UNESCO Kulturelle Vielfalt: Richtungsweisung für kulturpolitisches Handeln

Faire Bedingungen für alle im Kunst- und Kultursektor und konsequent gelebte Partizipation – die ARGE Kulturelle Vielfalt, das Expert*innen-Gremium der UNESCO Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft in Kunst und Kultur, hat sich mit dem aktuellen Stand der Kulturpolitik eingehend beschäftigt und analysiert, wo die Politik nachschärfen muss um ihren internationalen Verpflichtungen zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen nachzukommen. Eine Handlungsweisung für die Kulturpolitik. 

 

Eine lebendige, vielfältige und nachhaltig abgesicherte Kunst- und Kulturlandschaft ist für das Funktionieren demokratischer Gesellschaften unverzichtbar. Die aktuellen Krisen – Pandemie, Inflation, Teuerung, Klimakatastrophe, Krieg in Europa – haben jedoch mehr denn je die Verwundbarkeit des Sektors aufgezeigt und die ohnehin oft prekären (Arbeits-)Verhältnisse von Künstler*innen, Kulturakteur*innen und -institutionen verschärft. Eine gerechte, inklusive und antidiskriminatorische Kulturpolitik, die die Anliegen der Kunst- und Kulturakteur*innen ernst nimmt und sie bei der Entwicklung und Verbreitung vielfältiger kultureller Ausdrucksformen unterstützt, ist heute notwendiger denn je. 

Ausgehend von den Diskussionen während der 12. Klausurtagung der ARGE Kulturelle Vielfalt[1] im März 2023 in Klagenfurt/Celovec formulieren die unterzeichnenden Expert*innen Empfehlungen für die Umsetzung der UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt Kultureller Ausdrucksformen[2] in Österreich. Die Schwerpunktsetzung orientiert sich am Monitoring-System der UNESCO-Konvention.


Auszüge aus der Analyse: 

 

Einbeziehung der Zivilgesellschaft | 
Monitoringbereich: Partner*innenschaft mit der Zivilgesellschaft

Beteiligung darf weder Selbstzweck noch PR-Maßnahme sein

In Not- und Krisensituationen zeigt sich, dass die Beteiligung der Zivilgesellschaft für nachhaltige, praxisrelevante kulturpolitische Maßnahmen unabdingbar ist. Die Zusammenarbeit zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft erlebte nicht nur während der COVID-19 Krise einen Auftrieb, sondern auch in der Schaffung der vera*-Vertrauensstelle und von Office Ukraine Shelter. Die Überführung anlassbezogener Kooperationen in den kulturpolitischen „Regelalltag“ ist nur bedingt gelungen. Zwar gibt es aktuell zahlreiche Ansätze der Beteiligung, insbesondere im Bestreben, faire Bezahlung zu fördern sowie in der Erarbeitung von Kulturstrategien. Die Qualität der Beteiligung fällt jedoch sehr unterschiedlich aus. Unklare Beteiligungsmodi, intransparentes Prozessdesign, fehlende Zieldefinitionen und hegemoniale (Um-)Deutungen lassen Bestrebungen ins Leere laufen. Soll Beteiligung gelingen, sind Qualitätsstandards der Öffentlichkeitsbeteiligung einzuhalten – Mindestanforderung sind transparente Prozesse und Zieldefinitionen.
 

Ökonomische und soziale Absicherung | 
Monitoringbereich: Soziale und wirtschaftliche Rechte

Kultur ist Arbeit – raus aus der Armut!

Typisch Freie Szene!? Das sind beispielsweise diskontinuierliche Erwerbsarbeit, systemische Ungleichheiten in unterschiedlichen Beschäftigungsformen, Projektabhängigkeit (auch um Strukturen zu erhalten) und aufwändige Antrags-/Berichtsanforderungen, mangelnde Planungssicherheit. Gute soziale und gute ökonomische Absicherungen müssen diesen prekären Realitäten in Kunst und Kultur entgegenwirken. Dazu braucht es Transformation in der Sozialversicherungsarchitektur, Bekämpfung von Armut sowie anderen Ausschlüssen und nicht zuletzt auch klare Strategien in der Kultur(förder)politik. Wo wollen wir hin? Zu gut abgesicherten Grundstrukturen und Rahmenbedingungen für Kunst und Kulturarbeit, zu einer Verbesserung der Einkommen, umfassender sozialer Absicherung in allen Arbeits- und Lebensphasen, in allen Beschäftigungsformen und -konstellationen, also grundsätzlich zu ökonomischer Stabilität auch unabhängig von Erwerbsarbeit.
 

Urheber*innenrechte | 
Monitoringbereich: Soziale und wirtschaftliche Rechte

Ein starkes Urheber*innenvertragsrecht sowie die direkte Vergütung von Onlinenutzungen auf Download- und Streaming-Diensten und den großen Online-Plattformen sind für Urheber*innen und ausübende Künstler*innen von zentraler Bedeutung. Die Position der Kreativen ist unter allen Umständen zu stärken. Die österreichische Urheber*innerechtsnovelle 2021 erscheint aktuell nicht als geeignet, der traditionell schwächeren Rolle der Produzierenden und Ausübenden adäquat zu begegnen. Es besteht hier daher weiter dringender Änderungsbedarf. Nur ein starkes Urheber*innenrecht kann die Vielfalt des kulturellen Ausdrucks in all seinen Formen wahren und garantieren!
 

Kulturelle Bildung | 
Monitoringbereich: Aus- und Weiterbildungsprogramme

Kulturelle Bildung bietet für individuelle, gemeinschaftliche und chancengerechte Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen ein großes Potenzial, z. B. zur Teilhabe an Kunst und Kultur, im Erwerb von Schlüsselkompetenzen oder in der Gestaltung von gesellschaftlichen Transformationsprozessen wie der Digitalisierung. Um kulturelle Bildung an Schulen nachhaltig zu unterstützen, sind sowohl die Stärkung und Professionalisierung der künstlerischen Fächer als auch der Ausbau von kultureller Projektarbeit im Rahmen des Unterrichts notwendig. Wir fordern daher eine qualitätssichernde Behebung des Lehrkräftemangels, die Ausstattung der Bildungsdirektionen aller Bundesländer mit kompetenten Fachkoordinator*innen im Bereich kultureller Bildung und die Anerkennung der gesellschaftlichen Bedeutung eines chancengerechten Lern- und Entfaltungsangebots bezüglich der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen als Basis von Bildung generell.
 

Grenzüberschreitende Mobilität und Vorzugsbehandlung | 
Monitoringbereich: Mobilität von Kunst- und Kulturakteur*innen

Globale Asymmetrien abbauen! Gerechtigkeit Jetzt!

Die Mobilitätsbarrieren für Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen aus dem Globalen Süden sind zahlreich. Zeitliche, organisatorische und hohe finanzielle Kosten stellen eine Barriere sowohl für Veranstalter*innen als auch für Kunst- und Kulturakteur*innen dar. Denn die Anforderungen für internationale Mobilität sind oft nicht mit den künstlerischen Arbeitsrealitäten vereinbar. Das Re- sultat? Mobilität bleibt ein Privileg des Globalen Nordens und ein Problem des Globalen Südens. Dabei verpflichtet das UNESCO-Übereinkommen mit Artikel 16 Österreich ganz konkret dazu, die globalen Asymmetrien abzubauen. Positionen und Perspektiven aus dem Globalen Süden sind un- abdingbar für eine faire und nachhaltige Entwicklung des Kunst- und Kultursektors. Hören wir zu!
 

Kultur & nachhaltige Regionalentwicklung | 
Monitoringbereich: Internationale Programme für nachhaltige Entwicklung

Kultur ist Schlüssel zur nachhaltigen Entwicklung – und muss deshalb Teil internationaler, nationa- ler und regionaler Strategien sein. Tatsache ist auch, dass Regionen durch Kunst und Kultur ge- stärkt werden und künstlerisch-kulturelles Leben eine zentrale Rolle für die Gesellschaft und ihren Zusammenhalt einnehmen. Die UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt Kultureller Ausdrucksformen zielt in diesem Sinne explizit darauf ab, Kunst und Kultur in Rahmen- pläne für nachhaltige Entwicklung zu integrieren. Kunst und Kultur liefern zentrale Impulse für die Weiterentwicklung (nicht nur) ländlicher Räume. Einerseits gilt es, den Kulturbetrieb selbst nach- haltiger zu gestalten, andererseits leisten Kunst und Kultur ihrerseits einen zentralen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung. Basierend auf einer gründlichen Bedarfsanalyse sind in partizipativen Prozessen gemeinsam mit Kunst- und Kulturakteur*innen sowie der Bevölkerung verbindliche kul- turpolitische Leitlinien zu entwickeln. Die Einbeziehung der Bundesländer in diesen Prozess ist unabdingbar.
 

Diskriminierungskritik | 
Monitoringbereich: Nationale Politiken für nachhaltige Entwicklung

Kritische Diversität Jetzt!

Der Kunst- und Kultursektor ist keine Ausnahme: Diskriminierung und Machtmissbrauch sind struk-turelle Probleme. Punktuelle „Diversity“-Projekte sind nicht die Lösung. Eine langfristige Stärkung von diversitätssensiblen Transformationsprozessen ist unabdingbar. Und dafür braucht es öffentli- che Gelder, einen breiten Diskurs im ganzen Sektor und die richtigen Rahmenbedingungen, um Handlungsräume des Verlernens zu schaffen. Die ARGE Kulturelle Vielfalt ruft Politik, Verwaltung aber auch Kunst- und Kulturakteur*innen dazu auf, Selbstkritik zu üben und Privilegien zu hinter- fragen. Denn: Kritische Diversität bedeutet immer einen kritischen Blick auf Machtstrukturen und Umverteilung von finanziellen, symbolischen und politischen Ressourcen.
 

Künstlerische Freiheit | 
Monitoringbereich: Menschenrechte und Grundfreiheiten

Künstlerische Freiheit ist eine Grundbedingung für eine funktionierende Demokratie und ihre Wah- rung eine völkerrechtliche Verpflichtung. Einschränkungen künstlerischer Freiheit sind allerdings in Österreich, Europa und weltweit keine Seltenheit.

Die Beobachtung und Dokumentation von Fällen der Einschränkung künstlerischer Freiheit wie (Selbst-)Zensur, politische Einflussnahme oder Diffamierung hilft dabei, Freiräume für Kunst und Kultur offen, antidiskriminatorisch und inklusiv zu halten. Monitoring trägt dazu bei, Phänomene zu beobachten, Veränderungen zu kommunizieren und Fortschritte bzw. Mängel und Handlungsbedarf zu erkennen.

Verstärktes Augenmerk ist dabei auch auf den digitalen Bereich zu richten. Gerade dort sind Künst- ler*innen und ihre Ausdrucksformen durch zunehmende Einschränkungen wie z.B. Online-Trolling, Piraterie oder rassistische Übergriffe bedroht.

Künstlerische Freiheit geht uns alle an – handeln wir jetzt!
 

Download: Das gesamte Schlusskommuniqué der 12. Klausurtagung der ARGE Kulturelle Vielfalt, 2023 
 


1 Die ARGE Kulturelle Vielfalt ist die Dialogplattform der Österreichischen UNESCO-Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft am Prozess der Umsetzung der UNESCO-Konvention 2005. Sie repräsentiert über 350.000 Kunst- und Kulturschaffende und über 500 Kunst- und Kulturverbände in Österreich. Aktuell führt Yvonne Gimpel, IG Kultur Österreich, den Vorsitz der ARGE. 

2Die UNESCO-Konventoin über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen ist in Österreich mit BGBl. III Nr. 34/2007 rechtlich bindend in Kraft getreten und verpflichtet Bund, Länder und Gemeinden zu Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Die Europäische Union sowie die meisten ihrer Mitgliedsstaaten haben das völkerrechtliche Instrument gleichzeitig mit Österreich angenommen. 

 

 

Ähnliche Artikel

Die Freiheit der Kunst und Kultur, der Meinungen und Medien sind unverzichtbare demokratische Werte und nicht verhandelbar! Wir appellieren daher: Keine Regierungsbeteiligung einer Partei, die angetreten ist, um das demokratische Wertefundament auszuhöhlen und zu zerstören. Jetzt den Aufruf unterstützen.
Wie schaut es um Themenschwerpunkte, Visionen und auch Versäumnisse im Ressort Kunst und Kultur in den Wahlprogrammen der kandidierenden Parteien zur Vorarlberger Landtagswahl am 13. Oktober 2024 aus? Wir haben uns eingelesen, mit kulturpolitischen und kulturstrategischen Schritten der vergangenen Jahre verglichen und im Sinne einer fairen, rechtlich und sozial abgesicherten Kulturarbeit analysiert. In etlichen Punkten bspw. beim Thema Fair Pay, Raumangebot und kultureller Teilhabe für alle Bevölkerungsschichten und Einkommensgrößen sind sich die Parteien einig. Interessant ist, dass vor allem die Kleinparteien Wesen und Bedeutung von Kunst und Kultur knackig auf den Punkt bringen, während Landtagsparteien viel Worte um wenig Umgesetztes und Umsetzbares machen.
Im Ringen um Wähler:innen-Stimmen liefern sich manche Parteien einen Kampf um die reißerischsten Slogans für scheinbar einfache politische Lösungen. Tatsächlich fehlen damit wahlunentschlossenen und vielen jungen Menschen aber Informationen rund um unser demokratisches System und die Möglichkeit zur Mitgestaltung sowie Vergleichsmöglichkeiten für die Mit-Entscheidung, in welchen Händen die nächste Legislaturperiode und die Themen Klimaschutz, Bildung, Gesundheit, Kultur, Soziales und Arbeit liegen werden. Online-Entscheidungshilfen, aktuelle Initiativen, mutiger Aktionismus und auf Fakten konzentrierte Medien bieten eine Orientierung sowohl bei der Nationalratswahl am 29. September als auch bei der Landtagswahl in Vorarlberg am 13. Oktober 2024. Wir haben eine Auswahl erstellt.