From a distance!

Eine historisch-kritische Betrachtung der Entwicklung vom Klimawechsel zu einem „heißen Eisen“. 

Der erste Satz in „Klimawechsel – Für eine neue Politik kultureller Differenz“ aus dem Jahr 1998 hat diesem Forderungskatalog und auch der – damals schon einige Jahre währenden – Arbeit der IG Kultur Österreich das Leitmotiv mitgegeben: „Die IG Kultur Österreich sieht als ihre wichtigste Hauptaufgabe die Verbesserung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die autonome Kulturarbeit.“ Daran hat sich nichts geändert, daran wird sich – in Anbetracht realpolitischer Verhältnisse – auch so rasch nichts ändern. Was sich aber geändert hat und sich vielleicht ändern musste, sind die Zugänge und die Verbalisierungen dieser Notwendigkeiten.

Forderungsfüllhörner

Der „Klimawechsel“ 1998 war geprägt von einer Fülle von Forderungen, die – für die damalige Zeit – zukunftsweisend, ja avantgardistisch erschienen. Weil es auch so war (und ist), dass Interessenvertretungen die Avantgarde bilden und darstellen müssen. Auch heute ist die IG Kultur ihrer Zeit voraus. Aber da, wo 1998 scheinbar leicht erfüllbare Forderungen standen, stehen in der Neuauflage 2012, welche unter dem Titel „Klimawechsel – Das Eisen weiter schmieden“ erschienen ist, Visionen; stehen heute Parolen. Ist die Zeit der Forderungskataloge also vorbei?

Die Systemfrage stellen

Mit dem „Klimawechsel“ neu setzt die IG Kultur ein klares Statement gegen eine Politik der Oberflächlichkeiten. Eine banale Symptombekämpfung ist zu wenig, weil sie nur punktuell greift und nicht das Ganze erkennt, weil so die Systemfrage nicht gestellt wird. Auch 1998 wurde die Systemfrage gestellt, aber vor allem in den einleitenden Vorwörtern (die übrigens ausschließlich männliche Autorenschaft hatten). Die Forderungen zielten auf konkrete Umsetzungsmöglichkeiten ab, waren geradezu Handlungsanleitungen für die regierende Politik. Der Klimawechsel von 1998 setzte an der bestehenden Politik an und versuchte, diese mit den eigenen „Waffen“ zu schlagen. Denn was in der ausgehenden Ära Viktor Klima (no pun intended) vorrangig zugegen war, war ein Mangel an Gestaltungswillen, dem die darauf folgende schwarz-blaue Regierung ein speed kills entgegensetzte. Diesem Gestaltungsunwillen musste mit Forderungen gegengesteuert werden. Forderungen, die teilweise ob ihrer „Banalität“ (aus kulturarbeiterischer Sicht) leicht umzusetzen gewesen wären.

Betrachtungen von der Metaebene

Heute glühen die PolitikerInnen vor (verbalem) Gestaltungswillen. Allerorten soll innovativ und kreativ gearbeitet werden. Mit dem Vorschlag, auf diesen Zug aufzuspringen und mit einem Forderungskatalog mitzuhelfen, die kulturpolitische Ohnmacht zu kaschieren, wäre die IG Kultur schlecht beraten gewesen. Deshalb verfolgt der „Klimawechsel“ 2012 einen Ansatz auf der Metaebene. Acht Konfliktfelder wurden identifiziert (ohne Anspruch auf Vollständigkeit), an denen sich eine zukunftsweisende Kulturpolitik orientieren kann. Und aus der Betrachtung der Konfliktfelder wurden Maßnahmen abgeleitet, welche dazu beitragen, auf diesen Konfliktfeldern arbeiten zu können. Doch sind die Maßnahmen 2012 keine durch Erlass oder Verordnung schnell vom Tisch zu arbeitenden Forderungen, vielmehr verlangen sie von der Politik, aber auch von den KulturarbeiterInnen eine eingehende Betrachtung der kulturpolitischen Zielsetzungen.

Alles neu?

Wurde also mit dem „Klimawechsel“ 2012 auch ein Bruch in der politischen Arbeit der IG Kultur vollzogen und eine neue Konfliktkultur etabliert? Das wäre wohl zu hochtrabend ausgedrückt. Denn so unterschiedlich wie die oben formulierten Differenzen scheinen mögen, so betreffen sie doch eher die Form der Auseinandersetzung und weniger die inhaltliche Herangehensweise. Jede Ära verlangt von oppositionellen Kräften eine entsprechende Erwiderung, die sich aber – fast zwangsweise – der Sprache und den Formalismen der jeweiligen Zeit bedient bzw. diese bewusst negiert. Aber auch der „Klimawechsel“ 1998 hatte eine Vision, die im Untertitel formuliert war: „Für eine neue Politik kultureller Differenz“. Damit war – wie auch heute bei „Das Eisen weiter schmieden“ – der Aufruf da, in Kulturpolitik mehr als eine Kunstförderungsmaschine zu sehen. Damit war auch der Aufruf gestartet, Freiräume zu ermöglichen, mediale Vielfalt zu gewährleisten und die Heterogenität kultureller Ausdrucksformen zu fördern, anstatt dem Beharren auf der österreichischen Kulturnation weiterhin das Wort zu reden.

Ernüchterung?

Würde der Erfolg der Arbeit der IG Kultur an der Umsetzung der erhobenen Forderungen aus dem Jahr 1998 gemessen werden, zeichnete sich ein tristes Bild der Erfolglosigkeit ab. Und geschähe selbiges anhand des „Klimawechsel“ 2012, so wäre es – dem österreichischen Leistungsprinzip entsprechend – wohl angebracht, den Laden dicht zu machen. Doch Publikationen wie der „Klimawechsel“ dienen nicht als Gradmesser der eigenen Arbeit. Vielmehr dienen sie einer – nach innen gerichteten – Standortbestimmung. Wo die IG Kultur 1998 stand und wo sie heute steht, zeigen diese Publikationen auf das Deutlichste. Aber sie dienen auch dazu, die handelnde Politik daran zu erinnern, dass die reine Symbolebene, die reine Symptombekämpfung ohne Ursachenforschung auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt ist. Und die lange Sicht hatte die IG Kultur schon immer.

Anmerkung

Der „Klimawechsel – Für eine neue Politik kultureller Differenz“ kann über die Website der IG bezogen werden. Der „Klimawechsel – Das Eisen weiter schmieden“ steht eben dort zum Download bereit.

Stefan Haslinger war von 2005 bis 2012 im Vorstand der IG Kultur Österreich.

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