Urbanes Rauschen

War für die fordistische Vorsorgestadt das „Soziale“ von zentraler Bedeutung, so erweist sich nun die Konsumkultur als wichtiger Faktor. Dies verdankt sich nicht zuletzt veränderten Alltagspraktiken: Aus dem vormals standardisierten Massenkonsum haben sich ausdifferenzierte Lebensstile entwickelt, die auf Genuss, Hedonismus und Erlebnisintensität setzen.

Zu den Widersprüchen kultureller Aktivität in der unternehmerischen Erlebnisstadt der Gegenwart. 

Die Entwicklung der (europäischen) Stadt in der Moderne lässt sich anhand dreier sich ablösender Formationen nachzeichnen: zunächst die liberal-kapitalistische Bürgerstadt, dann die funktional-industrielle Vorsorgestadt und schließlich die unternehmerisch orientierte Erlebnisstadt. Deren Aufeinanderfolge darf nicht im Sinne eines evolutionär verlaufenden Modernisierungsprozesses verstanden werden, sondern ist Ausdruck von Krisen und veränderten Kräfteverhältnissen. Die drei Stadtmodelle stehen historisch auch für unterschiedliche Produktions- und Gesellschaftsregime: das extensive Akkumulationsregime, welches die Ware Arbeitskraft schrankenlos auszubeuten versucht; der Fordismus, der auf Massenproduktion, Massenkonsumtion und Staatsintervention beruht; und der flexible Kapitalismus, der sich durch „flüssige“ Arbeitsprozesse, erhöhte geografische Mobilität und marktförmige Organisationsstrukturen auszeichnet.

Wissens- und Kulturökonomie

Heute sind die Metropolen in eine ökonomische Umwelt „eingebettet“, die sich als zunehmend instabil erweist. Man denke nur an die spekulativen Bewegungen des Finanz- und Immobilienkapitals oder die flexiblen Standortstrategien der multinationalen Konzerne. Dieser sich ausweitenden global-lokalen „Unordnung“ und der mit ihr verbundenen ökonomischen Unsicherheit versuchen die städtischen Administrationen dadurch zu begegnen, dass sie alle verfügbaren Ressourcen mobilisieren und aufwendige Marketingkampagnen initiieren, die Investitionen und Jobs bringen sollen. Es dominiert eine unternehmerische Orientierung, die den Stadtraum durch die Aufwertung einzelner Fragmente hierarchisiert. Man kann deshalb auch von einer Politik der privilegierten Orte sprechen.

War für die fordistische Vorsorgestadt das „Soziale“ von zentraler Bedeutung, so erweist sich nun die Konsumkultur als wichtiger Faktor. Dies verdankt sich nicht zuletzt veränderten Alltagspraktiken: Aus dem vormals standardisierten Massenkonsum haben sich ausdifferenzierte Lebensstile entwickelt, die auf Genuss, Hedonismus und Erlebnisintensität setzen. Die Bedeutung des Konsums für die Repräsentation kollektiver und individueller Identitäten nimmt zu, und es kommt zu einer verstärkten Vermischung von Einkaufs- und Freizeitaktivitäten.

Dass Städte als Repräsentationsräume der kapitalistischen Warenökonomie fungieren, ist nicht neu. Kennzeichnend für die unternehmerische Erlebnisstadt ist indes die offensive Umformung der Kernstadt zu ausdifferenzierten Konsumräumen. Der Bereich der Konsumtion erweist sich als zentrales Bindeglied zwischen städtebaulicher und sozialräumlicher Restrukturierung, da er sowohl mit der kulturellen als auch mit der ökonomischen Sphäre in Beziehung steht. Die US-amerikanische Soziologin Sharon Zukin (1991) verwendet für diesen Vorgang den Begriff artistic mode of production: Es handelt sich um die Errichtung einer baulichen Umwelt, die auf die Ausstellung und den Verkauf kultureller Zeichen und Symbole ausgerichtet ist – sprich Gastronomie, Mode, Design, Galerien und Museen. Diese Art von Dienstleistungsökonomie zieht weitere Investitionen auf dem lokalen Immobilienmarkt an, denn solche Aktivitäten und Kultureinrichtungen erhöhen die kommerzielle Attraktivität der Kernstadt und verstärken den Umnutzungsdruck auf anliegende Stadtteile.

Die Leitbilder von der „Wissens-“ bzw. „kreativen Stadt“

In den letzten Jahren sind zudem die Leitbilder von der „Wissensstadt“ bzw. der „kreativen Stadt“ populär geworden. Die Zentren der Metropolregionen gelten heute als privilegierte Innovationsfelder der Wissens- und Kulturproduktion sowie als Vorreiter neuer postindustrieller Arbeits- und Lebensformen. Im globalen Wettbewerb – so die Behauptung – komme der „Kreativität“ eine strategische Bedeutung zu. Von der Mobilisierung kultureller Ressourcen erhofft man sich nicht nur eine Revitalisierung darbender Industrieregionen, die urbane Kultur wird vielmehr als dynamische Kraft eines neuen dynamischen Kapitalismus angesehen. So argumentiert etwa der Wissenschaftler und Politikberater Richard Florida (2002), der von einer wachsenden Dominanz der creative class in den Metropolen ausgeht. Damit hebt er auf all jene Berufszweige ab, die irgendwie an der kapitalistischen Wissensökonomie bzw. an der Produktion von Innovationen beteiligt sind. Um die wissenschaftlichen und technologischen Communitys räumlich zu verankern, müssten sich die Städte für solche Milieus als attraktiv erweisen. Es gehe um ein „urbanes Rauschen“, das künstlerische und kreative Akteure anziehe und antreibe.

Aus der Sicht von Stadtadministrationen liegt der Vorzug des Florida-Konzepts darin, dass hier ökonomische Erfolge durch relativ kostengünstige und kleinteilige Maßnahmen versprochen werden. Sein Modell steht nicht in Opposition zu etablierten Wachstumsstrategien („Leuchtturmprojekte“, Shoppingmall-Ökonomie etc.), sondern ergänzt eine konsumorientierte Standortvermarktung.

Als wichtiger Bestandteil der „kreativen Stadtentwicklung“ gilt auch die gezielte Ansiedlung von Kulturschaffenden in heruntergekommenen Stadtvierteln und Industriebrachen. Kritische Masse und Sozialität sind hier die entscheidenden Schlüsselbegriffe. Der neue urban boosterism sieht im urbanen Leben nichts anderes als eine Ressource, die es ökonomisch in Wert zu setzen gilt.

Damit scheinen sich auch die klassischen Verlaufsformen der Gentrifizierung zu bestätigen: Erst kommen Künstler und Subkulturen in ein „gemischtes Quartier“ und stimulieren ein urbanes Flair, dann stoßen Yuppies und Investor nach, um aus Kultur Kapital zu schlagen. Aus der linksaktivistischen Perspektive gelten deshalb Kreative als „Mienenhunde“ einer kapitalistischen Aufwertungsstrategie. Doch diese Zuschreibung ist zu simpel. Zunächst handelt es sich bei vielen Künstlern und Künstlerinnen um prekäre Selbstständige, die auf einen preiswerten Wohn- und Arbeitsraum angewiesen sind. Darüber hinaus löst ihre räumliche Existenz in einem Stadtviertel nicht automatisch einen „Veredlungsprozess“ aus. Dies hängt davon ab, wie der lokale Bodenmarkt reguliert ist, welche Bebauungs- und Nutzungsvorschriften existieren oder wie die jeweilige Stadtregierung in den Wohnungsmarkt eingreift. In dieser Hinsicht sind zum Beispiel die Unterschiede zwischen München und Wien erheblich. Der Vorwurf der Gentrifizierung sollte deshalb mit gebotener Vorsicht ins Feld geführt werden.

Raum der Gegensätze

Die Geschichte der Räume war und ist eine Geschichte der gesellschaftlichen Widersprüche in den Produktionsverhältnissen. Es gilt also, die Bruchstellen zu finden, wo Kollektive oder Individuen sich der herrschenden räumlichen Praxis entziehen, sie unterlaufen oder sich ihr offen widersetzen. Der Zentralstaat und die lokale Administration stehen vor einem unausweichlichen Dilemma: Einerseits müssen sie den Raum für die Ansprüche der Marktkräfte offen halten. Andererseits treffen sie auf die Aktivitäten von Raum-Benutzern und Benutzerinnen, die eine vollständige Unterwerfung des Raumes unter die Direktiven der Macht und der Ökonomie nicht hinnehmen wollen – ist es doch der Raum, der ihre Alltäglichkeit trägt. Damit sind soziale Kämpfe um die Aneignung städtischer Räume vorprogrammiert.

Linke Urbanisten argumentieren nun dahingehend, dass der Slogan „Recht auf die Stadt“ dafür mobilisiert werden müsse, um eine Allianz zwischen den Marginalisierten und den „scheinbar Integrierten“ zu schmieden (vgl. Gebhardt/Holm 2011). Das ist grundsätzlich richtig, doch gibt es eine Reihe von „Übersetzungsproblemen“: Wie soll man sich praktisch ein Bündnis von Obdachlosen, Bürgerinitiativen, Politgruppen und „Kreativen“ vorstellen? Die sozialen Differenzen und die kulturellen „Fremdheiten“ zwischen diesen Milieus sind erheblich. In dieser Hinsicht bleibt der „progressiv-sozialwissenschaftliche“ Diskurs bislang zu abstrakt.

Eine Thematisierung des „Sozialen“ muss auch auf die Konjunkturen im „ideologischen Raum“ bezogen werden. Grundsätzlich produzieren die herrschenden Diskurse über das Urbane ein Karussell von Orientierungswerten, das die gleitenden Differenzen des Sag- und Unsagbaren (zum Beispiel grundsätzliche Kapitalismuskritik), des Möglichen und Unmöglichen („Dafür ist kein Geld da!“) definiert. Zwar können die „Herrschenden“ den städtischen Raum nicht widerspruchslos regulieren, aber es gibt hegemonialen Grenzziehungen. So hat die Konzentration auf Konsum und Kreativität zu einer Vernachlässigung oder gar Missachtung von Alltagsaktivitäten und Institutionen geführt, die nicht mit der Logik der Kulturalisierung kompatibel sind. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass Mieterorganisationen oder Stadtteilgruppen mit ihren Anliegen in der breiten Öffentlichkeit oft nur noch wenig Gehör finden.

Das Beispiel des Hamburger Gänge-Viertels

Insofern war es ein geschickter Schachzug der Hamburger Künstlerinitiative, ihre Hausbesetzungen im Gänge-Viertel mit der „Kreativitäts-Metapher“ zu verknüpfen, die sowohl mit künstlerischem Handeln als auch mit unternehmerischer Produktivität assoziiert wird. Den Künstlern und Künstlerinnen gelang es zumindest zeitweilig, das Modell der creative city als Widerspruchsbeziehung zu artikulieren und damit den herrschenden Sinneffekt zu durchbrechen. Angesichts einer breiten Unterstützer-Öffentlichkeit sah sich der Senat zum Rückkauf des Areals und einem nutzerfreundlichen Sanierungskonzept genötigt.

Ob diese Aktionen einen nachhaltigen Impuls auf eine alternative Stadtpolitik auslösen werden, lässt sich gegenwärtig noch nicht beantworten. Beschränken sich die Besetzer und Besetzerinnen lediglich darauf, eine Art von Künstlerkolonie zu errichten, oder entwickelt sich ein Raum, der exemplarisch für die Forderung nach selbstbestimmten Lebens- und Wohnformen steht?

Auf jeden Fall ist der Kampf um das „Recht auf die Stadt“ in den Metropolen nicht nur eine Sache der Unterprivilegierten. Es sind oft diejenigen sozialen Gruppen, die das „urbane Versprechen“ antreibt: also Intellektuelle, Studierende, Jugendliche und Kulturschaffende. Aus ihren Aktivitäten entstehen immer wieder Räume, in denen sich die Kräfte des Bruchs und des Spiels begegnen und (gegebenenfalls) gemeinsam versuchen, sich städtische Zentralität anzueignen.

Literatur

Gebhardt, Dirk/Holm, Andrej (2011): Initiativen für ein Recht auf Stadt. In: Dirk Gebhardt/Andrej Holm (Hg.): Initiativen für ein Recht auf Stadt. Hamburg, S. 7-23.

Florida, Richard (2002): The Rise of the Creative Class. And How It’s Transforming Work, Leisure, Community and Everday Life. New York.

Zukin, Sharon (1991): Landscapes of Power. From Detroit to Disney World, Berkeley/Los Angeles/Oxford.

Klaus Ronneberger lebt in Frankfurt am Main und arbeitet als freier Publizist. Er ist bei der Gruppe Nitribitt – Frankfurter Ökonomien aktiv.

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