VorRisse

Land ohne Opposition, das Thema der letzten Kulturrisse-Ausgabe, und die unter diesem Schwerpunkt veröffentlichten Texte von Chantal Mouffe, Isolde Charim, Oliver Marchart u.a. waren offenbar so angriffig, dass unser Angebot, die Kulturrisse für Antworten und Kommentare zu öffnen, erfreulich rege und nicht ohne Emotion aufgenommen wurde.

Land ohne Opposition, das Thema der letzten Kulturrisse-Ausgabe, und die unter diesem Schwerpunkt veröffentlichten Texte von Chantal Mouffe, Isolde Charim, Oliver Marchart u.a. waren offenbar so angriffig, dass unser Angebot, die Kulturrisse für Antworten und Kommentare zu öffnen, erfreulich rege und nicht ohne Emotion aufgenommen wurde. Daher finden Sie im hinteren Teil des vorliegenden Hefts die Wiederaufnahme des Themas als Replikenzone. Und um - mit aller Zurückhaltung des koordinierenden Redakteurs - die in den Repliken und Metarepliken geäußerten Kritiken in einem einzigen Punkt zu kommentieren: Dieses Medium wird sich zu keinem nationalen oder auch anders gearteten Schulterschluss der Oppositionen hinreißen lassen und weiterhin Kritik veröffentlichen, wo es uns und unseren AutorInnen notwendig scheint. Und zwar auch mit allen journalistischen Mitteln zwischen wissenschaftlicher Analyse und Polemik. Foucault reversed: Das, was für Angriffe auf die Macht gilt, muss auch für den Widerstand gelten. Deswegen haben wir vor, nicht nur die parlamentarische Opposition, sondern auch die freie weiterhin der Kritik zu unterziehen, ohne sie deswegen gleich vernichten zu wollen oder zu können. Und vor allem: ohne deswegen gleich der pauschalen Denunziation geziehen und mit reaktionären Kanzler-Philosophen in einen Topf geworfen werden zu können. Apropos: Die einigermaßen polemische Fortsetzung des vorletzten Kulturrisse-Titels Die intellektuelle Konterrevolution finden sie am Ende der Replikenzone in einer Replik von Karl-Markus Gauß und der Replik auf die Replik von Burghart Schmidt (diesmal mit dem Service einer Stammtisch-Intellektuellen-Liste in alphabetischer Reihenfolge).

Eine hinzugewonnene Praxis der Transversalität ist die deutlichste Erfolgsstory der Widerstände gegen die blauschwarze Regierung, so ähnlich könnte vielleicht die These zum Titel dieses Hefts sein. Transversale Linien, Verknüpfungen und Vernetzungen haben sich in den letzten eineinhalb Jahren zwischen allen möglichen Feldern ausgebildet, am meisten jedoch um antirassistische Inhalte und eine migrantische Opposition. Nach einem recht ausgiebigen Interview mit Cultural-Studies-Miterfinder Stuart Hall, das sich u.a. auch um transversale Subjektpositionen dreht, sind es in der vorliegenden Ausgabe daher vor allem die Aktionen der Wiener Wahl Partie, die exemplarisch reflektiert werden, vor allem unter dem Aspekt einer effektiven Vernetzung von Organisationen und Personen aus den kulturellen, antirassistischen und migrantischen Feldern. Hier zeichnet sich eine Überwindung des nationalen Rahmens im lokalen Umfeld ab. Transversalität wird in der vernetzten Aktion der künstlerischen und politischen AktivistInnen auch zur lokalen Transnationalität. Um hinter dieser Erfolgsstory aber die evidenten Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang nicht auszublenden, wird der Schwerpunkt durch zwei kritische Konkretisierungen von grundsätzlichen Problemen einer transversalen Praxis abgerundet: Eva S.-Sturm verhandelt anhand eines spezifischen Kunstprojekts die Untiefen der Repräsentation, und Tina Leisch problematisiert die falsche Etikettierung und Rahmung des aufgeladenen Themas Kopftuch.

Aus der Verknüpfung der kritischen und emphatischen Stränge läßt sich ableiten: Auch jenseits der derzeitigen österreichischen Situation werden Kämpfe vor allem dann produktiv, wenn sie als transversale Widerstände das Nebeneinander der identitätspolitisch abgeschotteten Einheiten aufbrechen und deren spezifische Kompetenzen auf beschränkte Zeit bündeln.

Gerald Raunig

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