Prekär leben

In kaum einem Sektor sind prekäre Arbeitsverhältnisse so weit verbreitet, wie im Kunst und Kulturbereich. Aus diesem Grund treffen Maßnahmen aus Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik all jene, die in diesem Bereich arbeiten, umso stärker. Es ist eine Entwicklung, die nun auch in anderen Bereichen immer schlagender wird. Als Spielfeld neoliberaler Politik könnten die Verhältnisse bald verstärkt auf die Gesamtgesellschaft umgelegt werden.

In der neuen Ausgabe der Zeitschrift der IG Kultur, die unter dem Titel „prekär leben“ erschienen ist, geht es um die Auswirkungen der prekären Arbeitsverhältnisse auf den Kulturbereich, aber auch auf die Gesamtgesellschaft. Es geht darum, was das für Betroffene genau bedeutet. Was heißt es für die eigene Lebensplanung? Welche Motivation steht dahinter, sich trotz dieser Widrigkeiten in Kunst und Kultur zu engagieren? 

 

Typisch atypisch beschäftigt

Die typischen Arbeitsverhältnisse im Kunst und Kulturbereich sind atypische Beschäftigungsformen. Da gibt es Mischverhältnisse, nämlich alles von der Vollzeitanstellung bis zur Geringfügigkeit und häufig wechselnde Beschäftigungsformen. Teilweise warten Projekte lange auf positive Antworten ihrer Förderansuchen. Und wenn es dann kommt, wartet man mitunter sehr lange auf die Ausbezahlung der Gelder. Viele Menschen im Kulturbereich haben stetig wechselnde Arbeitsverhältnisse: Mal Vollzeit, dann wieder Teilzeit, dann kurz arbeitslos, vielleicht einmal geringfügig angestellt, dann zum nächsten Projekt mit einer Arbeitsmarktmaßnahme überbrücken, dann geht sich vielleicht wieder eine Anstellung aus. Working Poor sind auch hier wiederzufinden, vor allem, wenn Projekte unterfinanziert sind, aber dennoch durchgeführt werden. Die Studie zur sozialen Lage zeigt, dass viele Kunst- und Kulturschaffende unter der Armutsgrenze leben, Familienplanung häufig auf der Strecke bleibt und Altersarmut kein unwahrscheinliches Szenario ist. 

Warum tut sich das also jemand an? Gabriele Gerbasits von der IG Kultur meint, dass der Kunst- und Kulturbereich, wie der gesamte NGO-Bereich, zu den attraktivsten Arbeitsfeldern überhaupt gehört. Er bietet höhere Flexibilität, ist in den Arbeitsformen experimenteller und innovativer und häufig weniger hierarchisch und bietet höhere Identifikationsmöglichkeiten als andere Sektoren. Für den Kulturbereich ist die Liebe zur Kunst oder der Wunsch, die Gesellschaft zu verändern, eine Motivation, die mitunter auch über Widrigkeiten hinwegsehen lässt. Aber es muss nicht zwingend Idealismus sein, um in dem Bereich arbeiten zu wollen. Der Kulturbereich bietet eine Reihe an freieren Arbeitsumfeldern und -Weisen. Eine Freiheit, die man unter gegebenen Verhältnissen aber leider oft zu teuer bezahlt. 

Die Politik hat sich dem Problem nie ernsthaft angenommen. Ein akkordierter Versuch, eine Zusammenarbeit eines Kunstministeriums mit einem Arbeitsministerium und einem Sozialministerium habe es nie gegeben, so Gerbasits. Einzig punktuell würde hier und da nachgebessert. Die jetzige Regierung hingegen scheint die Lage mit ihrem neoliberalen Kurs eher weiter zu verschärfen. Kulturpolitisch hat man sich im ersten Jahr auf Repräsentatives zurückgezogen. Was auf dieser Ebene noch zu erwarten ist, darüber lässt sich mangels Einbindung der Interessenvertretungen nur spekulieren. Ähnlich verhält sich das bei der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die im stark prekarisierten Sektor besonders greifen würde. Die Ankündigungen deuten jedoch auf eine gravierende Verschlechterung der Lage hin.  

 

Politische Entwicklungen mit Auswirkungen auf prekär Beschäftigte

Worauf deuten die Zeichen? Die Aktion 20.000 wurde umgehend abgeschafft, Gelder des Integrationsjahrs wurden halbiert und Fördermaßnahmen für Geflohene komplett gestrichen, die Mittel des AMS sollen weiter gekürzt werden. Angedacht wird bereits ein Arbeitslosengeld neu, welches laut Simon Theurl, Experte der Arbeiterkammer, das österreichische Sozialversicherungssystem auf das deutsche Hartz-IV-System umstellen würde. Momentan ist der Bezug in Arbeitslosengeld und darauf folgend Notstandshilfe unterteilt, die bis zur Pension bezogen werden kann. Als unterstes Netz gibt es die bedarfsorientierte Mindestsicherung.


Den Ankündigungen der Regierung zu urteilen, soll einerseits das Arbeitslosengeld gestaffelt werden, wodurch man anfangs höhere Beträge bezieht als später. Dadurch verringert sich das Einsparungspotential, da viele nur kurz Arbeitslose mehr Geld beziehen würden, sich die soziale Lage von längerfristig Arbeitslosen aber verschärfen würde. Gleichzeitig soll es nur noch begrenzt bezogen werden können. Die Notstandshilfe soll dabei abgeschafft werden, Arbeitslose würden in die Mindestsicherung fallen. Arbeitslosengeld ist aber eine Versicherungsleistung. Diese würde wegfallen. Einzige Hilfe wäre dann die Mindestsicherung, einer Fürsorgeleistung des Staates. Bei einer Bedarfsprüfung entstehen Härtefälle. Beispielsweise kann der Haushalt herangezogen werden, auch bei WGs: Verdient der Mitbewohner Geld, kann es bedeuten, dass man selbst keinen Anspruch hat. Genauso wäre man auf das Einkommen vom Partner oder der Partnerin angewiesen. Und würden keine Beiträge in die Pension angerechnet, was das Risiko für Altersarmut erhöht. 

Das höhlt den Sozialstaat weiter aus. Dabei gäbe es am bestehenden System bereits genügend dringende Punkte, die im Sinne prekär Beschäftigter nachgebessert werden müssten. Deren Situation wird nämlich nicht adäquat berücksichtigt. Simon Theurl erklärt, dass als prekäre Beschäftigung einerseits Mischformen und nicht durchgehende Beschäftigung gewertet wird, andererseits Beschäftigung im Niedriglohnsektor. Dabei ist es oft schwierig, überhaupt einen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erwerben, da die nötigen Zeiten nicht immer oder nur knapp erreicht werden können. Noch schwieriger wird es bei abwechselnder Beschäftigung mit selbstständiger Tätigkeit, da in diesem Fall keine Pflichtversicherung besteht. Ein anderes Problem ist, so Theurl, dass für Kunst- und Kulturschaffende die typische Grenze zur Arbeitslosigkeit nicht so einfach zu ziehen ist. Das kann sich durch Passiveinkommen durch künstlerische Werke ergeben. Andererseits kann man zwar geringfügig dazuverdienen, doch bei Projektarbeiten ist häufig erst am Ende des Jahres klar, wieviel Geld man verdient hat. Das ergibt dann möglicherweise rückwirkend Probleme mit den in Anspruch genommenen Leistungen. 

Theurl meint, dass es politisch sinnvoll wäre, Unternehmen, die das System bewusst für sich nutzen, beispielsweise dadurch, reihenweise nur geringfügig Beschäftigte anzustellen, stärker in die Pflicht zu nehmen. Gleichzeitig sollte Kunst- und Kultur nicht mehr gesondert betrachtet und die Regelungen für prekäre Tätigkeiten verallgemeinert werden. Sozialpolitische Leistungen und arbeitsrechtliche Errungenschaften wurden historisch betrachtet von der Arbeiter*innenbewegung erkämpft. Wir sollten uns daran wieder ein Beispiel nehmen und uns als vom Prekariat durchzogener Sektor stärker mit anderen Betroffenen solidarisieren. Denn im Moment macht es in vielen Ländern immer stärker den Eindruck, als müsse man sich zwischen Rechtsextremismus oder Neoliberalismus entscheiden. Oft gehen sie ohnehin Hand in Hand. Mit diesen Zusammenschlüssen könnte ein neues politisches Gewicht in die öffentliche Arena steigen.
 

 

Podcast zum Thema: 

 

Foto: Jachan DeVol auf Unsplash

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Dieser Artikel ist in der Ausgabe „prekär leben“ des Magazins der IG Kultur in Kooperation mit der Arbeiterkammer Wien erschienen. Das Magazin kann unter office@igkultur.at (5€) bestellt werden. 

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