EU-Wahl 2019: Welches Europa wollen wir haben?
Am 26. Mai sind Europawahlen. Noch nie schien eine Europawahl so richtungsweisend, wie diese. Radikale Nationalisten sind laut Umfragen im Aufwind. Noch nie war es so schwer, Menschen zu erklären, warum die EU wichtig ist. Dabei ist sie die einzig vernünftige Lösung.
Nachdem der Brexit EU-Gegner vor weiteren Austrittsüberlegungen zurückschrecken lässt, scheinen sich die europäischen Rechtsaußenparteien zumindest zu einer neuen Großfraktion bündeln zu wollen, um Europa von innen heraus zu spalten. Ein Europa der nationalen Sonderwege ist es die letzten Jahre bereits, wie vor allem der gescheiterte Migrationspakt zeigt: In Brüssel blockieren und „zuhause“ dann Sonderlösungen und Grenzzäune feiern, unter dem Argument, dass die EU nichts zustande bringe.
Der Schriftsteller und politische Essayist Robert Menasse bricht der EU eine Lanze. Er ist um Aufklärung bemüht, und die ist auch bitter nötig. Er reiste selbst mit gewissen Vorurteilen nach Brüssel, fand aber, wie er sagt, offene Türen, kompetente Informationen, hochqualifizierte Beamte und schlanke Bürokratie vor. Seine Erfahrungen und Einschätzungen präsentierte er in seinem Buch „Der europäische Landbote“. Ein paar Jahre später lieferte er mit „Die Hauptstadt“ den ersten Roman über die Europäische Union.
Menasse erklärt, dass die Idee der Gründergeneration gewesen sei, eine Wiederholung der Schrecken der europäischen Kriege unmöglich zu machen. Die Idee: Die Staaten so abhängig voneinander zu machen, dass jeder Übergriff auch ihnen selbst schaden würde. Mittlerweile ist die Entwicklung bereits so weit fortgeschritten, dass die Phantasie einer Rückkehr in den souveränen Nationalstaat, wie ihn manche Populisten propagieren, nicht nur unwahrscheinlich, sondern auch unmöglich ist. Es passt auch gut zu internationalen Entwicklungen, Stichwort „Globalisierung“ - diese könne man erleiden oder aber gestalten. Für die neuen Herausforderungen und Probleme sei die EU das einzig Vernünftige, so Menasse, der einen Zerfall aber dennoch für wahrscheinlich hält.
Denn für ihn ist das Problem nicht so sehr der Wettstreit zwischen Nationalisten und Liberalen, zu dem die Wahlen gerade stilisiert werden. Für ihn krankt das System an einem grundsätzlichen Fehler: Der Rat der Europäischen Union, der aus nationalen Regierungen bestückt wird, bestimmt das Gros der Geschicke der EU. Das Parlament, dass eigentlich über demokratische Legitimation besitzt, hat kaum Einfluss. Gleichzeitig werden die Mitglieder des Europäischen Parlaments nicht über europäische, sondern über nationale Listen gewählt. Für Menasse eine „Nationalismusfalle“, denn alle Kandidat*innen müssten in nationalen Wahlkämpfen erklären, warum sie nationale Interessen am besten in Brüssel vertreten würden, anstatt sich für ihre Ausrichtung für eine entsprechende europäische Politik wählen zu lassen.
Trotzdem wird diese Wahl vielleicht richtungsweisend: Entweder für ein Europa der Grenzzäune und der nationalen Lösungswege, oder für ein gemeinsames Europa, das sich selbst reformieren kann und muss.
Robert Menasse ist Schriftsteller und politischer Essayist. Er hat mit „Der europäische Landbote“ und „Die Hauptstadt“ gleich zwei Werke zur Europäischen Union vorgelegt.
Coverfoto: Frederic Köberl auf Unsplash