Land mit Opposition. Eine Replik

Es entsteht der Eindruck, als wären die Hauptgegner nicht die Rechten, die an der Macht sind, sondern die jeweils anderen oppositionell Gesinnten, deren vermeintliche Unfähigkeit, das "wahre", das "richtige" politische Projekt zu erkennen oder zu entwickeln, mit viel Emphase, ja fast Schadenfreude gegeißelt wird.

Eine Replik auf Chantal Mouffe in Kulturrisse 0101.

Ein wenig erinnert mich die Debatte, die sich auch im Heft Land ohne Opposition der Kulturrisse spiegelt, an meine Zeit in der Studentenpolitik: Es entsteht der Eindruck, als wären die Hauptgegner nicht die Rechten, die an der Macht sind, sondern die jeweils anderen oppositionell Gesinnten, deren vermeintliche Unfähigkeit, das "wahre", das "richtige" politische Projekt zu erkennen oder zu entwickeln, mit viel Emphase, ja fast Schadenfreude gegeißelt wird.

Damit ich nicht missverstanden werde: Das ist weder als wehleidiger Appell an mehr Solidarität mit der Sozialdemokratie noch als Absage an eine sehr wohl notwendige Debatte über bessere Strategien oppositionellen Handelns gemeint. Mich irritiert jedoch, dass ausgerechnet kritische Intellektuelle in den hegemonialen Diskurs der Rechten einstimmen, der naturgemäß sowohl die in Parteien institutionalisierte als auch die zivilgesellschaftliche Opposition zu denunzieren sucht.

Selbstverständlich lässt sich viel Treffliches über die Versäumnisse der Sozialdemokratie sagen und schreiben. Selbstverständlich war beispielsweise die große Koalition nicht gerade die dynamischste aller Regierungsformen, besonders in ihrer letzten Phase, und selbstverständlich fiel es einer Partei, die dreißig Jahre regiert hatte, schwer, in die Oppositionsrolle zu wechseln. Der SPD und der Labour Party ging es dabei bekanntlich nicht besser.

Apropos: Chantal Mouffe beklagt, ich spitze ein wenig zu, dass sich die europäische Linke insgesamt dem Neoliberalismus unterworfen hat. Das ist mir einerseits zu pauschal, weil es, selbst wenn man sich in der Analyse nur auf die sozialdemokratische Parteienfamilie beschränkt, die erheblichen Differenzen etwa zwischen Großbritannien und Frankreich unterschlägt.

Andererseits aber verkennt diese Zuschreibung, denke ich, sogar den spezifischen Charakter des ‚Dritten Wegs' von Tony Blair und ‚New Labour'. Nach Jahren des Thatcherismus - und des Scheiterns mit anderen Gegenkonzepten - war Blairs Strategie, mittels sozial-liberaler Rhetorik die Mitte der Wählerschaft zu erobern, schlicht alternativenlos - dies selbstverständlich unter der Voraussetzung, dass New Labour regieren und nicht in politischer Korrektheit ein weiteres Mal untergehen wollte.

In welche Richtung sich dieser Kurs im Falle eines erneuten Wahlsiegs im heurigen Jahr weiterentwickeln wird, ist aus meiner Sicht offen. Jedenfalls gibt es einige Anzeichen dafür, dass eine Akzentverschiebung in Richtung intensivierte politische Steuerung und sozialstaatlicher Schutz zu erwarten ist.

Zurück zur österreichischen Situation: Für sie ist all dies relativ unerheblich: Zwar gibt es innerhalb der europäischen Sozialdemokratie eine angeregte programmatische Debatte; das von manchen verfolgte Ziel, einen einzigen richtigen (Dritten) Weg für ganz Europa zu entwickeln und festzuschreiben, ist aber mittlerweile zu Recht verworfen worden. Zu unterschiedlich sind die ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, als dass ein einheitlicher sozialdemokratischer Politikentwurf in allen Nationalstaaten erfolgsträchtig sein könnte. (vgl. dazu K. Duffek u.a. (Hg.): Multiple Third Ways. European Social Democracy Facing the Twin Revolution of Globalisation and the Knowledge Society. Amsterdam/Wien/Berlin 2001)

Der Import von Programmen und Konzepten tut ohnehin nicht gut. Das lernt die Regierung gerade anhand ihrer täppischen Versuche, dem Thatcherismus einen auf seine familienideologische Schwundstufe reduzierten christlich-sozialen Geist einzuhauchen und ihn so Österreich-kompatibel zu machen.

Zum Gegenprojekt: Ganz so schlecht sieht es mit der Opposition in Österreich nicht aus. Schon vor der eigentlichen Regierungsbildung bildete sich jenseits des etablierten Parteienspektrums eine vielleicht ein wenig unscharf als "zivilgesellschaftlich" beschriebene Protestbewegung gegen die Regierungsbeteiligung einer Partei, die systematisch Ressentiments schürt und das politische System und seine RepräsentantInnen konsequent diskreditiert.

Das allein ist für österreichische Verhältnisse eine kleine Sensation und macht Hoffnung darauf, dass der obrigkeitsstaatliche Restbestand und ein darauf begründetes paternalistisches Politikverständnis (übrigens auch der Linken) in nicht allzu ferner Zukunft einmal chancenlos sein könnten.

Freilich waren die Erwartungen, die blau-schwarze Bundesregierung im Verbund mit den internationalen Reaktionen, insbesondere den Maßnahmen der EU-14, gleich wieder zum Rücktritt bewegen zu können, völlig unrealistisch. Ein wenig davon klingt in Chantal Mouffes Text noch an. Keine wie immer geartete "glaubwürdige gegenhegemoniale Offensive" hätte diese Regierung in die Knie zwingen können.

Ganz abgesehen davon, dass hegemoniale Diskurse sich bekanntlich nicht binnen weniger Wochen umdrehen lassen: diese Regierung steht unter ungeheurem Erfolgszwang, der zwar auf der einen Seite zu enormen Spannungen führt, andererseits aber die Wahrscheinlichkeit eines Koalitionsbruchs minimiert. Ein Eingeständnis des Scheiterns würde beiden Parteien, insbesondere aber der FPÖ, nachhaltig schaden.

Die Protestbewegung war und ist auch klug genug, nicht vor lauter Purismus Berührungsängste zu den Parteien oder Gewerkschaften zu haben. Dieses in beide Richtungen entspannte Verhältnis - manchmal wird zu Aktionen gemeinsam aufgerufen, manchmal nicht - unterscheidet sich wohltuend vom Eiferertum jener, die entweder der Organisationsräson jede Artikulation unterordnen wollen oder ihre Unabhängigkeit stets durch forcierte Originalität beweisen müssen.

In der SPÖ setzte zunächst eine lähmende Kombination von Erleichterung und Schock ein. Ein weiteres Koalitionsbündnis mit der ÖVP, die Fortsetzung einer ungeliebten Zusammenarbeit mit der Notwendigkeit kaum vertretbarer Kompromisse war obsolet, gleichzeitig bemerkte man, dass Opposition und Regierungstätigkeit doch recht divergierenden Logiken und Regeln unterworfen sind und man dafür gut gerüstet sein muss. Auch der Glaube mancher, nun würde die SPÖ endlich genau den Kurs nehmen, den sie sich immer schon gewünscht hatten, erwies sich als trügerisch. Zu unterschiedlich waren zunächst die Vorstellungen von der Oppositionsstrategie.

Die Konsolidierung dauerte bis zur Wahl Alfred Gusenbauers zum Vorsitzenden der SPÖ Ende April 2000. In seiner Antrittsrede stellte Gusenbauer klar, dass Opposition für die SPÖ nicht den rabaukenhaften Charakter haben könne, den die FPÖ praktiziert habe, sondern ein harter, aber sachlicher Stil zu wählen sei. Gleichzeitig betonte und verurteilte er den Tabubruch, den die Regierungsbeteiligung der FPÖ bedeute.

Damit ist ein Thema angesprochen, das Chantal Mouffe auch besonders beschäftigt: Geht es in der Konfrontation mit dem Rechtspopulismus Marke FPÖ um eine moralische oder eine politische Auseinandersetzung? Ich würde sagen, um beides: Den politischen Gegner zu definieren, seine Interessen und die Profiteure seiner Politik zu benennen und sich demgegenüber zu differenzieren, ist eine Sache. Dennoch bleibt ein Unterschied, ob eine für westeuropäische Verhältnisse "normale" konservative Partei Regierungsverantwortung trägt oder die FPÖ.

Zuzustimmen ist Mouffe jedenfalls, wenn sie meint, man dürfe sich nicht auf die moralische Ebene allein zurückziehen. Dies kann man in der Tat der SPÖ retrospektiv vorwerfen: Motive der Politik des Gegners in abgemilderter Form in die eigene Politik zu integrieren und sich vom selben Gegner moralisch zu distanzieren - das konnte nicht gutgehen.

In der ersten Phase der Opposition, etwa bis zum Herbst 2000, hatte die SPÖ die Hauptlast der Maßnahmen der EU-14 zu tragen. Der Regierung war es gelungen, diese Maßnahmen als Verschwörung Europas im Verbund mit der Sozialdemokratie zu denunzieren. Als "Opfer" wurde die österreichische Bevölkerung fingiert, obwohl sich die Maßnahmen, von einigen Unsinnigkeiten abgesehen, ausschließlich gegen die Regierung richteten. Gusenbauer wurde als Vaterlandsverräter gebrandmarkt, weil er es wagte, mehrere Reisen ins "feindliche" EU-Ausland zu unternehmen. (Dies verschweigt übrigens Oliver Marchart, wenn er die oppositionellen Parteichefs als Musterschüler der Regierung - gerade im Hinblick auf ihre internationalen Aktivitäten - qualifiziert.)

Seit der Debatte rund um das Budget 2001 gewann dann die parlamentarische Oppositionsarbeit deutlich an Profil. Die Kritik an den Sparplänen der Regierung, vor allem im Sozial- und im Bildungsbereich, aber auch an ihrem Demokratieverständnis (Stichwort Böhmdorfer) begann das öffentliche Bild einer jedenfalls eifrigen Regierung zu wandeln. Ihre selbstverschuldeten Pannen waren und sind dabei recht hilfreich.

Es gelang der SPÖ in dieser Phase, meine ich, einer Gefahr zu entgehen, die Parteien beim Gang in die Opposition oftmals begegnet: jener der Rückkehr zu alten Rezepten. Dem nostalgischen Wunsch nach einer so richtig linken Partei, die das böse Kapital, die garstige Globalisierung und überhaupt alles Hässliche auf der Welt bekämpft, kann leider nicht entsprochen werden. Da sollten uns schon die Krokodilstränen eines Peter Ulram darüber, dass die SPÖ nicht mehr die Arbeiterpartei schlechthin ist, besonders vorsichtig machen.

Freilich darf auch das gegenteilige Extrem nicht eintreten: ausschließlich die bessere Modernisierungspartei für die Erfolgreichen in der Gesellschaft zu sein. Zwischen dem, wie Isolde Charim freundlich formuliert, "unattraktiven" Bewahren und dem schneidigen Modernisieren ist aber genug Platz. Immer neue Arrangements von gesellschaftlicher - auch ökonomischer - Innovation einerseits und sozialer Sicherheit andererseits muss die Sozialdemokratie entwickeln. Dazu ist sie da, und dafür wird sie gewählt. Zum Beispiel zuletzt in Wien - für eine milde Mitte-Links-Politik (horribile dictu!) ohne Angst vor Positionierungen und ohne Populismus. Es geht auch so.

Ein letztes: Isolde Charim hat leider Recht, wenn sie das appellative Moment eines neuen linken Projekts vermisst. Es muss ein bisschen mehr sein als nur die richtigen Antworten und Konzepte, es braucht ein "Imaginäres". Ich bedaure das, weil ich mit den damit oft verbundenen teleologischen Vorstellungen, sei es der Sozialismus oder sei es die ethnisch reine Gesellschaft der Fleißigen, wenig anfange. Vielleicht gelingt es uns aber doch, diesseits der großen Erzählungen etwas zu entdecken. Oppositionsarbeit ist immer zu optimieren. Das gilt nicht nur für die SPÖ.

Karl A. Duffek, Germanist und Anglist, leitet das Renner-Institut in Wien.

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