Kulturpolitik machen – für eine Verteilungsdebatte, jetzt!

<p>Am 7. Juli 2011 hat der Nationalrat die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur mittels Entschließung ersucht, „...für den Fortbestand der Kulturinitiativen abgesicherte Grundlagen zur Situation der Kulturinitiativen und ihrer Mitarbeiter/innen erarbeiten zu lassen und zu veröffentlichen.“<a class="anchor-link" href="http://igkultur.at/medien/presse/kulturpolitik-machen-eine-verteilungsd…; <p>Auf meine Nachfrage am 8. März 2012,

Am 7. Juli 2011 hat der Nationalrat die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur mittels Entschließung ersucht, „...für den Fortbestand der Kulturinitiativen abgesicherte Grundlagen zur Situation der Kulturinitiativen und ihrer Mitarbeiter/innen erarbeiten zu lassen und zu veröffentlichen.“[1]

Auf meine Nachfrage am 8. März 2012, wie es um dieses Projekt stehe, antwortete Claudia Schmied, die Einkommensproblematik der Kulturarbeiter/innen sei nicht über das Kunstbudget zu lösen. Vielmehr sei hierfür ein Grundeinkommen notwendig, für welches das Sozialministerium zuständig sei.

Was sagt uns die Ministerin damit?

  • Sie will keine Daten erheben, keine Forschung zur sozialen Situation der Kulturarbeiter/innen durchführen.
  • Die 80 Millionen Euro des Kunstbudgets reichen nicht aus, um Kulturarbeiter/innen angemessen zu bezahlen (auch wenn daraus etliche Menschen angemessen bezahlt werden, nur kaum Mitarbeiter/innen von Kulturinitiativen).
  • Professionelle Kulturarbeit soll über ein Grundeinkommen finanziert werden, das es in absehbarer Zeit nicht geben wird.
  • Ein angemessenes Erwerbseinkommen für professionelle Kulturarbeit strebt sie somit gar nicht an und fühlt sich überdies nicht zuständig.

2007/08 ließ Claudia Schmied die soziale Lage der Künstler/innen sozialwissenschaftlich untersuchen und veröffentliche die Ergebnisse. Die waren bekanntermaßen niederschmetternd, was zu Folge hatte, dass sich eine Vielzahl von interministeriellen Arbeitsgruppen (IMAG) an unterschiedlichen Problematiken abarbeiteten. Ergebnis bis dato: selbständige Tätigkeit kann ruhend gestellt werden, damit ein Arbeitslosengeld – sofern Ansprüche bestehen – bezogen werden kann. Das Schauspielergesetz von 1922 wurde neu verlautbart und heißt jetzt „Theaterarbeitsgesetz“, Verbesserungen können nicht vermerkt werden. Insofern kann es als konsequent angesehen werden, die soziale Lage der Kulturarbeiter/innen gar nicht erst zu erheben, denn egal welches Ergebnis zutage tritt – ändern wird sich nichts. Tatsächlich weiß die IG Kultur ziemlich genau Bescheid, welche Einkommen Kulturarbeiter/innen beziehen. In Oberösterreich, in der Steiermark und in Vorarlberg wurden die Gehälter der Angestellten ihrer Mitgliedsvereine flächendeckend erhoben. In Vorarlberg lag der durchschnittliche Bezug 2011 bei 79% des von der IG Kultur erarbeiteten Gehaltsschemas, 2012 liegt er bereits niedriger, weil Inflationsabgeltungen bei stagnierenden Budgets nicht möglich waren. Für ein Bundesland dessen Lebenshaltungskosten über dem österreichischen Durchschnitt liegen, ist diese Unterbezahlung besonders brisant.

Was die Ministerin offenbar vermeiden will, ist die – längst anstehende – Verteilungsdebatte. Für den Kulturbereich gilt, was politisch insgesamt zutrifft: Solange es stets ein „Mehr“ - und sei es ein geringes – zu verteilen gibt, bleibt die Frage der nachvollziehbaren Verteilung unter dem Teppich. Stagnieren die Mittel oder sinken sie sogar, kocht die Frage der Verteilung hoch, und das ist gut so. Das moralisierende Abwimmeln, man möge nicht einzelne Einrichtungen gegeneinander „ausspielen“ wird nicht mehr greifen, da viel zu lange schon klar ist: Die Kunst- und Kulturförderung – nicht nur jene des Bundes - schafft eine Klassengesellschaft. Kulturarbeiter/innen in Bundes-, Landes- oder Gemeindeeinrichtungen verfügen über normale Dienstverträge mit allen Wohltaten, die damit verbunden sind (14 Monatsgehälter, Inflationsabgeltung, Vorrückungen, Betriebsräte...) Unrühmliche Ausnahmen (siehe KUPF-Zeitung Dezember 2011 und März 2012) bestätigen die Regel. Wer in privaten Einrichtungen arbeitet, also z.B. bei Kultureinrichtungen, deren Träger private Vereine sind, bilden Anstellungen die Ausnahme. In Vorarlberg z.B. haben 36 Mitglieder der IG Kultur Vorarlberg 32 angestellte Mitarbeiter/innen, wobei die Hälfte bei zwei Einrichtungen arbeiten. Die meisten sind überdies Teilzeitkräfte. Ihre Gehälter können nicht mehr an die Inflation angepasst werden, da die (maßgeblichen) Landesförderungen in Vorarlberg 2010 um 5% gekürzt wurden und erst 2012 wieder auf das Niveau von 2009 angehoben wurden. Förderungen von Bund und Gemeinden blieben bestenfalls stabil. In der Zwischenzeit betrug die Inflation 5,2%.

"Kulturpolitik für Menschen, nicht für Institutionen!"[2]

Für diese Menschen und ihre „Kund/innen“, vor allem die Bevölkerung im ländlichen Raum und ganz allgemein die Besucher/innen der „alternativen“ Kulturangebote, fühlt sich die Kulturministerin doppelt nicht zuständig: einerseits weil nur die Bundesmuseen und -theater die Ihren sind, andererseits weil sie meint, die Einkommensproblematik der Kulturarbeit sei über die 80 Millionen der Kunstsektion nicht lösbar.

Nun postuliert die IG Kultur, die Kulturministerin sei für alle Menschen in Österreich und deren kulturelle Bedürfnisse zuständig, weniger für bestimmte Einrichtungen. Doch bleiben wir zunächst bei den 80 Millionen der Kunstsektion des Bundes.

Als beliebiges Beispiel für die Verteilung der Bundesmittel soll hier das Kinder- und Jugendtheater dienen, welches der Ministerin aufgrund ihres Kulturvermittlungsschwerpunktes in ganz Österreich wichtig sein müsste.

Freie Projekte und Gruppen über ganz Österreich verteilt erhalten in diesem Feld 169.500 Euro (Kunstbericht 2010).
Das Theater der Jugend in Wien, ein Verein dessen Mitglieder der Bund sowie die Bundesländer Wien und Burgenland sind, erhielt 2010 vom Bund 1,85 Millionen Euro, also mehr als das Zehnfache. Das entspricht einer Bundessubvention von etwa 6,17 Euro pro Besucher/in. Das traditionsreichste freie Theater in diesem Bereich, Moki, das in vielen Bundesländern unterwegs ist, erhielt 20.000 Euro, das entspricht einer Bundesförderung von 0,57 Euro pro Besucher/in.

Das könnte inhaltlich und kulturpolitisch gerechtfertigt sein. Es kann viele Gründe geben, unterschiedliche Kultureinrichtungen höchst unterschiedlich zu fördern. Doch werden von der Bundesministerin keine Gründe genannt.

Alle sind gleich vor dem Beirat...

Während private Vereine und Projekte ihre Vorhaben samt Kostenkalkulation einem Beirat innerhalb der Kunstsektion des BMUKK vorlegen müssen, wo sie einer inhaltlichen Überprüfung nach ausformulierten Kriterien standhalten müssen und in Konkurrenz zu einer Vielzahl von Projekten stehen, gibt es neben der Anforderung, dass das Theater der Jugend darstellende Kunst für junges Publikum produziert, keine Qualitätskriterien, die vom BMUKK überprüft werden.[3]


Es gibt also innerhalb der Kunstförderung des Bundes im Rahmen der Kunstsektion schlicht zwei Klassen, für die höchst unterschiedliche Förderbedingungen bestehen. Doch wo verläuft die Trennlinie? Welche Eigenschaften müssen Kultureinrichtungen oder Projekte besitzen, damit sie in den Genuss der „Jedenfalls-Förderung“ kommen und zur Valorisierung ihrer Förderungen? Die Kriterien, welche die Beiräte der Kunstsektion verwenden, sind es jedenfalls nicht. Die entscheidende Eigenschaft ist aber mit freiem Auge zu erkennen:

Es sind die Eigentumsverhältnisse bzw. die Trägerschaft einer Einrichtung. Staatliche Einrichtungen, deren Eigentümer oder Träger der Bund, ein Land oder eine Gemeinde (oder mehrere davon in unterschiedlichsten Kombinationen) sind, werden einfach finanziert. Sie müssen zwar „sparen“, doch das hindert sie nicht unbedingt daran, Rückstellungen in 7stelliger Höhe anzuhäufen (Bsp. Salzburger Landestheater), manchmal werden ihnen solche Millionen weg genommen (Bsp. Bühnen Graz), doch das beeinträchtigt ihren Betrieb nicht. Hinterfragt jemand Sinn und Zweck ihres Tuns, wird – je nach Zielrichtung der Frage - mit dem soziokulturellen Mehrwert argumentiert oder mit der Umwegrentabilität. Das erste Argument ist falsch, weil diese Kultureinrichtungen größtenteils eine bestimmte gesellschaftliche Schicht bedienen und damit bestimmt nicht zur gesellschaftlichen Integration beitragen, im Gegenteil, der Kulturgenuss dort dient der Distinktion. Das zweite Argument fußt auf einem touristischen Konzept der 1980er Jahre, das so sicher nicht zukunftsfähig ist. „Leuchttürme“ gibt es überall, sie bieten nicht das, was kulturelle Vielfalt und die Verdichtung von „Erlebnismöglichkeiten“ – auch für den Tourismus – an Entwicklungschancen bieten.

...manche bekommen ihr Geld gleich ohne Beirat

Für diese Einrichtungen gibt es kaum inhaltlichen Evaluationen oder kulturpolitische Zielsetzungen, deren Erreichen überprüft wird.[4] Sie sind einfach da, Änderungen oder auch nur Diskussionen dazu würden Widerstand und unliebsame Publicity hervorrufen. Andere Länder (z.B. Belgien) haben längst den Weg beschritten, einzelne Einrichtungen der Repräsentationskultur als solche zu deklarieren und aufgrund ihrer „nationalen“ Bedeutung zu fördern. Für alle anderen Einrichtungen und Projekte im kulturellen Feld gelten gleiche Bedingungen. Dies muss nicht der richtige Weg sein, die Diskussion ist offen, doch sie muss endlich geführt werden.

Denkbar wäre es auch, Mittel, die in anderen Politikfeldern verteilt werden, anders zu verwenden. Würde auf ein paar Straßen- und Tunnelbauten verzichtet, gäbe es kein Problem mit einer angemessenen Kulturfinanzierung auch im freien Bereich. Die Jobs dort mögen niedriger bezahlt sein als im Straßenbau, inhaltlich herausfordernder sind sie alle Mal.

Verharren beim Status quo aber führt zu einer Dekulturalisierung der nicht urbanen und benachteiligten Räume, zum Ausschluss immer breiterer Bevölkerungsteile vom Genuss der öffentlichen kulturellen Leistungen und zur Festlegung auf eine bürgerliche Repräsentationskultur, eine Kultur für Privilegierte.

[1] 185/E XXIV. GP
[2] Siehe Marty Huber "Kulturpolitik für Menschen, nicht für Institutionen"
[3] Das Kontrollamt der Stadt Wien überprüft nur die Buchführung und stellt fest: „Für die Jahre 2008 bis 2009 bewilligte der Gemeinderat mit Beschluss vom 15. Dezember 2006, Pr.Z. 5191-2006/1-GKU, ebenfalls eine jährliche Betriebssubvention in der Höhe von 3,42 Mio. EUR. Im November 2007 beantragte der Verein TdJ neuerlich eine Subventionserhöhung für die Jahre 2008 und 2009 aufgrund gestiegener Lohn- und Sachkosten. Diesem Antrag wurde mit Beschluss des Gemeinderates vom 14. Dezember 2007, Pr.Z. 5546-2007/1- GKU, entsprochen, indem die Betriebssubvention für die Jahre 2008 und 2009 um jährlich 410.000,-- EUR erhöht wurde. “ Auch die Subventionsbedingungen der Stadt Wien sind rein quantitativ festgelegt (Anzahl der Produktionen, Eigendeckungsgrad).
[4] Wer sich die selten stattfindenden Evaluierungen genauer anschaut, trifft leicht auf fragwürdige inhaltliche Qualität (jüngere Beispiele: Feldkirch Festival, Bühnen Graz)

Juliane Alton ist Geschäftsführerin der IG Kultur Vorarlberg und Vorstandsmitglied der IG Kultur Österreich

ALTERNATIVEN ZUM VERLUST DER KULTURPOLITIK:

Teil 26: Umverteilung ist eine Alternative. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 25: Die engen Grenzen der Kunst. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 24: Internationale Kulturpolitik zwischen Dialog, Selbstrepräsentation und Ausgrenzung. Von Franz Schmidjell
Teil 23: Kulturpolitik machen – für eine Verteilungsdebatte, jetzt! Von Juliane Alton
Teil 22: Umverteilung jetzt! Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 21: Die Wissensgesellschaft und ihre freien Idioten. Von Andrea Roedig
Teil 20: Kunst irrt. Von Juliane Alton

Teil 19: Gipsy Dreams. Von Gilda-Nancy Horvath
Teil 18: Intervention zur Wienwoche. Von Ülkü Akbaba und Andreas Görg
Teil 17: Kulturpolitik für Menschen, nicht für Institutionen! Von Marty Huber
Teil 16: Mobilität statt Barrieren!. Von Petja Dimitrova
Teil 15: Alternativen zum Verlust der Kulturpolitik: Ein Zwischenresümee. Von Gabi Gerbasits

Teil 14: Von Schönheitsfehlern und Mißtönen abgesehen. Von Gerhard Ruiss
Teil 13: Lasst alle Hoffnung fahren. Von Otto Tremetzberger
Teil 12: Soziale Lage? Oder Wallfahren für Linke. Clemens Christl
Teil 11: Ein Lüfterl oder ein Brain-Storm? Gottfried Wagner
Teil 10: Panic on the Streets of London. Michaela Moser

Teil 9: Gefällige Demokratur oder demokratische Kultur? Stefan Haslinger
Teil 8: Räume der kulturellen Tat. Marty Huber
Teil 7: Transparenz in der Kulturverwaltung - a never ending story. Juliane Alton
Teil 6: Musiktheater als bürgerlicher Selbstbedienungsladen? Juliane Alton
Teil 5: Zwei ökonomische Argumente, warum man sich bei der Kultur nichts erspart und ein Plan B. Paul Stepan

Teil 4: Eine Kulturpolitik für Alle und von Allen. Ljubomir Bratić
Teil 3: Abschminken ist angesagt! Michael Wimmer
Teil 2: Keine Angst vor den freien Szenen? Elisabeth Mayerhofer
Teil 1: Fehlt da jemand? Stefan Haslinger
Teil 0: Geht's noch? Marty Huber

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Kulturbudget Regierung Verhandlungen Mit Blick auf die laufenden Regierungsverhandlungen zu Kunst und Kultur und die daran anschließenden Budgetverhandlungen appellieren wir an die Verhandler*innen: Setzen Sie sich für die Absicherung der Kunst- und Kulturfinanzierung ein und investieren Sie in die freie Kunst und Kultur! Erhöhen sie die Finanzierungszuschüsse des Bundes für freies Kunstschaffen und zeitgenössische Kunst- und Kulturarbeit um zumindest 50 Millionen Euro. Aktuell belaufen sich diese auf lediglich 0,1% der Bundesausgaben. Jeder mehr investierte Euro ist eine nachhaltige Investition in die Zukunft, wie zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen.
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