Abend Untermieter*in in einem bestehenden Kulturzentrum zu sein, ist wenig motivierend und hat in den wenigsten Fällen mit jener leidenschaftlichen Kulturarbeit zu tun, die viele eigentlich anstreben. Häufig passiert es aber, dass Grenzen innerhalb der Kulturszene härter verteidigt werden als gegenüber Dritten, da man auf demselben „Schlachtfeld“ um Ressourcen, Prestige und gesellschaftlichen Einfluss kämpft. Dazu gesellt sich gerne die Gewissheit, dass man selbst besser wüsste, was „gute“ und „wertvolle“ Kulturarbeit wäre, wohingegen die anderen deutlich weniger spannende Projekte verfolgten – aus welchen Gründen auch immer. Das Auftreten gegenüber Politik, Verwaltung und Fördergeber*innen fällt in diesen Fällen sogar leichter, als sich mit anderen Kulturinitiativen zu streiten, die es ja „eigentlich eh wissen müssten“. Im Laufe der letzten 13 Jahre Kulturarbeit habe ich genügend Situationen miterlebt, die sich genau so oder in leichter Variation abgespielt haben.
 

Aus diesem Grund möchte ich auch nicht anderen Kulturzentren im Detail erklären, wie sie ihre Generationenübergabe organisieren sollen. Es ist immer leichter, die vermeintlichen und offensichtlichen Fehler von anderen zu bekritteln, als die in den eigenen Projekten zu bearbeiten. Deshalb möchte ich an dieser Stelle einen Blick auf meine eigene Arbeit und meine Eindrücke im Kulturzentrum p.m.k richten. Dieses kenne ich sehr gut, da ich dort seit mittlerweile acht Jahren als Geschäftsführer tätig bin. 

 

Die p.m.k - plattform mobile kulturinitiativen ist ein Kulturzentrum in Innsbruck und besteht aktuell aus 35 Kulturvereinen mit über zweihundert Mitgliedern. Die Altersspanne der einzelnen Mitglieder beträgt um die vierzig Jahre, von Anfang zwanzig bis Mitte sechzig. Der Schwerpunkt liegt auf dem Veranstalten von Konzerten, performativen und diskursiven Kulturveranstaltungen. Alle Veranstaltungen werden dabei eigenständig von den Mitgliedsvereinen organisiert und umgesetzt, die p.m.k bildet als Dachverband bzw. Zusammenschluss den Überbau, das Forum und die Struktur. Die p.m.k als Verein wurde 2004 von Kulturarbeiter*innen aus der freien Innsbrucker Szene gegründet, als Reaktion auf einen eklatanten Raummangel. Mit der Umsetzung schuf man einen Raum, der durch seine Mitgliedsvereine niederschwellig bespielbar ist und vor allem Möglichkeiten zur Mitgestaltung bietet. Alle zwei Wochen werden im Rahmen einer Beiratssitzung (Plenum) sämtliche größere und kleinere Entscheidungen per Mehrheitsvotum getroffen. Dies ist auch der Ort, an dem Wissen weitergegeben wird, in dem bereits erfahrene Vereine Tipps und Arbeitsweisen weitergeben können. Viele tun sich hier leichter, Fragen zu stellen, als bei einer Interessensgemeinschaft anzurufen, die sich vielleicht noch nicht persönlich kennengelernt haben. Ja, auch hier muss man sich als neu dazu gekommene Initiative zuerst einmal orientieren, hat aber sofort ein Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht, was die Identifikation mit dem gemeinsamen Kulturzentrum schnell verstärkt. Die eigene Expertise kann somit in das Projekt einfließen, ohne dass man lediglich wie ein:e Untermieter*in oder ein Schulkind behandelt wird.

 

David Prieth © Lukas Micka

 

Zwanzig Jahre später existiert unser Verein noch immer, die Struktur und der Zweck der p.m.k sind ebenfalls gleich geblieben. Trotzdem fühlt sich die p.m.k heute anders an als vor zehn oder zwanzig Jahren. Diese Transformation hat nicht nur mit personellen Veränderungen und räumlichen Adaptionen zu tun, sondern ergibt sich vor allem aus den Menschen, die in die Entscheidungsprozesse der vergangenen Jahre eingebunden wurden. Unsere jungen Mitgliedsvereine bringen andere Themen ein, die ihnen wichtig sind, als Vereine, die schon seit zwanzig Jahren tätig sind. Ich selbst habe ebenfalls andere Schwerpunkte und Impulse gesetzt als meine geschätzte Vorgängerin Ulrike Mair, die die p.m.k vor allem in den ersten Jahren mit viel juristischem und kulturpolitischem Know-how unterstützte. Aktuell teilen sich mein Kollege Chris Koubek und ich die Geschäftsführung und Büroarbeit, wobei wir anstreben, eine dritte Person ins Büroteam einzugliedern, die einen anderen Background mitbringt als wir selbst. Es liegt auf der Hand, dass divers besetzte Gruppen anders entscheiden und anders miteinander umgehen als eine homogenere Gruppe. Dazu sei gesagt: Der Anteil von BIPoC-Mitgliedern in der p.m.k ist aktuell immer noch sehr niedrig, die Anzahl von FLINTA-Personen bei Beiratssitzungen und bei Vorstandsmitgliedern hat sich in den letzten Jahren etwas erhöht, könnte und sollte jedoch selbstverständlich höher sein. Dieser Umstand gilt grundsätzlich für fast alle Kulturinitiativen, die ich in Tirol kenne.
 

Auch aktuell, nach zwei Jahrzehnten, entwickelt sich die p.m.k weiter. Im Rahmen einer gemeinsamen Klausur wurde klar, dass sich der Großteil der Mitglieder Veränderungen im Bereich der Kommunikation wünscht. Das betrifft zum einen die Kommunikation mit den Besucher*innen (Social Media, Werbung, Website), sowie mit potentiellen Mitgliedern und nach innen, was mit der Erarbeitung eines gemeinsamen Selbstverständnisses einhergeht. Vieles, was über die Jahre informell gewachsen ist, soll endlich explizit festgehalten werden. Gleichzeitig muss und soll an gemeinsamen Strategien zum besseren Umgang mit Konflikten innerhalb des Vereins gearbeitet werden. All diese Aspekte sind wichtig, um eine Kulturinitiative langfristig und motiviert am Leben zu erhalten. Hier bin ich zuversichtlich, auch wenn es selbstverständlich Themen gibt, an denen wir sensibler arbeiten und die wir entschlossener angehen müssen.
 

Grundsätzlich bin ich zuversichtlich, dass die p.m.k in Innsbruck langfristig ein spannender Ort bleibt, der Kulturvereine aktiv einbinden und inspirieren kann. Sollte das einmal nicht mehr der Fall sein, muss man sich anschauen, was schief läuft und entsprechend reagieren. Zentral bleibt, dass es nicht „die eine“ Person in der p.m.k gibt, die alles entscheidet und mit aller Gewalt ihr Ding durchdrücken will. Das wäre nie die Idee unseres Kulturzentrums gewesen. Ich hoffe jedenfalls ernsthaft, dass es nicht soweit kommen muss, dass „die Jungen“ mir einmal sagen müssen, dass ich ihnen die Möglichkeit verbaue, selbst aktiv zu werden oder den Zugriff auf kulturelle Ressourcen verstelle. Spätestens dann müsst ihr mich rausschmeißen, versprochen?! Ich freue mich aber, wenn ich die p.m.k noch ein Stückchen begleiten darf und wir gemeinsam als Brückenbauer*innen innerhalb und über die Szene hinaus aktiv sind. 

 

https://www.pmk.or.at
 

David Prieth ist ein in Innsbruck lebender Kulturarbeiter, Eventmanager und Aktivist. Seit 2017 ist er Geschäftsführer des Kulturzentrums p.m.k in Innsbruck. Schwerpunkte betreffen das Organisieren von Festivals, Konzerten, Diskussionen, sowie Aktivismus im (sub) kulturpolitischen Bereich. ZEIT ONLINE zufolge ist er ein „Österreicher den man kennen sollte“ und laut RADIO FM4 ein „Kultur-Wunderwuzzi“.

 

Coverbild: pmk 2014 Theorie_Revolution © Daniel Janosch
Artikelbilder: Straßenfest p.m.k., © Daniel Janosch / David Prieth © Lukas Micka


Cover IG Kultur Magazin Ausgabe 1.25: Übergabe Kultur © Patrick Kwasi, erstellt mit KI-Unterstützung



Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.25 „ÜBERGABE KULTUR“ des Magazins der IG Kultur Österreich - Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
Das Magazin kann unter office@igkultur.at (5,50 €) bestellt werden. 

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