Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.

Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Die SPÖ hat ihre historische Möglichkeit vertan, vor den Verhandlungen zur Regierungsbildung mit allem Nachdruck zu postulieren, dass der Anspruch, zur Macht zurück zu kehren, mit der Forderung verbunden ist, dem Haiderismus eine klare Absage zu erteilen.

Kribbeln und Taubheitsgefühle zählen zu den besonderen Merkmalen der Hyperventilation. Die Medizin konstatiert hierfür den so genannten „Karpfenmund“, noch gefährlicher sind aber dessen Folgeerscheinungen von Panik und Schwindel. Der Wahlabend des 1. Oktober 2006 hat bei vielen ein Glücksmoment verursacht, der erste Notfallsanzeichen in sich trug. Richtig aufatmen will also gelernt sein, eine mit Bedacht gewählte Dosierung sowie eine ausreichende Selbstbeherrschung, vor allem wenn sich zeigt, dass es für freudige Erregungen eigentlich keinen Anlass gibt.

Rot-weiß-rote Vertrauensseligkeit

Zur Erinnerung: Mit dem unerwarteten Wahlergebnis, vor allem aber mit dem merklichen Kursverfall der Kanzler-Partei ÖVP, machte sich kurz nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen die Hoffnung breit, dass der seit dem Februar 2000 anhaltende Wendespuk nun endlich das ersehnte Ende gefunden hat. Tatsache ist, dass Alfred Gusenbauer als Spitzenkandidat der stimmenstärksten SPÖ nach österreichischem Gewohnheitsrecht den Platz an der Regierungsspitze beanspruchen darf, was wiederum besagt, dass Wolfgang Schüssel seinen Schreibtisch am Ballhausplatz räumen müsste. Der wollte aber zunächst nicht, zog sich mit den Seinen in den Schmollwinkel zurück, verlieh mehr Ehrenmedaillen als zuvor, bat zwischendurch auch einmal FPÖ-Rechtsaußen Heinz Christian Strache zum Gespräch, liebäugelte mit den Grünen und wurde schließlich von Bundespräsident und Kronen Zeitung gleich mehrfach dazu ermahnt, mit dem Festhalten an Gesprächen zur Bildung einer großen Koalition unter sozialdemokratischer Führung dem eigentlichen „Willen des Volkes“ Rechnung zu tragen. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Die Verhandlungen nehmen also erneut ihren gewohnten Lauf, damit wird die nächste Regierung – so viel ist bei allen Unwägbarkeiten gewiss – in die Hände rot-weiß-roter Vertrauensseligkeit gelegt.

Eine kurze Rückblende: Im Spätherbst 2005 wurden in einem Einführungskurs eines ÖBB-Call Centers die zukünftigen Auskunftspersonen für Bahnreisende mit ihren neuen Aufgaben vertraut gemacht. Es gelte, so der Ausbildungsleiter, bei der ersten Übung zum Auftakt die schnellste Verbindung zwischen Mauthausen und Auschwitz ausfindig zu machen. Einige lachten, doch nicht wenige bissen auf ihre Lippen. Widerspruch war auch schon zu diesem Zeitpunkt mit der Gefahr verknüpft, dass er gleich wieder den Verlust der angesichts von Arbeitslosigkeit so wichtigen Jobperspektive nach sich zieht. Eine sehr wahrscheinliche Befürchtung, denn der staatliche Schlüsselbereich der Bahn und ihrer Infrastruktur steht als Knotenpunkt fest in der Umklammerung der Einflusssphäre von Jörg Haiders an sich dahin schwindendem BZÖ. Der noch im Wahlkampf skandierte Ungeist, missliebige Personen kurzerhand zu deportieren, muss sich zwar im Parlament auf eine Vertretung von sieben Abgeordneten beschränken, hat sich aber eben in den Köpfen tief verankert.

Konkordanzsehnsüchte des Massenboulevards

Das Bemühen um politische Nachhaltigkeit durch das Besetzen wirtschaftlicher Spitzenpositionen ist in Österreich soweit keine Neuigkeit. Ebenso wenig wie der Umstand, dass schon wenige Tage nach der Konstituierung des neuen Parlaments ein Angehöriger des wieder erstarkten FPÖ-Klubs mit einer unverhohlenen NS-Apologetik in Erscheinung trat. Wolfgang Zanger, ein strammer rechter Recke aus dem steirischen Knittelfeld, vertrat Anfang November 2006 in einem Interview mit dem ORF-Report die Überzeugung, der Nationalsozialismus hätte auch „seine gute Seiten“ gehabt und damit „den Leuten Hoffnung gegeben“. Eine Aussage, die eigentlich nach dem Verbotsgesetz zu ahnden ist, der notwendige Protest hat jedoch den Konkordanzsehnsüchten des Massenboulevards sehr schnell nachgegeben. Nur jetzt keine Unruhe, wo der zerstrittene Haufen endlich zusammen finden soll. Nicht anders verhält es sich, wenn Heinz Christian Strache die Streichung der öffentlichen Förderung kritischer Kunst verlangt, um mit dem Geld, das etwa bisher dem „Fäkalkünstler“ Hermann Nitsch zur Verfügung stand, den Pensionistinnen und Pensionisten eine Freude zu bereiten. Nicht anders verhält es sich, wenn auf Erlass der Wochen nach den Wahlen noch immer amtierenden BZÖ-Sozialministerin Ursula Haubner Eltern nicht-österreichischer Herkunft für ihr Kind Aufenthaltsdokumente nachweisen müssen, um Kindergeld beziehen zu können. Die damit einher gehende bürokratische Verzögerung drängt viele an den Rand der Existenz, eine Menschen verachtende Auswirkung des neuen Fremdenrechtspakets, das 2005 mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ, BZÖ und FPÖ beschlossen wurde.

Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Die SPÖ hat ihre historische Möglichkeit vertan, vor den Verhandlungen zur Regierungsbildung mit allem Nachdruck zu postulieren, dass der Anspruch, zur Macht zurück zu kehren, mit der Forderung verbunden ist, dem Haiderismus eine klare Absage zu erteilen. Der hat in den Jahren seit 2000 vor allem auch in der Ausbreitung der dominanten ÖVP Platz gegriffen, mit den Konsequenzen von Demokratie- und Sozialabbau, Kunst- und Kulturfeindlichkeit sowie zunehmender Repressionen in Grundrechtsangelegen- heiten. Was erwartet Österreich demnach nach dem Ende der Wende? Mit der Wiederherstellung der Vertrauensseligkeit vor allem die Ernüchterung, dass Kribbeln und Taubheitsgefühle in der Politik als Warnzeichen nicht zur Schlussfolgerung radikaler Behandlungsmethoden führen. Also Achtung beim Aufatmen. Und keinesfalls hyperventilieren!

Martin Wassermair ist Historiker und Vorstandsmitglied des Kulturrat Österreich www.wassermair.net

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