Dirty, dangerous and difficult

Im Jahr 1990 machte sich der Soziologe Konrad M. Hofer, „getarnt“ als rumänischer Wanderarbeiter, auf den Weg, um im Auftrag der Wiener Arbeiterkammer und des österreichischen Sozialministeriums die Arbeitsbedingungen von aus Polen migrierten Arbeiter*innen am sogenannten „Arbeitsstrich“ in der Herbststraße in Wien/Ottakring zu erforschen.

Im Jahr 1990 machte sich der Soziologe Konrad M. Hofer, „getarnt“ als rumänischer Wanderarbeiter, auf den Weg, um im Auftrag der Wiener Arbeiterkammer und des österreichischen Sozialministeriums die Arbeitsbedingungen von aus Polen migrierten Arbeiter*innen am sogenannten „Arbeitsstrich“ in der Herbststraße in Wien/Ottakring zu erforschen (vgl. Hofer 1990). Seine „Undercover-Recherche“ als verdeckter teilnehmender Beobachter erinnert dabei – auch was den „exotisierenden Blick“ des Forschers anbelangt – an die Arbeit des Journalisten Günter Wallraff. Dieser hatte rund sechs Jahre zuvor, getarnt als „türkischer Gastarbeiter“, u. a. über die Arbeit für Subfirmen im informellen Sektor der deutschen Baubranche berichtet (vgl. Walraff 1985). Und Hofers Studie kommt hinsichtlich der Frage un(ter)dokumentierter migrantischer Arbeit auch zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie Wallraff, die dieser mit dem reißerischen Titel „Ganz Unten“ (mehr schlecht denn recht) auf den Punkt zu bringen versuchte. Zumindest auf den ersten Blick erstaunlich ist, dass viele der von den beiden Autoren aufgezeigten Besonderheiten dieser Form der Lohnarbeit auch heute noch vorzufinden sind. Ergebnisse aktueller empirischer Sozialstudien belegen dies eindrucksvoll (vgl. etwa Krenn/Haidinger 2009). An den verheerenden Arbeits- und Lebensbedingungen un(ter)dokumentierter migrantischer Arbeiter*innen scheint sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte mithin wenig bis nichts verändert zu haben.

Was heißt nun aber „undokumentierte Arbeit“? Der Begriff verweist auf Lohnarbeit, die jenseits der regulären, d. h. staatlich erfassten und entsprechend regulierten Sektoren des Arbeitsmarkts geleistet wird. Im Falle von Migrant*innen sind einige Branchen dieser informellen Ökonomie von besonderer Bedeutung. Die wichtigsten sind hier das Baugewerbe, die Gastronomie bzw. der Tourismus, der Privathaushalt, die Landwirtschaft sowie die Sexindustrie. Mit dem Begriff der un(ter)dokumentierten migrantischen Arbeit wird dabei die Komplexität und Dynamik des Phänomens betont: Einerseits ist migrantische Arbeit durch verschiedene Grade der Un-/Dokumentiertheit gekennzeichnet, andererseits dadurch, dass sich ihr rechtlicher Status aufgrund von sich wandelnden Gesetzeslagen ständig verändern kann.

Undokumentierte Arbeitsverhältnisse von Migrant*innen sind i. d. R. durch Überausbeutung, unregelmäßige und exzessiv lange Arbeitszeiten, fehlenden Arbeitsschutz und verheerende Arbeitsbedingungen sowie einen hohen Grad „unternehmerischer Willkür“ gekennzeichnet. Fälle von Lohnbetrug, tätlichen (sexuellen) Übergriffen oder illegitimen Kündigungen (bspw. aufgrund von Krankheit) sind an der Tagesordnung. In der Literatur zu diesem Thema ist immer wieder die Rede von den „Three Ds“ (dirty, dangerous and difficult) bzw. „Three Bs“ (boring, below-standard and badly-payed), wenn die Arbeitsbedingungen von undokumentierten Arbeiter*innen beschrieben werden (vgl. ebd.: 42). Nun sind zwar Gewerkschaften die real existierenden Interessenvertretungen lohnabhängig Arbeitender, doch wer vermutet, dass solche Verhältnisse für Gewerkschaften zwangsläufig einen Handlungsdruck erzeugen, liegt nur bedingt richtig.

Kontrolle und Bekämpfung verschärfen die Lage der Lohnabhängigen

In Österreich wird das Phänomen der un(ter)dokumentierten migrantischen Arbeit bislang beinahe ausschließlich als „Problem“ wahrgenommen, das durch repressive Maßnahmen gelöst werden soll. Vor allem staatliche Kontroll- und Bekämpfungsmechanismen werden verstärkt. In indirekter Form passiert dies durch (immer) restriktive(re) Einreisebestimmungen in Kombination mit intensiven Personen- und Grenzkontrollen. Damit versuchen der österreichische Staat und die EU irreguläre Migrationsbewegungen – und damit auch den Zustrom migrantischer Arbeitskraft zu den informellen Sektoren der Wirtschaft – zu kontrollieren. In direkter Form geschieht dies durch Maßnahmen, welche die Nachfrage nach undokumentierter Arbeit einschränken sollen. In den vergangenen Jahren kam es in diesem Bereich wiederholt zu Verschärfungen der entsprechenden gesetzlichen Grundlagen bzw. administrativen Praxen. So wurde etwa 2003 im Rahmen des „Aktionsplans zur Verstärkung der Betrugsbekämpfung“ u. a. die zentrale Akteur*in in diesem Feld, die KIAB (Kontrolle illegaler Arbeitnehmerbeschäftigung), personell aufgestockt. Außerdem wurden ihre Befugnisse stark ausgeweitet (vgl. EMN/IOM 2005: 86ff.). Weitere Veränderungen in diesem Bereich sind aktuell mit dem „Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz“ geplant.

Dass seitens der österreichischen Gewerkschaften diese Strategie bislang weitgehend unwidersprochen unterstützt wird, überrascht. Bereits Klaus M. Hofer (1992: 162f.) hatte in seiner eingangs angesprochenen Studie darauf hingewiesen, dass die Hauptleidtragenden solcher Kontroll- und Bekämpfungsmaßnahmen die lohnabhängig Arbeitenden sind: Während den Arbeitgeber*innen im Falle eines Aufgriffs i. d. R. lediglich Geldstrafen drohen, so bedeutet dies für die betroffenen Arbeitnehmer*innen nicht bloß Arbeitsplatzverlust, sondern ist zumeist auch mit aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen verbunden. Diese reichen bis hin zu Ausweisung oder Abschiebung und laufen somit auf einen umfassenden Entzug der Lebens- und Existenzgrundlage hinaus. Zugleich könne – wie Hofer betont und wie aktuelle Studien vielfach belegen – die „Erhaltung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen […] nicht mit dem Aufstellen einer neuen ,Mauer‘ verteidigt werden“. Denn der Ausbau von Kontroll- und Bekämpfungsmechanismen bringt informelle Ökonomien nicht zum Verschwinden. Vielmehr setzen solche Maßnahmen Illegalisierungs-Prozesse in Gang und bringen so das Phänomen „Illegalität“ erst hervor. Oder anders formuliert: Sie „münden nicht in einem Ende der undokumentierten Arbeit. Stattdessen werden die ArbeiterInnen weiter in den Schatten der Wirtschaft gestoßen“ (Krenn/Haidinger 2009: 10).

In anderen Ländern, wie bspw. der Schweiz oder Deutschland, hat vor diesem Hintergrund in den letzten Jahren und Jahrzehnten auf Seiten der Gewerkschaften ein Umdenkprozess eingesetzt. (1) Dieser ist nicht bloß das Ergebnis einer Rückbesinnung auf ein gewerkschaftliches Selbstverständnis, das darauf beharrt, die Interessen aller lohnabhängig Beschäftigten zu vertreten. Er ist zumindest teilweise auch auf das Interesse der Gewerkschaften an ihrem eigenen Fortbestand zurückzuführen. Denn die Entrechtung undokumentiert Arbeitender macht diese nicht nur erpress- und überausbeutbar. Sie führt auch dazu, dass sozial- und arbeitsrechtliche sowie kollektivvertragliche Standards unterminiert werden. Die mit ihrer Entrechtung verbundene Verletzbarkeit bedeutet letztlich also eine Schwächung der Position aller lohnabhängig Beschäftigten – und damit auch einen Angriff auf die Gewerkschaften selbst.

Undokumentierte Kolleg*innen

Diese Erkenntnis scheint erfreulicherweise aktuell auch in Teilen der österreichischen Gewerkschaften vermehrt Zuspruch zu finden. So ist es bspw. beim Bundesforum der GPA-djp (2) Anfang November in Wien gelungen, das Thema der undokumentierten migrantischen Arbeit auf die Agenda zu setzen. Während beim Bundesforum üblicherweise engagierte Delegierte sowie diverse Gremien Anträge mit richtungweisenden Forderungen einbringen, haben diesmal auch Aktivist*innen und Freund*innen des PrekärCafé die Gelegenheit genutzt, von dem – allen Mitgliedern zustehenden – Antragsrecht Gebrauch zu machen. Unter dem Titel „Undokumentiert Arbeiten: Arbeitsrechte ausbauen zum Schutz aller abhängig Arbeitenden“ ging es in dem knapp zwei Seiten langen Antrag darum, einerseits die Problemlage darzustellen und andererseits in acht Forderungspunkten gebotene Grundsatzpositionen einer Abeitnehmer*innenvertretung festzuhalten (z. B.: „Kein Ausspielen von abhängig Arbeitenden gegeneinander aufgrund von Aufenthalts- und/oder Arbeitsverhältnissen! Rechte ausbauen! Solidarität stärken!“).

Gleich vorweg: Angenommen wurde der Antrag nicht. Aber das Vorhaben, eine breitere Diskussion über undokumentiert Arbeitende zu initiieren, ist allemal gelungen. Nicht nur, weil der Antrag zur „qualitativ hochwertigen“ Bearbeitung dem Bundesvorstand der GPA-djp zugewiesen wurde. Bereits in den Wochen zuvor zogen dieser Antrag und das Thema seine Kreise durch die Institution. Ein Resultat dessen war etwa, dass in der Antragsdiskussion beim Bundesforum Delegierte sowohl aus der Interessengemeinschaft @email (Hasan Tanyeli und Fathi Farzaneh) als auch der @email (Wilfried Leisch) den Antrag des PrekärCafé mit Redebeiträgen unterstützten. In einem weiteren Statement hat Martha Fleschurz (Betriebsrätin bei der Volkshilfe Oberösterreich) von ihren Erfahrungen mit undokumentiert arbeitenden Asylwerber*innen erzählt und die extremen Formen prekären Lebens und Arbeitens anschaulich vor Augen geführt. Zudem, wenn auch an sich für einfache Mitglieder nicht vorgesehen, haben sich zwei Aktivist*innen aus dem PrekärCafé in die Redner*innenliste eingereiht, um sich als Antragsteller*innen auch selbst zu Wort zu melden: zum einen mit einer kurzen spielerischen Befragung der Anwesenden, zum anderen mit konkreten Vorschlägen für ein weiteres Prozedere innerhalb der GPA-djp (fokussierend auf eine Dreifach-Strategie: Wissenserwerb – Wissenstransfer – Mitgliedergewinnung). Damit war der Antrag zu undokumentierter Arbeit vermutlich der am umfassendsten präsentierte bei diesem Bundesforum. „Zuweisung an den Bundesvorstand“ lautete schließlich das Ergebnis der Antragsabstimmung am Folgetag. Ergänzend empfahl die sogenannte Antragsprüfungskommission eine gemeinsame Veranstaltung mit @email durchzuführen. Außerdem sollen die internationale Abteilung und die Grundlagenabteilung der GPA-djp mit der Erarbeitung eines Vorschlags für den Bundesvorstand befasst werden.

Der GPA-djp-Bundesvorstand wird übrigens nicht der einzige sein, bei dem das Thema undokumentierte Arbeit und entsprechende Forderungen in nächster Zukunft auf der Agenda stehen. So hat bspw. die Liste „Bunte Demokratie für alle“ Ende Oktober dieses Jahres einen ebensolchen Antrag in der Vollversammlung der AK Wien zur Abstimmung gebracht – mit dem Ergebnis: Zuweisung an den Ausschuss für Arbeitsmarktangelegenheiten und Integration. Als nächstes wird die AUGE (Alternative und Unabhängige Gewerkschafter*innen) einen solchen Antrag auf AK-Bundesebene einbringen.

Der Schritt hin zur Entwicklung konkreter Handlungspraxen ist damit zwar noch lange nicht vollzogen. Dass es gelungen ist, das Thema in diesen Institutionen überhaupt zu verankern, kann aber bereits als Erfolg gewertet werden. Denn dass ausgehend davon auch radikale Neupositionierungen zu Fragen der irregulären Migration bzw. undokumentierten Arbeit möglich sind, macht etwa das Beispiel der US-Gewerkschaften deutlich: „Ehedem Befürworter von Polizeirazzien und militarisierten Außengrenzen, verabschiedete der Gewerkschaftsbund [im Februar 2000, Anm. PrekärCafé] eine Resolution, in der er sich für eine Amnestierung der undokumentiert und deshalb nach herrschenden Rechtsnormen illegal im Land lebenden Immigranten aussprach“ (Meyer 2002: 122f.). Obschon vielfach kritisiert wurde, dass diese Kehrtwendung bislang nur eine halbherzige Umsetzung fand (vgl. etwa Chacón/Davis 2007: 336ff.), stehen undokumentierte Arbeiter*innen heute in den USA mitunter sogar im Zentrum gewerkschaftlicher Organizing-Kampagnen. Dass es bis zur Umsetzung solcher Initiativen auch in Österreich noch ein längerer Weg ist, liegt auf der Hand. Dem ÖGB und seinen Teilgewerkschaften jedoch von vornherein die Fähigkeit zur Veränderung abzusprechen, erscheint theoretisch ebenso fragwürdig wie politisch fatal.

Fußnoten
(1) Vgl. dazu etwa die Beiträge des Schwerpunkts „Un(ter)dokumentierte migrantische Arbeit und Organisierung“ in Ausgabe 2/2010 des Online-Magazins migrazine.at bzw. in Heft #52 der Zeitschrift (MALMOE).
(2) Das Bundesforum findet alle vier Jahre statt und ist das höchste Entscheidungsgremium der Gewerkschaft der Privatangestellten – Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp). Dabei treffen über 400 Delegierte (Betiebsrät*innen und andere Funktionär*innen) zusammen, um u. a. (Grundsatz)Positionen für die nächsten Jahre festzulegen.

Literatur
Chacón, Justin Akers/Davis, Mike (2007): Crossing the Border. Migration und Klassenkampf in der US-amerikanischen Geschichte. Berlin/Hamburg.
EMN/IOM (Nationaler Kontaktpunkt Österreich im Europäischen Migrationsnetzwerk/International Organization for Migration) (2005): Illegale Einwanderung in Österreich. Eine Bestandsaufnahme der jüngsten österreichischen Forschungsliteratur. Wien.
Hofer, Klaus M. (1991): Arbeitsstrich. Unter polnischen Schwarzarbeitern. Wien.
Krenn, Manfred/Haidinger, Bettina (2009): Un(der)documented labour – characteristics, conditions and labour market impacts. FORBA Research Report 2/2009. Wien.
Meyer, Malte (2002): Neuanfang in der Defensive. US-Gewerkschaften unter Handlungsdruck. Hamburg.
Wallraff, Günter (1985): Ganz unten. Köln.

Das PrekärCafé ist ein aus der Wiener EuroMayDay-Bewegung hervorgegangenes Kollektiv und hat vor rund einem Jahr eine Kampagne mit dem Thema „undokumentiertes Arbeiten, Organisierung und Gewerkschaften“ gestartet. Den Ausgangspunkt bilden dabei eigene Erfahrungen mit Möglichkeiten und Problemen des Arbeitskampfs und der (Selbst-)Organisierung in unterschiedlichen Bereichen prekärer Arbeit.

Mehr Informationen unter: prekaer.at

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